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Die Verlobung war auf fünf Uhr am nächsten Tage angesetzt. Tante Margret hatte Frauen zur Hilfe genommen, um das Haus von oben bis unten zu reinigen, und alles blitzte und blinkte. In dem großen, der Stadt zu gelegenen Wohnzimmer, das für den rechtsgültigen Teil der Zeremonie dienen sollte, stand ein runder Tisch mit Federn und Tintenfässern, und in dem kleineren nach der See hinaussehenden und nur durch einen Plüschvorhang von ihm getrennten, war der lange, von hochbeinigen Stühlen umgebene Eßtisch mit Tassen, Tellern und Kuchen bedeckt.
Ruhig und feierlich lagen beide Räume da, als Tante Margret, um eine letzte Umschau zu halten, Punkt halb fünf Uhr in ihrem besten schwarzseidenen Gewande und mit frisch eingeölten Löckchen herunter kam. Sie war noch mit dem letzten leichten Abstäuben beschäftigt, als der erste Gast erschien. Es war Anna, ebenfalls in schwarzer Seide und in ihren Gesellschaftsmanieren, Tante Margret küßte sie.
»Aber wo sind Oskar und der Gouverneur?« fragte Tante Margret.
»Stephen kommt gleich,« sagte Anna, »aber ferne sei es von mir sagen zu wollen, wo Oskar ist, der Junge ist überall und nirgends.«
»Das erinnert mich an etwas,« sagte Tante Margret. »Kannst du mir etwa sagen, wie es zuging, daß die jungen Leute sich gestern in Thingvellir verfehlten und Magnus allein nach Hause kam?«
»Das weiß der liebe Himmel! Jedenfalls war es nicht Magnus' Schuld. Magnus ist ganz wie mein armer Vater, so sicher am Platz wie ein Mühlenpferd in der Tretmühle; Oskar aber kann man ebensowenig wie einen Windhauch festhalten. Das ist nun einmal seine Natur so, er kann nichts dafür; mich beunruhigt es jedoch jedesmal, wenn ich daran denke, Margret.«
»Um Oskar braucht dir nicht bange zu sein, Anna! Der wird schon seinen Weg machen. Und wenn er unstet und unbeständig ist, so nimmt Gott solche schwachen Naturen besonders unter seinen Schutz. Er verlangt nie mehr als er gewährt, das weißt du ja!«
Der Faktor kam im Gesellschaftsanzuge, Hauskäppchen und mit einer langen deutschen Pfeife in der Hand, herunter. Er war ein großer, glattrasierter, kahlköpfiger, etwas hart und ungelenkig erscheinender Mann.
»Jetzt wird noch nicht geraucht!« rief Tante Margret, und halb knurrend, halb lachend legte er seine Pfeife auf den Kaminsims.
»Und wie geht's dir heute, Anna?« sagte er, »obgleich es der Frage garnicht bedarf, denn unsere Anna sieht so frisch und jung aus wie immer. Auf mein Wort, Margret, es scheint mir wie gestern, als wir alles das für Anna selbst taten.«
»Sie war zu der Zeit aber eine andere Anna, Oskar,« sagte Anna.
