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Neuntes Kapitel.

Ein lieblicher Duft des Kuchenbackens durchdrang des Faktors Haus, und Thora und Tante Margret standen mit bis zur Taille aufgeschürzten Röcken und zurückgeschlagenen Ärmeln und mit Rollhölzern in den Händen in der Küche hinter einem mit weichem Teig beladenen und mit Mehl bestreuten Tisch.

»Da ist Magnus endlich!« sagte Tante Margret, »und vielleicht kann ich von ihm erfahren, wie es zuging, daß du gestern ohne ihn nach Hause kamst.«

Magnus tat sein Bestes, die Beantwortung der Frage durch einen Scherz zu umgehen:

»Das ist eine lange Geschichte, Tantchen,« sagte er. »Ein Hufeisen ist nicht mit einem Schlage gemacht und ich habe mit Thora zu sprechen.«

»Daß du sie mir ja nicht zu lange aufhältst. Wenn wir für alle die Menschen, die morgen kommen werden, vorbereitet sein wollen, hätten wir Arbeit für ein Dutzend Bäckergesellen.«

Magnus ging hinauf nach dem kleinen Wohnzimmer mit der Bornholmer Uhr, und Thora folgte ihm. Sie hatte dunkle Ränder unter den Augen und war nervös und unstet in ihrem Wesen.

»Ich schäme mich des gestrigen Vorfalls,« sagte sie, »und bitte dich, ihn zu vergeben und zu vergessen.«

»Ich kann weder das eine noch das andere,« sagte Magnus, »das heißt jetzt noch nicht und nicht in der Weise, wie du es meinst.«

Thoras Augen fingen an sich zu füllen. »Sei nicht zu hart mit mir, Magnus. Ich will ja mein Bestes tun es gut zu machen und das ist nicht so leicht.«

»Ich bin nicht so hart mit dir, wie du selbst es mit dir bist, Thora, und ich bin hergekommen um dich zu warnen, nicht ungerecht gegen dich selbst zu sein.«

Thora dachte einen Moment nach und sagte dann: »Wenn du hergekommen bist, um mir zu sagen, daß ich trotz alledem meinem Wort getreu bleiben muß, so ist es ganz überflüssig, weil ich das zu tun beabsichtige.«

»Würde das recht sein, Thora?«

»Es mag Oskar gegenüber nicht recht sein, oder vielleicht mir selbst gegenüber –«

»Ich denke eben nicht an Oskar und auch nicht an dich, Thora, – ich denke an mich selbst – würde es mir gegenüber recht sein?«

»Was mehr noch kann ich tun, Magnus? Es war nicht durchaus nur meine Schuld, daß ich dir mein Wort gab, ich habe es dir aber gegeben und ich bemühe mich es zu halten.«

»Würde es recht sein, Thora, mich mit dem Bewußtsein zu heiraten, daß du dir nichts aus mir machst, wie du ja selbst eingestehst?«

Thora senkte das Haupt.

»Du sagtest gestern, daß ein Mädchen, um einen Mann zu heiraten, ihn von ganzem Herzen, ganzer Seele und Kraft lieben müsse. Würde es nicht unrecht sein, mich zu heiraten und jemand anders so zu lieben? Kannst du das wieder gut machen, Thora?«

»Ich versuchte nur das Rechte zu tun, Magnus, wenn du es aber für unrecht von mir hältst, dich zu heiraten, will ich überhaupt nicht heiraten, niemals!«

»Was würde das mir nützen, Thora? In fünf, zehn, zwanzig Jahren, was würde es mir nützen, wenn du, weil du mir dein Wort gegeben hattest und es nicht halten konntest, dein Leben irgendwo einsam verbrächtest.«

Thora bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.

»Für welch einen jämmerlichen Wicht von Mann hältst du mich, Thora?«

»Ich wollte dich nicht kränken, Magnus. Wenn ich dich aber nicht heiraten und auch nicht unverheiratet bleiben soll, was soll ich dann tun?«

»Du weißt ganz gut, Thora, was du tun sollst.«

Thora ließ die Hände fallen und saß glänzenden Auges da.

