Jakob Christoph Heer
Laubgewind
Jakob Christoph Heer

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9

Der »Gläserne Himmel« lag an der Grenze der Altstadt. Er reckte eine große rote Laterne auf die Straße und sah mit den lichtdicht verschlossenen Fenstern wenig einladend aus. Als Hilde gegen neun Uhr unter der Führung Glürs die Künstlerkneipe erreichte, zögerte sie einen Herzschlag lang, einzutreten. Um so freundlicher mutete sie das Innere an. Gedämpftes grünes Licht durchflutete den Raum, seine Ecken und Winkel. Altes gutes Bauerngerät, Schnitzwerk und Zinngeschirr gaben ihm die Stimmung, vor allem die Bilder an den Wänden, Andenken und Stiftungen von Künstlern, die im »Gläsernen Himmel« verkehrt hatten oder noch verkehrten, Selbstporträts und Selbstkarikaturen und neben manchem, was in übermütiger Laune entstanden war und die Spuren der raschen Stunde trug, kleine Gemälde von wirklichem Kunstwert.

»Hier ein Dombaly«, bemerkte Glür.

Ein fein und duftig gezeichneter weiblicher Pierrot, der sich im Tanze die Maske vom Gesicht genommen hat und sie in der erhobenen Rechten schwingt. Das war das Bild, dessen Datum auf den letzten Fasching wies. An wen erinnerten Hilde die Züge des jungen Wesens? Irgendwo hatte sie das Urbild des schönen Pierrot schon gesehen. Richtig – das war die verliebte Mizzi von der Menterschwaige!

Allmählich füllte sich die Kneipe mit Gästen, Herren und Damen, merkwürdigem Volk aus der Künstler- und Studentenschaft. Und Kathi Kreuzer, die Wirtin, kam herbei, eine stattliche Oberbayerin, die gegen die Vierzig ging, einmal sehr hübsch gewesen sein mochte und noch jetzt durch die frische Urwüchsigkeit ihrer Erscheinung gefiel.

»Guten Abend, Glürle – hast ja gute Gesellschaft«, lachte sie dem Studenten zu, gab ihm eine Patschhand und ließ mit ein paar Bemerkungen ihren derben Humor spielen. Dabei maßen ihre klugen, in rascher Menschenabschätzung erfahrenen Augen die Gestalt Hildes mit wohlwollender Neugier. »Geh, eine Landsmännin von Glür bist! Da schau dir München fein an!« scherzte sie, gewohnt, ihre Gäste alle mit du anzusprechen; als aber der Student Kathi erzählte, daß seine Gefährtin die Stadt bereits aus längerem Aufenthalt kenne, gab sie Hilde einen bedenklichen Blick. »Und du gehst dennoch mit diesem da!« schien ihr Auge zu sagen und verlor den warmen Strahl. Rasch glitt ihr frisches Plaudern zu anderen Gästen hinüber.

Hilde konnte sich des Eindruckes nicht entschlagen, daß sie neben Glür an einer ihr nicht angemessenen Stelle sei. Wohl kannten ihn viele Gäste, in deren Grüßen aber lag nichts von Freude oder Wertschätzung, nur die gewohnheitsmäßige Höflichkeit, vermischt mit einer leisen Verwunderung über ihre Gesellschaft. Er selber bemühte sich auffällig um sie, doch ging ihre gegenseitige Unterhaltung obenhin. Um so stärker ließ sich Hilde von dem frohen Leben fesseln, das sie umgab.

Wie viele Rasseköpfe, jüngere, ältere, hübsche, häßliche, frische und verlebte! Jeder besaß sein geistiges Sondergepräge, und manche trugen den Ausdruck des Genialischen auch noch in der Haartracht oder im Kleid. Dort war sogar einer, der sein Haar wie ein Mädchen lang über die Schultern fließen ließ. Mit wenigen Ausnahmen war wohl jeder ein werdender Maler, Bildhauer, Musiker oder Dichter, und um die gesamte Gesellschaft schwebte der Hauch der gärenden, ringenden, schaffenden Intelligenz. Gaben sich die einen lachend und scherzend der Feierabendstunde hin, saßen andere wie von der Welt abwesend und wurden auch in der Kneipe ihrer schweren Gedankenarbeit nicht los. Junge Dichter schrieben ihre Reime, Musiker ihre Noten auf die Manschetten oder in Taschenbücher, und Künstler zeichneten mitten im Gedränge und qualmenden Zigarettenrauch, was an Nachbarn gerade ihre Aufmerksamkeit erregte.

