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Unser Auswanderer Fritz wird, aufgeregt von all den neuen Eindrücken, in dieser ersten Nacht so bald keinen Schlaf gefunden haben, und die Namen Hudson, Washington usw. werden ihm nicht schlecht im Kopf herumrumort haben. Vielleicht geht es meinen Lesern ebenso, und es wird ihnen daher willkommen sein, einiges über die wichtigsten Ereignisse in der Geschichte Nordamerikas zu hören. Aber statt trockne Geschichtsdaten aufzureihen, sei hier ein Märchen wiedererzählt, das der nordamerikanische Schriftsteller Washington Irving, der von 1783 bis 1859 lebte, in einem seiner vielverbreiteten Bücher aufgezeichnet hat. Es ist die Geschichte von dem guten Rip van Winkle, dessen Häuschen in seinem Wohnort noch heute gezeigt wird.
Da, wo die Catskillberge sich in dem schönen breiten »Rheinstrom Amerikas«, dem Hudson, spiegeln, liegt im grünen hügeligen Vorlande ein Dörfchen, das vor dreihundert Jahren noch von den ersten holländischen Ansiedlern gegründet wurde, die ebenso tapfer wie fleißig waren. Im Jahre 1602 hatte man die Holländisch-Ostindische Kompanie gegründet, eine Handelsgesellschaft, die, durch weitgehende Privilegien begünstigt, den Handel mit den schon gewonnenen oder neu zu erobernden Kolonien betreiben sollte. Im Dienste dieser Kompanie hatte der englische Seefahrer Henry Hudson im Jahre 1610 den nach ihm benannten Strom entdeckt, und wenige Jahre später waren die holländischen Kaufleute von Süden her in diese neuen Gebiete vorgedrungen. Sie kauften den Indianern große Landstrecken zu Spottpreisen ab und bauten sich an den Ufern des Hudson ihre Niederlassungen.
Von jener Zeit standen noch im neunzehnten Jahrhundert etliche alte Häuschen mit spitzen Giebeln und schmalen Gitterfenstern, vom Winde arg zerzaust, deren gelbe Ziegel man ehemals von Holland mit herübergebracht hatte, als eine liebe Erinnerung an die ferne Heimat. Seit 1664 war dann das Land weit und breit eine englische Provinz geworden, und die Nachkommen der wackeren Holländer waren wohl oder übel englische Untertanen. Die englische Luft war aber den biederen Ziegelhäuschen entschieden ungünstig; sie ließen die Köpfe hängen, die spitzen Giebel sanken allmählich ein, und die schönen gelben Ziegel waren von der Witterung zerborsten und schwarz geworden.
In solch einem holländischen Häuschen, das allerdings noch zerfallener war als seine Nachbarn, wohnte etwa um 1770 eine gutmütige Haut, Rip van Winkle, ein Nachkomme der unerschrockenen Van Winkles, die einst unter Peter Stuyvesant das Land ringsum kolonisierten. Der gute Rip aber hatte mit dem Häuschen weder den Mut noch den Fleiß seiner Vorfahren geerbt; im Gegenteil, er war von Haus aus ein Erzfaulenzer, im übrigen aber ein gutmütiger Schelm und ein arger Pantoffelheld. Seine Frau führte ein sehr strenges Regiment; aber selbst sie setzte es nicht durch, daß ihr Mann auch nur die nötigste Arbeit auf seiner Farm verrichtete. Er hatte auch entschieden Pech, der arme Rip: gewiß wuchs nirgends in der Welt so viel Unkraut, als auf seinen Feldern; immer war es sein Vieh, das sich in den Hügeln und Schluchten verlief, und seine Ställe und Schuppen, die Rip mühsam errichtete, zeigten stets die entschiedenste Neigung, wieder einzustürzen. Hatte er wirklich einmal Lust zur Arbeit, so regnete es todsicher oder es kam irgend etwas anderes dazwischen. Wer konnte es ihm da verdenken, daß er schließlich alles gehen und stehen ließ, wie es eben wollte!
