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Zehntes Capitel.

Helenen's Schule.

Was bringen Sie, Rudhard? begann Otto von Dystra. Nachrichten von meiner kleinen entflohenen Braut? Einen Gruß von der Fürstin? Sie sehen so trübe und bedenklich aus? Oder sind Sie unzufrieden, daß ich Sie mit meinen alten Jugendfreunden, dem General Voland von der Hahnenfeder und dem Ritter Rochus vom Westen heute zugleich zu Tische einlud?

Im Gegentheil, sagte Rudhard in seiner gemessenen, immer ernsten Weise. Man hört so viel von diesen beiden Männern, daß ich mich freue, sie einmal von Angesicht zu sehen. Die Fürstin empfiehlt sich Ihnen; aber... von Olga erhielt ich heute diesen Brief.

Lesen Sie ihn vor! sagte Dystra, indem er Anstalten machte, sich anzukleiden und durch die Lektüre Rudharden Veranlassung geben wollte, sich zu stellen, als bemerkte er seine Toilette nicht. Lesen Sie selbst, Pfarrer!

Rudhard las, indem er sich dicht an's Fenster stellte:

»Guter Papa Rudhard! Tante Helene hat mir gesagt, daß die Wahrheit über Alles ginge; ich sollte dir ganz so schreiben, wie mir's um's Herz wäre und keine weitläuftigen Umschweife machen. Sie meinte: Die Lüge wäre der Leute Verderben und da du mir Das auch gesagt hast und es in der Bibel steht, so will ich auch nicht lügen und Euch nun sagen, daß ich unglücklich bin, weil ich Keinen von Euch wahrhaft vermisse, Keinen mit Sehnsucht entbehre, Paulowna und Rurik ausgenommen.«

Brava! unterbrach, die schwarzen Pantalons anziehend, Dystra den bekümmerten Vorleser, der nach einer Weile so fortfuhr:

»Die Tante ist mein Schutzengel geworden, mein Erlöser, meine Priesterin. Wir haben Beide viel geweint und da unsre Thränen sich ineinander mischten, so fühlten wir, wie Georges Sand sagt, die Annäherung eines Engels, der –«

Wer sagt Das, unterbrach Dystra, die Tragbänder überschlagend, wer? Georges Sand?

Eine Lektüre, die ich ihr niemals gestattet habe...

O Rudhard! Sie hätten sie ihr gönnen sollen, wenigstens der Mutter. Da die Tochter die Mutter haßt, die Mutter auf die Tochter eifersüchtig ist, so würde Olga auch die Lektüre der Mutter verachtet und Paul und Virginie viel schöner gefunden haben als Lelia und Consuelo. Aber ich schwelge in diesem bizarren neunzehnten Jahrhundert! Fahren Sie fort! Weiter! Weiter!

Rudhard fuhr fort:

»So fühlten wir die Annäherung jenes Engels, der in einer krystallenen Schaale die Thränen der Menschen sammelt und damit das Paradies bewässert, wo sie sich in silbernen Thau und in goldne Freuden verwandeln.«

Sehr schön gesagt, unterbrach der kleine Elegant, der sich sehr rasch und gewandt adonisirte. Ich liebe alle Phrasen, die uns irgendwie einen Trost gewähren. Krystall, – Gold – Silber ist ein Service, das immer wohlthut. Da Olga eine Russin ist, fehlt nur noch Platina.

»Die Tante reiste mit einem gebrochenen Herzen«, las Rudhard.

Auf der Reise ist ein gebrochenes Herz viel weniger gefährlich als eine gebrochene Achse... ergänzte Dystra.

»Sie fand zuletzt einen Trost, den einzigen, der sie am Leben ließ. Es war der Haß. La haine dans l'amour, c'est un mystère

Schreibt sie Das wirklich, Pfarrer?

Wörtlich!

Ohne orthographische Fehler? Georges Sand hat ein Drama über den Haß in der Liebe geschrieben. Vortreffliche Lektüre! Ah, meine Braut wird Mühe brauchen, bis sie an Layard's Alterthümern von Niniveh und Humboldt's Kosmos Gefallen findet.

