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Sechszehntes Capitel.

Ein Nachtgemälde.

Es warf auf offner Gasse eine Löwin
Und Grüft' erlösten gähnend ihre Todten.
Wildglüh'nde Krieger fochten auf den Wolken
In Reih'n, Geschwadern und nach Kriegsgebrauch,
Wovon es Blut gesprüht auf's Kapitol.
Das Schlachtgetöse klirrte in der Luft;
Es wiehern Rosse, Männer röcheln sterbend
Und Geister wimmerten die Straßen durch.
Julius Cäsar.

Daß wir den Vorhang könnten fallen lassen über ein dunkles Grauenbild!

Aber die Zeit ist eisern. Unheildeutende Raubvögel sieht der Augur zur Linken fliegen. Er sieht die unglücklichen Zeichen. Er sieht in nächtlicher Stille rothe Flammen am Himmel. Darf er verschweigen, was er sah?

Ein stiller Junimorgen. Tiefe Ruhe, morgenrothe Dämmerung auf den Fluren. In der kleinen Veste Bielau ein schauerliches Schweigen. Die Sonne naht. Es künden die purpurnen Wolkenboten erst ihr Kommen an. Es singt ihr auf dem Lindenbaum am Wall entgegen die wachende Nachtigall.

Die Sängerin ist's der Liebe und der Sehnsucht! Es ist der blühende, der duftende Lindenbaum –

Aber auf dem Glacis graben zwei Männer stumm und traurig eine Grube – Sie tragen die bunten Röcke des Kriegers...

Die Erde blinkt und funkelt unter dem Spaten von Glaskörnchen, von Metallstückchen, von Schnecken, von Kieselsteinen – was ist da zu weilen! Einen Hügel nur von Erde soll es geben und neben ihm eine Grube, so tief, wie die beiden Krieger in ihr stehen... Sie ist fertig. Die Spaten liegen auf der frischen Erde... Die Krieger gehen traurig.

Die Sonne nähert sich. Es ist, als rauschte sie empor mit Donnerton. Und doch ist Alles still, nur die Nachtigall singt, der Lindenbaum säuselt und nur die Welle des Flusses, an dem die kleine Veste sich erhebt, kann man plätschern hören.

Da Männertritt... In gleicher Ordnung... aus einem verdeckten Gange, der zu den Kasematten führt, zwanzig, dreißig Mann... wozu sie zählen!

Sie umstehen die Grube. Nur dem aufgeworfenen Hügel bleibt der Rücken frei...

Ein metallner Klang – ein Klingeln fast – die Ladstöcke fahren in die Musketen – Acht Krieger haben geladen.

Die Nachtigall singt Liebe und Sehnsucht...

O sänge sie Muth dem Armen in leinenem Kittel, der aus dem verdeckten Gange tritt! Ein Jüngling, gebräunten Antlitzes, spärlich der Bart, blond das Haar, das Auge voll Wehmuth, aufgeschlagen gen Himmel, zum ersten Lichtstrahl der Sonne, der ihm grade über den Scheitel fährt wie ein Glorienschein! Umschlungen hält ihn eine lange Gestalt im Priesterkleide, ein ernstes liebevolles Haupt, niedergebeugt zu dem schwankenden Wandrer, der sich in den Reihen der Krieger umsieht und sie voll Trauer und Ergebung begrüßt...

Der Jüngling schreitet den Todesgang –

Ein Bauer, in greisem langem Haar, liegt in den Armen eines rüstigen Jägers mit rothem Barte, der ihn führt. Wie kann er sich halten, wie noch leben – es ist ja sein Sohn, sein Stolz, seine Ehre, die ihm geraubt wird – seine Knie wanken. Er stammelt Gebete, die er selbst nicht hört –

Mein Sohn! Mein Sohn!

Der junge ernste Priester tröstet. Er redet laut. Seine Stimme klingt wie Orgelklang, wie Cherubströstung... Der Jüngling, der zum Tode geht, er klammert sich fest an seine willensstarke Hand...

Vater und Sohn umarmen sich zum letzten Male. Die Sonne verklärt den Abschied. Alles weint und auch die Nachtigall schweigt nun. Sie läßt die Menschen still ihre Fragen an das Jenseits richten: Muß Das sein? Soll Das sein? Was lohnt uns dafür? Was finden wir dort?

Der Sohn spricht die letzten Worte zum Vater. Der Alte hört sie nicht mehr. Er sank schon zusammen und liegt in den Armen des guten treuen Jägers, dem die Thränen den rothen Bart befeuchten, und der keine Hand frei hat, sich ihn zu trocknen. Er muß sie rinnen lassen...

Der junge Geistliche vernimmt des Sohnes letzte Wünsche, hört seine letzten Grüße – ein Vermächtniß seines ganzen Erbes an ein Mädchen, das er liebt, ein Vermächtniß aller seiner fahrenden Habe an eine arme Tischlerfamilie in der Stadt, das Andenken eines einfachen Instruments, einer Flöte, an einen in der Ferne jetzt weilenden Fremdling, Namens Louis Armand...