Dafür aber war er in seiner Gutmütigkeit gern jedermann behilflich, der ihn um einen Dienst ansprach. Den Kindern verfertigte er mit Vorliebe Spielzeug oder erzählte er Geschichten; alle Dorfhunde waren seine Freunde und wedelten mit den Schwänzen, wenn sie ihn erblickten. Nur in zwei Liebhabereien zeigte Rip eine lobenswerte Ausdauer: er konnte stundenlang unermüdlich mit der Angelrute am Bache sitzen oder mit der Flinte wilde Tauben jagen, ganz unbekümmert, ob seine Kugel traf oder nicht.
Seine Kinder waren ebenso verwahrlost, wie er selbst. Sein Sohn und genaues Ebenbild trottete in einer abgelegten Hose des Vaters stets hinter der scheltenden Mutter her, just so gutmütig, dickfellig und faul wie sein würdiger Vater. Und auch der vierbeinige Hausgenosse, der Hund Wolf, paßte vollkommen zu seinem Herrn. Das war Rips bester Kamerad; auch der Hund konnte stundenlang in der Sonne liegen, der Angelrute zuschauen und den dahinfliegenden Tauben nachkläffen. Vor dem gewaltigen Strom überzeugender Beredsamkeit aber, den die Hausfrau auch über sein gesenktes Haupt niederprasseln ließ, klemmte er den stolzen Schwanz zwischen die Hinterbeine, und bei der geringsten Bewegung der Gebieterin nach einem Besenstiel oder Kochlöffel pflegte er in stürmischer Hast durch Tür oder Fenster das Weite zu suchen.
Das waren nun schlimme Zeiten für den armen Rip und seinen Hund, und mit der steigenden Virtuosität der holden Gattin in Gardinenpredigten wurde dieser Zustand immer unbehaglicher. Umsonst flüchtete Rip van Winkle zu seinen Zechkumpanen, die sich alle Nachmittage in dem einzigen kleinen Wirtshaus des Dorfes zu versammeln pflegten. Auch diese Kneipe war ein altes holländisches, niedriges Häuschen; es führte im Schilde ein mit prächtigem Rot gemaltes Porträt des Königs Georg III., der seit 1760 über England und also auch über die englische Kolonie Nordamerika herrschte. Im Schatten einer breitästigen Linde saßen hier die Weisen des Dorfes um den Wirt und Senior, den dicken Nicholas Vedder, geschart und politisierten eifrig über Staatsereignisse, die schon vor mehreren Monaten stattgefunden hatten und ihnen aus einer längst veralteten Zeitung von dem würdigen Lehrer Derrick van Bummel vorgelesen wurden. Das war eine behagliche, friedliche und kluge Versammlung ehrbarer Bürger, die sich bei den Tabakswolken aus Nicholas Vedders großer Pfeife ihrer Bedeutung und Wichtigkeit wohl bewußt war! Und Rip van Winkle paßte so gut wie nur einer in diesen illustren Kreis! Aber Frauen verstehen davon eben nichts, und so wurde der arme Rip durch die Überfälle und die heftigen Schmähreden seines zänkischen Weibes schließlich auch aus diesem Asyl vertrieben.
»Wir führen ein Hundeleben!« klagte Rip wehmütig seinem Freunde Wolf. Der blickte seinen Herrn mitleidig an und wedelte verständnisvoll mit dem Schwanze.
In solch melancholischer Stimmung trotteten die beiden einst an einem schönen Herbsttage den Catskillbergen zu, um dem wenn auch nicht gerade einträglichen Geschäft der Eichhörnchenjagd obzuliegen. So war man doch für einen ganzen Tag vor der Zungenfertigkeit und Handgreiflichkeit der temperamentvollen Hausfrau sicher.