»Du meinst, ich soll Oskar heiraten?«

»Das hängt davon ab, ob du ihn liebst.«

Die glänzenden Augen leuchteten trotz der sie füllenden Tränen freudig auf.

»Liebst du ihn?«

»Frage mich das nicht, Magnus.«

»Aber ich frage dich, Thora, ich habe ein Recht, dich zu fragen. Liebst du Oskar?«

»Ich bewundere und schätze ihn, Magnus.«

»Aber liebst du ihn?«

»Jedermann liebt Oskar.«

»Liebst du ihn, Thora?«

»Ja,« antwortete Thora leise, und einige Augenblicke hörte man keinen anderen Laut als das Ticken der Bornholmer Uhr im Zimmer.

»Dann ist es, da er dich liebt und dich zu seiner Frau zu machen wünscht, deine Pflicht ihn zu heiraten,« sagte Magnus.

»Ich habe dir aber mein Wort gegeben, Magnus.«

»Ich gebe es dir zurück, Thora.«

Die glänzenden Augen vergossen jetzt Freudentränen; während aber die Liebe für Oskar stritt, fochten Pflicht und Ehre für Magnus.

»Ich habe ihm aber gesagt, daß es unmöglich ist,« sagte Thora.

»Er fragt dich noch einmal, Thora. Hier ist sein Brief,« sagte Magnus.

»Er hat ihn dir zur Beförderung gegeben?«

»Ich bat ihn darum.«

»Und du bist hergekommen, um ihm das Wort zu reden?«

»Ich kam ebensowohl meiner selbst willen.«

»Wie gut du zu mir bist, Magnus.«

»Lies deinen Brief,« sagte Magnus, und Thora riß mit zitternden Händen das Kuvert auf.

Es war ein kurzer, aber heftiger Kampf gewesen. Magnus hatte jeden Ausdruck auf Thoras Gesicht scharf beobachtet. Hätte er einen Strahl von Liebe für sich in ihren dankbaren, reumütigen Blicken entdeckt, würde er sich an die Hoffnung geklammert haben, daß mit der Zeit noch alles gut werden würde; Liebe für Oskar allein jedoch hatte aus ihren Augen geleuchtet, sich von ihren Lippen gerungen und sich gerade in der Hartnäckigkeit, mit der sie auf ihre Heirat mit Magnus bestand, offenbart. Es blieb ihm keine Hoffnung.

Thora blickte von ihrem Brief auf und sagte:

»Wie edel! Wie hochherzig! Das nenne ich brüderlich gehandelt! Oskar teilt mir mit, daß du glaubst, den Kontrakt, ohne mich hineinzuziehen oder ihn bloßzustellen, lösen zu können. Du bist wirklich zu gut – zu großmütig – zu vergebend – wie kann ich dir danken?«

»Indem du mir Oskars Brief gibst,« sagte Magnus.

»Was willst du damit?«

»Ich möchte ihn morgen, wenn ich meine Aufgabe verrichte, in der Tasche fühlen. Es ist nur billig – daß ich, während ich meinen Anteil ausführe, Oskars schriftliche Versicherung, daß er den seinen auszuführen gedenkt, in Händen habe.«

»Du würdest keinen ihm nachteiligen Gebrauch davon machen?«

»Mancher schärft seine Axt, ohne je zuzuschlagen,« sagte Magnus.

Thora gab Magnus den Brief zurück, und er steckte ihn wieder in die Tasche.

»Nun mußt du ihn beantworten,« sagte Magnus.

»Nicht jetzt, nicht sofort,« sagte Thora.

»Sofort,« sagte Magnus und legte von einem Seitentisch Feder und Papier vor sich hin.

Durch die von dem Manne ausgehende Macht gezwungen, setzte sie sich an den Tisch und nahm die Feder zur Hand.