Der junge Geistliche kennt die so leidvoll Bedachten Alle und segnet den milden Geber, zu dem ein Kamerad tritt, ihm die Augen zu verbinden...

Noch ein Blick! Der letzte! Dort an jenem Fenster hoch über den Kasematten steht ein Mann mit wehmüthigem Auge. Hinter Eisenstäben winkt er mit seinem Tuche. Ach, es ist kein Tuch der Gnade! Er selbst ist ja gefangen... Der Jüngling weiß es wohl. Die Liebe zu ihm gibt ihm ja den Tod.

Er kniet nieder. Acht Schüsse strecken ihn zu Boden. Er hat ausgelebt. Den ohnmächtigen Vater führt der Waidmann hinweg, der kaum sich selber hält. Solch Wild sah er nie! Der Geistliche bleibt... bleibt auch bei der Leiche, sorgt für ihre Ehre, ihre Bestattung...

Und der Gefangene, der oben mit dem Tuche Abschied winkte, muß er nicht ausrufen:

Gott im Himmel! Erfindet Das eine grausame Phantasie, nur um mich zu martern, oder ist Das Wirklichkeit? Ist's ein Traum oder ist's Leben und heißt jetzt so die Ordnung dieser rasenden Welt? Wer ist der Dämon, der uns diese Grauenbilder schuf? Welchem erbarmungslosen Moloch bringen wir diese furchtbaren Opfer eines kalten rücksichtslosen Ideengesetzes? Nur wegen der Worte: Meuterei im Heere! Bestand der eisernen Ordnung! Ein Beispiel! Ein Beispiel! Wie ein Denkmal hingestellt die grause Warnung! Was ist Euch, die Ihr so sprachet, so zu Gericht saßet, so die Kugeln zur Abstimmung zähltet, die Feder ergriffet zur Unterschrift, was ist Euch eine Person? Eine Null! Ein Nichts, gekleidet bei diesem Fall in eine bunte Jacke, die Hunderttausend tragen! Sind wir nicht mehr Menschen, nicht eingebürgert auf der Erde zur Erfüllung irgend eines hohen Zweckes, den wir doch ahnen? Und welche Sitten, welche Institutionen, welche Einrichtungen treiben uns hinweg von der friedlichen Vorbereitung auf diese unsre stillgeahnte Bestimmung! In mein Ohr tönt es wie eine Disharmonie von tausend durcheinander fahrenden Instrumenten! Mußte Das sein, du gutes, treues, bescheidnes Herz, das da unten für mich, zum Jammer für Menschen, deren Existenz auf dem großen Markt kalt ignorirt wird, verblutete! Was löst diese Dissonanzen in einen reinen Akkord? Was gießt wieder Wohllaut in diese friedlichen Herzen, Öl über diese stürmischen Fluten? Worin begegnen wir uns zu unsrer wahren, sittlichen Menschenaufgabe? Da liegen Bücher vor mir. Ich denke nicht mehr an die Lüge eines falschen Briefes, die mich hierher gebracht hat, an die Richter, die sie nicht glaubten, die mich aber doch verurtheilten, weil ich verurtheilt sein sollte. Ich schlage diese Bücher auf, die die Geschichte erzählen. Wo ich hinblicke, Dissonanz! Menschen, die man liebt, niedergeschmettert von jenem Blitzstrahl des Himmels, den frevelnde Menschenhände wie einst Prometheus meist nur gestohlen haben, um das Schicksal nachzuäffen. Nero, Alba, Philipp, Das ist bekannt, Das ist von Allen verflucht – nein aber auch die glücklichsten Zeiten wimmeln von Schmerzen und grausamen Irrthümern. Soll Das ewig bleiben? Ewig? Nichts uns gewiß, als der ungewisse Blick empor und das dunkle, räthselvolle, ewig stille Grab?

So klagt der Gefangene... Sein Auge kann das gräßliche Bild nicht mehr bannen. So lieblich die Sonne scheint, so blau der Himmel, so trostreich ihm anfangs der Blick über Wall, Fluß und Städtchen war, er konnte nicht mehr an's Fenster treten. So blieb er den Tag über... Gegen Abend erinnert ihn der täglich wechselnde Gefängnißwärter, heute ein steinalter Invalide, an seinen vergessenen Spaziergang. Der Major lehnt ihn ab. Der Wärter soll gehen... Es ist Abend geworden... Der Alte im weißen Barte, die Brust mit Ehrenbändern geschmückt... bleibt stehen...

Es wünscht Sie Jemand zu sprechen, Herr Major –

Und schon war ein Offizier eingetreten in Mantel, in Uniform, mit Federhut –

Der Major wendet sich. Der Greis zieht sich zurück. Der Besucher schlägt den Mantel auf... Ein kurzer prüfender Blick des Auges... eine Umarmung... hervorstürzende Thränen...

Jagellona!

Werdeck!

Der Invalide hatte sich entfernt. Die Thür war ins Schloß gefahren...