Als es Abend wurde, warf sich Rip van Winkle an der Kante eines hohen Berges müde ins Gras und blickte schläfrig in eine tiefe Schlucht hinab, die mit wildem Steingeröll angefüllt war. Nach der anderen Seite zu übersah man das weite Waldland bis zum silberglänzenden, breiten Hudson.
Mit manchem tiefen Seufzer gedachte nun Rip der notwendigen Heimkehr zu seiner Frau und ihres durch seine lange Abwesenheit stark aufgestauten Redestroms. Da hörte er plötzlich seinen Namen rufen, ohne daß er einen Menschen in der Nähe entdeckte. Er lauschte erstaunt, und wieder schallte es:
»Rip van Winkle! Rip van Winkle!«
Auch der Hund hatte den Ruf gehört; er drängte sich mit gesträubtem Haar dicht an seinen Herrn heran und blickte verstört in die Schlucht hinunter.
Da kam eine merkwürdige Gestalt, unter einer schweren Bürde keuchend, die Felsen heraufgeklettert. Hilfsbereit, wie Rip nun einmal war, eilte er dem Fremden entgegen, dessen Äußeres ihn bei näherem Anschauen nicht wenig verblüffte; denn der Herankommende sah aus, als sei er aus dem Rahmen eines holländischen Bildes herausgeschnitten, das drunten bei dem Dorfpatriarchen und Wirt in der Zechstube hing: ein kurzer, breit gebauter Bursche mit großem Knebelbart, in ein altertümliches Tuchwams und weite Hosen gekleidet, die um die Knie mit Bändern zusammengehalten wurden. Auf der Schulter aber schleppte er ein stattliches Fäßchen Branntwein, zu dessen Heraufschaffung er nun Rips Hilfe durch Zeichen begehrte.
Rip ließ sich nicht lange bitten. Erst ging es den Berg hinauf und dann in eine andere Schlucht hinab, die Rip nie zuvor gesehen hatte, obgleich er sich in dieser Gegend vortrefflich auskannte. Wie ferner Donner scholl es von da unten herauf!
Schweigend und keuchend erreichten die beiden die Sohle der Schlucht, und Rip sah sich hier auf einmal einer ganzen Gesellschaft von alten Herren mit seltsam starren Gesichtern gegenüber, die sich, ohne ein Wort zu sprechen, mit Kegelspiel beschäftigten und den Ankömmling mit so unheimlich ernsten Augen anblickten, daß unserm Rip jedes Wort im Munde gefror. Sie alle trugen die alte holländische Tracht, genau so wie Rips Begleiter, und schoben, ohne eine Miene zu verziehen, Kegel, daß das Poltern der schweren Steinkugeln wie dumpfer Donner an den Felswänden entlangrollte. Rip wurde durch Zeichen bedeutet, den mitgebrachten Branntwein in bereitstehende Krüge zu füllen und herumzureichen. Jeder der alten Herren nahm einen tiefen Zug und kehrte dann wieder schweigend wie zuvor zum Kegelspiel zurück.
Rip bediente die stumme Gesellschaft und schaute dem Spiel zu, konnte sich aber natürlich zwischendurch nicht enthalten, dann und wann heimlich an dem Schenkkrug zu nippen, denn dieser enthielt den trefflichsten Wacholderschnaps, den er je getrunken hatte. Nach und nach wurde ihm von dem Wein etwas wirbelig im Kopfe, und schließlich mußte er sich mit dem geleerten Krug ins Gras niederlassen, wo er bald in einen tiefen Schlaf versank. – –
Die Sonne stand schon längst hoch am Himmel, als Rip erwachte und sich auf die sonderbare Kegelgesellschaft und den famosen Wacholderschnaps von gestern abend besann. Nun war es aber die höchste Zeit, nach Hause aufzubrechen! Brrr! Wie seine Frau schelten würde! Rip duckte schon jetzt schuldbewußt die breiten Schultern und pfiff resigniert seinem Hunde, während er die lahmen Glieder reckte. Aber von Wolf war nichts zu sehen, und statt des blanken Gewehrs, mit dem Rip gestern auf die Eichhörnchenjagd gezogen war, lag eine alte, verrostete Vogelflinte neben ihm! »Sollten es die Alten auf deine Flinte und deinen Hund abgesehen haben?« dachte er kopfschüttelnd und suchte ringsum vergebens nach der schweigsamen Gesellschaft, von der nicht die geringste Spur zu entdecken war.