»Durchaus nicht, der einzige Unterschied ist, daß jetzt ein bischen mehr von ihr da ist.«
Der nächste, der hereinkam, war der Gouverneur, ein breitschultriger Mann mittlerer Größe, mit einem Backen-, jedoch keinem Schnurrbart und in seiner reich goldgestickten Uniform. Er begrüßte den Faktor und sagte:
»Ich habe mir erlaubt, den Bischof, den Gymnasialdirektor und den Kreisrichter einzuladen – ich hoffe, du hast nichts dagegen?«
»Das war recht, alter Freund,« sagte der Faktor. »Die wichtigsten Schritte des Lebens sollte man immer in Gegenwart von Zeugen tun.«
»Und wie geht es, Margret? Geschäftig wie immer, sehe ich. Es ist gut, daß nicht alle Festtage auf denselben Tag fallen. Nächstes Mal gelten unsere Vorbereitungen dir!«
»Der Margret?« lachte der Faktor. »Sie muß sich aber eilen, wenn sie nicht zu spät sein will – um Weihnachten werden nicht viele Küchlein ausgebrütet.«
»Das wäre wahrlich spät!« sagte Tante Margret ihre Löckchen schüttelnd, »und da ich es euch, Leutchen, mit eurem Paar Küchlein jedes doch nicht mehr gleich tun kann, halte ich es überhaupt nicht mehr des Anfangens wert.«
Die Männer lachten und Anna sagte: »Nun, ich würde mich gern mit zwei Kindern begnügen, wenn ich sie nur nicht herzugeben brauchte. Das ist aber das schlimmste bei Knaben, sie heiraten und gehen davon. Ihre Mädchen dagegen kann eine Mutter immer behalten.«
»Bis die Knaben von irgend jemand anderem kommen und sich mit ihnen aus dem Staube machen und sie von beiden nichts mehr sieht,« sagte Tante Margret.
»Das hängt von Umständen ab,« sagte der Gouverneur – »dem Ehekontrakt, zum Beispiel – wie, alter Freund?«
»Sehr richtig,« sagte der Faktor. »Man kann den Stier gewöhnlich in der Nähe des Gehöftes halten, wenn man ihm die Kuh in den Kuhstall einsperrt.«
Erneuertes Gelächter der Männer, und dann kamen der Bischof und der Rektor – ersterer ein heiligengleicher alter Patriarch mit mildem Gesicht und weißem Bart, und der Rektor, wie es einem Schulmeister zukommt, schärfer, wenn nicht strenger blickend.
»Ich war sehr überrascht zu hören, daß es Magnus sei,« sagte der Rektor. »Oskar hat seinem Bruder in den meisten Dingen den Rang abgelaufen, und ich dachte, er würde ihm auch darin zuvorkommen, eine Frau zu nehmen. Und dann auch sind Thora und er so gute Freunde und sich beide so ähnlich!«
»Die Menschen, die sich am meisten gleichen,«, sagte Anna, »kommen am schlechtesten miteinander aus;« und Tante Margret sagte:
»Unsinn! Ein dunkler Mann ist ein Juwel in den Augen einer blonden Frau, und was wollte Thora wohl mit einem blonden tun?«
»Aber wo ist Thora denn?« fragte der Bischof.
»Sie zieht sich an,« sagte Tante Margret, »laß uns hinauf gehen, Anna, und sie herunter holen,« und beide Frauen gingen nach oben.
»Magnus dürfte auch hier sein,« sagte der Gouverneur. »Wo er nur ist, möchte ich wissen?«
»Fragen Sie nach Magnus?« ertönte eine Stimme von der Hausflur. Es war der Kreisrichter – ein kleiner Mann mit schlauem Gesicht und wie der Gouverneur in einer goldbesetzten Uniform.
»Er ist im Lagerhaus, nicht wahr? Oder sollte er noch am Hafen sein?« fragte der Faktor.
»Nein,« sagte der Kreisrichter hereintretend. »Die Wahrheit zu gestehen, muß ich sagen, daß ich ihn eben, als ich am Isländischen Hof vorüber kam, dort im Rauchzimmer sitzen sah.«
»Im Rauchzimmer des Isländischen Hofes?« sagte der Gouverneur.
Der Faktor lachte. »Er traktiert seine Freunde schon in der Voraussicht des heutigen Ereignisses, sollte ich sagen,« lachte der Faktor, »wenn man auch eigentlich den Schlitten nicht vor die Pferde spannen sollte.«
»Nein,« sagte der Kreisrichter wieder, »die Wahrheit ist, er war ganz allein.«
»Trank er?« fragte der Gouverneur.
