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In der halbdunkeln Stube eines Gutshofes in einem deutschen Dorf sitzt ein alter Mann mit seiner Frau in ernstem Gespräch.
»Es ist zu traurig,« sagt die Frau, »daß unser Fritz nun wieder anfängt, an Amerika zu denken.«
»Ja, er gibt nicht eher Ruhe,« antwortet der Mann, »bis wir ihm erlauben, zu reisen. Noch gestern erzählte er von einem Emigrantenfänger, der ihm goldene Berge versprochen hat, wenn er sich ein Billett für einen Dampfer der Bremer Linie nehme. Und dabei ist unser Hof schuldenfrei; aber Fritz meint, der könne ihn und seine Brüder doch nicht ernähren. Mit dir Vater, sagte er, war es etwas ganz anderes, aber wir sind, unserer drei, die sich in den Ertrag teilen sollen. Er meint, es sei eine aussichtslose Mühe, unsern magern Boden zu bebauen, während in Nordamerika grenzenlose Räume noch des ersten Pfluges warten und während man dort in jeder Fabrik so hohen Tagelohn erhalte, daß man sich in einigen Jahren ein kleines Vermögen erspart habe.«
»Ja, ja, ich weiß, die Vettern haben ihm mit ihren verlockenden Briefen diese Grillen in den Kopf gesetzt.«
»Und wer war es, der sie am meisten tadelte und sie an ihre Pflicht gegen das Vaterland erinnerte, als sie vor Jahr und Tag hinüberreisten? Kein anderer als Fritz. Und nun ist er genau wie sie und denkt nur noch an Amerika! Es schnitt mir ins Herz, als ich neulich wieder in der Zeitung las, daß noch immer Jahr für Jahr so und so viele tausend Männer, Frauen und Kinder die Heimat verlassen und nach Amerika auswandern. Was soll daraus werden? Wenn ich nur begreifen könnte, woher ihnen diese seltsame Sehnsucht nach einem so ungewissen Ziele kommt! Ich traure über jedes Auswandererschiff, das mit seiner kostbaren Last abgeht; es erinnert mich an einen Leichenzug. Eine Schar Pflüger und Erntearbeiter nach der andern verläßt damit unsere Felder, ein Trupp tüchtiger Arbeiter nach dem andern wird damit unsern Fabriken geraubt, und eine Kompanie Soldaten nach der andern entzieht sich der Verteidigung unseres Vaterlandes. Jeder einzelne dieser Dampfer bedeutet einen Kräfteverlust, eine Verringerung unseres Wohlstandes, ein Hemmnis unseres Fortschrittes und ist wie eine verlorene Schlacht.«
»Gibt es denn gar kein Mittel, sie hier festzuhalten?«
»Nein, unter den jetzigen Verhältnissen nicht. Viele Europäer haben nicht mehr Ausdauer genug bei ihrer Arbeit, und die Söhne finden es ganz einfach zu langweilig, in denselben Furchen weiterzupflügen, die ihre Väter schon gezogen haben. Wenn Fritz behauptet, auf unserm Hofe sei kein Platz für ihn, so sollte er daran denken, daß es auch in Europa gewaltige Räume gibt, die noch nicht urbar gemacht worden sind. All das Gerede von Raummangel und Übervölkerung des Reiches ist bloßes Geschwätz. Gewiß, manche wirkliche oder auch eingebildete Übelstände begünstigen die Auswanderung. Dem einen wird es schwer, sich dauernde Arbeit zu verschaffen, die ihm nicht jeden Augenblick gekündigt wird. Ein anderer leidet wirklich Not, seitdem die Fabrik, in der er arbeitete, den Betrieb eingestellt hat. Einem dritten scheinen die Steuern zu hoch, während viele andere wieder sich durch die Reise über das Meer ihrer Militärpflicht entziehen wollen. Am schlimmsten aber wirken die Locktöne von Freunden und Bekannten, die sich schon seit Jahren drüben im Westen aufhalten. Es mag ihnen dort hundeschlecht ergangen sein, sie mögen wie Sklaven haben arbeiten müssen, um nicht im Kampf ums Dasein unterzugehen, sie mögen noch immer Not leiden und allmählich zur Einsicht gekommen sein, in welche traurige Wirklichkeit sich ihre ehemaligen Träume von Glück und Reichtum gewandelt haben – und doch loben und preisen sie Amerika und die dortige Freiheit und machen gute Miene zum bösen Spiel! Daheim mäkelten sie an allem, schalten auf alles, verhöhnten die vaterländischen Farben und setzten ihre Heimat herab. Jetzt aber sind sie gehorsame Bürger der Vereinigten Staaten von Nordamerika und ziehen den Hut vor einer Flagge, die nicht die ihrige ist.«
»Nun wirst du aber ungerecht! Es hängen doch noch immer viele Auswanderer mit ihrer Heimat zusammen. Denke nur an die Millionen, die sie jährlich ihren Angehörigen nach Hause schicken.«
»Mag sein! Aber geschenktes Geld fördert nur den Leichtsinn. Gewiß, aus einigen Staaten Europas treiben auch religiöse und politische Gründe die Leute nach Amerika, und man kann es verstehen, wenn ihnen das Leben in der Heimat unerträglich wurde. Aber wenige bewahren ihren heimischen Volkscharakter, die meisten verschlingt jenes Menschenmeer jenseits des Ozeans vollständig. Aus dem bescheidenen Arbeiter Schmidt wird ein schäbig-eleganter Mr. Smith, der lieber englisch als deutsch spricht und das Sternenbanner auf dem Dach seines Hauses flattern läßt. Eine Schiffsladung solcher Abtrünniger nach der andern geht hinüber. Deutschland, England, Österreich, Italien und Rußland fühlen den Aderlaß nicht so sehr, aber die kleineren Staaten, wie z. B. Schweden, leiden dadurch empfindliche Verluste. Kannst du dir denken, daß in 90 Jahren 30 Millionen Menschen aus Europa nach den Vereinigten Staaten ausgewandert sind? Von Europa nach Amerika fließt ein ununterbrochener Menschenstrom Jahr für Jahr und Tag für Tag; täglich landen gegen 3000 Europäer in einem der amerikanischen Häfen, um sich in die neunundvierzig Staaten zu zerstreuen und Bestandteile jenes gewaltigen Staatskörpers zu werden. Eine größere Völkerwanderung kennt die Geschichte nicht! Als ob es daheim nicht Gelegenheit gäbe, seine Tüchtigkeit zu bewähren! Aber davon wollen die Jungen nichts wissen, sie denken nur an den einen Kampf um das Gold Amerikas.«
»Und in diesen Kampf soll auch unser Fritz ziehen? Willst du ihn wirklich reisen lassen?«
»Was soll ich tun? Er hat seinen freien Willen. Mag er mit dem großen Strome schwimmen.« –
»Ja, vielleicht ist es so am besten. Wenn das Heimweh ihn packt, wird er schon wiederkommen.«
»Unsinn, das tut er ganz gewiß nicht! Bei der Abreise heißt es immer so schön: Bald bin ich ein gemachter Mann und komme dann wieder nach Hause. Aber kaum ist ein Jahr vergangen, so sind alle Erinnerungen verblaßt, und die Entfernung von dem bescheidenen Elternhause vergrößert sich mit der Zeit immer mehr. Ich betraure ihn schon als einen Toten; zurückkommen wird er nie.«