Jakob Christoph Heer
Laubgewind
Jakob Christoph Heer

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24

Der letzte Tag des Jahres mit seiner eigenartigen Stimmung schwebte über München, ein Tag mit heller Sonne und leicht anschmelzendem Schnee wie im Vorfrühling.

Hilde hatte Dombaly ihre Teilnahme bei einem fröhlichen Silvesterpunsch in seiner Wohnung zugesagt. Nun empfand sie darüber heimliche Reue. Denn auch von Siegfried Kulbach und Gustav Wieland war eine liebenswürdige Bitte gekommen, den Altjahrsabend mit ihnen zu verbringen. Doch war sie es Dombaly wohl schuldig, und jedenfalls war bei ihm, dem Schönheitsmenschen, Besonderes zu erleben. –

Nun noch den von Herdhüßer gewünschten Besuch bei Steiger machen! –

Der Maler wohnte in einem jener Quartiere Schwabings, in denen zwischen hohen neuen Gebäuden sich die alten Dorfidyllen des Ortes erhalten haben, anmutige kleine, von Gärtchen umsponnene Häuser an winkligen Straßen und Wegen.

Hilde trat in den Vorgarten des Steigerschen Hauses, das mit seinem glyzinenüberwucherten Staketenhag, seiner Laube und seinen Bäumen im Sommer recht hübsch sein mochte. Sie traf den Künstler eben damit beschäftigt, einem Schneemann, den seine vier pausbäckigen Buben vor der Haustür gebaut hatten, die väterliche bildnerische Nachhilfe zu geben. Die vier Rangen von drei bis zehn Jahren schauten, einer wie der andere die Hände in den Hosentaschen, der Vervollkommnung mit ernsthaften Augen zu und lachten hellauf, als der Vater dem Schneemann zwei Augen von Nußschalen einsetzte und eine lang niederhängende Pfeife in den Mund gab.

Welch eine von Gesundheit beseelte, bedächtige Kraftnatur war Jakob Steiger, der sich kaum mit einer Spur städtischen Wesens hatte übertünchen lassen.

Er empfing Hilde mit gutmütigem Lächeln, stellte ihr erst seine Buben, dann sein Bernhardinerhundepaar vor und zeigte ihr seine Ziegen- und Kaninchenställe. Unmittelbar von den Ställen, die er selbst gezimmert hatte, führten Gang und Tür ins Atelier, einer ehemaligen Scheune, in die nun aber ein großes Fenster eingebaut war.

Von Dombalyschem Luxus keine Spur, doch schmückten den Raum Gelege und Gehänge von ziemlich abgestorbenen Teppichen, die wohl einmal auf einer Steigerung erstanden worden waren, und eine hübsche Sammlung alter Schweizerwaffen, Harnisch, Hellebarden und Morgensterne.

Auf zwei Staffeleien standen die Bilder des Herdhüßerschen Ehepaars. Sie waren schon weit genug vorgeschritten, daß man sich darüber ein Urteil bilden konnte. Treue, ehrliche Arbeit. Steiger sah in den Gesichtern viel, und was er sah, wußte er in einer sauberen Technik wiederzugeben. Die Bilder bekundeten eine fast rührende Gewissenhaftigkeit der Beobachtung, einen außerordentlichen Fleiß, für eine überredende Wirkung aber fehlte ihnen jenes süße Unbewußte der Kunst, das, unter der Schwelle des bewußten Sehens, wie ein leise singendes und sagendes Lied gleichsam aus der Seele des Modells durch die Phantasie des Künstlers in das Bild hinüberzieht: jenes Höchste in der Kunst, über das Dombaly wie über ein persönliches Schönheitsgeheimnis gebot. Namentlich dem Bilde der Frau Herdhüßer mangelte der letzte Schmelz der überaus zarten Linien und der durchsichtigen Haut. Ein Gefühl überkam Hilde, das hätte selbst sie, die erst Werdende, mit einer höheren Schönheitswirkung herausgebracht als Steiger, der reife Künstler.

Wie wenn er ihr den Gedanken vom Gesicht hätte lesen können, versetzte er: »Nun, ein eigentlicher Frauenmaler bin ich nicht. Ich komme über eine gewisse Härte nicht fort. Den Auftrag des Doktors konnte ich aber nicht fahren lassen.«

Es lag eine goldige Treuherzigkeit und Bescheidenheit in den Worten; sie errangen ihm die volle Herzlichkeit Hildes, und was sie ihm mit gutem Gewissen über die Bilder Anerkennendes und Schönes sagen durfte, das tat sie. Ein Freudenstrahl flog über sein männlich herbes Gesicht.

