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In ungestörter Ruhe lebte das Inkavolk in seinen schönen Tälern und auf seinen von der Sonne überfluteten Hochebenen zwischen den Kordilleren der Anden. Wenn hier und da kriegerische Nachbarstämme einmal den Frieden störten, ging das Aufgebot in Knotenschrift durch das ganze Reich, und die Heerstraßen füllten sich mit Bewaffneten. Von großen Gefahren aber ließen sich die Inkas nichts träumen. Seit mehreren Jahrhunderten war die Macht vom Vater auf den Sohn vererbt worden, und kein Nachbar war stark genug gewesen, der Hand des Inka das Szepter zu entwinden. Und nach Europa war nicht einmal das Echo solcher Namen wie Chimborasso und Cotopaxi gedrungen.
Da starb im 16. Jahrhundert ein großer Inka und hinterließ die Herrschaft seinen beiden Söhnen Huascar und Atahualpa. Wie in der alten Welt, führte auch hier diese Teilung zum Zwist und schließlich zum offenen Bruderkrieg. Diese innern Kämpfe teilten das Inkavolk in zwei feindliche Hälften und schwächten es so, daß es zur leichten Beute eines fremden Eroberers wurde. Bald genug sollte die letzte Stunde der Inkaherrschaft schlagen und eines der herrlichsten Reiche der Erde der Vernichtung anheimfallen.
Kaum war das Waffengerassel verhallt, seit der ritterliche Cortez an der Küste Mexikos seine Schiffe vernichtet, das Reich des Montezuma erobert und der Krone Kastiliens unterworfen hatte, als ein anderer Spanier, der grausame Pizarro, seine Blicke nach Süden warf, um neue Goldländer zu erobern. Mit einer Handvoll Abenteurer zog er ins Feld, sah aber bald ein, daß er ohne Unterstützung aus der Heimat nichts erreichen konnte. Kaiser Karl V. lauschte seinen Reden von unermeßlichen Goldschätzen und allen möglichen Herrlichkeiten, und im Jahre 1531 stand Pizarro an der Spitze einer aus hundertachtzig gutbewaffneten Reitern bestehenden Schar, mit der er aufs neue nach Südamerika aufbrach. Nach und nach erhielt er noch Verstärkungen, landete nun im November 1532 an der peruanischen Küste und zog in das Reich des Inka hinauf.
Pizarro war ein kluger Kopf, aber im Gegensatz zu Cortez eine niedrige Seele. Die notdürftigste Bildung und jede Spur von Rechtsgefühl fehlten ihm; er war nicht einmal imstande, seinen Namen zu schreiben, während Cortez, wie wir gesehen haben, in seinen Berichten an den König von Spanien selbst der ausgezeichnete Geschichtschreiber seiner Taten und Abenteuer geworden ist. Aber Pizarro war verschlagen und listig und verstand es, die Gunst des Augenblicks zu nutzen. Warum nur mußte Montezuma mit benachbarten Stämmen ringsum verfeindet sein, als Cortez ins Land kam und ihn seines Reiches beraubte! Und warum mußte Peru gerade in dem Jahre durch Bürgerkrieg zerrüttet sein, als Pizarro mit seiner schändlichen Rotte angezogen kam!
Durch Kundschafter und Gesandte war Pizarro bald genau über die Lage der Dinge unterrichtet. Mit den schönsten Versicherungen schläferte er den Argwohn des Atahualpa, des einen Inka, so völlig ein, daß dieser ihn sogar um Unterstützung gegen seinen Bruder Huascar bat. Wären die Brüder einig gewesen, so hätten sie mit Leichtigkeit die spanische Pest aus dem Lande gejagt. Ihr Zwist aber besiegelte beider Schicksal.
Man vereinbarte, daß Atahualpa sich in eigner Person im Lager des Pizarro einfinden sollte. Und er kam mit großem Pomp und brachte eine Armee von dreißigtausend Mann mit! Hochaufgerichtet saß er auf einer goldenen Tragbahre, und alle seine Feldherrn umgaben ihn. Aber wenn er glaubte, dadurch seinem neuen Verbündeten einen hohen Begriff von seiner Macht beizubringen, hatte er sich verrechnet. Auf ihn zu trat Pizarros Feldprediger, in der einen Hand das Kruzifix, in der andern das Brevier, und das Kruzifix erhebend, ermahnte der Pater im Namen Jesu den Inka, das Christentum anzunehmen und den König von Kastilien als seinen Herrn anzuerkennen.
Atahualpa antwortete ruhig, daß niemand ihn der Rechte berauben könne, die er von seinen Ahnen geerbt habe. Er wolle den Glauben seiner Väter nicht abschwören und verstehe nicht, was der Pater sage.
»Hier in diesem Buche steht es geschrieben!« rief der Priester aus, indem er dem König das Brevier hinreichte.