Auf einer Bühne spielte der Musikervirtuose des »Gläsernen Himmels«, ein ergrauter Lockenkopf mit lyrisch weichen Zügen, das Harmonium, und die getragenen Klänge eines Kirchenliedes schwollen seltsam genug durch die Kneipe dahin. Doch ging das Leben in der Gesellschaft schwatzend weiter.

Glür wollte Hilde mit mancherlei Anekdoten über seine Bekannten unterhalten, sie zog es aber vor, der Musik zu lauschen und sich stillen Menschenstudien hinzugeben.

Mehr noch als die Männer reizten die Damen, von denen diese begleitet waren, ihre Aufmerksamkeit. Schicker Luxus und armselig um den Leib drapierte Fähnchen, lachende Lebensfreude und nur schlecht verhülltes Darben, künstlerische Feinheit und genialische Verlotterung, seelischer Hochflug und unbewußte Gemeinheit spielten in merkwürdigen Gegensätzen durch die Gesellschaft, und doch war sie unter sich verbunden durch die Vertrautheit aller mit dem künstlerischen Ringen und Kämpfen. Oft aber war es auch einer gesteigerten Einbildungskraft nicht möglich, zu erraten, was den einen oder anderen der jungen Männer mit seiner Begleiterin verband. Freundschaft, Liebe oder gemeinsame Not? – Wie kam jenes ungleiche Paar zusammen, er ein jugendlicher Apoll, sie ein plumpes Geschöpf, das an äußeren Reizen nichts besaß als ein Paar große, warm leuchtende Augen voll zitternder Liebe. Dieses Mädchen spart sich vielleicht das Brot vom Munde, um ihren geliebten Künstler mit ein paar Mark in der Woche unterstützen und mit ihm einen frohen Abend verbringen zu können. Ihre Aufopferung wird ihr nichts helfen. Eines Tages wird sie doch die Verlassene sein! So träumte Hilde.

Der Musiker auf der Bühne spielte die Tannhäuserouvertüre. Hilde konnte unterdessen ruhig weiterbeobachten. Die vielen jungen Künstler! Jeder ein Suchender und Tastender wie sie. Jeder wartet auf seine Offenbarung, auf seinen großen Tag, und mit ihm warten in der Ferne vielleicht Vater, Mutter oder Geschwister und fragen bang: Ob er seine und unsere Hoffnung rechtfertigt? – Bedurfte die Welt überhaupt so vieler Künstler? Nur einige werden das Ziel erreichen, viele, die meisten, die hier sind, werden verbluten, werden in die Breite des Alltags, in die Fron eines gewöhnlichen Broterwerbs ohne Schwung und ohne Lebensglauben zurücksinken. Draußen in Dörfern und kleinen Städten ihrer Heimat aber wird ein märchenhaftes, sehnsüchtiges Lied um ihr halb gescheitertes Leben klingen, das Lied: Tage in München. –

Es tat Hilde wohl, einmal einen Blick in das fröhliche und ernsthafte Völklein der um die Kunst werbenden Jugend zu werfen, zu der sie selber gehörte. Wie mancher Abend, den sie trüb auf ihrem Zimmer verbracht hatte, wäre leichter vorbeigegangen, wenn sie ihre Schmerzen in dem eigenartigen Stimmungsreiz hätte vergessen können, der um das Zusammensein mit ähnlich Strebenden und ähnlich Leidenden gebreitet liegt.

Der häßliche Glür, der stets in ihr Nachsinnen hineinsprach!

Auf der Bühne, auf der vorher der Virtuose mit dem lyrischen Gesicht und den grauen langen Locken seine Stücke vorgetragen hatte, spielte jetzt ein junger Musiker seine eigenen Kompositionen und fand Gehör und Beifall. Die freiwilligen Vorträge folgten sich nun rasch. Junge Dichter, die keine Gelegenheit hatten, ihren Versen sonst Luft zu machen, eilten aus der Gesellschaft auf die Bretter und trugen mit schauspielerisch verzückten Gebärden ihre Strophen vor, viel Weltschmerzliches und Übermütiges, Wildes und Unvergorenes. Jeder fand seine Gemeinde. In einem blauen Qualm von Tabakrauch wuchs die Stimmung und erreichte die volle Höhe, als Ludwig Iselwart, ein Dichter von bekannterem Namen, Poet, Sänger und Lautenkünstler zugleich, die Lieder eines modernen Troubadours sang – mit Schmelz und Feuer sehr schön sang.