»Weshalb aber sollte ich heute schon schreiben?« fragte sie, »weshalb nicht morgen?«

»Morgen ist der für die Verlobung festgesetzte Tag, und wenn ich überhaupt handeln soll, muß ich alles schwarz auf weiß haben.«

»Aber so laß doch das eine Verlöbnis erst aufgehoben sein, ehe ich das andere eingehe, Magnus.«

»Wenn Oskar innerhalb einer Stunde keine Antwort von dir hat, nimmt er das erste beste Schiff nach England und du siehst ihn nie wieder.«

»Sagte er das?«

»Ja.«

»Du brichst mir das Herz, Magnus. Ich weiß nicht, was ich schreiben soll.«

»Schreibe,« sagte Magnus.

»Ich kann nicht, du hast mir jeden klaren Gedanken benommen.«

»Dann schreibe, was ich diktiere: ›Mein lieber Oskar‹ –«

»Mein lieber Oskar –«

»Ich habe Deinen mir durch Magnus gesandten Brief erhalten –«

»Brief erhalten –«

»Und alle Deine Worte finden ein Echo in mir –«

»Ein Echo in mir –«

»Ich glaube, daß Du mich sehr lieb hast und nie irgend jemand oder irgend etwas zwischen uns kommen lassen wirst –«

»Zwischen uns kommen lassen wirst –«

»Magnus hat mir mein Wort zurückgegeben, weil ich ihn nicht liebe –«

»Muß ich das sagen, Magnus?«

»Und weil es sein Wunsch ist, mich glücklich zu sehen –«

»Ich kann nicht, Magnus, ich kann wirklich nicht –«

»Weiter Thora. Deshalb will ich, wenn es meinem und Deinem Vater recht ist –«

»Recht ist –«

»Dich, wann und wo Du willst, heiraten, denn –«

»Denn –«

»Denn ich liebe Dich von ganzem Herzen, mit meiner ganzen Seele und aller Kraft.«

Thora weinte als sie gegen das Ende des Briefes kam.

»Nun unterschreibe,« sagte Magnus, und sie setzte ihren Namen darunter.

»Adressiere den Brief,« sagte er, und sie schrieb die Adresse.

»Versiegle ihn,« und sie drückte ein Siegel darauf.

»Jetzt gib ihn mir,« sagte Magnus, den Brief vom Tische nehmend und in seine Brusttasche steckend.

»Was willst du mit ihm?« fragte Thora.

»Ihn eigenhändig abliefern,« sagte Magnus.

»Nein, nein,« rief Thora, »laß ihn mir wenigstens noch eine halbe – eine viertel Stunde.«

»Ich traue dir nicht, Thora,« sagte Magnus und wandte sich der Türe zu.

»Gib ihn mir wieder! Gib ihn mir! Gib ihn mir!«

Sie umfing ihn mit den Armen, um ihn zurückzuhalten, und einen Augenblick blieb er zitternd in ihrer versuchenden Umarmung stehen, dann schob er sie sanft zur Seite und floh aus dem Hause.

Während er durch die Straßen dahineilte, fühlte er die Wärme von Thoras Körper noch an Hals und Wange, und die teuflische Stimme flüsterte ihm ins Ohr: »Welch ein Narr du warst! Im nächsten Augenblick hätte sie in deinem starken Arm gelegen und wäre dein gewesen für immer.«

Er versuchte ihr kein Gehör zu geben, die Stimme aber fuhr fort: »Sie könnte noch dein werden, wenn du nur ein halber Mann wärest! Behalte Thoras Brief und gib Oskar den seinen zurück! Weshalb nicht? Was Besseres etwa hat er um dich verdient?«

Magnus schritt schnell aus, aber die Stimme folgte ihm. Sie hielt ihm vor, wie glücklich er in dem Glauben an Thoras Liebe gewesen sei; mit wie vertrauendem Herzen er sie, in die Berge gehend, zurückgelassen, wie Oskar gekommen und allen Dingen ein Ende gemacht hatte.

»Behalte ihn! Gib ihm den eignen zurück,« sprach die Stimme in sein Ohr; und um Thoras Glück zu begründen und jede eigne Hoffnung zu vernichten, zog er ihren Brief aus der Tasche und rannte mit ihm in der Hand weiter.