Atahualpa hielt das Buch ans Ohr und sagte dann, es auf den Boden werfend: »Euer Buch spricht ja nicht.«
Das war die Losung zu einem furchtbaren Blutbade. Die Kanonen und Musketen der Spanier pflügten rote Furchen in das Heer der Peruaner. Im Schutz ihrer stählernen Helme und Panzer rannten die wilden Reiterhaufen mit eingelegten Lanzen und gesenkten Hellebarden durch die Reihen der halbnackten Eingeborenen und verbreiteten Verwirrung und Schrecken um sich her. Was man mit Schwert, Spieß und Kugel erreichen konnte, wurde ohne Gnade und Barmherzigkeit abgeschlachtet. Viertausend Leichen und noch weit mehr Verwundete und Verblutende lagen auf der Walstatt. Das Heer der Eingeborenen wurde vollständig auseinandergesprengt und zerstreute sich in hoffnungsloser Flucht. Den König hatte man gefangen genommen, damit er als Geisel diene. Ungeheure Beute fiel dem Sieger in die Hände. Das Gerücht von dem Goldland im Süden war kein leeres Gerede gewesen. Offiziere und Mannschaft teilten sich in die Beute, und die Räuber dankten Gott für ihren Sieg!
Der gefangene Inka bat und flehte, man möge ihm seine Freiheit wiedergeben, und Pizarro versprach ihm auch, seine Bande zu lösen, aber unter einer Bedingung: Atahualpa solle ein mittelgroßes Gemach so hoch mit Gold füllen, wie er mit der Hand reichen könne. Der Gefangene ging auf den Handel ein. Boten durcheilten das Land, das ihm treu geblieben war, und von den Tempeln und Schlössern her strömten nun Gefäße, Schalen, Schmucksachen und Goldbarren herbei. In kurzer Zeit war das Zimmer mit Gold gefüllt und das Lösegeld erlegt. Aber Pizarro dachte nicht daran, sein Wort zu halten, sondern lachte höhnisch in seinen schwarzen Bart. Statt den König freizugeben, beschuldigte er ihn geheimer Umtriebe und ließ ihn zum Tode des Erdrosselns verurteilen! Diese verabscheuungswürdige Tat hat die spanische Eroberung für ewige Zeiten mit Schmach und Schande bedeckt.
Durch einen seiner Waffenbrüder namens Almagro erhielt Pizarro neue Verstärkungen, und er konnte nun mit einem fünfhundert Mann starken Heer durch das Hochland weiterziehen und sich nach der Hauptstadt Cuzco begeben, die er eroberte. Dabei entzweite er sich aber mit Almagro, und dieser ging nun auf eigene Hand auf die Suche nach Goldländern im Süden. Mit einer kleinen Schar zog er in die Gebirgsgegenden Bolivias hinauf und von da aus die Küste entlang südwärts bis in die Nähe des Aconcagua. Gold fand er auf diesem Zuge allerdings nicht, aber eine große Heldentat führte er aus, indem er seine Schar durch die Atacamawüste geleitete.
Unterdessen hatte Pizarro die Regierung des neueroberten Reiches an sich gerissen und in unmittelbarer Nähe der Küste die Stadt Lima gegründet, die auch lange die Residenz des spanischen Vizekönigs blieb. Noch jetzt ist Lima mit fast 150 000 Einwohnern die Hauptstadt von Peru. Es ist reich an Klöstern, Kirchen und Brunnen und besitzt eine prachtvolle Kathedrale. Die Hafenstadt Callao wurde vor hundertsechzig Jahren fast völlig durch eine Erdbebenwelle zerstört, die Häuser fortgespült und die Einwohner ertränkt. Jetzt aber hat Callao wieder gegen 50 000 Bewohner.
Die Grausamkeit Pizarros führte bald zum Aufruhr. Während man ihn selbst in Lima belagerte, wurden seine drei Brüder in Cuzco eingeschlossen. Zu eben der Zeit kam Almagro aus der Atacamawüste zurück, schlug die Peruaner, nahm Cuzco ein und machte die drei Brüder zu Gefangenen. Doch gelang es Pizarro, ihre Freigabe zu erwirken, und nun kam die Reihe an Almagro. Er fiel in die Hände des Eroberers und endete am Galgen. Einige Jahre später aber nahmen Almagros Freunde Rache an Pizarro. Unter dem Ruf: »Tod dem Elenden!« erstürmten Verschworene den Palast des Statthalters und drangen mit gezückten Schwertern in das Gemach, wo sich Pizarro mit einigen Freunden und Dienern befand. Die meisten sprangen aus den Fenstern; die übrigen wurden niedergemacht.
Pizarro selbst verteidigte sich wütend mit Schwert und Schild, und erst nachdem er vier seiner Gegner getötet hatte, stürzte er zu Boden, mit lauter Stimme nach einem Beichtvater rufend. Während er ein Kreuz auf den Boden zeichnete, stieß man ihm ein Schwert in die Kehle.
So endete dieses Scheusal in Menschengestalt. Seine Habe wurde so gründlich geplündert, daß der Rest nicht einmal zur Bezahlung der Begräbniskosten reichte. Ein treuer Diener begrub ihn in aller Stille.
Der von Pizarro so grausam ermordete Inka Atahualpa ist ein Sinnbild des blutenden Südamerika. Aufklärung und Christentum wollte man verbreiten und dem Welthandel neue Bahnen erschließen. In Wirklichkeit aber wurden die Kinder des Landes ins Verderben gelockt; sie füllten die Gemächer der Europäer mit Gold, und zum Dank dafür wurden sie zu Tode gehetzt! Zivilisation war nur das Aushängeschild, Habgier und Mordlust waren die eigentlichen Beweggründe. Wenn sie nur gesättigt werden – wer kümmert sich noch heute darum, ob die Nachkommen eines alten Kulturvolkes von der Erde verschwinden?