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Im Nordwesten Afrikas auf der Riesenzunge, die der Kontinent in den Atlantischen Ozean hinausstreckt, liegt Timbuktu, eine der berühmtesten Städte der Erde.
Im Vergleich zu Kairo oder Algier ist Timbuktu eine kleine Stadt, deren drei armselige Moscheen sich nicht mit den prächtigen Gotteshäusern messen können, die unter der französischen, türkischen oder englischen Herrschaft an der afrikanischen Küste des Mittelländischen Meeres ihre schlanken Minarette zum Himmel erheben. Kein einziges Gebäude fesselt die Blicke des Fremden; ein Gewirr von Ruinen graugelber Lehmhäuser mit platten Dächern und ohne Fenster zeigt überall Verfall und Mißwirtschaft. Kaum eine Karawanserei ladet baufällig, wie sie alle sind, den Wüstenwanderer zum Verweilen ein. Manche Straßen sind ganz verlassen und andere fußtief mit Flugsand bedeckt, den die Sahara herübersendet.
Timbuktu ist nicht so berühmt wie die funkelnden Juwelen in Asiens Krone: Jerusalem, Mekka, Benares und Lhasa, deren jede durch ihren Namen schon eine ganze Religion zusammenhält. Und doch hat die Stadt Timbuktu während ihres achthundertjährigen Bestehens stolze Namen getragen: die Große, die Gelehrte und die Geheimnisvolle! Zwar wallfahrten keine Pilger dorthin, um am Grabe eines Erlösers zu beten oder sich von einem Hohenpriester segnen zu lassen; keine Pyramiden und keine Marmortempel sind hier zu finden; kein Reichtum, keine üppige Vegetation macht die Stadt zu einem Vorhof des Paradieses. Und doch ist auch Timbuktu eine Stadt der Sehnsucht. Millionen Wanderer sehnen sich dorthin, und wer von ihr kommt, sehnt sich gar oft nach ihr zurück. Unzählige Karawanentreiber, die monatelang die endlose Sahara durchwandern, sehnen sich nach den Klängen der Zither, den harmonischen Flötenkonzerten und dem leichten Hinschweben der Tänzerinnen Timbuktus. Palmen und Mimosenbäume wachsen hier nur spärlich. Aber nach den Schrecken der Wüste erscheint diese verfallene Stadt mit ihren öden Gassen dennoch als ein paradiesischer Aufenthalt. Die Kaufleute, die so lange den Überfällen der Räuberhorden ausgesetzt waren, begrüßen Timbuktu als eine Erlösung und finden seine grauen Mauern begehrenswerter als die prächtigste aller Städte!
Der Vorzug Timbuktus ist also seine Lage und der dadurch bedingte Handel. Ein Blick auf die Karte zeigt, daß diese Stadt gleich einer Spinne in einem Netz von Handelsstraßen sitzt, die von den Küsten ausgehen und in Timbuktu zusammenlaufen. Sie kommen von Tripolis und Tunis, aus Algerien und Marokko, vom Senegal und von der Sierra Leone, von der Pfefferküste, der Elfenbeinküste, der Goldküste und der Sklavenküste und aus den Ländern am Meerbusen von Guinea, die Frankreich, England und Deutschland erobert haben. Sie kommen gleichfalls aus dem Innern der Sahara, wo wilde, kriegerische Nomadenstämme noch heute ihre Freiheit gegen fremde Eindringlinge zu verteidigen wissen.
In Timbuktu treffen Araber, Neger, Mohammedaner und Heiden, Sahara und Sudan, Wüste und fruchtbares Land zusammen. Es liegt auf der Schwelle der großen Wüste und an dem drittgrößten der Flüsse Afrikas. Der Niger ist hier vier Kilometer breit und an seiner Mündung wasserreicher als der Nil, doch nicht so mächtig wie der Kongo. Gleich dem Kongo macht der Niger einen Bogen nach Norden, als wolle er der Sahara Trotz bieten, aber die Wüste bleibt Siegerin, und der Fluß muß sich wieder nach Süden wenden. Und gerade da, wo der Kampf zwischen dem lebenspendenden Wasser und dem alles erstickenden Sand den Höhepunkt erreicht hat, liegt Timbuktu.