Rudhard mußte innehalten. Der Schmerz überwältigte ihn. Tieferschüttert war er von diesen romantischen Verirrungen eines jungen seiner Pflege anbefohlengewesenen Mädchens. So war ihm einst schon Helene geistig entschlüpft, als sie den Grafen d'Azimont heirathete! So hatte ihn Olga verlassen! So drohte jetzt sogar die kaltblütigere, phlegmatische Adele sich ihre eigne Welt aufzubauen! Und er, er war verantwortlich für diese Seelen!

Dystra, der die Kennerschaft des Menschen für sein Lieblingsstudium erklärte, hatte etwas auf der Zunge von der Einseitigkeit des Verstandes und den Gefahren der Poesielosigkeit, aber er verschwieg es, dem alten Manne zu Liebe, der sich eingebildet hatte, mit Vernunfttheorieen ließe sich das menschliche Herz leiten, mit Geschichte, Logik, Realien eine weibliche Seele fesseln, das Romantische ließe sich durch einen Witz entfernen, das Dämmernde, Unbestimmte im Menschenherzen durch mechanische Beschäftigungen ersticken...

Fahren Sie nur fort, Rudhard, sagte er ironisch. Es ist sehr unterhaltend.

Rudhard, der wohl fühlte, daß er eine Selbstkritik vortrug, las:

»Dieselbe Empfindung in der Brust, die man Liebe nennt, kann sich in Haß verwandeln. Die Tante sagte es und ich glaube es, denn nur Auge in Auge tödtet man den Basilisk.«

Sieh! Wie war Das? rief Dystra laut auflachend. Auge in Auge? Basilisk? Ist Das eine naturgeschichtliche Reminiscenz aus Odessa?

Sie meint wohl, sagte Rudhard mit wehmüthiger Trauer, daß man einem Schmerze scharf in's Auge blicken müsse, um ihn langsam zu tödten. Ich habe wenigstens diese Theorie immer gepredigt.

Da hätte sie das Gleichniß von der Homöopathie nehmen sollen! bemerkte Dystra und setzte lachend hinzu: Aber Basilisken tödten! Tödten durch Menschenblicke! Und gleich Basilisken! Welche Aussicht für meine künftige Ehe! Meine Braut spricht so wild wie Eine jener Indianerinnen, die sich in Amerika mit der gefährlichen Liebkosung von Schlangen auf öffentlichen Märkten sehen lassen...

»Helene«, fuhr Rudhard fort, haßt jetzt den Prinzen Egon; Das allein kann sie für seine Treulosigkeit trösten. Sie haßt ihn, wie der Märtyrer die Sünde haßt, die er überwunden hat. Sie verachtet diesen Egon wie die Schlange die Haut liegen läßt, deren sie sich jährlich entkleidet!«

Dystra hielt im Zuknöpfen seiner weißen Weste vor Lachen inne. Bravissima, rief er, doch etwas Naturgeschichte dabei! Bester Pfarrer, Ihr Zögling wendet seine Kenntnisse doch mit Vortheil an! O und sie hat Recht: Sie lehrt die Moral aller Weltdamen! Ich fand Das in Petersburg, in Moskau, in Wien, Madrid ganz so, ja sogar die reiche weibliche Handelsaristokratie von Newyork haßt, wo sie aufgehört hat zu lieben und geliebt zu werden. Das ist ganz in der Ordnung. Ich bin begierig, ob noch mehr aus der Naturgeschichte kommt. Basilisken, Schlangen haben wir schon. Jetzt fehlen nur noch die Hyänen!

