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Zwölftes Kapitel.

Der stolze Mann war gedemütigt. Zum ersten Male in seinem Leben war er in seinen eigenen Augen herabgesunken. Sein eigner Sohn hatte ein Verbrechen begangen – ein gemeines Verbrechen – und sich einer gemeinen Strafe ausgesetzt.

Im ersten Schmerz der Überraschung und Demütigung erschien es ihm das natürlichste, die ganze elende Sache zu vertuschen. Er war jedoch zu stolz, um stolz zu sein und begann im rechten Moment, mit seinem Gewissen zu rechnen. Bis dahin hatte er versucht, dem in Island herrschenden Recht gemäß zu leben, und so wollte er es bis ans Ende halten, koste es, was es wolle.

Oskar hatte gegen das Gesetz verstoßen und mußte die gerechte Strafe dafür erleiden. Es mochten acht Jahre Gefängnis sein, die in ihrer Folge alle seine Aussichten vernichten, alle seine Talente brach legen, sein ganzes Lebensglück vernichten würden. Er mußte sich ihnen aber unterziehen und sie bis auf die letzte Stunde, die letzte Strafe und die letzte Pein durchkosten.

Dies war des Gouverneurs Überzeugung als Richter, und wenn er als Vater anders dachte, so bestand der einzige Unterschied nur in den verschiedenen Empfindungsgraden. Sein Lieblingssohn – der Sohn, den er in vergangenen Tagen verzogen und verhätschelt – für dessen Zukunft er so viele Dinge geplant und vorbereitet hatte – hatte ein Verbrechen gegen das Land und gegen ihn selbst begangen und darauf gerechnet, daß seines Vaters Liebe und Stolz ihn unter allen Umständen vor den peinlichen Folgen seiner Handlungsweise bewahren würden, was immer an hartverdientem oder noch zu verdienendem Gelde es auch kosten und wie sehr es seinen Vater jener ränkeschmiedenden Rotte, die ihn seiner Stellung zu berauben suchte, preisgeben würde. Es war eigensüchtig, es war herzlos, es war schandbar, es war niederträchtig, und es verdiente doppelte Strafe.

Mit bittereren Gefühlen gegen seinen Sohn, als er sie bisher je gegen irgendein menschliches Wesen gehegt hatte, verbrachte der Gouverneur den Tag in quälendsten Grübeleien und saß bis zum späten Abend allein, mit keinem anderen Licht als dem, das von der matten Glut des offenen Ofens in seinem Zimmer ausging, als die Türe sich geräuschlos öffnete und Anna hereintrat. Sie sah aus, als ob sie geweint habe, wenngleich ihre Augen keine Tränen zeigten, und der Gouverneur machte sich Vorwürfe, daß ihm, während er alle trüben Folgen von dem Verbrechen seines Sohnes aufsummte, nicht einmal der Gedanke an seines Sohnes Mutter gekommen sei.

Anna selbst jedoch dachte ebensowenig an sich, sondern begann, am Ofen niederkauernd und ihn schürend, von Oskar zu sprechen.

»Endlich ist er eingeschlafen,« sagte sie, »und damit auf kurze Zeit wenigstens seiner Sorgen enthoben. Er ging heute abend in sein altes Schlafzimmer, Stephen, in das, in dem er als Knabe schlief – als Magnus und er noch Knaben waren. Ich habe, bis er einschlief, bei ihm gesessen, und die ganze Zeit lang hielt er ebenso wie früher, wenn er unartig gewesen war und du ihn ohne Abendbrot zu Bett schicktest, meine Hand. Er sieht jetzt wieder wie er selbst aus, armer Junge, und wenn du ihn da auf den Kissen liegen sehen könntest, würdest du denken, die alten Tage, wo du mit dem Licht hinaufzugehen pflegtest, um dich nach ihm umzusehen und ihm während er schlief die Tränen von seinem kleinen Gesicht zu wischen und ihm sein lockiges Haar zu streicheln, seien wiedergekehrt. Lieber Gott! Wie leicht er in jenen Tagen seinen Kummer abtun konnte, Stephen. Am nächsten Morgen hörte man ihn oben herumtollen und wie eine Lerche singen.«

»Eine seichte Natur, Anna,« sagte der Gouverneur, »eine seichte Natur, auf die nichts einen tiefen Eindruck macht.«