Oskar, zu gespannt, um in seinem Schlafzimmer zu warten, stand auf der obersten Treppenstufe. »So bringst du mir etwas! Sie hat mir also geantwortet! Gib her!«

»Da nimm,« sagte Magnus.

Als aber Oskar Thoras Brief endlich in Händen hielt, überkam ihn eine plötzliche Furcht, ihn zu öffnen.

»Steht alles gut?« fragte er.

»Davon mußt du dich selbst überzeugen,« sagte Magnus und sank auf den Stuhl beim Pult nieder.

Während Oskar den Brief las, veränderte sich der geängstete Ausdruck seines Gesichts in einen freudigen und von einem freudigen in einen verzückten. Ohne seine Augen von dem Papier zu erheben, rief er wie ein fröhlicher Junge: »Alles richtig! Sie willigt ein! Gott segne sie! Soll ich dir vorlesen, was sie sagt? Doch nein! Das wäre Thora gegenüber nicht billig. Aber es könnte gar nicht besser stehen! Wie herrlich! Da spricht man von Erziehung – niemand in der Welt hätte sich besser ausdrücken können! Das herzige Mädchen!«

Er las den Brief zweimal und steckte ihn in die Tasche, um ihn wieder herauszuziehen und noch einmal zu lesen und fing dann an, in selbstsüchtigem Glück vergessend, daß außer ihm noch ein anderer anwesend war, ihn zu küssen.

Magnus saß ihn beobachtend da. Der Kampf war fast ausgekämpft, aber nun brach er auch beinahe zusammen.

»Welch eine Ewigkeit es mir vorkam, daß du fort warst!« sagte Oskar. »Und doch mußt du schnell gelaufen sein, du bist noch ganz außer Atem. Aber jetzt gibt es ja auch außer dem, was du morgen zu tun versprochen hast, nichts weiter für dich. Glaubst du, daß du es fertig bringst?«

»Ich glaube wohl,« sagte Magnus.

»Es wird aber ein schweres Stück Arbeit werden, zwei alte Männer, die nicht überredet sein wollen, zu überreden! Niemand mag seine Pläne scheitern und seine Kontrakte gebrochen sehen, und mit dem größten Wohlwollen von der Welt für mich –«

»Warte!« sagte Magnus aufstehend – sein unrasiertes Gesicht hatte plötzlich einen harten, häßlichen Ausdruck angenommen. »Wir haben genügend von dir und Thora und vom Faktor und Gouverneur gesprochen, aber da ist noch jemand, dessen nicht allzu oft Erwähnung getan ist – das bin ich!«

»Glaube nicht, daß ich dich deshalb vergäße,« sagte Oskar. »Das könnte ich niemals – und ebensowenig könnte es Thora – nein, niemals!«

»Wenn ich zurückstehe und die Folgen auf mich nehme, gibt es auch etwas, das du mir schuldest – das ist dein Stillschweigen!«

»Dessen sei versichert,« sagte Oskar.

»Was ich morgen auch tue oder sage, du darfst es dir unter keinen Umständen merken lassen, daß du meine Absicht kennst. Versprichst du es mir?«

»Ganz fest!« sagte Oskar. »Stillschweigen ist unumgänglich nötig, wenn ich Thora vor dem Zorn ihres Vaters retten soll, und ich will sie davor beschützen, wie vor jeder andern Unbill.«

Magnus war der Türe zugeschritten und jetzt zum ersten Male hatte Oskar wirklich einen Blick für ihn.

»Welch ein elender Geselle ich bin – immer nur von mir selbst zu reden!« sagte er, seinem Bruder bis zum Treppenabsatz folgend. »Und wenn alles sich glücklich abgewickelt hat, was wird aus dir werden?«

»Gott weiß es!« sagte Magnus mit einem Fuß auf der Treppe. »Jeder hat seine eignen Sorgen, die ihm niemand abnehmen kann.«

»Nun, Gott segne dich wie es auch kommen mag, alter Bursche!« sagte Oskar, Magnus auf die Schulter schlagend. Dann kehrte er in sein Zimmer zurück, zog Thoras Brief hervor und durchlas ihn von neuem.

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