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Der umsichtige, thätige Oberkommissär Pax saß eines Morgens bald nach dem Begräbniß des Karl Eisold noch im Schlafrock und blätterte in gemischten Papieren. Sieht es bei alten von Frauen verwöhnten Junggesellen ohnehin schon in ihrer Behausung behaglich und mit pedantischer Ordnungsliebe gepflegt aus, so hat ein hochgestellter Diener der öffentlichen Sicherheit vollends Gelegenheit, sich eine comfortable Existenz zu begründen. Herr Pax schlüpfte über Teppiche, lehnte die Arme auf Stickereien, den Rücken an schwellende Kissen, die ihm von seinen Verehrern, den reichen Bürgern der Stadt, Sollicitanten und selbst dann und wann Contravenienten zum Geschenke gemacht wurden. Da waren die Glasschränke voll Porzellan, voll Gold und Silber. Kostbare Blumentöpfe beschatteten die Fenster, die mit Ampeln und hängenden Rankengewächsen geziert waren. Selbst ein Papagey, vor Allen aber Schooßhunde und Katzen fehlten nicht, wie bei einer alten Jungfrau, die ihren reichen Schatz an Liebe zuletzt doch mit irgend Jemand in der Welt theilen muß. Charlotte Ludmer hatte den ehemaligen derbauftretenden Wachtmeister doch zum verweichlichten Junggesellen erzogen, und die halbe Stadt wußte, wann Herr Pax seinen Geburtstag feierte. Die guten Bürger erdrückten ihn dann mit Überraschungen, von denen ihn die Naturalgeschenke trotz seines guten Appetits oft in Verlegenheit setzten, da sie zur Verköstigung für Monate ausreichen konnten. Eben trug ihm eine junge Haushälterin in silbernem Service den Kaffee herein, als ihn Hackert freundlich begrüßte und ihm Glück wünschte zu den wahrscheinlich sehr reichen Fängen, die er auf seiner Rundreise gemacht hätte.
Pax lächelte mit dem Bewußtsein eines Mannes, der das Wohl des Staates an seinen Fingern hat und, wenn er nicht Acht gäbe, das ganze Gewebe der öffentlichen Ordnung fallen lassen könnte...
Er rückte einen kostbaren Fauteuil seinem Protégé zu und fragte ihn, ob er schon gefrühstückt hätte. Die Sahne war schäumend. Das Weißbrot war das zarteste. Der Mocca vom schönsten Rothschwarz. Die Haushälterin allerliebst. Doch lehnte Hackert ab.
Schmelzing hat mir schon gestern Abend mancherlei erzählt, sagte der Oberkommissär. Was haben denn inzwischen Sie erlebt?
Hackert zog seine Liste verdächtiger Personen und die Notizen noch verdächtigerer Zustände hervor und bat den Oberkommissär, ihm nur auf den Zahn zu fühlen. Er würde ihm dann eine reiche Ernte mittheilen können.
Das ist ja charmant. Die Zeiten sind schlimm! Die Umtriebe wachsen immer gefährlicher. Setzen Sie sich, Hackert. Wirklich? Haben Sie schon gefrühstückt?
Damit wollte der freundliche Herr, der wie Mancher erst im Schlafrock Gemüth hatte, an einem kostbar gestickten Schellenzuge klingeln und hatte schon den krystallnen Ring in der Hand...
Hackert lehnte ab...
Wie Sie wollen! sagte der freundliche Wirth und lenkte zu den Geschäften ein. Schmelzing erzählt mir ja Wunderdinge von dem Karl Eisold'schen Begräbniß. Er hat alle Namen aufgeschrieben, die er erkannte –
Ich sah Schmelzing nicht –
Er war zugegen. Es ist erstaunlich, was sich für Menschen kompromittirt haben. Der Staatsanwalt wird zu thun bekommen.
Es ist viel gesprochen worden, sagte Hackert ruhig, aber Aufregendes?
Hackert, entgegnete Pax herablassend, aber doch drohend. Sie haben keine Neigung für politische Fragen. Sie sind Schmelzing überlegen in der Auffassung, aber Schmelzing beobachtet schärfer...
Ohne hören und sehen zu können?
Pax lächelte und schlürfte seinen Mocca, den er stark trank, da es ihm an Bewegung nicht fehlte...
Sie wissen doch, sagte er, daß es in der Gaunersprache der Revolutionärs ein Auf- und Abwiegeln gibt. Nichts ist gefährlicher als das Abwiegeln. Da werden die Leidenschaften zurückgedrängt und brechen nur um so gefährlicher in unbewachten Augenblicken hervor...
Aha! sagte Hackert ruhig.
Leidenfrost soll in dieser Art am Grabe abgewiegelt haben.
Er ist, berichtete Hackert, mit einer Sendung von Maschinen auf die Güter unsres Premierministers, um sie dem dortigen Generalpächter Ackermann zuzuführen. Zwei Arbeiter, Heusrück und Alberti, begleiten ihn...
Der dritte im Bunde, Danebrand, soll sitzen...
Man beschuldigt ihn, den Karl Eisold durch eine Heldenthat haben rächen zu wollen, die an die bekannte Geschichte von Arnold von Winkelried erinnert. Kennen Sie diese Geschichte, Herr Oberkommissär?
Der ehemalige Wachtmeister schien die Geschichte der Schweiz nicht studirt zu haben, ob er gleich mit ihr in naher Verbindung stand und einen lebhaften Briefwechsel über das »Treiben« der Flüchtlinge daselbst unterhielt.
Die Geliebte Danebrand's hat einen andern Verehrer gefunden, fuhr Hackert fort; einen Inspektor auf dem königlichen Schlosse Buchau. Es ist derselbe Mann, der jene Auguste Ludmer heirathen wollte...
Apropos, Hackert, unterbrach Pax die unangenehme Erinnerung an seine Pseudo-Schwester, ich habe ein Briefchen von der Familie des Geheimraths von Harder vorgefunden. Man dankt mir sehr für Ihre Empfehlung; aber Sie haben sich einem Auftrage nicht unterzogen, den man Ihnen daselbst ertheilte –
In Betreff jenes zweideutigen, falschen Engländers –
Ganz Recht! Das Briefchen ist schon einige Tage alt. Dieser Mensch...
Den man auf Caution freigelassen hat...
Etwas voreilig – Assessor Müller ließ sich von hohen Personen imponiren –
Die Identität des Individuums, das jene charmante Dame, Madame Ludmer, zu erkennen wünscht, paßte nicht auf diesen Murray – es sind völlig verschiedene Personen... auch wollte mich Müller in keiner Beziehung zur Justiz anerkennen.
Hm! Ich meine denn doch, der Fall war wichtig. Ich habe in Hohenberg diesen Mann mit großem Aufwand beobachten lassen und seine Gefangennehmung ist mit einem Verbrechen verbunden gewesen.
Gegen alles Das hat ein ehemaliger Diplomat, Baron von Dystra, durch sein Zeugniß und eine enorme Kaution den Beweis besseren Sachverhalts geführt.
Hab' ich gehört und beauftrage Sie auch, diesen Dystra in's Auge zu fassen. Alles, nachgrade Alles wird verdächtig!
Einstweilen weiß ich, daß dieser Sonderling sich beim königlichen Schlosse Buchau ankaufen will und eine gewünschte Parzelle dazu erhalten hat. Er interessirt sich für das Unglück der Eisold'schen Familie und hat Louisen vorgeschlagen, sie möchte in seinem Auftrage mit ihren Geschwistern nach Buchau gehen und ihm dort Vorbereitungen treffen, dem Bau, den er auf der Ruine Tempelstein für den Sommer vorbereitet, mit Bequemlichkeit anwohnen zu können.
Sie sind gut unterrichtet – sagte Pax. Doch find' ich darin nichts Staatsgefährliches – wenn nicht diese Nähe von Demokraten bei einem königlichen Schlosse...
Ich meine, sagte Hackert mit bittrer Ironie, es ist sehr nützlich, daß eine neue Tochter Jephtha's, eine Jeanne d'Arc der Arbeiter, von hier entfernt wird –
Pax schwieg bedeutungsvoll. Er stellte sich, als verstünde er die geschichtlichen Anspielungen seines Volontairs, der eigentlich mit ihm wie die Katze mit der Maus spielte.
Das Mädchen wird schon dieser Tage gehen, erzählte Hackert. Mangold ist voraus und Baron von Dystra hat den Tempelstein gekauft. Er wird ihn im Frühjahr ausbauen lassen. Einstweilen sammelt er Handschriften, was bedenklich ist...
Wie so?
Er sammelt Handschriften! wiederholte Hackert trocken. Ich fürchte, er wird einmal einen gewissen Brief des Majors Werdeck finden und dann einen Brief von Schmelzing's Hand mit ihm zusammenlegen und einen Kenner fragen, ob beide Hände Ähnlichkeit miteinander haben oder nicht.