Auch Hilde war von dem Vortrag hingerissen. Dennoch entging es ihr nicht, wie das Augenspiel zweier Damen spöttisch auf ihrem Begleiter ruhte und Kuno Glür darüber unruhig wurde. Was immer das höhnische Herüberschauen bedeuten sollte – es berührte sie höchst unangenehm, sie berief eines der Wirtsmädchen und beglich ihre kleine Zeche.

»Aber – aber – das ist doch meine Angelegenheit!« stotterte Glür.

»Sie gestatten mir, daß ich aufbreche«, erwiderte Hilde. »Sie können ja noch bleiben.«

Ein kleines Wortgefecht entstand zwischen ihnen, und Glür gab sich als den Beleidigten.

Plötzlich änderte er aber den Ton der Stimme: »Dort kommt ja Dombaly. Wenn er sich gesetzt hat, will ich Sie ihm vorstellen.«

Hilde blieb.

Ja, er war's, der Künstler, der ste auf der Menterschwaige gezeichnet hatte. Und er kam allein. Hei, wie Kathi Kreuzer sich beeilte, dem berühmten Stammgast Hut und Mantel eigenhändig abzunehmen. Nach verschiedenen Seiten zerstreut grüßend, setzte sich Dombaly und ließ die nachtdunklen Augen ziemlich teilnahmslos durch die Gesellschaft schweifen. Das lebensvolle Bild bot ihm wohl nichts Neues. Hilde schien es, als ob über seinem Vornehmen Gesicht ein Ausdruck der Übermüdung oder der inneren Verdüsterung gebreitet sei, und hielt die Stunde nicht für günstig, ihm ihr Anliegen vorzubringen. Auch Kuno Glür trug auf einmal Bedenken, ihr seine Bekanntschaft zu vermitteln.

Nun aber hafteten die dunkeln Lichter Dombalys fragend und erkennend an ihr. Der Ausdruck der Übermüdung oder schlechten Laune war aus seinen Zügen verschwunden, sein Gesicht angeregt und wahrhaft schön. Eine Weile blickte er sinnend und bewegungslos, nun aber holte er das Taschenbuch hervor, zog das kleine Zeichnungsblatt heraus, verglich nur einen Herzschlag lang – und nickte und grüßte mit einem gewinnenden Lächeln.

Hilde erwiderte den Gruß mit einer leisen Zurückhaltung, und Glür, der den Vorgang nicht verstand, machte ein blödes Gesicht dazu.

Da erhob sich Dombaly und kam mit fast jugendlich leichtem Schritt zu ihrem Tisch hin.

»Glür, stellen Sie mich doch mal Ihrer Dame vor«, bat er – und dann schüttelte er Hilde die Hand, als wären sie Kameraden. »Es ist mir eine große Freude, daß ich Sie wieder treffe, Fräulein Rebstein«, versetzte er mit hell angeregtem Mienenspiel. »Das im Isartal skizzierte Köpfchen ist mir sehr liebgeworden. Eine Viertelstunde, die uns lächelt – und wir schaffen Besseres als die Woche lang. Ich bedaure nur jetzt noch, daß ich Sie den Heimweg von der Menterschwaige nach München mußte zu Fuß gehen lassen. – Sehen Sie, dort zeichnet Sie ja auch einer!«

Hilde hatte den blassen jungen Mann, der wohl den Todeskeim in der eingefallenen Brust trug, bereits bemerkt, in diesem Augenblick aber fesselte sie nur Dombaly, aus dessen dunkeln Augen ein Sprühfeuer forschender Teilnahme auf sie überströmte. – Was für ein zauberischer Mensch!

»Und dürfte ich mir Ihren Rat in einer eigenen künstlerischen Angelegenheit erbitten?« fragte sie errötend und mit bescheidenem Augenaufschlag.

Er lächelte ihr mit jenem hinreißenden Ausdruck knabenhafter Güte zu, den sie schon früher an ihm bemerkt hatte, und wandte sich an Glür: »Sie gestatten, daß ich Fräulein Rebstein zu mir herüberziehe«, versetzte er im Tone der Selbstverständlichkeit und ohne ihn zugleich einzuladen. Hilde entschuldigte sich bei ihrem Begleiter und war froh, als sie in einer geborgenen Ecke neben Dombaly saß. Eine Anzahl Gäste war auf ihre Begrüßung mit dem Künstler aufmerksam geworden, und sie liebte es doch nicht, daß um ihretwillen Aufsehen entstand.

»Na – und was ist Ihr Anliegen, Fräulein Rebstein?« forschte Dombaly sogleich.