»Ihnen muß ich's glauben, Fräulein Rebstein«, erwiderte er. »«Einmal haben Sie einen feinen Spürsinn für die künstlerischen Werte, und dann merkt man Ihnen an, daß Sie die Wahrheit sagen. Aber nun zu meiner Frau, die über Ihren Besuch auch erfreut sein wird!«

Durch die einfach und geschmackvoll ausgestattete Wohnung, die für den Hausfrauensinn der fröhlichen Frau Steiger sprach, zog der Duft frischen Gebäcks. Da saß man ja schon beim Abendkaffee, eine ungezwungene Unterhaltung entspann sich, erst über die schönen Stiche von Schweizerlandschaften, welche die Stube schmückten, später über die Heimat und ihr Verhältnis zur Kunst. Das gemütliche Heim der Steiger und die zufriedenen Menschen bildeten eine Idylle, in der man sich hundert Stunden vom nervenaufregenden Getriebe einer großen Stadt entfernt wähnte. Das lag an der Frau, die stets zu frohem Plaudern geneigt war, lachend ein ziemlich scharfes Regiment über ihre Buben führte, mit sicherem Takt ihren schwerfälligen Mann bemutterte und wie eine Dame von Welt zum Behagen des Gastes sah. Aber auch an Steiger! Wie er mit seiner erdgeborenen Schwere als Familienvater unter den Seinen saß, erinnerte sein wuchtiges Gesicht, sein dichtes, kurzes, struppiges Haar, die gemütlich polternde Sprechweise eher an einen Handwerker, vielleicht an einen Schmied, der tagsüber den Hammer geschwungen hatte, als an einen Künstler, dessen Hand den leichten Pinsel führt. Seinen stillen Stolz setzte er darein, daß seine fleißige Kunst die Familie ehrlich und rechtschaffen durchbrachte und ihm und den Seinen jeden Sommer einen längeren Aufenthalt im Vaterlande gestattete. Neben dem ruhigen und gelassenen Manne, dem nichts ferner lag als der innere Widerstreit einer problematischen Künstlernatur, wurde man selber ruhig und gelassen.

Als Hilde aufbrechen wollte, sagte er: »Ich komm ein Stück weit mit, ich hab' mich zu einer Stunde Kegelschub versprochen. Das ist meine wöchentliche Erholung das lange Jahr.« Frau Steiger forderte Hilde noch zum Bleiben auf; aber diese lehnte mit dem Hinweis ab, daß sie von Dombaly erwartet werde.

»Da kommen Sie ja zu einem üppigen Fest. Seine geselligen Abende sind durch ihren großen Luxus berühmt«, bemerkte Steiger. »In den Schuhen Dombalys möchte ich jedoch nicht stecken. In unseren Künstlerkreisen ist es ausgemacht: der nimmt durch seine Verschwendungssucht, durch seinen Größenwahn bald ein böses Ende.«

Hilde wollte ihren Lehrer verteidigen. Wozu? Es war so begreiflich, daß einem Manne wie Steiger das Verständnis für den künstlerischen Schwung eines Dombaly abging, wie ja auch Dombaly der Sinn für die geradlinige Art Steigers.

»Ich bin ihm zu unendlichem Dank verbunden«, versetzte sie mit Nachdruck, »wickle ich mich wirklich einmal aus den Windeln der Kunst heraus, dann ist's sein Verdienst.«

»Aber die Frauenzimmergeschichten, die er immer hat?« lachte Frau Steiger.

»Darum kümmere ich mich nicht, ich bin nur seine dankbare Schülerin«, erwiderte Hilde mit einigem Stolz.

Es tat ihr leid, daß das Gespräch noch auf Dombaly gekommen war. Indessen was verschlug's? Über das Verhältnis zu ihrem Lehrer trug sie eine ruhige Sicherheit in sich. Und als sie sich von Steiger verabschiedet hatte, lenkten die feierabendfrohen Menschen in den Straßen ihre Gedanken ab. War an der Silvesterfreude nicht etwas Kindisches? Das neue Jahr übernahm ja die Lasten, die Ketten, die Wunden und Narben des alten! Tilgte es etwa die Erinnerung an die Beleidigung durch Kuno Glür? Wie lange sie lebte, blieb dieser Schatten auf ihrer Münchner Zeit! – Doch brachte auch sie dem neuen Jahr reiche Hoffnungen entgegen: Ihre Kunst wurde für die Öffentlichkeit reif – die Liebe, die über sie und Siegfried gekommen war, wird wohl, trotz seiner seltsamen Heimatumstände, Luft und Licht genug haben, zu wachsen. – Oh, wenn sie mit ihm den Abend hätte verbringen können!


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