»O, aber dies wird es tun, Stephen, dies wird einen tiefen Eindruck auf ihn machen, und wenn dem armen Jungen nur noch eine Gelegenheit geboten würde, so würde er ein neues Leben und ernstlich zu arbeiten beginnen und alle deine Erwartungen erfüllen. Und dann denke nur – denke nur, Vater, wie entsetzlich es sein würde, wenn ein Bruder den andern vor die Gerichtsschranken ziehen müßte, entsetzlich für uns, meine ich. Wir würden beide Kinder verlieren, denn Oskar würde uns auf alle Fälle verloren gehen und Magnus je wieder ins Gesicht zu blicken, würde uns unmöglich sein.«

»Unsere Kinder haben stets im Krieg miteinander gelebt, Anna – stets – selbst in ihrer frühesten Kindheit.«

»Sag' das nicht, Stephen. Als sie klein waren, hatten sie einander innig lieb. Erst als sie heranwuchsen, wurden sie verschieden. Und dann sind auch andere zwischen sie getreten – eine andere wenigstens – und wer weiß, ob sie nicht die Ursache dieses ganzen Unglücks ist.«

»Hat Oskar das gesagt?« fragte der Gouverneur.

»Er würde gegen niemand etwas sagen,« erwiderte Anna. »So war er stets. Wenn jemand anderes ihn jedoch in Versuchung geführt haben sollte und er schwach war, und wenn unser Junge ins Gefängnis müßte, während sie –«

»Es gibt eine Schwäche, die zur Schlechtigkeit ausartet, Anna, die ihre Qualen und Strafen ertragen muß.«

»Ja, ich weiß wohl,« sagte Anna. »Ich erinnere mich, wie du vor langer Zeit, als jener Matrose in einem Anfall trunkner Wut seine Liebste tötete, dieselben Worte sagtest. Seine Mutter war Witwe und bat mich, ein gutes Wort bei dir für ihren Sohn einzulegen. Er sei ein guter Junge gewesen, sagte sie, und wenn er nicht betrunken wäre, täte er keinem Menschen etwas zuleide. Du schenktest ihm das Leben, und er wurde ins Gefängnis geschickt. Und o, wie die arme Frau mich küßte und an meinem Halse vor Freude weinte. Aber sie kam zu der Überzeugung, daß es für sie besser gewesen sein möchte, wenn ihr Junge, anstatt lebenslang eingekerkert zu bleiben, gestorben wäre. Sie konnte es nie vergessen, und als ihre älteste Tochter Hochzeit machte und ihr Haus voller Leute und jedermann vergnügt und heiter war, fiel er ihr plötzlich ein, und sie mußte hinauflaufen und sich ausweinen. Und an Winterabenden, wenn der Wind über die See heulte, und sie ihre kleinen Jungen zu Bett brachte, mußte sie immer an deren Bruder denken, wie der einsam in dem großen, braunen Hause um die Ecke herum auf einer Pritsche läge. Es würde weniger schrecklich gewesen sein, wenn er ganz fortgeschickt worden wäre, dachte sie. Und sie war doch nur eine arme Witwe, die an den heißen Quellen wusch.«

Der Nachtwind heulte über die See, und der Gouverneur, der, mit sich selber kämpfend, im Zimmer auf und nieder geschritten war, fühlte einen stechenden Schmerz in seiner ausgetrockneten Kehle.

Er stand mit auf dem Rücken verschränkten Händen einige Minuten am Fenster und blickte durch die dunkle Scheibe zu dem dahinsegelnden Mond hinauf und sagte darauf mit unverkennbarer, innerlicher Überwindung:

»Anna, wenn ich die Unterschrift anerkenne, wird uns nichts übrig bleiben – nichts als mein Gehalt. Selbst mein Gehalt ist fraglich, und wenn uns das entzogen wird, werden wir ohne einen Heller in der Welt sein.«

»Weshalb sollten wir uns darüber Gedanken machen, Stephen?« sagte Anna. »Wir hatten nichts als wir heirateten und waren doch sehr glücklich. Es ist wahr, wir waren damals jung, und jetzt sind wir alt; wenn Armut jedoch noch einmal unser Teil wird, werden wir sie besser zu tragen wissen. Und wenn uns nichts anderes bleibt, werden wir uns einander und unsere Jungen ebenfalls uns bleiben – unsere beiden Jungen – wo sie zu der Zeit auch immer sein mögen – und keiner von beiden wird uns, weil wir alles – alles was wir auf der Welt besaßen – dafür hingaben, sie geehrt und geachtet dastehen zu lassen, weniger lieben.«

Die Uhr des Domturmes schlug mit einem die ganze schlafende Stadt durchhallenden Klang zwölf, und der Gouverneur hielt mit seinem ruhelosen Auf- und Abschreiten inne.

»Es ist spät, Mutter,« sagte er heiserer Stimme, »laß uns zu Bette gehen.«

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