»Unsinn, Stephen!« sagte der Faktor, »Magnus trinkt nicht.«
»Ich hoffe nicht, aber ich bin immer etwas besorgt um ihn. Sein Großvater mütterlicher Seite – war, wie du weißt –«
»Ah, niemand kann wissen, was unter eines andern Rock verborgen ist,« sagte der Bischof. »Annas Vater war nicht ganz richtig im Kopf, kann es nicht gewesen sein.«
»Auch Krankheiten vererben sich,« sagte der Gouverneur.
»Aber der alte Mann fing erst zu trinken an, nachdem er seine Frau begraben hatte, nicht ehe er sie heiratete,« sagte der Rektor.
Und dann kehrten Tante Margret und Anna zurück und führten Thora mit den Worten »hier ist sie endlich!« in ihrem einfachen Sammetkostüm, der »Kirtle« genannt, mit seinem silbernen Gürtel, seinen bauschigen Ärmeln und seiner weißen Spitze um den Halsausschnitt ins Zimmer.
Der Gouverneur nahm Thora in seine Arme und küßte sie. Dann sagte er: »Aber wie blaß du bist, mein Kind!«
»Ja, das sage nur, Gouverneur,« sagte Tante Margret, »sie hat vom frühen Morgen an geweint.«
»Geweint?« sagte der Faktor. »Ich kann es nie begreifen, weshalb ein Frauenzimmer, wenn es sich verheiraten will, immer weinen muß, es ist durchaus nicht schmeichelhaft für den Mann.«
»Ich kann Thora jedoch sehr gut verstehen,« sagte der Gouverneur. »Wenn es je einen Moment für gerechtfertigte Tränen, oder wenigstens zum ernst und besorgt sein gibt, so ist es der Augenblick des Lebens, an dem es zu tanzen und zu singen Sitte ist, gerade als ob man einen Triumphzug anstatt eines Sprunges ins Ungewisse unternähme.«
»Und ich stimme dem Gouverneur bei,« sagte der Bischof. »Wenn ich je eine Braut so bitterlich am Altar weinen sehe, daß sie kaum ihre Antworten herausschluchzen kann, weiß ich gewöhnlich, daß sie eine glückliche Frau wird.«
»Thora könnte dann wenigstens bis zur Hochzeit warten,« sagte Tante Margret, und darauf kam Oskar ins Zimmer gestürzt.
»War auf 'nem Spaziergang aus – Zeit gänzlich vergessen – hatte nur sechs Minuten zum Ankleiden – hab's in fünf fertig gebracht,« sagte er unter atemlosem Keuchen.
»Da haben wir einen zweiten Blassen,« lachte der Rektor, »sollte übernacht ein Reif gefallen sein, der alle Rosenknospen getötet hat?«
»Ich bin schnell gerannt um her zu kommen,« sagte Oskar, »wie es scheint, bin ich Magnus aber doch noch zuvorgekommen.«
»Magnus ist dir aber auf anderem Gebiete zuvorgekommen, mein Junge,« sagte der Rektor, nach der errötenden und die Augen niederschlagenden Thora hinnickend, worauf der Gouverneur brummte: –
»Oskar darf fürs erste noch nicht ans Heiraten denken. Er hat sich seiner Karriere zu widmen, die ihn gänzlich ausfüllen sollte und mit der er es bisher nicht zu ernst genommen hat.«
»Nun, meine Geschäftserfahrung ist,« sagte der Faktor, »daß eine Frau es nach der Ehe gewöhnlich angehen läßt, während ein Mann sich zusammenrafft.«
Hierauf stieß der Kreisrichter den Rektor an und flüsterte: –
»Der Faktor hat noch eine andere Tochter, Rektor.«
»Und wenn er das hat, was dann?« sagte der Rektor. »Ein Mann kann nicht zwei Schwägerinnen zu einem Bruder haben.«
»Nein, aber er kann seinem Bruder ebenfalls eine Schwägerin geben,« sagte der Rektor, und dann stimmten sie alle ein fröhliches Lachen an.