»Ich bin früh angeleitet und gelehrt worden«, fuhr Rudhard fort, daß man Wesen wie Tante Helene hassen soll; allein nun liebe ich sie und Die, die ich geliebt habe, könnt' ich hassen, Die, die ich verehrt habe, wie Gott und seine Heiligen...«

Dieu et ses saints? sagte Dystra. Das ist eine katholische Reminiscenz! Die Tante wird noch ihr Heil in der katholischen Kirche suchen, obgleich dies jetzt schon fast zu früh ist. Diese Art Damen wird erst dann katholisch, wenn naturgemäß die Huldigungen der Männer aufhören und man durch den Übertritt zur andern Kirche sich einen Verkehr mit Beichtvätern oktroyirt, der nicht ausbleiben kann und um so angenehmer ist, als diese katholischen Geistlichen das Bequeme haben, daß sie unverheirathet sind und vor allen Familienzerrüttungen sicherstellen. Also die Menschen, die sie liebte, wie Gott und seine Heiligen, die haßt sie jetzt? Nicht wahr?

»Die hass' ich jetzt. Ja Euch! Euch Alle! Meinen lieben Rurik ausgenommen und die gute Paulowna, die ich herzlich lieb behalte und oft im Geiste küsse, weil ich glaube, ich belauschte sie an ihrem Schlummerbettchen. Nur wenn wir schlummern, sind wir gut.«

Doch noch etwas Paul und Virginie neben der Lelia!

»Du aber, Papa Rudhard, hast nie geliebt! Dein Herz ist kalt wie Marmorstein. Du liebst nur Bücher und nicht die Menschen. Du hast niemals ein menschliches Herz brechen, nie Augen von Thränen erblinden sehen. Du meinst, der Mensch könnte Alles über sich gewinnen und hast auch einst Tante Helenen gesagt, sie sollte immerhin nur Desiré zu lieben versuchen...«

Wer ist Desiré?

Graf d'Azimont!

Ah so! Sie glaubt also nicht an die Macht der Gewöhnung? Schlimm für Otto von Dystra!

»Du hast gelehrt, der Mensch, der gut wäre, könnte Alles, was er nur wolle. Die unglückliche Helene! Sie liebt den Mann nicht, der ihr Gatte wurde und nun verlangst du, daß auch ich einem Manne mich vermähle, den ich nicht lieben kann?«

Aber, meine gnädigste Comtesse, lernen Sie mich doch erst kennen! warf Dystra dazwischen und trat seinen Frack anziehend, sich musternd vor den Spiegel. Bin ich nicht der fashionabelste Elegant? Können Fracks besser sitzen, als an einem solchen Oberkörper, wie der meinige? Meine liebe Olga, Sie verletzen mich und meine kleinen Füße, die so klein sind, daß die Firnißstiefeln nicht einmal meinen Antinous-Kopf widerspiegeln!

»Nie werd' ich diesen Baron von Dystra lieben, den ich nicht kenne und von dem mein Vater bestimmt hat, daß ich ihn heirathen soll. Alle die Romane, welche ich unterwegs gelesen habe, fangen damit an, daß ein Mädchen ist gezwungen worden, Den zu heirathen, welchen sie nicht liebt, und dann ist Das der Anfang ihres Unglücks gewesen. Kann ich den Baron von Dystra lieben, der schon zu alt und...«

Nicht gestockt!

»zu...«

Vorwärts!

»zu häßlich ist? Wie er angekommen, hab' ich einen Schrei ausgestoßen...«

En deed! Das ist beleidigend! rief Dystra mit unerschütterlichem Humor. Wissen Sie wohl, Mademoiselle, daß ich stark vermuthe, Sie haben sich nur vor dem Mohren gefürchtet, der mich anmeldete?