Auch die Gegend schien ihm heute merkwürdig anders: da, wo gestern abend die Kugeln entlangrollten, stürzte jetzt ein wildes Bergwasser zu Tal! Rip zerbrach sich lange den Kopf über diese merkwürdige Veränderung! Solch eine Wirkung des Branntweins war ihm noch nie vorgekommen!
Von Hunger getrieben trollte er schließlich seinem Dorfe zu. Hier wartete seiner eine neue Überraschung: er, der doch sonst die Nachbarn auf Meilen im Umkreis kannte, begegnete heute lauter fremden Gesichtern! Unbekannte Hunde bellten ihn an, und die Kinder liefen hinter ihm drein, lauter fremde Kinder, die lachend und johlend mit den Fingern auf sein Gesicht wiesen. Da griff Rip an sein Kinn und bemerkte erst jetzt, daß ihm in dieser merkwürdigen Nacht ein langer grauer Bart gewachsen war, der ihm bis auf die Brust reichte.
Sein Staunen aber ging in Schrecken über, als er auch sein Heimatdorf völlig verändert fand; weder Straßen noch Häuser erkannte er wieder! Wo waren die alten, zusammengesunkenen Hütten geblieben, in denen Freunde und Nachbarn wohnten? Das waren ja lauter fremde, neue Gebäude! Nur sein eigenes Häuschen stand noch auf der alten Stelle, aber öder und verwahrloster als je, und er hatte es doch gestern erst wohnlich und traulich verlassen! Und leer war es auch, ganz leer! So zaghaft er auch nach seiner Frau rief, so entsetzt er die Namen der Kinder nannte – es kam keine Antwort. So verlassen und zerfallen war sein Heim, als wäre es lange unbewohnt gewesen.
Ein Grauen schüttelte ihn und trieb ihn nach dem Dorfwirtshaus; seine treuen Kumpane dort im Schatten der Linde würden ihm gewiß über die plötzliche Veränderung in einer Nacht Auskunft geben können. Aber o weh! Statt der alten gemütlichen Dorfschenke erhob sich am selben Platze ein merkwürdiges hölzernes Gebäude mit großen Fenstern und einem mächtigen Schild über der Haustür: »Unionshotel von Jonathan Thuwenig.« Die schöne alte Linde, die ehemals hier gestanden hatte, war umgehauen, und ein dürrer Pfahl trug an seiner Spitze eine Fahne mit den wunderlichsten Sternen und Streifen. Und was war aus dem guten König Georg von England auf dem alten Porträt am Giebel geworden! Er trug einen dreieckigen Hut, sein roter Rock war blau übermalt und darunter stand mit großen Buchstaben: »General Washington.« Was das nur zu bedeuten hatte!
Unter der Menge müßiger Leute, die sich vor dem Wirtshaus herumtrieben, sah Rip wiederum kein einziges bekanntes Gesicht. Und auch die wohlbekannte gemächliche Art der Dorfbewohner schien ihm verändert: sie redeten laut und ungestüm und stritten wild miteinander. Ein junger grober Kerl hielt sogar eine heftige Rede und sprach von Bürgerrechten und Freiheit, von Kongreßmitgliedern und den Helden von 76 und von allerlei solchem Unsinn, wovon Rip keine Silbe verstand!
