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Schicksalswende! – Durch die unfreiwillige Vermittlung des windigen Kuno Glür, der sich nicht mehr vor ihr blicken ließ, hatte Hilde ihren Weg gefunden und empfand als hoffnungsreiche Schülerin Dombalys die rasch fließenden Tage heller und freudiger denn je in den vergangenen drei Jahren ihres Münchner Aufenthaltes. Ernste Studien, angestrengte Arbeit!
Als erste künstlerische Aufgabe hatte ihr Dombaly, der eine bewunderungswerte Findekraft für schöne und fesselnde Modelle besaß, eine kleine, graziöse Ballettschülerin mit lieblich leichtsinnigem Gesichtchen und langbewimperten Traumaugen gestellt, einen duftigen Hauch nur von einem Menschenkind, und Hilde hatte das Gefühl, das herrlich rothaarige Geschöpfchen müsse von selber ein gutes Bild werden.
Um neun Uhr jeden Vormittag trat sie in das hohe, helle, vom Luxus durchsonnte Atelier, in dem die Schaffensstimmung von selber schwoll. Dombaly, der gewöhnlich erst eine Viertelstunde später kam, ließ es bei einem raschen hellen »Tag, Rebstein!« bewenden. Die kleine Ellen, das nicht leicht zu behandelnde, kapriziöse Modell, machte sie durch das Versprechen gefügig, ihr zum Schluß der Sitzung ein Märchen zu erzählen. Vor ihrer Staffelei genoß sie stille, schöne Arbeitsstunden und wurde in ihrem, vom übrigen Atelier durch schwere Vorhänge abgeschlossenen Malraum auch von den häufigen Besuchen nicht gestört, die ans Neugier oder wegen Bilderkaufs zu Dombaly kamen, ihm hin und wieder durch ihr Geschwätz die gute Laune verdarben, aber meist ahnungslos blieben, daß neben dem Künstler noch eine junge Dame im Atelier tätig war.
Gewöhnlich sah sie Dombaly erst zur Mittagszeit. Über einem Eßkorb, den ein Delikatessengeschäft ins Atelier besorgte, verbrachte sie mit ihm die halbstündige Rast, während deren sich auch die Modelle zu einem Imbiß zurückzogen. Dombaly duldete es nicht anders, als daß Hilde bei der kleinen, aber feinen Mahlzeit mithielt, und nachdem sie ein paar vergebliche Versuche unternommen halte, sich ihre wirtschaftliche Selbständigkeit zu bewahren, ergab sie sich in die Gastfreundschaft ihres Lehrers. Sie durfte es um so eher, als ihm ihre Teilnahme sichtlich Vergnügen bereitete. Dankbar nahm er es an, daß sie mit gutem weiblichem Sinn die Anordnung der fliegenden Tafel besorgte, und ihre Unkenntnis der seltenen Gerichte gab ihm zu manchem harmlosen Scherz Anlaß. Er selber war kaum ein Esser, nur ein verwöhnter Nascher, der unter vielem die Wahl haben wollte. Jedes von dem vielen mußte ein Leckerbissen sein; über die Vorzüge und besonderen Eigenschaften eines jeden konnte er Betrachtungen anstellen wie über ein Bild. Die kleine Mittagstafel nahm er wichtig genug, um selber in den feinen Eßwarengeschäften der Stadt Nachforschung zu halten, was die Jahreszeit an Tafelgenüssen just Ausgesuchtes biete.
»Sie lachen darüber, Rebstein, aber wie wir essen und trinken, wie wir uns kleiden und wie wir wohnen, das wirkt doch auf das Seelenleben und die Stimmungen des Künstlers ein. Das hat Goethe fein gewußt, und nur Laien, welche die Bedingungen des künstlerischen Schaffens nicht kennen, mögen es verwunderlich finden, daß sich Richard Wagner die Wahl seiner seidenen Schlafröcke mit der größten Sorgfalt angelegen sein ließ. Schrullen mag's die Welt nennen, in Wahrheit ist es Feinsinn und künstlerisches Bedürfen. Nein wirklich, ich verstehe die armen Teufel von Malern nicht, die, ein gemeines Stück Wurst im Leib, ein Modell vor sich, das schon durch zwanzig Ateliers geschmissen worden ist, in einer mit ein paar bunten Lappen behangenen Bude arbeiten und doch noch Ordentliches zustande bringen. Und ihrer sind in München mehr, als man denkt!«
Hilde mußte Dombaly zugeben, daß seine kleinen, von Tag zu Tag raffiniert zusammengestellten Mahlzeiten eine große künstlerische Erfrischung seien, nach der sich besonders leicht arbeite.