Ganz Recht, sagte Rudhard, dem diese kindliche Protestation doch zuletzt ein Lächeln abnöthigte, sie gesteht dies selbst ein. »Ein Mann will mich lieben, der sich mit Mohren, Affen und Hunden umgibt, weil er glaubt, daß ich eine Närrin bin, so dumm, wie Feodorowna Lapuschin in Odessa, die den Titularrath Kryloff heirathete, weil er ihr von Petersburg die ganze Krongarde, alle Offiziere und den Kaiser selbst, in bleiernen Figuren schenkte! Ich werde mich niemals so unglücklich machen lassen wie die Tante, die, weil sie lieben muß, jetzt das Schicksal hat, von einem Manne nach dem andern betrogen zu werden –«

Dystra bat hier Rudhard innezuhalten; er fürchtete vor Lachen zu ersticken. Diese Feodorowna Lapuschin, die den Titularrath Kryloff heirathete, weil er ihr das Petersburger Offiziercorps in Bleifiguren schenkte – diese Helene d'Azimont, die sich deshalb von allen Männern betrogen sieht, weil sie lieben »müsse« – nein, sagte Dystra, das ist naive Tollheit oder tolle Naivetät! Ich liebe Olga! Ich muß diese Unterhaltung für den ganzen Rest meines Lebens besitzen. Ich werde keinen Arzt mehr nöthig haben. Die Komik meiner Frau wird mir das Leben versüßen. Wer will mir ein Mädchen streitig machen, das ich in Gold fasse und der ich alle Launen bewillige, alle, selbst wenn sie mich ruiniren!

Rudhard fuhr bekümmert fort:

»Ich will den Mann, den ich liebe, nicht anders als ewig lieben. Denn Liebe ist das süßeste und herrlichste Gefühl auf Erden. Sie ist für unser Herz Das, was die Sonne für die Erde. Nur wo die Sonne ihre Strahlen entsendet...«

Lance ses rayons... übersetzte Dystra, um die Reminiscenz anzudeuten...

»Nur da sprießen Blumen auf, und unsre Gefühle sind Blumen.«

Doch hübsch, Rudhard! Ich finde die Stelle besser, auch wenn es Plagiate sind.

»Ich bitte dich, Papa Rudhard, sage Das auch meiner Mutter, die mich nie geliebt hat und ein Herz besitzt, so kalt wie das Eis in Sibirien.«

Sie hat's immer mit den Bildern! Dies ist weniger gut gewählt. Es ist in Grönland kälter.

»Ich bin ein unglückliches Kind, weil ich meine Mutter nicht kann so lieben, wie es die Pflicht eines Kindes ist. Sie hat schon gegen die Tante gehabt ein kaltes Herz. Niemals hat sie die Tante vertheidigt und doch war Helene unglücklich, als sie Desiré mit sich fort von Odessa nahm. Sie muß noch jetzt die Thränen auf ihren Wangen brennen fühlen, so zärtlich war der Abschied der Tante von der Mutter, aber die Mutter kann nicht lieben. Sie hat wenig geweint, als der Vater starb.«

O, Das ist entsetzlich! Das ist abscheulich! rief Dystra jetzt ernst...

»Der Vater war ein Engel. Wir Kinder haben den Vater mehr geliebt, als Menschen dürfen, die da wissen, daß es einen Gott gibt.«

Phrase! Abscheuliche Phrase! rief Dystra, vor liebevoller Erinnerung an seinen Freund, den Fürsten Alexei, fast zornig...

»Ich liebe meinen Vater, auch wenn dieser Vater mein Unglück wollte, daß ich die Gattin eines Menschen werden soll, den ich nicht kenne. Er meinte es gut für mich. Er glaubte, daß wir darben würden. Dieser Otto von Dystra ist sehr reich. Und ha! wie eitel! Seine Mohren sollten uns gleich sagen, daß er aus dem Lande käme, wo das Gold wächst.«

Die Stelle ist dumm. Abscheuliche Schwätzerin du! Oder richtiger gesagt, sie beweist, daß sie mich doch noch lieben lernen wird. Die Liebe der Frauen fängt immer damit an, es für Eitelkeit auszulegen, wenn die Männer verlangen, daß sie von ihnen erhört werden. Nur wo man künftig doch lieben wird, macht man die Frais eines solchen höhnischen Ha! Sie denkt doch schon an die künftige Livree ihrer Dienerschaft.