Hackert hatte diese Worte ruhig hingeworfen.
Pax aber blickte groß auf und schien überrascht...
Was ist Das? Schmelzing, Werdeck?
Ich wollte nur bemerken, sagte Hackert ruhig und sehr einfach, daß Schmelzing zwar ein durchtriebener Spitzbube ist und die Kunst, falsche Handschriften nachzuahmen, aus dem Grunde versteht, aber er soll sein Geschäft vorsichtiger betreiben und nicht Aldenhoven, Lieutenant Flottwitz, Major Türk und ähnliche Mitglieder des Reubundes zu oft besuchen –
Hackert! Hackert! sagte Pax erstaunt. Sie haben Katzenaugen! Ist gegen den Major von Werdeck – Was ist denn? –
Hackert schwieg...
Werdeck ist ein eid- und pflichtvergeßner Offizier, fuhr Pax heraus. Er hat einen Umgang, den ein Mann in seiner Stellung nie haben darf – Dankmar Wildungen, Louis Armand, Leidenfrost – Diese Menschen! Was ist Das für ein Brief?
Es circulirt, erzählte Hackert, seit einigen Tagen unter den Offizieren ein aufgefangener Brief, den man zuerst bei einer Parade, als die Parole ausgetheilt wurde, mit Erstaunen herumreichte. Diesen Brief soll der Major Werdeck an einen im Auslande lebenden Flüchtling geschrieben haben. Er bietet ihm darin die Ergebenheit einer großen Partei in der Armee an und wünscht die genauere Angabe der Zeit, wann man hoffen könne, loszuschlagen. Eine Untersuchung wird später folgen. Vorläufig ist dem Major von Werdeck der Degen abgefordert worden...
Ist es möglich! Aber Schmelzing?
Einige Reubündler leiden an dem Wahn, sich periodisch für Dichter zu halten. Schmelzing schrieb ihnen holprige Verse ab, aber gestern fand ich bei Schmelzing ein Billet des Majors, das unverfänglich und echt und irgend Jemandem, der es von dem Major empfangen hat, entwendet war. Schmelzing entriß mir den Fetzen, dem ich ansah, daß er ihn durch Fließpapier durchgezeichnet hatte, um sich – in des Majors Handschrift einzuüben...
Hackert! Sie sind ein Hauptfänger! rief Pax und stand aus seinem schwellenden Kissen auf. Aber auf diesem Gebiete lassen Sie weitres Forschen! Die Armee wird schon Grund haben, Werdeck zu überwachen. Les' ich doch in diesen Papieren, daß der Kommunist Louis Armand, den der Fürst Hohenberg jetzt gänzlich von sich entfernt hält, sogar mit Werdeck's Familie verkehrt, Zutritt in seinem Hause hat –
Er ist verwandt mit der Frau des Majors.
Und mit einem Pfarrvikar in Plessen bei Hohenberg, Namens Oleander... Das schwarze Kabinet in der Post überwacht die Korrespondenz, die an Louis Armand eintrifft. Diese Verfügung soll von hoher Stelle ausgehen. Man traut selbst Egon, dem gegenwärtigen Premierminister, nicht und kann der Besorgniß noch immer nicht entledigt werden, daß Fürst Hohenberg auf ein doppeltes Spiel setzt! Da ist an Louis Armand ein Brief aus Plessen gekommen, worin jener Pfarrvikar ihm sozusagen politische Aufsätze schreibt. Selbst von einem Bunde ist darin die Rede...
Hackert gedachte des Bundes der Ritter vom Geiste, brach rasch ab und bemerkte auf Veranlassung des Pfarrvikars:
Guido Stromer steht auch auf meiner Liste. Streichen wir ihn nicht? Er soll den Titel eines Hofraths von einem kleinen Fürsten an der Donau erhalten haben. Der Minister dieses Fürsten ist von Frau von Harder darum angegangen worden. Auf der Straße sieht man den Hofrath Stromer in seinem neuen kostbaren Biberpelze nun wie einen Narren. Jedes Mädchen macht ihn stutzig. Die Augen verdreht er wie ein Kalb und über die einfachsten Dinge soll er einen Schwall von Worten gießen, wie ein Überspannter...
In der Provinz wird Guido Stromer bewundert, sagte Pax. Seine Aufsätze im »Jahrhundert« liest alle Welt. Jedermann will wissen, ob man ihm nichts von Guido Stromer erzählen könne – besonders die Damen –
O erzählen Sie ihnen doch, sagte Hackert, der in der That über Alles unterrichtet schien, daß dieser Hochfliegende die Seinen daheim in einem armseligen Dorfe sitzen hat, sein Amt von Oleander verwalten läßt und hier eine prächtige Wohnung bezog, die für ihn zwei Damen Wandstablers gemiethet haben – Sie kennen sie –
Die Wandstablers... vom Fürsten?
Die Dore ist im Palais geblieben – die Lore aber und Flore haben ein Stockwerk für sich allein gemiethet. Köstlich meublirt vermiethen sie es nun scheinbar an Hofrath Stromer, dem seine Ideen mit Gold aufgewogen werden. Er hat drei mit Sammttapeten geschmückte Zimmer der beiden Damen gemiethet und wohnt bei ihnen, man sagt, mit unverschlossener Verbindungsthüre. Sie müssen ihm jeden Morgen den Kaffee in idealischer Tracht bringen, bald griechisch, bald orientalisch. Das Gefäß ist von Silber und es ist schon vorgekommen, daß er sich des Morgens an der Wellenlinie einer neuen Milchkanne gestoßen und aus beleidigtem Schönheitsgefühl lieber kein Frühstück genossen hat. Die beiden Wandstablers müssen dann vor ihm knieen und mit einem eignen Tonfall bitten: Trink, Guido! Dann hält er seinen rothen Pantoffel über den Nacken der Flora, legt sie in eine Attitüde, wünscht sich Bildhauer herbei und möchte die Gruppe ausgehauen haben –
O, rief Pax, der sich vor Lachen kaum halten konnte und etwas Sardanapalisches in sich selber aufgeregt fühlte, Das ist ja auch prügelnswerth – woher wissen Sie denn diese Tollheiten?
Die Leute sind sehr unvorsichtig, sagte Hackert. Sie wechseln alle acht Tage mit ihren Dienstboten. Der schwärmerische Ex-Geistliche will nur Ideale zur Umgebung haben und doch sind die Wandstablers eifersüchtig. So gibt es ewig Zank, unaufhörlich Abschied, folglich Geschichten. Wenn dieser große Mann sich nicht bei Zeiten besinnt, kann es noch dahin kommen, daß ihn die beiden Demoiselles jeden Abend gemeinschaftlich durchwalken, während Hunderttausende bewundernd seine Artikel lesen.
Pax hatte an diesen Schilderungen, die Hackert mit aller Anschaulichkeit fortsetzte, seinen Spaß. Er mußte nun aber in seinen Dienst und sich ankleiden. Er lobte Hackerten für seine eben so reichhaltigen wie amüsanten Mittheilungen. Er hatte Stoff, nun wieder seinen Vorgesetzten zu unterhalten. Dieser unterhielt dann wieder seinen Vorgesetzten. Dieser wieder den seinen und so fehlt es in einem geordneten Staatswesen nicht an harmonischem Zusammenhang und prächtig schließenden Kettengliedern. Geld lehnte Hackert heute wieder ab. Er sagte, er hätte dessen noch hinlänglich...
Hackert's heit're Laune, die acht Tage lang von dem wundärztlich Zipfel'schen Ehepaar bewundert wurde, schien nur einigermaßen getrübt, als er nach Hause zurückkehrte und die Frau Wirthin etwas schmollend von – durchnäßten Fußböden anfing. Durchnäßt waren die Fußböden in Hackert's Zimmer durch nasse Tücher, die er sich Abends wieder um sein Bett legen mußte... Sein Vater hatte ihn nach den Eisenstäben der früher von ihm bewohnten Zimmer gefragt und mit Schaudern und Wehmuth von seiner Mondsucht gehört... O, hatte er ihm seufzend gesagt, mein Sohn, auch darüber sollst du Aufschluß haben, wenn es Zeit ist, dir Die zu nennen, die dir das Leben gab! Ich bin Schuld auch an diesem grauenvollen Übel! Und als der Sohn darüber erstaunte, hatte Zeck erklärt: Dunkel und tief ist das Reich der Natur. Wie ich dich so wiederfinde, mein Sohn, bist du wie unmittelbar erst aus der Hand der Schöpfung hervorgegangen. Du bist noch wie ein Kind vor Angst und Gelüst. Ein Zauberer würde dich erziehen mit Hülfe eines reinen Lichtwesens, das unter Musik aus den Wolken steigen und dich sänftigen müßte. Ach, deine Eltern sind dein Schicksal! Wo anders her kann es kommen, daß dich ein schlimmer Geist der Unruhe mitten im Schlafe befällt und dich dir selber unbewußt von deiner Schlummerstätte treibt, woher anders, als daß deine Mutter in jener Nacht, als sie dich unter dem Herzen trug, von einem Entsetzen ergriffen war – einem Entsetzen – doch genug –!... Hackert hatte auch nicht forschen mögen. Er ehrte den Wunsch seines Vaters, ihm mit allen seinen Enthüllungen Zeit zu lassen. Und einstweilen hatte der wunderliche Alte mit dem Sohne fast einen ähnlichen Pakt eingegangen, wie mit Auguste Ludmer, die er nach seinem festen Glauben zu einem Engel umgewandelt hätte, wenn ihm nicht Mangold und die Intrigue seiner Feinde den Rettungsplan zerstört hätten. Auch so, sagte er sich oft zum Troste, auch in diesem Irrsinn, der sie dahin raffte, war sie reiner denn vordem. Was ist Irrsinn? Wer deutet dies Dunkel? Auguste kam ihm immer nur wie im weißen reinen Gewande vor die Seele, nicht als die verworfene Sünderin. Grade daß ihr der Himmel den irdischen Verstand nahm, machte ihm in der Erinnerung den Eindruck, als hätte sie eben die Sprache des Urgeistes schon reiner verstanden als die vernunftklaren Menschen.