»Sehen Sie!« lachte er erfreut wie ein Kind und braute auf einer Maschine, die das duftende Getränk automatisch in die Tasse gab, einen Mokka, von dem er behauptete, niemand verstehe ihn so vorzüglich zu bereiten wie er – selbst Hilde nicht.
Nach dem Mittagsbrot, das er mit ernsten Kunstgesprächen nicht zu beschweren liebte, wurde wieder ruhig gearbeitet, und sie hätte das Tagewerk am liebsten noch in den Abend fortgesetzt, bis ihr der Stift selber entsunken wäre, doch ging es wegen des kindlichen Modells nicht, das allmählich unruhig wurde, erschlaffte und versagte, Um drei Uhr war im Atelier Feierabend.
Etwas vorher, während sie noch an der Staffelei stand, kam Dombaly zu ihr hinüber und stellte sich schweigend und prüfend hinter ihr auf. »Rebstein, das war ein verlorener Tag«, hatte er ihr gleich im Anfang mit lächelnder Grausamkeit gesagt. »Reißen Sie die Zeichnung herunter – spannen Sie eine neue Fläche auf!« Das Wasser in den Augen, hatte sie es getan. Jetzt war die erste herbe Erfahrung überwunden, doch fürchtete sie seither die Lehrerstrenge, und die Dreiuhrstunde, die sie halb herbeisehnte, halb erbangte, war für sie stets der große Augenblick des Tages. Die herrlich geformte Hand Dombalys glitt mit vibrierenden Fingerspitzen über ihre Zeichnung und schuf die Striche, nach deren Vorbild sie am anderen borgen leichter arbeitete. Dabei sprach er sich in einen feurigen Eifer.
»Ihre Fehler, Rebstein, kommen nicht aus einem Mangel an künstlerischen Anlagen. Im Gegenteil, aus einem Überschuß der Kraft, den Sie noch nicht zu beherrschen vermögen. Sie sehen in den Zügen des Modells zuviel und sind in dem Drang befangen, alles, was Sie sehen, in die Zeichnung zu bringen. Daher das Schülerhafte. Kunst ist aber Wahl, wir müssen manches Nebensächliche vernachlässigen können, um die bestimmenden Elemente um so sauberer zur Geltung zu bringen und sie nach ihren Werten zu ordnen und abzutönen. Da fehlt es Ihnen noch bedeutend. Sie sind stets zu derb, Ihre Verfeinerungskunst ist zu unentwickelt, und darum erscheint auch Klein-Ellen mit ihren kindlich zarten und weiblich feinen Zügen in Ihrer Zeichnung älter, als sie wirklich ist. Sie müssen mit dem Stift spielen lernen, vieles darf in einem Bild nur wie aus dem Unbewußten kommen, nur wie eine fernher summende Melodie. Sehen Sie!«
Er lächelte ihr mit jener jugendlichen Güte zu, die ihm so reizend stand.
Hilde sah. Nur ein wenig Nachhilfe durch die Meisterhand Dombalys, und das Bild des lieblichen roten Flattervogels kam, wenigstens annähernd, wie sie es mit ihren inneren Augen erblickte. Wie wertvoll waren Dombalys Korrekturen! Schon weil sie sich Tag um Tag wiederholten. Es war unmöglich, daß sich, wie in der Malschule Waldhiers, Fehler der ersten Anlage, für das Bild verhängnisvolle Verzeichnungen acht oder vierzehn Tage hinschleppten und die Arbeit rettungslos schon im Keim verdarben. Das Heute verbesserte das Gestern, das Morgen brachte wieder einen kleinen Fortschritt, und wie von selber kam ein Gefühl erhöhter Wegsicherheit über Hilde, die lichte Gewißheit, daß sie allmählich doch die eigenartige Schwere überwinden werde, die an ihrem Talent haftete und ihr manche schöne Wirkung verdarb. Sie schaffte mit stumm zusammengeraffter Seele und mit der dankbaren Empfindung: du stehst unter einer guten Führung, jetzt liegt es bloß an dir selbst, daß du wirklich eine Künstlerin wirst. –
Auch an Dombalys Anrede »Rebstein«, die ihr zuerst etwas fremd und unherzlich ins Ohr klang, hatte sie sich nun gewöhnt. Sie war mindestens so gut als »Fräulein«, wie Waldhier seine Schülerinnen ansprach, und hielt einen größeren Abstand, als wenn er sie »Fräulein Hilde« angeredet hätte. Sie war damit sogar sehr zufrieden.
Eine warme Verehrung für den Meister hatte sie erfaßt, und wenn er ihr ein Lob über das Werk des Tages gab, federte ihre Seele, freudig eilte sie, nachdem die Atelierarbeit zu Ende gekommen war, durch den winterlichen Frühabend in die Privatstunden, die sie dreimal in der Woche den beiden Kindern der Familie Herdhüßer erteilte. – Und frohbeschwingt gingen die Tage.