»Er gedachte uns reich zu machen, weil wir arm sind und er nicht wußte, wie gut Tante Helene sein kann, die mir gesagt hat, daß Alles, was sie besitzt, einst mein Eigenthum sein würde, wenn sie in ein Kloster ginge –«

Da läutet's schon! Das Kloster ist da! Waldkapelle, stiller Murmelbach! Büßende Magdalena... Todtenkopf und vielleicht doch noch... selbst im Kloster eine Strickleiter! Verdammte kleine Hexe Capulet!

»Den guten Vater lieb' ich, weil er dachte: So mach' ich die Meinigen, die ich so jung verließ, glücklich! Er liebte seinen Jugendfreund und beurtheilte ihn nach seinem Herzen.«

Darüber sagt sie also kein Wort, daß ich ein Thor bin und aus reiner Gutmüthigkeit dem kränkelnden Freunde verspreche, mein fahrendes, abenteuerliches Leben aufzugeben, mein Vermögen in Ruhe zu genießen und es, meinen Verwandten ein Schnippchen schlagend, mit Einer seiner Töchter zu theilen? Diese Olga müßte es doch nun sein, die mir diese Dummheit möglich machte! Sie ist sechszehn Jahre. Von siebzehn könnte sie mein Weib werden. Auf Paulowna kann ich doch nicht mehr warten. Wahrlich, es ist verletzend! Parbleu, so beurtheilt zu werden! So beim besten Willen en coquin behandelt! Diese kleine Amazone! Wenn man Das so liest, so vorgelesen bekommt, denkt man sie sich bei alle Dem allerliebst. Es ist die neuromantische Emancipationstheorie, aber ein gutes Herz liegt doch zum Grunde. Diese Liebe zum Vater rührt mich. Wäsämskoi war ein Pedant, aber ein edler Mensch. Wenn Adele, seine Gattin, so kalt und indifferent fühlte, wie Olga beschreibt, thut er mir leid, der brave, gute Alexei! Ich könnte die Frau hassen und gestehe Ihnen, ich bin ganz portirt für meinen kleinen italiänischen Deserteur...

Trotz dieses abscheulichen Briefes? sagte Rudhard, gerührt von Dystra's gutmüthigem Humor, für den ihm eigentlich das Verständniß fehlte.

Trotz dieses Briefes, an dem mich nur Wunder nimmt, daß sie meinen glücklicheren Nebenbuhler, den Maler Siegbert Wildungen nicht erwähnt.

Es kommt noch! ergänzte Rudhard diesen Einwand, der den Beweis gab, daß man im Hause der Fürstin so aufrichtig gewesen war, die Existenz Siegbert's nicht zu verschweigen. Aber wol nur Rudhard war es gewesen, der Siegbert in Beziehung auf Olga erwähnt hatte. Die Fürstin wäre dieser Selbstüberwindung nicht fähig gewesen.

Ich will den Kelch zu Ende schlürfen, sagte Dystra ernster und setzte sich.

»Der gute Vater umschwebt mich oft wie im Traume«, las Rudhard, »und sagt zu mir: Olga, vergib, ich glaubte, du wärst herzlos wie deine Mutter! Du würdest Den zum Gatten wählen, den du nicht kennst, nicht liebst.«

Gegen die Mutter ist Das ein wirklicher Haß! bemerkte Dystra kopfschüttelnd.

»Und ich sage ihm im Traume: Laß mich Den wählen, Vater, den meine Seele liebt! Und sein Bild verdüstert sich vor Gram, daß sein hinterlassenes Weib, die Witwe Alexei Wäsämskoi's, den Jüngling lieben kann, den sein Kind liebt! O Rudhard, sage Das meiner Mutter! Sage ihr, daß es einen Gott im Himmel gibt, der sie strafen wird! Der Herr richtet die Schuldigen. Was ist mehr eine Todsünde, die Niemand vergeben kann, als wenn...«

Les sept péchés capitaux! unterbrach Dystra. Nun springt sie in Eugène Sue über!