An Paul, seinem Sohne, entdeckte Zeck freilich bald alle moralischen Fehle und schauderte vor seinem geistigen Tod. Er hatte gefürchtet, in seinem Kinde, wenn es noch lebte, vielleicht einen gemeinen Verbrecher zu finden. Das war Hackert nicht. Er hatte aber, wie Zeck sagte, an seiner Seele tiefen Schaden gelitten und bewies ihm dies, als Hackert ihm gestand, in welchem Incognito, vor aller Welt verborgen, er lebte. Ein Spion, hatte er ihm gesagt, allmächtiger Gott! Ein Spion ist nach meinem Begriffe eines der elendesten Geschöpfe der Welt! Du bist in diese Bahn gerathen aus sittlichem tiefstem Verfall. Du liebtest nur sinnlich. Dieser Schlurck hat durch seinen Leichtsinn und seine Schwäche, die er Herzensgüte nannte und die es wohl auch ist – denn, ewiger Gott, schaltete Zeck ein – die Geheimnisse der Seele sind unergründlich! – durch diese Mischung von Gut und Böse hat er dich um dein wahres geistiges Wachsthum gebracht. Deine Seele, mein Sohn, kommt mir vor wie jenes Tuch, das einst dem Apostel Petrus in der Stadt Joppe vor den Augen vom Himmel nieder gelassen wurde. Darin sah er allerlei Gethier der Erde, schlimmes Gewürm, aber auch Vögel des Himmels. Und er hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Stehe auf, Petre, schlachte und iß! Petrus aber sprach: O nein, Herr; denn es ist nie Gemeines noch Unreines in meinen Mund gegangen. Aber die Stimme antwortete Petro zum andern Male vom Himmel: Was Gott gereinigt hat, Das soll dir nicht gemein sein. Das geschah aber dreimal und als Petrus vom Geiste getrieben war, eben der Stimme zu folgen, da ward Alles in dem Tuche wieder hinauf gen Himmel gezogen.
Hackert hatte diese und ähnliche Reden seines Vaters, die er von einem Andern nicht ohne Lachen würde haben vernehmen können, ruhig und befremdet hingenommen. Er fühlte, daß grade sein Herz ein solches Tuch voll unheimlicher wimmelnder Unruhe und ängstlichsten unreinen Lebens war. Murray aber nahm ihn noch, wie er war und ohne daß er einzuräumen brauchte, er sollte sich verachten oder hassen. Der Vater beschloß, ihn gewähren zu lassen, so lange er wollte und wie er wollte. Fahre in deinem Leben so fort, sagte er. Verlange Geld von mir! Ich bin nicht reich und würde die große Bürgschaft des edlen Otto von Dystra nicht sogleich haben leisten können, aber ich habe so viel, um leidlich auszukommen. Und versprich mir, jeden Morgen aufrichtig zu erzählen, was du am Tage vorher gethan, wofür du Geld ausgegeben, was du mit Pax verhandelt hast! Ich werde dich über Nichts tadeln, ich versichre dich, mein Sohn, über Nichts. Ich werde auch Nichts verrathen. Aber die Nothwendigkeit, dich auszusprechen, wird dir lehrreich sein. Du wirst dadurch, daß du nicht Alles in dir ersterben, ersticken lässest, dein Herz zum Gegenstande deiner längeren Betrachtung wählen und dir selbst in's Auge sehen. Wo ein Geist der Spiegel des andern ist, findet sich der Eingang zur Wahrheit... Und für seinen ängstlichen Zustand des träumenden Wandelns und Aufstehens gab ihm der Vater den einfachen und praktischen Rath, sein Lager mit jenen Tüchern zu umlegen, die Frau Zipfel so ärgerten. Lächelnd und milde sagte der Vater: Sieh, Fritz – ich nenne dich so lieber, als Paul – sieh, Fritz, da erschrickt sogleich der nackte Fuß und es bedarf der eisernen Riegel und Stangen nicht, die ja an ein Gefängniß erinnern.
Unmuthig über die Neugier seiner Wirthsleute ging Hackert eben in die Brandgasse zu seinem Vater. Er hatte, ihm gegenüber, ein Beichtbedürfniß bekommen, das seine ganze Seele erweiterte und leichter athmend machte. Er reflectirte zuweilen schon ohne Spott. Er urtheilte objectiv nach üblichen Voraussetzungen. Murray konnte erwarten, daß er sich bald von selbst von seiner gegenwärtigen Bahn abwenden und ganz an seinem warmen Vaterherzen vielleicht aufthauen würde.
In der That war Louise Eisold im Begriff, in den dem Schlosse Buchau nahe gelegenen Ort gleiches Namens zu reisen und ihre Geschwister mitzunehmen. Es drängte sie fort von hier und selbst der rauhe Winter schreckte sie nicht. Sie hatte Hackert wiedergesehen, ihn weicher, sanfter gefunden – von seinem Verhältniß zu Murray erfuhr sie nicht die volle Wahrheit – ihre Neigung für den dämonischen Jüngling war trotz seiner Beziehung zu Pax gestiegen. Da sie aber sah, daß nur Mitleid, nicht Liebe für sie in diesem Herzen schlug, nahm sie den Vorschlag Otto von Dystra's an, der sie besuchte, die Kinder kleiden, reichlich ausstatten ließ, ihr Mittel, soviel sie nur wünschte, zu Gebote stellte. Auch Dankmar Wildungen gehörte zu Denen, die ihr zusprachen, nach Buchau zu reisen. An eine Erfüllung der Wünsche des innigst betrübten Mangold dachte sie nicht. Auch saß ja noch der gute Danebrand...
Dankmar und Hackert trafen nicht zusammen. Jenen machte die zweite verlorne Instanz seines Prozesses menschenfeindlich und düster. Er bedurfte recht der endlichen Ankunft seines Bruders Siegbert, um von seiner eisigen Verstimmung aufzuthauen. War auch die erste Stunde ihres endlichen Wiedersehens durch das Andenken an die verstorbene Mutter getrübt, so heiterte sich doch Dankmar's Stirn auf, als Siegbert von Plessen, von Randhartingen und vor Allem vom Ullagrunde erzählte. Seine Angst, der Bruder möchte von Selma liebend befangen sein, hatte sich gemildert, seit ihm Dystra den Brief zeigte, den Siegbert ihm über Olga und die Fürstin schrieb. Es leuchtete aus ihm unverkennbar das Interesse für Olga, den naiven, leider in eine gefährliche Schule gerathenen schönen Flüchtling hervor. Dankmar fragte nach Selma und hörte das Erfreulichste; der Zusatz, daß Selma ihm, dem Erzähler, abgeneigt wäre, machte ihn lachen und er gestand dem Bruder, daß in all seine innere Finsterniß der Gedanke an diese Begegnung mit Ackermann und dem Knaben Selmar ihm doch wie ein mildes Sternenlicht flösse. Erstaunen erregte ihm freilich anfangs die Mittheilung, daß Ackermann und Selma nie lange von ihm gesprochen hätten, ihn vielleicht gar nicht gründlicher kannten. Dann aber besann er sich und sagte lachend: Himmel, das ist ja natürlich! Sie halten mich für den Fürsten Egon!
