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30. »Die traurige Nacht.«

Zwei Tage nach Montezumas Tod war Cortez fertig zum Abmarsch. Hungersnot und Wassermangel hatten schon den höchsten Grad erreicht, und in den unaufhörlichen Kämpfen zur Verteidigung des Lagers wurden auch die spanischen Truppen allmählich aufgerieben. An einem Tage hatten sie achtzig Verwundete. Die Stunden waren zu zählen, wo das letzte Häuflein der Kämpfenden sich ergeben oder mit den Verwundeten von den Indianern niedergemacht werden mußte. Denn Gnade war von dem entfesselten Ingrimm und Blutdurst dieser Wilden nicht zu erwarten. Sie hatten schon einen Teil der spanischen Verschanzungen erstürmt und sogar die Kapelle erobert, die sich die Spanier in einem ehemaligen Götzentempel eingerichtet hatten, und von dem flachen Dach dieses Tempels aus beherrschten sie mit ihren sicher treffenden Wurfgeschossen fast das ganze Lager. Friedensanerbietungen und Vorschläge zum Rückzug wurden mit Hohn zurückgewiesen; sie sähen wohl ein, erklärten sie, wie viele von ihnen sterben müßten, aber ihr Entschluß sei unerschütterlich, gemeinsam in den Tod zu gehen, wenn sie nur die verhaßten Spanier zugleich vertilgen konnten. Cortez möge sich nur umschauen nach allen Straßen, Plätzen und Dächern, wie vollgepfropft sie noch immer von Menschen seien! Auch wenn 25 000 gefallene Indianer auf jeden einzelnen Toten der Spanier kämen, so werde es doch mit letzteren früher zu Ende gehen!

Hatten die Spanier unter ihrem heldenhaften Anführer bisher schon manches Wunder der Tapferkeit verrichtet, so gestaltete sich der Rückzug aus Mexiko zu einer der ruhmvollsten, aber auch furchtbarsten Kriegstaten, von denen die Geschichte weiß. Nur einen Ausweg gab es aus der Stadt, denn die Indianer hatten alle zum Lande führenden Dämme zerstört, bis auf einen, und dieser war noch durch zahlreiche Kanäle zerschnitten, über die jetzt keine Brücken mehr führten, denn die Feinde hatten sie abgerissen. Fahrzeuge besaß Cortez nicht, während ganze Schwärme von flinken Booten der Indianer die Seen ringsum bedeckten.

Nachdem Cortez das für den Kaiser Karl bestimmte Gold aus den Schätzen Montezumas der Obhut der treuesten Indianer anvertraut hatte, durfte sich jeder Soldat von den aufgehäuften Schätzen nehmen, was er fortschaffen zu können glaubte, und manch einer mußte der allzuschweren Last Goldes halber, die er sich aller Mahnungen des Befehlshabers ungeachtet aufgebürdet hatte und die ihn an der Führung der Waffen behinderte, sein Leben lassen.

So verließen die Spanier in der Nacht vom 1. Juli 1520 ihre Festung im Innern Mexikos, alle bis zum äußersten entschlossen, um sich aus der Umklammerung der Indianer herauszuhauen und wieder freies Land zu gewinnen. Cortez hatte vorher eine tragbare Brücke zimmern lassen, die auch über den ersten Kanal weg gute Dienste tat. Aber der Regen goß in Strömen herunter, auf den nassen, frischgezimmerten Balken glitten die Pferde aus, das Kriegsgeheul der Feinde, die den Damm besetzt hielten und erst niedergeritten oder in den See geworfen werden mußten, machte sie scheu, und sie kehrten sich gegen die Reihen der Spanier oder überschlugen sich in das Wasser. Auch die Brücke schlug um, und alles stürzte in den Kanal, der bald durch das ungeduldige Nachdrängen der Hintermänner, die in der finsteren Nacht nicht sahen, was an der Spitze des Zuges vor sich ging, völlig mit Menschen- und Pferdeleibern angefüllt war.