Sie erzählte ihm in raschen Zügen ihr Mißgeschick als Malschülerin und ihr Ende bei Professor Waldhier.

Er horchte aufmerksam, und ihre Wangen erglühten unter seinen durchdringenden Augen.

»Nein, Ihr Schiffbruch bei Waldhier beweist nichts gegen Ihr Talent«, erwiderte er sinnend. »Diese Schulen sind Schacher mit dem Geld und der Zeit der Jugend. Ich aber hätte Lust, selber einmal zu prüfen, wie es um Ihr Talent beschaffen ist, mir von Ihnen etwas vorzeichnen zu lassen. Irgend ein Wesenszug Ihres Gesichtes gibt mir Hoffnung. Es ist ein schwerer Tropfen Blut in Ihren Adern. Darin rollt vielleicht das künstlerische Gold. – Doch da kräht schon wieder einer von den künftigen Dichtern und Sängern, und man versteht das eigene Wort nicht. Die Kneipe war früher angenehmer.« Ein knirschender Laut schloß seine Worte.

In der Tat war in dem wachsenden Lärm, mit dem die Gesellschaft den langweiligen Vortrag eines jungen Poeten zum Schweigen zu bringen versuchte, eine ernsthafte Unterhaltung nicht möglich. Hilde sann. Ein Tropfen schweren Blutes! Das hatte ihr außer Dombaly noch niemand gesagt. Er hatte aber recht. Das fühlte sie selbst. Unter all ihrer Jugendlichkeit und Frische strömte hemmend dieses schwere Blut. Sie hatte ja in diesen Tagen so sehr darunter gelitten. Was war Dombaly für ein scharfer Beobachter und Menschenkenner! Und die Talentprobe? Ja, da war es schon wieder erwacht, ihr mächtiges künstlerisches Wollen! – Ihr Blick streifte zufällig Kuno Glür. Er hatte Anschluß in einer Gesellschaft von Herren und Damen gefunden, führte das große Wort und sprach dem vor ihm stehenden Mosel fleißig zu.

Der junge Poet war glücklich von den Brettern gelärmt worden, wieder etwas Ruhe in die Gesellschaft eingekehrt.

»Verfluchtes Zeug, was jetzt die Jugend dichtet«, bemerkte Dombaly mit Lachen. »Keine Grammatik, kein Stil, kein Sinn, kein Zusammenhang, nur klingende Wörter! Ich bin sonst ein Freund der Lyrik, und einer der liebsten unter den neueren Dichtern ist mir Ihr Schweizer Landsmann Heinrich Leuthold. Sein ,Trinklied' enthält meine Leib- und Lieblingsstrophen – ich habe mich davon selbst zu einem Bild anregen lassen.« Eine Flamme schlug aus seinem Augenpaar. Zu Hilde gewandt, rezitierte er mit halblauter Stimme:

»Uns aber laßt zechen! – und krönen
Mit Laubgewind'
Die Stirnen, die noch dem Schönen
Ergeben sind!«

Und bei den Posaunenstößen,
Die eitel Wind,
Lachen über Größen,
Die keine sind!«

In steigender Wärme und Begeisterung sprach Dombaly die Strophen mit metallen erbebendem Wohllaut der Stimme. Künstlerische Verklärung ruhte auf seinem schönen und bedeutenden Gesicht, und nachdem er gesprochen hatte, ließ er eine Weile noch das innere Ohr den Versen lauschen. Er wiederholte:

»– – – – – und krönen
Mit Laubgewind'
Die Stirnen, die noch dem Schönen
Ergeben sind!«

Wie heiliges künstlerisches Feuer strömte es von ihm durch die tönenden Strophen auf Hilde hinüber.

Aus tiefem Sinnen versetzte er plötzlich: »Der Mann wußte, was Schönheit ist, etwas Geweihtes und Keusches, das keiner ungestraft vor die Säue, Protzen und Manichäer wirft. An uns Künstlern ist es, zu bedenken, daß wir die Aristokraten vom Geiste sind, die Könige, die geheime Kronen tragen, aber –« Er vollendete den Satz nicht, eine scharfe Bitterkeit lagerte um seinen Mund, er schwieg verdüstert und fragte dann plötzlich: »Wie sind Sie nur in die Gesellschaft Glürs geraten? Ich mag den Kerl nicht. Das ist ja auch bloß eine klingende Schelle, einer von denen, die, weil sie reich sind, glauben, sie dürfen sich überall anfreunden, überall dreinsprechen, um ihre Bankscheine sei alles käuflich, alles beuge sich davor, Weibesliebe und Kunst, Intelligenz und Genie! – Pfui Teufel!«

Das war also die Freundschaft zwischen Dombaly und Glür, mit der dieser geprahlt hatte. »Wir haben dieselbe Heimat. Das ist unsere Bekanntschaft. Ich gehe heute das erstemal mit ihm – und das letztemal!«, versetzte Hilde beschämt und in großer Verlegenheit.