»Als wenn eine Mutter ihrem eignen Kinde ihr Kleinod raubt! Ich weiß es, mein Treuer flieht sie, wie ich sie geflohen bin! Sein Segen folgt mir, seine Liebe begleitet mich. Ich will mich bilden, ich will an den heiligen Quellen Italiens schöpfen, daß ich mich erfülle mit der hohen Wissenschaft der Kunst, die er liebt, um seiner würdig zu sein. Ich lese Bücher der Poesie, aber auch Schriften der Prosa und verweile bei Allem, was zu wissen merkwürdig ist. Ich zeichne mir die schönen Gebäude ab und erkundige mich nach Allem, was in einer Stadt lehrreich zu sehen ist. Auch frag' ich alle Menschen an jedem Ort, ob sie gut und glücklich leben können und welche Früchte bei ihnen wachsen...«

Was? rief Dystra. Das noch einmal! Sie fragt Jeden, welche Früchte bei ihm zu Lande wachsen? Das Mädchen gibt entweder eine Närrin oder ein Ideal.

»Von Italien aus, Papa, schreib' ich dir wieder. Wir reisen nun über die Alpen. Wir sind immer allein. Nur die Bedienten und die beiden Mädchen. Tante will gar keine andre Gesellschaft. Nur über die Alpen wird es uns recht einsam vorkommen. Aber wir haben Muth und wenn er uns manchmal entsinkt, umarmen wir uns und sind wieder neugestärkt. Leb' wohl, Papa! Denke zuweilen über mein Glück nach! Grüß' unser liebes Gärtchen, das jetzt schon recht welk und kahl aussehen wird! Grüße den garstigen Sensenmann auf deinem Zimmer, der uns ewig zugerufen hat: Du mußt sterben, deine Stunden sind gezählt! Aber noch leben wir. Erst Neapel sehen und dann sterben! Deine Olga Wäsämskoi.«

Kein Postscript? bemerkte Dystra kopfschüttelnd und satyrisch.

Wohl, sagte Rudhard und las, während Dystra einschaltete: Doch ein Frauenzimmer!

»Wenn ich sage, daß ich dich hasse, Papa, so brauchst du Das nicht so ernst zu nehmen. Es ist keine Gefahr dabei. Aber dem Baron und der Mutter verschweige nichts. So lange sie mein Herz bedrohen, kehr' ich nie zurück und sollt' ich betteln gehen und vor den Häusern singen. Das sage ihnen!«

Oder Kunstreiterin werden oder auf dem Seile tanzen oder an dem ersten besten Pariser Lion in einer Mondnacht in Fraskati zu Grunde gehen!

Dystra's schmerzlicher Ton und seine ernste Miene bestätigte, was Rudhard fühlte, daß hier in der Erziehung ein Versehen begangen war.

Rudhard überreichte Dystra den Brief und legte ihn, da dieser ihn nicht nehmen wollte, auf den Tisch.

Was ist da zu thun?

Ich habe, begann Rudhard, das Buch der Wahrheit vor Ihnen aufgeschlagen, gleich als Sie kamen. Ich sagte Ihnen von Siegbert Wildungen, von der Mutter, von Olga's schnellentzündetem Kinderherzen. Helene hat alle Dem, was in dieser leidenschaftlichen Natur schlummert, den modischen, tagesüblichen Ausdruck gegeben, das Kind, statt zurückzuführen zu uns, wie eine Puppe, an der sie ihre Gefühlständeleien auslassen kann, mit sich hinweggenommen, meine dringende Aufforderung zur Rückkehr mir so beantwortet! Den übersandten Wechsel schickte Olga gleichfalls zurück. Sie sehen den offnen Thatbestand. Was läßt sich thun? Fassen Sie die Entschlüsse, die Ihnen die rechten scheinen!

Mein natürliches Gefühl, sagte Dystra, der sich inzwischen angekleidet hatte, fordert mich auf, entweder unmittelbar diesen Flüchtlingen nachzureisen oder Alles auf sich beruhen zu lassen und die weitere Entwickelung abzuwarten. Ich gestehe, daß ich erst jenen Siegbert Wildungen kennen lernen muß, der hier so viel heillose Verwirrung angerichtet hat.