In wildem Siegesjubel eilten nun die Indianer in ihren Booten von beiden Seiten herbei, und ein verzweifeltes Ringen begann in dem schmalen Wasserarm, während die tiefe Finsternis und der strömende Regen kaum Freund und Feind unterscheiden ließen. Eingekeilt zwischen den Wasserläufen und den Wällen der feindlichen Scharen, drängten die kopflos gewordenen Spanier nur immer vorwärts und setzten blindlings über die lebendige Brücke im Kanal hinweg, um bald wieder auf einen offenen Wasserarm zu stoßen, der gleichfalls mit Menschen zugeschüttet werden mußte, und an dem die Eingeborenen in ihren Booten der neuen Opfer harrten. Jeder konnte nur noch auf die Rettung des eigenen Lebens bedacht sein, und wer nicht unter den Wurfgeschossen und Keulen der Indianer fiel, unter den Füßen der eigenen Genossen zertreten und zermalmt wurde oder in den von Blut gefärbten Fluten ertrank, wurde, wenn er sich schwimmend auf festes Land retten wollte, von den jubelnden Feinden gefangen und als willkommene Opfer für ihre Götzen, die so lange den Duft frischen Herzblutes entbehrt hatten, fortgeschleppt. Dem Anführer Cortez aber glückte es trotz alledem, mit fünf Reitern und hundert Fußsoldaten die Brückenöffnungen zu durchschwimmen und das Festland zu gewinnen.

Als endlich die Kanäle alle überwunden waren, sammelte Cortez die noch Lebenden und warf sie nach vorn. »Ich aber,« heißt es in seinem Bericht, »mit drei oder vier Reitern und etwa zwanzig Fußsoldaten, welche Mut genug hatten, bei mir zu bleiben, bildeten die Nachhut. Unter fortwährenden Kämpfen mit den Indianern gelangten wir an eine Stadt, die Tlacuba heißt und jenseits des Dammes liegt. Gott aber weiß, welche Mühe und Gefahr ich dabei ausgestanden. Jedesmal, wenn ich gegen die Feinde Front gemacht, kam ich bespickt mit Pfeilen und langen Wurfspießen und wohl gesteinigt wieder heraus. Da wir zu beiden Seiten Wasser hatten, verwundeten sie uns, selbst in Sicherheit und ohne Furcht. Die etwa ans Land kamen, sprangen, sobald wir uns gegen sie wandten, wieder ins Wasser, so daß sie nur geringen Schaden erlitten. Auch bei der Vorhut und auf den Flanken ward scharf gefochten; doch am heftigsten war es im Rücken, wo die ganze Bevölkerung der Hauptstadt gegen uns kam.

»In der Stadt Tlacuba angekommen, fand ich mein ganzes Volk auf einem Platze zusammengeknäuelt. Keiner wußte, wo aus noch ein. Ich befahl ihnen, vorläufig nur schleunigst auf freies Feld zu rücken, ehe sich die Indianer sammelten und die Häuser besetzten, von deren Dächern sie uns vielen Schaden zufügen konnten. Die Leute an der Vorhut aber wußten nicht, wo hinaus. Also ließ ich sie die Nachhut bilden und nahm selbst den Vortrab, bis ich ihn aus der Stadt herausgeführt hatte. Auf einem Acker machte ich halt und erwartete die übrigen. Ich kämpfte hier mit den Indianern, bis meine ganze Mannschaft vorübergezogen war und bis mein Fußvolk einen Hügel genommen hatte, wo ein Turm stand, den sie besetzten, ohne den mindesten Verlust zu erleiden. Denn ich wich nicht von der Stelle und ließ meine Gegner nicht vorwärts, bis jene den Hügel besetzt hatten.