»Da fällt mir ein,« sagte der Faktor, »Helga hat uns neulich eine neue Photographie von sich geschickt. Wo ist sie, Thora?«
»Hier,« sagte Thora, indem sie einer Schublade eine Photographie entnahm. Oskar streckte seine Hand darnach aus und blickte lange und gespannt auf sie herab.
»Wie stattlich, wie schön! ich habe kaum je ein so wunderbares Gesicht gesehen! Und auch schon ganz erwachsen! Kommt Helga bald nach Hause, Faktor?«
»Nicht sobald,« sagte der Faktor.
Und darauf kam der Rechtsanwalt mit einem großen Bündel Papiere herein und legte sie auf den Tisch.
»Ha, ha!« lachte der Rektor. »Eines reichen Mannes Kind bedarf einer sorgfältigen Taufe, wie es scheint!«
»Sie haben recht, Rektor, und es hat meinem Schreiber den ganzen Tag gekostet, den Kontrakt abzuschreiben, aber das war es nicht was mich so verzögerte – diese waren es.«
»Die Ringe!« riefen die älteren Damen, als der Rechtsanwalt ein kleines Plüschetui aus der Tasche zog.
»Ja, Sie werden sich erinnern, daß gestern morgen, als die Ringe bestellt werden sollten, Magnus nirgends zu finden war, und ich sie selber bestellen mußte. Gut, ich glaubte nun genügend eingehend in meiner Anweisung gewesen zu sein; wie Sie aber wissen, geht das Gerücht in der Stadt herum, daß es Oskar und nicht Magnus ist, der Thora heiraten wird – kein Mensch glaubt es anders – und was muß nun der Olaf, der Goldschmied doch wohl tun als »Oskar« in einen der Ringe hineingravieren!«
»Nicht möglich!« sagte Oskar und versuchte in das allgemeine Lachen einzustimmen.
»Ja, ganz gewiß, und da das Mißverständnis erst im letzten Moment entdeckt wurde, konnte ich nichts anderes mehr tun als, wie Sie sehen, den Namen »Oskar« auskratzen lassen – ihn durch »Magnus« zu ersetzen, war es indes zu spät.«
»Wo nur Magnus bleiben mag?« sagte der Gouverneur, unruhig ans Fenster tretend.
»Sorge dich nicht um Magnus, Stephen,« sagte Anna, »der wird meinem seligen Vater täglich ähnlicher, und wenn der versprochen hatte, zu einer bestimmten Stunde irgendwo zu sein, war er auf die Minute da und wenn es ihm auch ein paar Ponys hätte kosten sollen, zur Stelle zu gelangen.«
Die Domuhr schlug fünf, und wirklich, ehe der Schall des letzten Schlages erklungen war, trat Magnus in die Stube. Er sah vernachlässigt und fast unsauber in seiner Joppe und seinen hohen Stiefeln aus und war der einzige im Zimmer, der es nicht der Mühe wert gehalten hatte, sich für die Gelegenheit umzukleiden. Des Gouverneurs Antlitz verfinsterte sich bei seinem Anblick und der Faktor sagte gekränkten Tones:
»Nun laßt uns keine Zeit verlieren und ans Werk gehen, mich hat schon die ganze letzte halbe Stunde nach einer Pfeife verlangt.«
Der Rechtsanwalt öffnete sein Portfolio und die Versammelten scharten sich um den Tisch, als Tante Margret ausrief:
»Magnus, gibst du dies zu? Hier sitzt Oskar an Thoras Seite.«
»Laß ihn ruhig,« sagte Magnus, »dieser Platz ist gut genug für mich,« und er setzte sich neben seine Mutter auf einen niedrigen Stuhl.
»Nun also,« sagte der Faktor, »laßt den, der die beste Stimme hat, den Rundgesang beginnen.«
»Dann muß es der Rechtsanwalt sein,« sagte der Rektor, »denn jedes Rechtsanwalts Stimme ist silberrein, wenigstens gibt er sie dafür aus.«
Und dann öffnete der Rechtsanwalt unter allgemeinem Gelächter den Heiratskontrakt und begann ihn vorzulesen.