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»Hilde!« lautete der Brief Johannas, der ehemaligen Kollegin von der Malschule: »Mein Mann und ich haben Dir eine Überraschung bereiten wollen – einen unangemeldeten Besuch. Da war aber der Vogel ausgeflogen – heimwärts! Ich dachte: Da ist auch wieder eine arme Seele aus den Klauen der hoffnungslosen Kunst erlöst. Wir traten in die eben eröffnete Kunstausstellung. Ich blätterte im Katalog, ich las »Hilde Rebstein!«, begriff nicht, lief aber meinem Mann durch ein paar Säle voran. Da hing das Bilderpaar feiner, frischer und gesunder Jugend – frisch und gesund gemalt! – Mit den Bildern hast du mir eine Überraschung bereitet, viel größer, viel freudiger, als wenn ich Dich leiblich hätte in meine Arme schließen können. Es gibt noch blühende Wunder: eine aus unserer verzweifelten Schar ist wirklich eine Künstlerin geworden! – Und rate, mit wem ich bereits über Dich gesprochen habe? Mit Professor Waldhier! Er äußerte sich etwas kleinlaut. »Eine große Überraschung«, meinte er nachdenklich. »Ich habe Fräulein Rebstein stets Talent zugetraut, aber nicht so viel. Die Bilder sind ja fast ein Schlager!« Und rate, wo schreibe ich Dir diesen raschen Brief? Im Restaurant hinter den Ausstellungssälen. Bei uns sitzt seelenvergnügt Dein Landsmann, der Kunstmaler Jakob Steiger, der uns zufällig von Dir sprechen hörte, neugierig wurde und herzurückte. Bei Bier, Wollwürsten, Kraut und Radieschen feiern wir Dich, daß Dir selbst drüben in der feinen Schweiz die Ohren läuten müssen. Wie bin ich glücklich mit Dir und stolz mit Dir, Herzenskind, Künstlerin! – Ein rheinländisches helles Glückauf Dir und Deiner Malerei von mir und meinem Mann – Deine Johanna.«
Ein erquickender Brief. Und doch schüttelte Hilde etwas wehmütig den Kopf. »Glücklich mit dir – stolz mit dir!« Sie war weder glücklich noch stolz. Dafür lag ihr der Alpdruck der vergangenen Nacht zu schwer im Sinn. Der liebe Brief bildete aber trotz allem eine tröstliche Zerstreuung in den Qualen ihrer Schicksalsbangigkeit.
Auch die mannigfaltigen anderen Kundgebungen aus München! Kein Tag, keine Post, sie brachten ihr etwas Freundliches über ihre Bilder. Ein überaus herzliches Glückwunschtelegramm von Gustav Wieland, ein langes Schreiben der Frau Jakob Steigers mit der eindringlichen Bitte, daß sie für acht Tage nach München zurückkommen und selber sehen möge, wie sehr ihre Porträts durch die Besucher der Ausstellung gewürdigt würden. Besonders freute sie eine gemeinsame Zuschrift ihrer ehemaligen Mitschülerinnen aus dem Atelier Waldhier. Wie erhebend, daß diejenigen, die einst kalt und abgeschlossen gegen sie waren, nun doch eine warme Anteilnahme für ihren Erfolg zeigten. Das war ein reiner Sonnenstrahl! Die Anregung aber der Frau Steiger, nach München zu kommen, verwarf sie. Wozu nach München? – In ihrer brennenden Sorge fesselten sie selbst die Zeitungen nicht mehr, die ihr Jakob Steiger schickte und die irgendeine liebenswürdige Notiz über ihre Bilder enthielten. Adolf kam. In leuchtender Freude überreichte er ihr das Wochenblättchen von St. Agathen: »Aus einer großen Zeitung ist ein Bericht über deine Bilder darin abgedruckt – schau – lies! Da steht von deinem fast männlich starken, großzügigen Talent!« Dem Bruder zulieb griff Hilde nach dem Blatt. Ihre Augen blieben auf dem Schluß des Aufsatzes haften: »Was wird uns Hilde Rebstein, die jugendliche, erst heranreifende Künstlerin, noch Schönes bieten, wenn ihre Kunst einmal die volle Entfaltung gewonnen hat? – Die beiden Bilder sind ein ungewöhnlich großes Versprechen!« –
Vielleicht hatte sie nichts mehr zu bieten. Wenn ein Leid ihre Liebe traf, dann traf es auch ihre Kunst!
Das hing nun an der Dombaly-Ausstellung. Sollte sie Siegfried von ihrer wehen Beklemmnis unterrichten? Sie ließ es. Noch zuckte ja die Hoffnung in ihrer Seele, daß das Allerbitterste an ihr vorübergehe.