»Gott aber weiß, welche Arbeit und Strapazen man hier erduldete. Unter den vierundzwanzig Pferden, die uns überhaupt noch übrig blieben, war keines mehr, das hätte laufen, noch ein Reiter, der den Arm hätte aufheben können, noch ein unverletzter, ganz dienstfähiger Fußsoldat. An dem Turme angekommen, befestigten wir uns daselbst. Die Feinde aber blockierten uns und hielten uns die ganze Nacht belagert, ohne uns eine Stunde ruhen zu lassen.«

Unter dem Namen der »traurigen Nacht« ist dieser furchtbare Rückzug auf die Tafeln der Geschichte mit blutigen Lettern eingeschrieben, für Kinder und Kindeskinder der späteren Einwanderer noch lange eine schreckensvolle Erinnerung! Von den 1300 Spaniern blieben in dieser einen Nacht 860 unter den Händen der blutgierigen Indianer, und sämtliche treu gebliebenen, eingeborenen Bundesgenossen und Begleiter des Cortez, darunter auch ein Sohn und zwei Töchter Montezumas, wurden niedergemacht! Alles Gold und alle Kleinodien und ebenso die Kanonen gingen verloren. Bei Popotla unter einem Zedernbaum, der noch heute gezeigt wird, hielt Cortez Heerschau über die Überbleibsel seiner stolzen Armee, die noch vor wenigen Tagen dem mächtigen Königreiche der Azteken Gesetze vorgeschrieben hatte.

Von Tlacuba zog Cortez unter der Führung eines treuen Tlascalaners nach Norden und gelangte am 7. Juli zu den beiden berühmten Pyramiden von Teotihuacan, der »Wohnung der Götter«, den ältesten Baudenkmälern Mexikos, die noch jetzt teilweise erhalten sind. Aber die Indianer blieben ihnen auf den Fersen, und am nächsten Tag, als Cortez bei der Stadt Otumba rastete, wurde er selbst durch zwei Steinwürfe schwer verwundet. Doch er hielt sich aufrecht und blieb nach wie vor an der Spitze seiner bedrängten Schar, die seit dem Auszug aus der Hauptstadt nichts gegessen hatte als gekochten oder gerösteten Mais in dürftigsten Rationen und allerlei Kräuter, die die Soldaten von den Felsen lasen.

Hinter Otumba stellte sich ein Indianerheer von 200 000 Mann den Ermatteten entgegen und schloß sie von allen Seiten ein. Jetzt verzweifelte Cortez selbst an der Möglichkeit einer Rettung, aber mit Todesverachtung vorwärtsdrängend ermutigte er seine erschöpften Leute mit dem stolzen Zuruf: »Heute ist noch nicht der Tag, an dem wir besiegt werden sollen!« Und im Augenblick der höchsten Not rettete ein kühner Handstreich eines seiner Hauptleute die Spanier vor dem gewissen Tode.

Der Ritter Juan Salamanca sah, während der Kampf ringsum wogte, mitten im Getümmel die feindliche Standarte ragen; schnell sammelte er einige Reiter um sich, durchbrach mit diesen die feindlichen Reihen, in unwiderstehlichem Ansturm alles zu Boden reitend, riß das Feldzeichen an sich und tötete den vornehmen Kaziken, der es trug. Diese Heldentat verbreitete ringsum Entsetzen unter den Indianerhorden, der Fall des Heerführers war das Zeichen zur Flucht, und so löste sich mit einem Male der lebendige Panzer, der das Häuflein des Cortez und seiner Mannschaft zu ersticken drohte.

Nachdem sie einige Tage unangefochten gerastet hatten, erreichten sie endlich die Provinz Tlascala, wo ihre indianischen Verbündeten ihnen in unerschütterter Treue an der Grenze entgegenkamen und sie bereitwilligst aufnahmen. Hier wurde Rast gemacht, die Verwundeten, vor allem Cortez, dessen Befinden sich sehr verschlimmert hatte, wurden gepflegt und geheilt, und mit den wiederkehrenden Kräften stand die tapfere Schar des Cortez bald wieder zu neuen Taten stark im Felde.


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