»Also keine Geschmacksverirrung«, lächelte Dombaly schon befriedigt. »Ich mag sonst Ihre Landsleute, gerade die Künstler unter ihnen sind ernsthafte und tüchtige Menschen, ich kenne hier auch eine Familie Herdhüßer aus der Schweiz, hervorragende Menschen, aber selbstverständlich hat jedes Volk auch seine Lausbuben. Glür ist einer der ihrigen. – Und nun, Fräulein, kommen Sie morgen mal in mein Atelier. Am liebsten gleich nach neun. Da wollen wir sehen, wie es um Ihre Kunst steht.«

Er nannte ihr eine Straße im alleräußersten Schwabing, wo die schon lockeren Häusergruppen an Felder und Wiesen grenzen.

Hildes Augen strahlten dankbar auf. Das war ja wieder ein Hoffnungsschein für ihre Kunst, für ihre bedrängte Kunst! – Aber auch Zeit war's für sie, an den Heimweg zu denken. Die Uhr ging schon auf Mitternacht, und im »Gläsernen Himmel« lichteten sich die Reihen der Gäste merkbar. Auch die Gesellschaft, in die sich Glür eingenistet hatte, war aufgebrochen. Er saß einsam vor seinem Mosel. Oh, wenn sie ihm nur schon gute Nacht geboten hätte!

Sie verabschiedete sich dankend von Dombaly und nahm widerstrebenden Herzens die Begleitung des Studenten an.

Auf dem Heimweg beklagte er sich bitter, daß ihn der Künstler geschnitten habe, sprach von Zeugen schicken, und aus seinen großen Worten merkte Hilde, daß ihm der Wein zu Kopfe gestiegen war. Wenn sie ihn nur schon los wäre!

Da war sie mit ihm an ihrer Haustür angekommen. Sie dankte – er aber hielt ihre Hand fest, stammelte eine halbe Liebeserklärung, und sie wußte erst nicht, sollte sie darüber lachen oder zornig werden.

Halb im Scherz, halb im Ernst versuchte er ihr einen Kuß zu geben. Da wurde sie wirklich zornig.

»Was bilden Sie sich ein, was unterstehen Sie sich, Herr Glür!« bebte ihre Stimme, »Nie – nie!«

»Aber Hilde!« stotterte er in blinder Verliebtheit.

»Kein Wort mehr! Schicken Sie mir die Bilder zurück, wenn dies der Sinn Ihrer Erwerbung war«, grollte sie. »Ich werde sie morgen bei Ihnen abholen lassen und Ihnen das Geld zurücksenden!«

Ihre zürnende Sprache ernüchterte ihn. »Aber die Bilder sind ja bereits in St. Agathen«, erwiderte er. »Hilde!« Er tastete nach ihrer Hand.

»Nein, nicht Hilde!« schalt sie scharf. »Eine Freundschaft zwischen uns ist unmöglich. – Mein letztes Wort! – Gute Nacht, Herr Glür!« – In gegenseitiger Verstimmung trennten sich die Heimatgenossen. Die Bilder sind ja schon in St. Agathen. Das beruhigte ein wenig den Zorn Hildes. Kuno Glür hatte also den Handel doch in ehrlicher Absicht eingeleitet und geschlossen. Daß er nun aber glaubte – nein, das war zu töricht! – Wofür hielt er sie? – Sie gehörte doch nicht zu denen, die sich von ein paar Bankscheinen blenden und bestechen lassen. Lieber mit der bittersten Not kämpfen. – Wie gemein, einer Heimatgenossin in der Fremde mit unlauteren Zumutungen zu kommen! Die Freude an dem Verkauf der Bilder war ihr vergällt. – Glür küssen? – Nur einem würde sie einen Kuß geben, wenn er sie darum bäte, und auch dem nur in aufrichtigen Ehren. – Siegfried, dem Nordländer! –

Und morgen suchte sie Dombaly auf und zeichnete ihm in seinem Atelier etwas vor. Wenn er nun urteilte, sie habe doch Talent. Was dann? –

In neuen Hoffnungen verebbte allmählich Hildes Zorn.


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