Dem armen Rip wurde himmelangst, als ihn alle diese fremden Leute neugierig und höhnisch anstarrten. Furchtsam wich er zurück, als jetzt drei dieser Männer mit schnurrigen dreieckigen Hüten auf ihn zukamen und ihn anschrien, ob er Demokrat oder Föderalist sei, und daß er sich sofort zu entscheiden habe, in welcher Partei er wählen wolle.
»Ach, meine Herren,« sagte Rip kläglich, »ich bin ein armer, ruhiger Mann, aus dem Orte hier gebürtig und ein treuer Untertan des Königs! Gott segne ihn!«
Ein allgemeines Geschrei erhob sich, alle drängten jetzt auf ihn ein. »Ein Tory!« hieß es, »ein Spion! Nieder mit ihm!«
Einer der Männer nahm ihn streng vor und fragte, was er hier wolle.
Er wolle seine Freunde aufsuchen, erwiderte Rip, und mit klopfendem Herzen fragte er nach dem alten Nicholas Vedder.
»Der ist seit achtzehn Jahren tot!« lautete die Antwort.
Rips Haare sträubten sich vor Entsetzen empor. »Und Brom Dutcher?« fragte er.
»Der zog in den Krieg und kam bei einem Sturm um.«
»O Gott! Aber van Bummel, der Schulmeister?«
»War auch mit im Krieg und sitzt jetzt im Kongreß der Vereinigten Staaten von Nordamerika.«
Diese Antwort verwirrte den armen Rip nur noch mehr, und voller Verzweiflung rief er: »Ja, kennt denn niemand den armen Rip van Winkle mehr?«
»O ja,« schallte es lachend von allen Seiten, »da steht er ja am Baum!«
Rip drehte sich um und glaubte vor Schreck in den Boden zu versinken: da stand, behaglich an den Baum gelehnt, sein getreues Ebenbild, so wie er gestern auf den Berg gegangen war, ebenso träge, ebenso zerlumpt und ebenso gutmütig dreinschauend, sein eigener hoffnungsvoller Sprößling!
Wer er denn selber wäre, fragte ihn der barsche Mann und rüttelte ihn aus seiner starren Verwunderung.
»Gott weiß es!« erwiderte Rip zitternd, »der dort bin ich – nein bin ich gewesen, als ich gestern abend auf dem Berge einschlief! Aber heute? Wie soll ich das wissen?«
Die Umstehenden sahen sich bedeutungsvoll an und tippten mit den Fingern gegen ihre Stirnen; dann bildeten sie einen festen Kreis um ihn und beobachteten mit Neugier jede seiner Bewegungen.
Da drängte sich ein hübsches junges Weib durch die Menge, das Rip bekannt vorkam. Scheu fragte er sie nach dem Namen ihres Vaters.
»Das war Rip van Winkle! Der arme Mann ist seit zwanzig Jahren verschwunden, sein Hund kam ohne ihn heim, und wir wissen nicht, ob er sich erschossen hat oder von den Indianern fortgeführt worden ist.«
»Hm!« erwiderte Rip gedankenvoll. »Und wo ist Eure Mutter, liebe Frau?«
»Die ist auch gestorben, es ist noch nicht lange her!«
Da tat Rip van Winkle einen tiefen Atemzug, richtete sich stolz auf und sagte: »Ich bin dein Vater! Es wird mich doch noch irgend jemand hier wiedererkennen!«
Und richtig, da kam ein altes Mütterchen angehumpelt, das ihn wiedererkannte und nach zwanzig Jahren willkommen hieß. Wo er denn nur so lange gesteckt habe?