Es versteht sich von selbst, daß Dankmar kein Recht zu haben glaubte, irgendwie Selma, die ihm als Ackermann's Tochter völlig Fremde, an sich zu erinnern. Auch Siegbert schrieb wol nach Hohenberg, aber nur an Oleander, mit dem sich ein inniger und gedankenreicher, wie wir sahen, leider schon bewachter Briefwechsel entspann. Louis Armand, der fast nur in seiner Werkstatt zu treffen war, tauschte mit Oleander nicht nur Gedichte und ästhetische Ansichten, sondern auch die Freude, ihn in den Kreis der Ideen eintreten zu sehen, der die Freunde verband. Je länger Oleander die Geistesleere und eitle Gesinnung der Vornehmen beobachtete, mit denen ihn die Winterzeit zusammenführte, je mehr er sich an Ackermann's klarer und ruhiger Objectivität stärkte und erhob, desto bekehrter fühlte er sich zu jenen Ansichten, die er früher mehr mit Gründen des Gemüths, ja wie er sich gestand, auch mit dem Vorurtheile eines gewissen Gelehrtenstolzes bekämpft hatte.
Während Dankmar ungetheilt strebsam arbeitete, wollte Siegbert auch wieder bei Professor Berg seinen alten Platz im Atelier einnehmen, wurde aber freilich durch die Beziehung zu Otto von Dystra, zu Rudhard und vor Allem zur Fürstin Wäsämskoi in seinem Schaffen oft gestört...
Die Fürstin Adele Wäsämskoi hatte in der That mehr durch den Gegendruck ihres Kindes, das ihr plötzlich unter der Hand so jungfräulich sich entwickelte, als durch eigne bewußte Gefühlswärme für Siegbert Wildungen eine leidenschaftliche Neigung gefaßt. Im ersten Augenblick der Abreise Siegbert's gerieth sie in Verzweiflung. Sie glaubte, diese Abreise stünde im Zusammenhange mit Olga's Flucht. Als sie aber gewiß war, daß Olga bei ihrer Schwester, Siegbert auf dem Lande war, kämpfte sie mit dem Plan, ihn zu überraschen. Ihre Briefe, in denen freilich ihr Stolz und ihr Schicklichkeitsgefühl sich nichts vergab, waren voll Neckereien, sie werde ihm folgen, sein Treiben untersuchen, seine neuen Bekanntschaften prüfen. Dann aber zerstreute sie Otto von Dystra's Ankunft und das Studium dieses sonderbaren Charakters. Das innerste Wesen dieses Mannes war, schien es, die Universalität. Ein echter Sohn des neunzehnten Jahrhunderts begrüßte er jede nur irgendwie über das Gewöhnliche hervorragende Lebensäußerung wie ein Phänomen, das sein ganzes Interesse in Anspruch nahm. Mit Leidenfrost, den er einst aus Polen als Bedienten entführt hatte und den er als so vielseitig gebildeten Geist wiederfand, konnte er die bizarrsten Ideensprünge versuchen, mit Rudhard philosophiren, mit Dankmar über Rechtsfragen, mit Louis Armand über die Gewerbe reden, er war die verkörperte geistige Gourmandise dieser Zeit. Er schlürfte Alles ein, was die Zeit an seltsamen Gestaltungen bot. Er sammelte Kupferstiche mit Gelbsattel, Autographen mit Voland, Münzen, phrenologische Abgüsse, Alterthümer mit einer Menge von alten und neuen Bekanntschaften, die ihm alle selbst wieder von psychologischem Werthe waren. Sein Ideal waren Kongresse, große Industrieausstellungen, gemeinschaftliche Reisen, Vereinswirksamkeiten aller Art, wobei ihm selbst der Sozialismus Bedeutung gewann und überhaupt die Ideen der Neuerung nichts Schreckhaftes boten. Sein Tisch war von Prospekten, Aktien, Cirkulären zu Unterschriften nie leer. Jede angekündigte Schaustellung mußte er sehen, jede berühmte Persönlichkeit sprechen und sollte er sie mit seinem verwachsenen, aber behenden Körper erst unter einem Dache aufsuchen. Dystra war ein liebenswürdiger Mensch, voll Gemüth und Verstand, duldsam, theilnehmend an jedem Schmerz, hülfreich, wo er konnte. Für jeden Angriff hatte er eine Vertheidigung, für jeden Irrthum eine Entschuldigung. Die Frauen stritten um ihn, weil er witzig, voll treffender und doch Niemanden verwundender Einfälle war. Man machte ihm Geschenke, neidete sich um seine kleinen Billets, die immer einen witzigen Einfall brachten, und dennoch versank er nicht in Egoismus, sondern gehörte dem Allgemeinen. Auch gegen die Fürstin war der Freund ihres verstorbenen Gatten voller Aufmerksamkeit und ließ sie nicht im Mindesten fühlen, daß Rudhard, im Drange der Aufrichtigkeit, ihn, als einen edlen Menschen, den man nicht täuschen durfte, über den Stand der ganzen Familie au fait gesetzt hatte. Auch Anna von Harder, die den Winter in der Stadt wohnte, lernte Dystra kennen, obgleich die Musik das Einzige war, dessen Organ ihm zu fehlen schien. Dennoch trug er viel dazu bei, daß die Fürstin sich Anna immer inniger anschloß. Anna weckte wieder die musikalischen Talente der jungen Frau, die eingeschlummert waren. Sie gab ihr Anknüpfungen für das Bedürfniß, aus einer gewissen geistigen Ohnmacht herauszukommen und sich in klaren Empfindungen zu stärken... Anna von Harder hatte nichts, was im Mindesten an das Bestreben erinnerte, für ihre, allerdings mehr religiöse, als poetische Weltauffassung Proselyten zu machen, aber diese Proselyten kamen von selbst. Ihre Ruhe, ihre erprobte Kraft im Dulden, ihre heitre Gottergebenheit und das emsige Walten um den weltscheuen, nur seinem Berufe und seinen Liebhabereien lebenden uralten Greis, ihren Schwiegervater, den wir bald näher kennen lernen werden, gaben ihr das Wesen eines so festen Mittelpunktes, daß sie unwillkürlich magnetisch anzog und sich eine Menge kleinerer, schwächerer Naturen an sie ansetzten. Die Fürstin Wäsämskoi gefiel sich alle Mal darin, von ihr wie ein Kind behandelt und wie neu erzogen zu werden und Rudhard, so sehr er der Geistesrichtung Anna von Harder's abgeneigt war, ließ Das gehen. Er störte sie nicht. Sah er doch, wie beruhigend dieser Umgang wirkte, wie der aufgeregte Vulkan ihrer Gefühle nachließ zu kochen und zu drohen. Er sah, wenn er an die Verirrung von diesem Herbste dachte, schon nur noch die Asche davon.
Nun kam freilich Siegbert zurück! Er war durch den Trauerfall, durch den Aufenthalt unter bedeutenden Menschen und die Abwechselungen der Reise männlicher, gereifter geworden. Er hatte immer etwas von jenen sanften, bestrickenden Männernaturen, die man mit den Christusköpfen vergleicht und sah dem Heilande, wo er mit blondem Haar dargestellt wird, in der That so ähnlich, daß ihn jede am Manne Gemüth und Nachgiebigkeit, nicht Witz und Thatkraft allein schätzende Frau hochverehren und lieben mußte. Aber nun war er männlicher denn je. Otto von Dystra erkannte seine siegende Wirkung auch sogleich und machte sich ihrer in Siegbert's Gegenwart kein Hehl...
O mein Himmel, sagte er ihm mit der größten Aufrichtigkeit, als er neben ihm im Hotel de Rome um einen Kopf niedriger auf dem Sopha saß (Dankmar'n, der ihn einführte, gegenüber), o mein Himmel, was ist Das für ein ungleicher Wettkampf! Es gab Zeiten, wo ich den ansprechenderen Erscheinungen meines Jahrhunderts beigezählt wurde. Sie sind noch nicht gar zu lange vorüber; aber ich habe in dem Sande Arabiens und in Nubiens Wüsten zu schlechte Haar- und Hautpflege gehabt. Ich bin eine etwas lederne Mumie geworden und kokettire eigentlich schon mit meiner Glatze à la père Enfantin. Ich verdenk' es Olga nicht, daß sie Geschmack hat und jedenfalls ist die jetzige Chance, daß sie sich in Sie, Wildungen, verliebt hat, doch noch viel vortheilhafter für die Familie, als wenn wir in Odessa erlebt hätten, sie hätte sich liebend für irgend einen jungen tscherkessischen Häuptling erklärt und ihrem Kaiser die Schmach angethan, mit irgend einem Schamyl in den Kaukasus durchzugehen.
Siegbert sprach sich auf diese Selbstpersiflage offen dahin aus, daß er kaum annehmen dürfte, Olga würde in den Zerstreuungen Italiens und bei den eigenthümlichen Auffassungsweisen ihrer Tante lange ihm die Gesinnung erhalten, deren sie ihn hier gewürdigt hätte. Und Dankmar meinte gradezu, es ginge das Gerücht, der Maler Heinrichson wäre der Freund und Begleiter der Frau Gräfin d'Azimont und noch stünde es dahin, ob nicht sein gewählter Geschmack dabei eigentlich Olga im Auge hätte. Doch wurde diese vorschnelle Äußerung Veranlassung, daß Dystra sagte:
Nein, nein! Man irrt in allen diesen Voraussetzungen. Lesen Sie, was Olga hierüber an Rudhard geschrieben hat. Es ist ihr zweiter Brief, originell wie der erste und in der festgerannten eigenthümlichen romantischen Auffassung wiederum komisch genug. Ich gestehe dabei freilich, daß das Burleske in dem Gegensatz zu dem prosaischen nüchternen und aller Schwärmerei baaren und abholden Erzieher liegen mag.