Der abgelegte Hut, der weggeworfene Mantel enthüllt eine zierliche Gestalt, der unter der schützenden Verkleidung die Brust vor wildmächtigster Erregung klopft. Die Mienen des entschlossenen Antlitzes todtenbleich. Die Augen zitternd vor glühendem Eifer. Jede Muskel des Halses, jede Sehne der Hand heldisch gespannt und doch zittert der ganze Körper vor Fieberangst. Das kurzgeschnittne schwarze Haar steht dem edlen Haupte jugendlich schön. Diese Frau, nicht mehr in erster Jugend, hat sich die Jugend des Charakters erhalten und wenn sie auch zittert, so hat sie recht zu sagen:

Werdeck, es sind die Nerven, die zittern; mein Herz zittert nicht. Du mußt fliehen. Weißt du, daß der Sergeant, der dich retten wollte, zum Beispiel für den gefährdeten Geist der ganzen Armee erschossen werden soll?

Werdeck zeigte zum Fenster... Die Blutspuren im Sande auf dem Glacis wären noch sichtbar gewesen. Aber es war inzwischen Nacht geworden... Wieder sang schon die Sängerin im Lindenbaum...

Der Major besaß die Ruhe und Ergebung, die sich in Gefängnissen so von selbst findet. Die Angehörigen ahnen kaum diese schmerzlichste Umwandlung des Gemüths. Aber jetzt die Flucht ablehnen, dem heldenmüthigen, geliebten Weibe, ihr, ihr – diesen kühnen Eingriff in sein Schicksal abschlagen?

Es ist ein Bund des Geistes, sagte er, den man mir als Verschwörung auslegte! Ich werde jene Ehre, die unter meinen Standesgenossen gilt, nicht wieder gewinnen, wol aber einst die Freiheit... die mich rechtfertigen wird. Laß mich bleiben, dulden... Und auch, wie könnten wir fliehen?

Die muthige Frau spricht nicht von der Möglichkeit, sondern von der Nothwendigkeit. Sie weint, sie klagt. Ihn auch schon erschlafft, ergeben, demüthig zu finden, ihn, den sie in den vollen Flammen des Zorns und der Begeisterung der Unschuld, in der lodernden Gluth der Rache zu finden gehofft hatte! Ist Das denn wahr, was man von den Gefängnissen erzählt!

Da ermannt sich Werdeck... Er verläßt die Zelle, den Corridor, den Wall, die Veste, stolz, emporgerichteten Ganges, den Mantel seines Weibes umgeschlagen; sie, als Offizier gekleidet, neben ihm. Er unkenntlich im Mantel... Sie sind beschützt. Es folgt ihnen Jemand... Es ist der Invalide...

Er folgt nicht bis zum Thor... er folgt weiter... weiter als die Parole gefragt wird... die Parole, die alle drei kennen...

Der Strom rauscht. Es ist derselbe, auf dem einst Murray entflohen... Ein Kahn steht am Ufer... Rasch gleitet er die Strömung hinunter... Der Alte rudert...

Wer ist dieser Retter, Jagellona? Wer fährt uns da?

Die Heldin schmiegt sich an die Brust des Gatten und sagt nur:

Dieser Alte hat mich schon einmal vom Tode gerettet...

Werdeck sann hin und her. Vom Tode schon Einmal? Wer ist der Alte?

Eine halbe Stunde vorüber... Die Flüchtlinge steigen an einer einsamen Fischerhütte aus... betreten die menschenleere aber erleuchtete Hütte und finden Kleider, die für sie bestimmt sind.

Wer ist der Greis? fragt Werdeck wiederholt, als er sein muthvolles Weib nun in Frauentracht in die Arme schließt.

Wir brauchen einen Zeugen für unsre Erzählung, sagte sie. Komm nur!

Damit folgen sie dem Alten, der eine Blouse übergeworfen hat, folgen über ein sandiges Ufer, dann einen Wiesenrain, zuletzt stehen sie auf der Landstraße. Ein Wagen mit zwei Pferden, dessen Zügel Jemand, unkenntlich in der Nacht, wartend in der Hand hält...

Der Major tritt näher... forscht... Es ist Leidenfrost?

Aber rasch! Rasch!

Der Invalide spricht's, ergreift die Peitsche, springt mit noch jugendlicher Kraft auf den obern Sitz und während Leidenfrost, Werdeck und Jagellona, die drei im Geist Verbundenen, rasch in den Wagen steigen, spricht die muthige Frau endlich mit erleichtertem Herzen, weinend in ihrer Freude, erlöst von den bangendsten Gefühlen:

Wir sind in Sicherheit. Die Schläge des Geschickes, das so gespenstisch mit uns redete, machen endlich eine Pause. Die zerrissenen Bruchstücke dieser Tage, wo der Eine hier, der Andre dort die grausame Hand eines uns wahrlich zuweilen wahnwitzig erscheinenden Verhängnisses fühlte, bilden doch ein Ganzes, ein Großes, die Einheit eines Zieles, an das wir nun wol werden Alles geben müssen. Freiheit höre! Die Liebe will dir erzählen!

Ende des achten Buches.


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