Nun erzählte der arme Schelm seine kurze Geschichte. Alle hörten ihm kopfschüttelnd zu und wußten nicht recht, was sie davon zu halten hatten. Bis dann schließlich Peter Vanderdonk herbeigeholt wurde, der in Rip einen alten Kameraden wiedererkannte und seine wunderliche Erzählung bestätigte; denn sein Großvater habe oft versichert, daß es in den Catskillbergen nicht geheuer sei und daß der große Hendrik Hudson, der Entdecker des Flusses und Landes, von Zeit zu Zeit mit seiner holländischen Schiffsmannschaft in einer der Schluchten Kegel schöbe. Auch sein Vater habe ihn gesehen, und man könne an schönen Sommertagen das Rollen der schweren Kugeln bis hierhin hören.
Das mußte denn wohl so wahr sein und der Wacholderschnaps, den Rip so unvorsichtig gekostet hatte, die furchtbare Wirkung gehabt haben, daß er zwanzig Jahre lang geschlafen! Nun gut! Des strengen Hausregiments war Rip dadurch wenigstens enthoben, und er gab sich bald damit zufrieden, als er nun im geordneten Hauswesen seiner Tochter und seines Schwiegersohnes der wohlverdienten Ruhe pflegen durfte, ohne vor den Strafreden seiner Frau zittern zu müssen.
Sein liebster Aufenthalt blieb aber auch jetzt die Stätte des alten Dorfwirtshauses, das »Unionshotel« des Herrn Thuwenig. War auch die alte Linde gefällt und waren die treuen Genossen von ehedem tot oder weit entfernt, so hatte Rip als alter erfahrener Politiker doch das Recht, ein Wort mitzureden und sich dabei in die Neugestaltung der vaterländischen Dinge einweihen zu lassen.
Da war denn endlos viel zu erzählen und zu besprechen: wie England nicht zufrieden damit gewesen sei, von seinen Kolonien hohe Steuern zu verlangen, sondern schließlich auf alle Gebrauchsartikel, besonders auf den Tee, einen hohen Einfuhrzoll gelegt habe. Da sei es denn 1773 zum Aufstand gegen das habgierige Mutterland gekommen, und die dreizehn Kolonien Englands in Nordamerika hätten sich 1774 zum Kontinentalkongreß zusammengeschlossen. Die wackeren Kolonisten bildeten Landmilizen und fochten tapfer für ihre Selbständigkeit gegen die Söldnertruppen, die England aus aller Herren Länder für bares Geld zusammengekauft hatte. Der Kongreß ernannte den General Washington zum Oberfeldherrn und unterzeichnete am 4. Juli 1776 nach vielen siegreichen Gefechten die Unabhängigkeitserklärung.
England rüstete nun eine große Flotte unter dem Befehl des Admirals Howe und ein Landheer von 55 000 Mann unter dessen Bruder. Anfangs unterlagen die Milizen den geschulten Truppen; aber der deutsche General von Steuben, den Washington zum Generalinspektor der Armee ernannte, organisierte die amerikanischen Truppen so vortrefflich, daß in der Schlacht bei Saratoga am 17. Oktober 1777 das englische Heer geschlagen und zur Kapitulation gezwungen wurde. 6000 Briten wurden zu Gefangenen gemacht. Frankreich und Spanien stellten sich nun auf die Seite der Vereinigten Staaten und erklärten England den Krieg, während Holland mit Schweden, Dänemark und Rußland ein Neutralitätsbündnis abschloß.
Nach zahlreichen blutigen Gefechten des jungen Freistaates mit dem mächtigen Mutterlande wurde endlich am 3. September 1783 zu Versailles der Friede geschlossen und die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten von Nordamerika anerkannt. Vier Jahre später erhielten diese Staaten eine gemeinsame Verfassung, und George Washington wurde einstimmig zum ersten Präsidenten der jungen Republik gewählt.
Das alles hatte sich in den zwanzig Jahren begeben, die Rip van Winkle verschlafen hatte, und ihr braucht euch nur dieses Märchens zu erinnern, dann fallen euch ganz von selbst die wichtigsten Begebenheiten der Geschichte Nordamerikas ein, so daß ihr sie nie wieder vergessen könnt.