Es ist ein liebenswürdiger, nur zu weicher Schwärmer – sagte Rudhard.

Ein edler Mensch, wenn er sich freiwillig zurückzog. Ich achte Das und ehre es. Mesalliancen existiren übrigens für mich nicht –

Baron –

Ich sage nicht, Rudhard, daß ich aus diesen Konflikten heraustrete...

Der Wunsch des Fürsten...

Meines guten Alexei... aber selbst wenn ich den andern Ausweg ergriffe und seine Witwe heirathete, wie eine Stimme mir zuruft... ich käme ja in dieselbe Position. Der blonde Maler verrennt mir ja nach allen Seiten den Weg.

Ich kann nicht den Gedanken, den Sie eben ausgesprochen, Baron, befördern helfen, aber was die Stimmung Adelens anlangt, so hoff' ich auf Besinnung. Ich meine, es war nur eine falsche Form, in der bei ihr ein mütterliches Gefühl der Fürsorge zum Vorschein kam.

Zu künstlich erklärt, Pfarrer!

Wirklich? Doch scheint mir über die Mutter ein eignes Wesen gekommen. Sie ist zurückgezogen, liest, schreibt, beschäftigt sich nur mit sich allein.

Das heißt, sie liebt, bester Freund! Das ist der Frühling, der oft noch nach dem Spätsommer kommt.

Es ist eine stille, sinnige Verklärung in der Fürstin! Ich finde Adelen innerlicher, wärmer. Sie schließt sich von oberflächlichen Menschen ab und sucht nur tüchtige Naturen, wie Anna von Harder und ähnliche rein weibliche, edle Erscheinungen.

Das ist die Trauer der Verlassenen, das Schlummern der Wintersaat, die im Frühling gleich am mächtigsten aufschießt.

Sie ist mütterlicher denn je gegen Rurik und Paulowna.

Achtungswerth, aber bedenklich... Unverdorbene Frauen wollen das Glück der Liebe durch Güte des Herzens verdienen.

Rath' ich Ihnen denn eine Änderung zu treffen? sagte Rudhard fast empfindlich.

Geben Sie mir die Hand, bester Pfarrer! fiel Dystra ein. Zürnen Sie mir nicht! Ich trete da in psychologische Konflikte, die ich nicht erwartet habe! Weil ich auf Alles dilettire, liebe ich überall das Bedeutende und Eigenthümliche. Aber ich gestehe, ich liebe es mehr als Beobachter. Ergriffen mitten inne stehen, selbst da eine handelnde und leidende Figur in leidenschaftlichen Scenen abgeben, ich gestehe Ihnen, Das ist etwas, was ein Tourist, ein flüchtiger, civilisirter Beduine, ein Mann, der den Vorwurf, unschön zu sein, von seinen breiten Schultern nicht abschüttelt, nicht brauchen kann. Es handelt sich um den Wunsch eines sterbenden Freundes, um ein Gelöbniß, das ich selbst verrichtete, vor allen Dingen um mein Geld, um die bessre Existenz der Fürstin, um die Erziehung und künftige Versorgung der Kinder. Das sind philanthropische Ideen, die ganz in mein Fach schlagen und für die wir nur suchen müssen, eine möglichst anständige, aber auch höchst bequeme Form zu erfinden. Stoff zu einem Roman will ich unter keiner Bedingung abgeben. Hören Sie! Dagegen sträubt sich meine ganze innre und äußre Natur und ich gestehe Ihnen sogar, ein Rest von Eitelkeit, den ich mir von manchen frühern glücklichen Aventüren erhalten habe, wo man mich liebte quand même!

Bekümmert reichte Rudhard dem Baron, der diese Worte mit liebenswürdiger, schalkhafter, aber doch ernster Freimüthigkeit gesprochen hatte, die Hand und schwieg.