Lieber Papa Rudhard, schreibt sie, lesen Sie!...
»Lieber Papa Rudhard, dein Brief wurde uns nach Rom gesandt, in diese große und allmächtige Stadt, die Gott der Herr mit allen seinen himmlischen Heerschaaren selbst erbaut zu haben scheint. Hier ist nichts Gemeines! Hier ist Alles groß und unsterblich! Ach, Papa, ich las deine Warnungen und guten Lehren mit der Geduld, die man fühlt, wenn man Menschen reden hört, die Italien nicht gesehen haben. Es ist grade, als wenn du mir vom Nutzen eines transportablen Ofens sprächest und mir Vorwürfe machtest, daß ich nach Rom trotzdem, daß wir eine Espece von Winter auch hier haben, keine nordische Feuerung mitgenommen hätte. Ich bin, seit ich Italien sehe und alle diese herrlichen Kirchen, diese Villen, diese Paläste und den Baldachin des blauen Himmels und die dunkle Azurfläche des großen Meeres, mit Euch Allen eigentlich versöhnt und fühle nur noch Mitleid, keinen Haß mit Euch. Mein Tagebuch wird Euch vielleicht einst die Empfindungen sagen, die ich an jeder berühmten Statue, an jedem bewunderten Bilde, das ich sehe, in meinem Herzen belauschte. Ich ergreife alle Gelegenheiten, etwas zu lernen und antworte den dummen Stutzern, die uns besuchen und den Hof machen – es drängen sich in allen Städten besonders die Engländer und Russen an uns – immer mit antiquarischen Gegenständen, wodurch sie sich sogleich entfernen, wie Ungeziefer vor scharfen Gerüchen. Ich finde, daß ich dadurch vielen Vortheil vor andern Mädchen voraus habe, die sich nur darin gefallen, von hundert Männern immer dieselben faden Schmeicheleien zu hören. Diese Frauen sprechen immer nur von Musik, von schönen Gegenden, von guten Gasthöfen, ich aber lese Homer und Virgil und spreche dann auch darüber, was die Elegants nicht gut vertragen können. Natürlich wollen sie dann nicht ganz dumm erscheinen, aber sie wissen nur über England und seine Staatsverfassung, über Rußland, den Kaiser und das Militär zu sprechen, was ich ruhig, aber kalt anhöre. Baron Krutusoff führt mich jetzt durch die Museen und muß mir Alles sagen, was er über die Museen von Paris und Wien gelernt hat. Ich erstaune oft, wie unterrichtete Menschen, und ein solcher ist Krutusoff doch schon, dennoch so fade sein können und einer jungen Frau gegenüber immer sogleich ihren Verstand verlieren. Die Tante hört, weil sie schon sehr viel weiß, diese Schmeicheleien ruhig mit an.«
Weil sie schon sehr viel weiß! unterbrach Dystra lachend die Naivetät auch dieses Briefes. Dankmar und der Baron mußten Siegbert um Verzeihung bitten, der lächelnd erwiderte:
Wie könnt' ich über diesen Spott empfindlich sein! Ich habe Olga nie anders betrachtet, als wie ein gutgeartetes Kind, dem man nur Zeit lassen muß, seinen Weg zu gehen.
Darauf hin, sagte Dystra Beifall nickend, ist Ihr Bruder so gütig und fährt fort.
Dankmar las:
»Die Tante wird, weil sie schön und gut ist, von den eitlen Männern sehr belästigt, aber sie lebt nur ihren Erinnerungen und ihrem Schmerze. Oft beobacht' ich sie im Traume und höre, daß sie still für sich hinseufzt und ruft: Mein Egon! Mein Egon! Dann weint sie und ich weine mit ihr, weil ich sie ganz verstehe und ihr Schicksal in dem Leben selbst, in der Natur und in der Kunst wiederfinde. Denn alles Schöne ist traurig, ihr Menschen! Immer, wenn ich sehe, daß Andre bewundern, möcht' ich weinen. Die schönsten Madonnen und die edelsten Physiognomieen unsres Heilandes sagen alle: Unser Erbtheil ist der Schmerz und auf den weiten Ebenen, wo Kirchen, Kapellen, Ströme, Felder und Wälder sichtbar sind, liegt eine Melancholie ausgebreitet, die mich an meine früheste Kindheit erinnert, wo mir innerlich etwas wehe that, ich wußte nicht was, wo ich weinen mußte, ich wußte nicht wie, und wo ich nur Eines klar verstand: Deinen Tadel, Papa Rudhard, deine schneidenden Proteste gegen meinen stillen Hang zur Einsamkeit!«
Dankmar mußte inne halten und voll Überraschung Dystra und den Bruder anblicken...
Charmant! charmant! sagte Dystra beistimmend und fast von aufwallender Liebe bewegt. Drei Männer, so die Entwickelung eines Mädchens kritisirend, boten Siegbert fast den Stoff eines Gemäldes. Er selbst blickte tief innenwärts und gedachte des Augenblicks, wo dies träumerische Kind einst an seine Brust sank und mit den großen braunen Augen ihn wie in eine unergründliche Tiefe blicken ließ. Dann horchte er dem Folgenden:
»Viel Belehrendes über das Schöne erfuhr ich auch von Heinrichson, der ein berühmter Maler ist und uns in Mailand begegnete, weil er auch nach Rom reist. Dieser Mann ist sehr schön und ich höre ihn gern reden, weil er Kenntnisse und Witz besitzt. Auch lieb' ich an ihm, daß er...«
Lesen Sie's nur! rief Dystra dem stockenden Dankmar zu, der Siegbert sich entfärben sah...
»Ich liebe an ihm, daß er der Freund meines Freundes ist«...
Das geht doch noch! sagte Dystra und nickte Siegbert zu.
Siegbert fand, um auszuweichen, es vollkommen im Charakter Heinrichson's, sich bei Olga unter dem Schutze einer Lüge einzuführen. Mein Freund! sagte er staunend.
»Die Tante, fuhr Dankmar zu lesen fort, ist gegen Herrn Heinrichson kühl und gleichgültig. Er muß uns jetzt in Rom, wo wir ihn wiedergefunden haben, oft den Shawl und die Operngläser tragen. Ich glaube, daß er dies, so lächerlich es ist, gern thut, weil er die Tante liebt. Aber die gute Helene wird nie mehr lieben. Ihr Andenken ist dem unvergeßlichen Egon geweiht, den ich doppelt und dreifach hasse, weil er so viel Zärtlichkeit mit Geringschätzung erwidern konnte. Oft weint meine gute Helene, nimmt mich dann auf den Schooß und erzählt mir, worin Alles Egon so liebenswürdig gewesen ist. Seine Seele war kindlich und rein, spricht sie dann, er tändelte durch's Leben und Alles, was er wie im Spiele ergriff, hatte hohe Bedeutung. Ich weiß es auch, wenn ihn jetzt der Beifall eines ganzen Volks begrüßt und sein König ihm gestattet, alle Orden der Welt zu tragen und ihm den besten, den er selbst besitzt, umhängen mag, sein Herz wird nicht Ruhe haben. Ich weiß es, selbst im Besitz der schönen Melanie wird ihm oft weh um sein Inneres werden und in stillem Schmerze wird er ausrufen: Helene! Helene! Und dann tröst' ich sie, so gut ich es kann, indem ich ihr von den Schicksalen Valentinen's, Indianen's, Faustinen's erzähle. Auf alle diese edlen Frauen, deren Leiden Georg Sand und die deutsche Gräfin beschrieben haben, senkte sich das himmlische Manna der Ergebung und Erlösung herab. Ach, Papa Rudhard! Warum zürnst du so den Mönchen und Nonnen! Klöster hab' ich gesehen, Klöster... mit Gärten, mit kleinen Cellen, mit heiligen Kirchen, in denen die Lichter brennen und Weihrauchdüfte die Seele emporziehen. Ach! so einen stillen Platz wie in Florenz und Genua oft die frommen Schwestern haben, Weinranken um das kleine Fenster, jeder Schwester ein Blumenbeet gehörend und das Alles jetzt, wo bei Euch der Winter schon tobt, noch so frühlingsfrisch, so maiblühend... ich bin gewiß, die Tante bliebe in einem solchen Kloster, wenn sie nicht in Paris noch gebunden wäre«...
Aha! sagte Dystra, Das ist das bekannte Ende! Das arme Kind wird methodisch ruinirt!
Aber Bitte! sagte Siegbert. Das noch einmal! Gebunden in Paris?