Von Norden her kommen die Waren auf Dromedaren, um in langen schmalen Booten mit Mattendächern oder da, wo der Fluß nicht befahrbar ist, durch Ochsen, Maulesel oder Träger weiterbefördert zu werden. Die Dromedare können das feuchte Klima am Niger, der besonders im Winter weit über seine Ufer tritt, nicht vertragen; sie werden daher durch die Sahara zurückgeführt. Sie fühlen sich nirgends wohler als in der Wüste, die der beständig wehende Nordostpassat ausdörrt; in manchen Gegenden der Sahara können Jahre vergehen, ohne daß ein Tropfen Regen fällt.
Und welch eigenartigen Klang hat der Name Timbuktu! Aus ihm klingt das Geheimnis und der Zauber der Sahara. Er erinnert an die größten Wüstengegenden der Erde, an die Einsamkeit langer Wege, an blutige Fehden und verräterische Hinterhalte, an das Läuten der Karawanenglocken und das Klirren der Steigbügel an den Pferden der prächtigen Beduinen. Zwischen den klingenden Vokalen dieses Namens glaubt man die trüben Wellen des Nigers rauschen zu hören. Er klingt wie ein Akkord auf den Saiten der Zither oder wie die Töne der Flöte zu den leichten Schritten der Tänzerinnen. Das weinerliche Bellen der Schakale und das Sausen des Wüstenwindes, das Brüllen der Dromedare vor den nördlichen Stadttoren und das Gepolter der Bootsleute mit Rudern und Stangen im Hafen drunten am Fluß glaubt man darin zu vernehmen.
Wer längere Zeit in Timbuktus Mauern rastet, erhält Kunde von allen Ländern, die rings um die Stadt herum liegen, und trifft mit Menschen aus allen diesen Ländern zusammen, mit Arabern, Sudanesen, Ägyptern und den zahlreichen Mischvölkern dieser Rassen. Sonderbare Gestalten sind darunter! Wie Bündel leichter Mäntel wandeln sie einher, mit Tüchern auf dem Kopf, die bis auf die Schultern herabhängen, Schleier vor dem unteren Teil des Gesichts, um Hals und Schulter ein Gehänge goldener oder roter Talismane aus Leder, Lanzen in den Händen. Das sind Tuaregs, auf die Timbuktus Einwohner sehr schlecht zu sprechen sind. »Hütet euch vor ihnen!« lautet ihre Warnung. »Sie wohnen im Nordosten der Sahara. Sie versprechen euch Gastfreundschaft in ihrem Lande und schneiden euch den Hals ab, wenn ihr hinkommt. Das Wort eines Tuareg gleicht dem Wasser, das man in den Sand gießt. Ja, sie haben Timbuktu gegründet, aber sie sind dennoch Diebe, Hyänen, von Gott verlassene Menschen.« –
Der Handel des jetzt französischen Timbuktu ist überaus bedeutend. Die Karawanen von der nördlichen Küste bringen Zeugstoffe, Waffen, Pulver, Papier, Werkzeuge, Kurzwaren, Zucker, Tee, Kaffee, Tabak und unzähliges andere. Wenn sie ihre Wanderung durch die Sahara antreten, gehen viele ihrer Kamele leer. Sie werden unterwegs mit Salzblöcken beladen, denn nach Salz ist in Timbuktu große Nachfrage. Auf der Rückreise nach Norden tragen die Dromedare Waren aus dem Sudan: Reis, Maniok, Honig, Nüsse, die Früchte des Affenbrotbaums, gedörrte Fische, Gold, Elfenbein, Straußenfedern, Gummi und Leder. Auch eine kleine Anzahl schwarzer Sklaven wird mitgeführt. Der Wert solch einer der jährlichen vierhundert Karawanenladungen beträgt oft eine halbe Million Mark und noch mehr, und fünf große Karawanenstraßen durchschneiden die Sahara in nordsüdlicher Richtung. Die größten Karawanen bestehen aus fünfhundert bis tausend Dromedaren und höchstens fünfhundert Mann. Aber auch die größte Karawane kann froh sein, wenn sie mit heiler Haut durch das Land der Tuareg kommt; im besten Fall erhält sie freien Durchzug nur gegen sehr hohen Zoll.