Die Verständigung wird schon kommen! sagte der kleine Kosmopolit. Blicken Sie heiter! Wir wollen gut diniren – es schlägt fünf – zwei alte Freunde von mir – hochangesehene, wichtige Springfedern der Maschine...

Spartakus trat ein und überreichte Visitenkarten von zwei Herren, die den Baron von Dystra bei etwa gelegner Zeit zu sprechen wünschten.

Die eine war gestochen, die andre geschrieben.

»Dankmar Wildungen«, »Louis Armand« las Dystra für sich und bedauerte, die Herren jetzt nicht empfangen zu können... Er wollte, da ihm der Name Wildungen auffiel, selbst in's Vorzimmer. Aber die Fremden schienen sich schon eine Antwort gegeben zu haben; denn als sie einen Offizier in Generalsuniform und bald darauf einen Herrn in Civil mit vielen Orden von den Schwarzen empfangen sahen, waren sie nach Abgabe ihrer Karten verschwunden...

Rudhard wurde den beiden vornehmen Größen als ein Geistlicher aus Odessa vorgestellt. Die Nebenthür öffnete sich. Ein erleuchtetes Zimmer bot ein geschmackvoll servirtes Diner, das nicht ganz so heiter von Statten ging, wie es der Wirth wünschte. Seine beiden Jugendfreunde, General Voland von der Hahnenfeder und Ritter Rochus vom Westen, waren, obgleich Beide in ihrer Art auch wahre Ritter vom Geiste, doch unter sich nicht auf gleichen Ton gestimmt und Rudhard litt unter dem Druck seiner häuslichen Angelegenheiten. Der General führte zwar fast allein die Conversation, allein sie knüpfte nur an Amerika, an die bedienenden Schwarzen, an die Pyramiden, an die Bauten von Niniveh an. Erst am Schluß der Tafel horchte Rudhard auf, als Dystra zufällig wieder die Visitenkarten in die Hand nahm und die Gesellschaft fragte, ob ihnen diese Namen bekannt wären?

Wie, sagte der General, diese beiden merkwürdigen, alle Welt interessirenden Charaktere?

Und ehe noch Dystra Rudhard an den Namen Wildungen erinnerte, der ihn nun erst selbst überraschte, hatte Spartakus angezeigt, daß jene Herren wieder draußen wären, um zu erfahren, wann sie Massa aufwarten dürften?

General Voland hatte schon die Karten, als Sammler, zu sich gesteckt...

Ja, sagte Ritter Rochus, ein feiner, geschliffener Weltmann, die Gebrüder Wildungen sind die Löwen des Tages – Und Louis Armand... O, Das ist ja der intimste Freund des Premierministers –

Darauf hin war Otto von Dystra schon aufgesprungen, um selbst hinauszugehen...

Soll ich sie zum Dessert, zum Kaffee eintreten lassen? fragte er, der Zustimmung fast gewiß...

Rudhard wollte Einwendungen machen und von Louis Armand's Stande sprechen, aber schon hatte der Baron das bedeutsame Schweigen seiner diplomatischen Gäste für Zustimmung genommen, schon war er hinaus und sprach durch die geöffnete Thür in das Vorzimmer, wo Rudhard Dankmar's Stimme nicht hören konnte, ohne nicht aufzustehen und ihn an der Schwelle zu begrüßen. In einem Hotel sind die Räumlichkeiten beschränkt. Dankmar und Louis waren schon veranlaßt, einzutreten, während noch der General und der Ritter überrascht, verlegen von den Stühlen aufstanden. Man wird Dankmar's Erstaunen, Louis Armand's Schrecken ermessen, als in leichter weltmännischer Weise der kleine Baron die Namen: General Voland und Ritter Rochus nannte. Diese selbst waren nicht wenig begierig auf die eigenthümliche Situation, die sich hier für sie ergab. Seltsames mußten sie ohnehin schon bei Dystra erwarten. Rudhard's freundliche Bewillkommnung löste einstweilen die wirklich ängstliche Spannung.


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