Dankmar und Dystra mußten gestehen, daß der Ausdruck: »Wenn sie nicht in Paris noch gebunden wäre« für eine eheliche Verpflichtung ein Triumph der modernen gesellschaftlichen Freigeisterei war. Siegbert aber im Stillen war über die Klosterschwärmerei seiner Olga doch tief ergriffen; denn er fühlte, daß diesem Triebe alles Das zum Grunde lag, was ihn selber beseligte, mochte er auch mit Klöstern nur in ästhetischer und kunstidealer Verbindung stehen.
Wir sind sogleich zu Ende, sagte Dankmar und schloß die Vorlesung:
»Ich wünsche Rurik und Paulowna die besten Weihnachtsgeschenke und bitte dich, Papa Rudhard, aus meiner Sparbüchse etwas für sie zu kaufen. Herr von Dystra hat sie, wie ich höre, sehr reich beschenkt. Es ist die Art der Menschen, die«...
Lesen Sie nur! sagte Dystra, als Dankmar stockte...
»Es ist die Art der Menschen, die nicht durch sich selber Interesse einflößen können«...
Abscheulich!... Dystra trat vor den Spiegel, seine Toilette musternd und auf den Fußspitzen sich erhebend...
»Sich auf die Wirkung ihrer Geschenke zu verlassen. Wenn dieser Herr glaubt, dadurch auf mich vortheilhaft zu wirken, so bedaur' ich die Verblendung. Nach Allem, was ich von dem Baron höre, glaubte er in mir ein Kind zu finden, das ihm für seine Liebe die Hand küssen würde. So habt ihr mich ihm dargestellt... nein, ich will diese Zeilen mit keinem Miston schließen. Sie kommen aus dem Lande der Harmonieen! Grüßt Die, die mich verstehen! Und wo meine Seele weilt, weißt du, Vater Rudhard! Ein Gott und eine Liebe! Das ist der Wahlspruch Eurer Olga Wäsämskoi.«
Als Dankmar geendigt hatte, bemerkte Dystra, zu Siegbert gewandt, der nachdenklich das Haupt stützte:
Sie werden gestehen, daß mich diese kleine Emanzipirte sehr falsch beurtheilt, wenn sie glaubt, daß ich nur gemeiner Empfindungen fähig bin! Gibt es etwas Heroischeres, als den Reiz, den mir dieser allerliebste Flüchtling verursacht, unterdrücken und dem Manne, dem sie ihr Herz so offen und frei anträgt, den ganzen Einblick in ihr Inneres zu gönnen, ja dasselbe ihm darzubieten? Ich bitte mir aus, daß Sie einen Dichter für diesen Gegenstand interessiren!
Herr Baron, sagte Siegbert und drückte dem wirklich trotz der Ironie bewegten Dystra die Hand, ich selbst werde volle Kraft besitzen, diese Neigung in mir zu ersticken. Wenn Olga unter allen Schmeicheleien, denen sie sich durch ihren gewagten Schritt ausgesetzt hat, die Ägide einer ihr heiligen Neigung durch mich sich schmiedete, so ist Das auf dem gefährlichen Boden, Heinrichson gegenüber und in der Umgebung der excentrischen Helene, vorläufig vortheilhaft. Ich bin der Stab, an dem das Pflänzchen aufwachsen mag. Ist es erstarkt, so wird es Ihnen ohne mich blühen. Warum sollten Sie nicht der Gatte Olga's werden? Es wird so kommen, nicht anders und seien Sie versichert, Ihre Güte, Ihr Vertrauen ist an keinen Unwürdigen verschwendet...
Dystra schien nicht ohne Trauer. Offenbar waren seine Scherze über dies Verhältniß nur Deckmäntel seiner wahren Gesinnung, die in der That in alle Dem, was der dem Sonderbaren geneigte Mann von Olga erfuhr, einen lebhaften Stachel seines Interesses fühlte. Er hörte aber darum nicht auf, den Brüdern Wildungen mit voller Seele anzugehören und wurde nicht nur ihr »Freund«, wie der oberflächliche Ausdruck der großen Welt wohl lautet, sondern ihr geheimster Vertrauter und ihnen auch der Gesinnung nach wenigstens gleichgestimmt, wenn auch sein Skepticismus keine politische Schwärmerei aufkommen ließ.
Schwieriger war Siegbert's Begegnung mit der Fürstin. Die mußte doch endlich auch stattfinden. Die mußte doch irgendwie eingeleitet werden. Rudhard fühlte dies selbst, obgleich er inständigst bat, das Wiedersehen nicht zu übereilen und Siegbert's Rückkehr so lange geheim zu halten als nur möglich. Der rationalistische Kopf, der in seinem Priesteramte nur im Grunde einen Beruf sah, die Menschen aus unklaren religiösen Stimmungen aufzustören und Das für Religion gelten zu lassen, was Begriff, logische Thatsache war... ihm geschah die wunderliche Nothwendigkeit, Siegberten zu rathen, am zweiten Adventssonntage in die Stadtkirche zu gehen und dort nicht weit von dem Stuhle, der Anna von Harder gehörte, die Fürstin zuerst flüchtig und vorläufig zu begrüßen. So vertraute er schon dem mildernden Gegendruck der religiösen Stimmung. Siegbert war nicht abgeneigt, die Fürstin auf diese Art zuerst zu sehen. Propst Gelbsattel predigte und diesem hatte er ohnehin der Schönau'schen Empfehlung wegen zu danken. Anna von Harder und die Fürstin, in Pelze gehüllt, waren unter dem immer gefüllten Auditorium, das der gefeierte Kanzelredner trotz seiner Opposition gegen die Zeit und ihre Strebungen versammelte. Siegbert grüßte sie, als die wie immer geistreiche, aber innerlichst unwahre Predigt vorüber war. Die Fürstin erblaßte und wartete den Segen nicht ab, ohne den Anna von Harder nicht gehen wollte. Auch Anna erkannte Siegbert und grüßte mit der ganzen Huld, die ihr immer in jeder Lage eigen war... Nun sah Rudhard freilich mit Schrecken, daß die Fürstin, kaum nach Hause gefahren – die Livrée Grün mit Gold trug noch immer Peters – in einen heftigen Weinkrampf ausbrach, nicht zu Tisch kam, die Kinder von sich wies, sich einschloß und mit allen Leidenschaften ihrer aufgeregten Brust kämpfte; allein es war doch, als Siegbert dann einige Tage später wirklich kam und nun vor ihr saß, der erste Sturm glücklich vorüber und gefaßter und würdiger konnte ihm Adele Wäsämskoi die Hand reichen und mit ihm über ihr Leben, ihren mannichfach veränderten Umgang, über seine inzwischen erfahrenen Schicksale sprechen... Dann kam Weihnachten heran... Die Kinder schmiegten sich wieder dem alten Freunde an... Rudhard zwar zuckte die Achseln und die Fürstin nahm Siegberten wie früher als ein Element, das zu ihrem Leben gehörte, wenn auch ohne Leidenschaft, ohne irgend eine Zumuthung ihrer schlummernden Gefühle. Doch von Olga durfte nicht gesprochen werden, auch von Dystra nicht viel, der ihr, wie sie sich auch schon ausdrückte, nicht »sympathisch« war. Rudhard blinkte Siegberten bei diesem Worte zu und sagte ihm später im Vertrauen, daß dies eines jener Wörter wäre, die Adele hier nun auch schon aufgriffe und gegen die er vergebens den Don Quixote, den Gil Blas, Tausend und eine Nacht und ähnliche, wenn auch altbackne, doch bewährte Lectüre empföhle, deren Wirkung sich bei Peters noch immer sichtbar zeige, denn Der ließe seine Frau ruhig schalten und walten in dem Etablissement der Herren Hitzreuter und Niemand ertappe ihn mehr auf melancholischen Scheidungsgedanken, im Gegentheil spekulire er, wenn seine Katherine einige Tausend Thaler zusammengebracht hätte, sich irgendwo auf eine solide Ökonomie zurückzuziehen...
Von Dankmar berichten wir noch, daß er gegen Weihnachten mit Siegbert eine jener Ausstellungen, die um diese Zeit die vornehme Welt zur Unterstützung wohlthätiger Zwecke veranstaltete, besuchte und dort auch Fräulein Friederike Wilhelmine von Flottwitz wiedersah. In einem großen Saale, wo Gräfinnen und Baronessen vor zierlichen kleinen Boutiken die eingelieferten Gegenstände verkauften, behauptete sie einen Stand, der dicht an einer großen Blumendecoration errichtet war, die dem Gipsbrustbilde des Königs galt. Dankmar, der sich dieser Begegnung nicht versah, grüßte lächelnd. Das Fräulein erwiderte hocherröthend. Der Saal war nicht übermäßig gefüllt, doch auch nicht leer. Die Mode dieser Verkäufe war schon etwas im Absterben, sie erschien als ein zu weltlicher Vorläufer der »innern Mission.« Es fand sich Gelegenheit, daß Dankmar an den Verkaufstisch des Fräuleins treten konnte, wie dieser grade leer war – seinen Bruder Siegbert fesselte Frau von Trompetta an einem andern Stande – zum Schrecken für seine Börse, die nicht ausreichte für die Fülle von jolis riens, die Frau von Trompetta schmetternd anzupreisen wußte. Die Trompetta wollte um jeden Preis das reichste Ergebniß der Ausstellung erzielen. Ihre Kasse mußte die einträglichst gewesene sein und dadurch verfiel die gute Frau förmlich in ein Locken, Zwitschern und Verführen jedes Vorübergehenden, sodaß man in ihr wirklich ein Talent für den Handelsstand entdeckte und es von den andern verletzten vornehmen Damen vielfach rühmen hörte, wie gut sie »schachern« könne. Den armen Siegbert ließ die Trompetta unter fünf Thalern wenigstens nicht von dannen. Das war ein Preisen, ein Schäkern, ein Kichern und dabei ein Predigen über Liebe und Wohlthätigkeit, Das war ein Forschen, ein Fragen nach den Schicksalen des so lange nicht Gesehenen! Und als sie ihm nun gar noch mit Gewalt einen bunten Lappen zum Tinteausspritzen um einen Thaler empfehlen wollte, kam ihm glücklicherweise die Fürstin Wäsämskoi, mit der er sich hier ein Rendezvous gegeben hatte, zu Hülfe und kaufte so stark, so guten Humors, daß die Trompetta alle Chronique scandaleuse über ihre guten Geschäfte vergaß und im Jubel über die gefüllte Kasse alle sittlichen Irrthümer der Welt mit dem Schleier der Vergessenheit bedeckte... Dankmar'n aber ging es nicht so gut.
Fräulein Wilhelmine, hocherröthend über diese ihr trotz der entgegengesetzten Meinung so theure Begegnung, hätte von den Offizieren, die bei ihr hatten kaufen wollen, vielleicht nicht einmal viel eingenommen. Sie hielt sie aber auch nicht fest, selbst wenn sie gefülltere Börsen hätte voraussetzen dürfen. Dankmar'n aber ließ sie nicht, was ihm Geld kostete. In ihrem fesselnden Gespräche mußte er doch wol Falzbeine, Briefbeschwerer, Börsen, Federputzer, eins nach dem andern erstehen. Das politische Thema war dabei sogleich im Gange, sogleich mußte sie den kleinen Scherzen Dankmar's über die Gypsbüste des Königs in ihrer Nähe Rede stehen und ihm die Lehre geben:
Sie Unverbesserlicher! Spotten Sie schon wieder? In diesem Bilde liegt der allmächtig ausströmende Zauber einer Persönlichkeit, die der Träger unsrer theuersten Begriffe ist! Für mich knüpft sich an diesen edlen Jünglingskopf, der so traurig auf seine ernste Lebensaufgabe herniederzublicken scheint, doch die ganze Geschichte unsres Vaterlandes, die Vergangenheit und die Zukunft und der regelmäßige Gang unsres früheren Staatslebens und der Schmerz um die gestörte Ordnung dieses Ganges und die Verzweiflung über die neuen Bahnen, die er jetzt wandeln soll und die, wir ahnen es, zu seinem Verderben führen werden. Ja! Ja! Sie Böser! In den wogenden Schwankungen des öffentlichen Lebens was bleibt sicherer, als die geheiligte Person des Monarchen, der da sagen kann: Ich, der Fürst und der Herr? Wo ist denn auch ein Wesen, das öffentlich wirkt und von uns mit ganzer Liebe erfaßt werden kann? Sie sprechen vielleicht von Ihrem Freunde Egon von Hohenberg, wenn er noch Ihr Freund ist? Er ist lobenswerth, seit er seinem Könige und Herrn dient, aber wer kann sich an ihm wie an einem Anker halten? An diesem Bilde halten wir uns. Wo der Herr und König steht, da stehen unsre theuersten Güter, da steht das Vaterland, die Ehre der Monarchie, der Ruhm des Kriegsheeres, Güter, die Sie gering achten mögen, die aber in den Zeiten der Gefahr die einzige sittlichberechtigte Entscheidung geben.
Dankmar zog die Börse und zahlte schon den dritten Thaler für einen kleinen Wandhaken, um eine Uhr daran zu hängen. Seine Finanzen waren seit geraumer Zeit so schwierig, daß ihm diese Uhr selbst in Gefahr scheinen durfte, nun trotz des Wandhakens.
Sie sind eine Schwärmerin, mein Fräulein, mußte er sagen, als sie ihm den Haken in eine reaktionäre Zeitschrift wickelte. Sie huldigen Ihren Göttern wie eine geweihte Priesterin. Ich ehre Ihre Weihe, fliehe aber Ihre Altäre. Diese Altäre verlangen Menschen- und Begriffsopfer. Dieser Kultus gibt verbrecherisch Alles hin, was seit Jahrhunderten von der Menschheit für die Menschheit erstrebt wurde. Ihre Freunde sind mir grauenvoll; ich hasse sie. Verrathen Sie mich da dem Rathe, dort jenem Obersten, dem Kammerherrn... ich mache Platz; ich hindere Sie am Verkaufen.
Nein, bleiben Sie!... Also keine Abhängigkeit, keinen Gehorsam, keine Liebe mehr?
Abhängigkeit, Gehorsam, Liebe! Auch diese Empfindungen sollen in's öffentliche Leben zurückkehren, ja sogar seine Stütze werden. Aber da – diese Reubündler, sie wollen ja nur vom Fürsten und seinem Glanze abhängig sein, um in der Sonne der Majestät mit zu glänzen. Diese abscheuliche royalistische Eitelkeit! Zu tief in das feudale Europa hat sie sich eingenistet! Sie sind auf dem Wege, daß der Glanz der Dynastieen zu einer allgemeinen Landes- und Volkssache erhoben werden soll und in gräßlicher Überspannung ein Staatsleben geschaffen wird, das eine Sünde gegen Gott ist.
So gereizt war Dankmar seit einiger Zeit, daß er selbst bei solcher Gelegenheit nicht mehr spielen und tändeln konnte. Die Gruppe der Blumen und des Monarchen war von vornehmen Damen und Herren umstanden und mit Entzücken betrachtete man den Einfall, auch das Landeswappen aus einigen Kränzen darzustellen.
Sie sehen, sagte Fräulein von Flottwitz, Sie kommen mit Ihrer destruktiven Kälte hier nicht durch. Ein Ewiges, das in die Herzen der Menschen gepflanzt wird, widerlegt Sie.
O, ich kenne dies Ewige und ehr' es, antwortete Dankmar, der sich gereizt entschloß, noch einen halben Thaler an einen bunten Kalender für's neue Jahr zu wagen. Ich will die Bescheidenheit, das Abhängigkeitsgefühl, die Hingebung nicht ausrotten; aber es soll hinübergelenkt werden in Gebiete, die unsrer würdig sind. Da! Dies ist ein reicher Leinenhändler, der dem Hofe das Tischzeug liefert. Er kauft eine Kokarde bei Gräfin Mäuseburg! Er zahlt einen Louisdor. Guter Hoflieferant! Du widerlegst den Rousseau nicht mit deinem Louisdor! Das da ist der Meister von Tisch und Stuhl im Reubund; er ist Seifenlieferant der Prinzen und muß sich gut stehen mit dem Tischzeughändler. Einer verräth des Andern schlechte Waare nicht. Sie geben sich den brüderlichen Handschlag! Kennen Sie jenen Regierungsrath? Er ist von Adel, hat aber kein Vermögen. Dem ist Alles gleichgültig, Geschichte, Philosophie, Politik, Alles ist ihm dummes Zeug, nur am ersten jedes Quartals sein Gehalt vom Kanzleidiener gebracht, das Übrige kümmert ihn nichts. Denken Sie, wenn diese Menschen fürchten sollten, fürchten zu müssen! Sie kämpfen für den Heerd, das Leben ihrer Familien! Sehen Sie jetzt die Sicherheit jener Frauen! Wenn solche Ober- und Vice- und wirkliche Geheime je etwas entbehren sollten, wenn einst der Mann sagen sollte: Kind, von Neujahr an müssen wir uns einschränken! Die Demokratie setzt die Gehalte herab, besteuert sie, wie jedes Einkommen besteuert wird! Ich sehe da Furien, nicht Weiber mehr. O mein Fräulein, nicht Alle schwärmen, wie Sie! Blicken Sie auf jenen Professor! Er trägt einen berühmten Namen, ist aber auf die Orden, die seine Brust schmücken, eitler als auf die Werke, mit denen er die Wissenschaft bereicherte. Jener Geistliche! O diesen veracht' ich vollends. Die Polizei schickt ihn in die Volksversammlungen und Clubs, um sich der Debatte zu bemächtigen. Hören Sie dies Organ, diese Lunge, diese Stentorstimme und diese Grobheit bei aller scheinbaren Artigkeit, mit der er eben eine Streusandbüchse von Frau von Trompetta erhandelt. Lesen Sie doch ein wenig in den Mienen jener geschmeichelten Pfahlbürger und Rentiers, die jetzt eintreten, um hier so nahe bei Excellenzen und Beamten weilen zu dürfen. Dort jene Gruppe! Hohe Offiziere, dicht nebeneinander. Ich wünsche ihnen den Ruhm der besten Schlachtfelder, aber ich bestreite, daß diese alten Herren berechtigt sind, Meinungen über den Staat auszusprechen. Sie haben Söhne, sie haben Enkel zu versorgen. Der Staat, wie er jetzt einmal ist, gibt ihnen die Bürgschaft leidlicher Erfüllung ihrer Hoffnungen, warum sollten sie das dumme ideale Zeug denn nicht hassen, das jetzt in den Menschen sich einzunisten droht? Kennen Sie jenen Mann mit dem Schnurrbart? Er vertritt mir jene jungen Beamten, die Carrière machen wollen und den auf den Universitäten eingesogenen Corpsgeist auf das gemeine Leben übertragen und grob und malitiös fortpflanzen. Ach, mein Fräulein! Soll jener Spekulant da die Zeit nicht hassen, die ihn zwang, seinen Wagen und seine Pferde abzuschaffen? Und jene Offiziere, die dort Wühlhuber's und Robert Blum's Bildnisse aus Dragée kaufen! Ich gönne ihnen allen Humor und alle Genüsse der Jugend; aber welcher Übermuth spricht aus ihren schlechten Witzen! Wie rasseln sie mit ihren Friedenssäbeln! Wie ersetzen sie das bescheidene Nachdenken, das ihnen schön stehen würde, mit der Prahlerei einer ultra-konservativen Gesinnung! Es sind Offiziere von der Garde, alle sind sie adlig, ihre Väter und Onkel sind Offiziere, Beamte, Landräthe... Mein Fräulein, wenn ich mir sagen muß, daß die Zeit noch mit diesen Elementen fertig werden soll, so gerath' ich in Verzweiflung. Ich sehe hier nur einen Kampf auf Leben und Tod. Ich begreife, wie es in Frankreich bis zur Guillotine kommen konnte. Sagen Sie mir, welche Aussöhnung soll es noch geben, wenn die Monarchie diese Idolatrie duldet, die Ministerien sie gestatten, hervorrufen, sich auf ihre Demonstrationen stützen? Oder wo wird der Begriff herkommen, der sich einst vom hohen Himmelsthron herabsenken müßte, um hier eine friedliche Ausgleichung zweier Extreme in einem höheren Dritten möglich zu machen? Es wird keiner kommen oder es ist der Begriff der Barbarei, die Invasion der orientalischen Horden oder die entfesselte Wuth der sozialen Gleichmacher. Wir stehen hier unter Blumen, Glaskronen, umrauscht von einer versteckten sanften Musik, aber ich sage Ihnen, in zwanzig Jahren wehen hier Trauerfahnen und wir Alle sind weggemäht vom Schnitter, dessen Sichel ich schon in furchtbarster Arbeit sehe, ohne zu wissen, wo sie Alles einst hinführen wird und von wannen sie einst kommt!
Dankmar ergriff, um seine Aufregung zu verdecken, einige der ausgestellten Gegenstände...
Wilhelmine schwieg. Sie war so erschüttert, daß sie das Auffallende dieses langen Verweilens eines jungen Käufers an ihrem Stande nicht merkte und die über den ganzen Saal hinübergeschossenen Blicke der im Verkaufe glücklichen Trompetta nicht verstand...
Alle seine heftigen Äußerungen verband Dankmar dann wieder mit scheinbar gleichgültigen Fragen und Erwiderungen, die er über den Tisch hinweg wegen entfernter oder näherer Spielereien that. Niemand im Saale, außer Friederike Wilhelmine konnte ahnen, wie bewegt er war...
Sie können sich so mäßigen, Herr Wildungen! sagte sie. Sie können so den Ton treffen, der immer der gute ist! Wie oft hab' ich Sie beobachtet! Alle Welt kennt Ihre Gesinnung und sonderbar, Niemanden verletzt sie. Und ich nenne Das an Ihnen aristokratisch. O, Sie wissen gar nicht, wie aristokratisch Sie sind.
Dankmar mußte lachen...
Lachen Sie nicht! Ich wünschte wol, Jeder wüßte sich zu beherrschen... Sie haben Takt – Takt ist eine der schönsten Tugenden des Menschen! Ich wiederhole ein Wort der edlen Anna von Harder: Takt ist der Verstand des Herzens. Den Verstand des Verstandes kennen wir, den haben Tausende! Den Verstand des Herzens haben Wenige; Wenige dies sichre Gefühl, was Andern wohlthun, was sie verletzen könnte. Der echte, wahre Takt ist keine kalte Welttugend, keine bloße Formenglätte des Benehmens. Der Taktvolle kann im Grunde nur ein guter Mensch sein und ein bescheidner. Wie hab' ich bei der Fürstin Wäsämskoi Ihren Takt bewundert! Sehen Sie! Sie kommt daher...
Dankmar zahlte eben den vollen vierten Thaler für einen Scherz, den er Armand verehren wollte und wollte nun gehen, da er die Fürstin zu vermeiden wünschte. Doch fesselte noch eine andere »Boutike« die Fürstin...
Noch Eins! sagte Fräulein von Flottwitz. Beruhigen Sie mich, daß Sie sich nicht in Gefahren begeben. Vermeiden Sie diesen Louis Armand, diesen Leidenfrost, den verrätherischen Major von Werdeck – ich beschwöre Sie – es ziehen sich Ungewitter über Ihnen Allen zusammen – Wildungen! Lassen Sie von dieser entsetzlichen Verblendung Ihrer Gesinnungen! Werdeck hat sich nicht vertheidigen können. Er behält den Hausarrest, seine Papiere sind in Beschlag genommen...
Dankmar wollte erwidern. Sie wurden von Offizieren gestört, die ihre Freischärler und Wühlhubers von Chokolade und Dragée durch den Saal wie Siegstrophäen trugen und die Bärte dieser wilden Kerle analysirten... Sie blieben bei Fräulein von Flottwitz stehen.
Dankmar ging. Mit flüchtigem Gruß huschte er an der Trompetta, die ihn doch auch noch ausbeuten, wenigstens nach seinem Prozeß fragen wollte, vorüber. Wehmuth ergriff ihn über die Welt, die Zeit, auch über dies vielbewunderte und vielverspottete Mädchen. Ob seine Einwände auf Friederike Wilhelmine von Flottwitz Eindruck gemacht und ihre Ansichten berichtigt hätten, mußte er bezweifeln. Solchem Fanatismus gegenüber war keine Verständigung möglich, selbst durch die Liebe nicht und wahrhaft schmerzlich ergriff es ihn, daß ein Wesen so reiner, lichtreiner Natur, so liebenswürdig, so aufopferungsfähig, so heroisch und charaktervoll, ein Wesen, vielleicht ganz geschaffen, auch ihn zu verstehen, ihn selbst glücklich zu machen, doch durch den Zwiespalt der Zeit ewig von ihm getrennt und für ein Andersdenken völlig unempfänglich war... Ein Weib in seinen Armen zu halten, das eine von seinem innersten Menschen getrennte Selbständigkeit beanspruchte, wäre ihm fürchterlich gewesen. Dies Mädchen, so reizend, so poetisch, so weihevoll gestimmt... es liebte ihn... er sah es... und ihn selbst durchzuckte es, als er einen Augenblick beim Berichtigen seiner Einkäufe leise ihre Finger berührte. Er konnte sich denken, wie treu, wie hingegeben, wie seelenvoll Wilhelmine an ihm hängen konnte; er fühlte die Kraft ihres Willens, ihrer hohen Weiblichkeit in ihn überströmen durch diese einzige Berührung, durch den wehmüthigen Abschiedsblick und doch getrennt – doch furchtbar getrennt! – Es überrieselte ihn kalt, als er solcher Geheimnisse der Zeit gedachte und es bedurfte mehrer Tage, bis er sich von dem schmerzlichen Eindruck dieser Begegnung erholen konnte. Ein weibliches Bild, das ihm da dann immer lächelnd und tröstend entgegentrat, blieb Selma. Wie sehnte er sich nach dieser Gestalt, nach diesem Wiedersehen! Doch nahm ihn der Ernst des Augenblicks zu sehr in Anspruch... Über Werdeck's Brief las man in allen Zeitungen das Empörendste. Und Dankmar wurde sogar von dem halbgefangenen Major ersucht, sich ihm eine Weile fern zu halten... In wenig Tagen hofften die Freunde die Berichtigung dieser gefahrdrohenden Irrungen.