Friedrich Huch
Pitt und Fox
Friedrich Huch

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Herr Sintrup hatte inzwischen dem Weine fleißig zugesprochen, war sehr lebhaft geworden, erzählte Eisenbahnanekdoten und nannte alle besten Hotels, in denen er je abgestiegen war; überall dienerten die Portiers schon aus der Ferne, er war durch reichliche Trinkgelder bekannt. Er zählte die besten Weine auf und betonte, daß auch in seinem Hause gut gelebt würde, wenn er es sich auch nicht gestatten könne, so wie die Großherrn der Hansastädte Feste zu geben, die gleich in die Tausende gingen. Aber hoch in die Hunderte – so log er – ist es bei uns auch schon oft gegangen. Er ließ sich in seinen Übertreibungen immer freieren Lauf, da seine Worte auf Elfriede nicht so zu wirken schienen, wie er es gern gesehen hätte. Pitt hatte bisher an der Unterhaltung wenig teilgenommen und sich darauf beschränkt, mit anscheinender Kindlichkeit seinen Vater öfter in irgendeine Klemme zu bringen, worauf er dann Elfriede einen stillen Blick zuwarf. Aber er langweilte und ärgerte sich dabei, und wie er dachte, Elfriede habe nun genug gesehen und gehört, um seinen Vater richtig zu beurteilen, beschloß er, ihn gleichsam in der Idee seines Wesens ihr vorzuführen: Anstatt ihn zurückzuhalten, spornte er ihn möglichst an, sich selbst zu überbieten, und um ihm dies noch zu erleichtern, begann er, erst leise, dann stärker, seine Bewegungen, seinen Tonfall nachzuahmen, schließlich kopierte er ihn geradezu in seinem Wesen; sein Gesicht nahm einen leise boshaften Zug an. Mit unverfrorener Miene stellte er die gröblichsten Behauptungen über das Leben zu Hause auf, und Herr Sintrup bekräftigte dann jedesmal seine Worte, so wie jemand wohl im Spiele einem Ball, der, von einem Hinterstehenden derselben Partei geschlagen, an ihm vorbeifliegt, noch einen zweiten Schlag versetzt, damit er auch ganz sicher und knallend zum Ziele kommt. Endlich, so dachte er, fängt dieser Pitt an zu begreifen, worauf ich hinaus will. – Elfriede durchschaute Pitts Absicht genau, aber wie er nun sein eigenes Wesen so vollkommen verleugnete, daß sie ihn kaum mehr erkannte, wie er so erschreckend seinem Vater glich – dessen Sohn er doch auch in der Tat war, kam sie sich ganz verlassen vor, sie empfand zwiespältig gegen ihn, ihr eigenes gerades, einfaches Wesen widersetzte sich dem, was sie sah, mit aller Kraft, und als Herr Sintrup dem Kellner etwas zurief, flüsterte sie ihm zu: Pitt, ich kann dies Wesen nicht länger ertragen! – Und wie Herr Sintrup seine Sätze wieder aufnahm, wandte sie sich an Herrn Könnecke und bat ihn, ihr eine Aufgabe zu erklären, die sie für ihn zu lösen hatte. Herr Könnecke zog seinen Bleistift aus der Tasche, suchte nach Papier und war nicht zu bewegen, die fragliche Figur auf das Tischtuch hinzuzeichnen. Herr Sintrup riß ein Blatt aus seinem Notizbuch und beugte sich zu Elfriede hinüber um mitzulernen, wie er sagte, während Elfriede ein wenig zur Seite wich. Herr Könnecke wurde sehr gründlich, und seine Stimme war genau so wie in der Schule. – Wo sind denn die Quadrate? fragte Herr Sintrup. Ich sehe nur so was wie ein Dreieck, und Sie sagen immer: A Quadrat. – Das Quadrat sitzt hier! sagte Herr Könnecke und deutete auf eine Linie. – So? Na, gut, daß man das weiß; ich sehe es immer noch nicht! – Es ist auch nicht da, man denkt sich das nur! belehrte Herr Könnecke. – Wer zwingt mich denn aber, mir da ein Quadrat zu denken? Wenn ich mir da nun lieber einen Kreis denke, oder ein Kreuz, oder einen Pinsel? – Herr Könnecke sah ihm starr in die Augen: Da muß aber ein Quadrat sitzen! sagte er endlich, und dann malte er es hin, liebevoll und langsam. – Ist es nun da oder nicht? fragte er, und er sah es zufrieden an, wie einen Freund, den man in seiner Abwesenheit gegen einen andern verteidigt hat und der gleich darauf ins Zimmer tritt. – Das ist ein schöner Beweis! rief Herr Sintrup, machte ein Kreuz über die Linie und sagte: Ist es nun da oder nicht?! – ich glaube, es steht ganz wo anders! sagte Pitt, indem er es auf seines Vaters Stirn zu suchen schien. – Ein jeder hat sein Kreuz zu tragen! seufzte Fräulein Nippe, und wenn man meine alle sähe – ich sähe aus wie ein Kirchhof. Herr Sintrup schielte zu ihr herüber und dachte: Sie ist ja eine ganz nette Person, aber wenn sie wenigstens das eine Kreuz, das man an ihr sieht, nicht so windschief tragen wollte! – Herr Könnecke runzelte die Stirn. In der Schule würde er jetzt gesagt haben: Och bitte, wollt ihr nicht gefälligst ruhig sein! – Dann dämpfte er seine Stimme zum Ton einer vertraulichen Mitteilung herab, zog noch andere Linien, stellte seine Gleichungen auf und überhörte Herrn Sintrups Zwischenrufe, der sich den Scherz machte, das Wort «Quadrat» immer durch das Wort «Kreuz» zu verbessern, oder zu «durchkreuzen», wie er sagte.

Dieser Schafskopf! dachte Herr Sintrup, ich war so schön mit ihr im Gange, und Pitt ist doch ein prächtiger Junge! – Er sann über einen neuen Witz nach, fand aber keinen, fühlte sich infolgedessen, unbeachtet wie er war, plötzlich auf einem allgemeinen öden Nullpunkt, trommelte mit den Fingern auf den Tisch und wandte sich dem Weine zu.

Fräulein Nippe erachtete jetzt den Zeitpunkt für gekommen, sich Herrn Sintrup zu nähern.

Für uns sind dergleichen Dinge nicht! sagte sie in einem halb konstatierenden, halb leise überredenden Tone gleichgestimmter Seelen: Ich habe mein Leben lang ohne Mathematik auskommen können, und Sie als Kaufmann haben weiß Gott an ernstere, schwierigere Dinge zu denken. Haben Sie mehrere Söhne? – Jawohl, noch einen, nickte Herr Sintrup. – Ist er ebenfalls – wird er auch studieren? – Höchstwahrscheinlich! sagte Herr Sintrup in einem vollkommen geschäftsmäßigen Ton; aber Fräulein Nippe hörte einen Unterton. Ja, sagte sie, es ist traurig, wenn ein Vater sein großes, blühendes Geschäft immer weiter ausgestaltet und sich am Ende sagen muß: Für wen habe ich gearbeitet? Es geht ja doch alles in fremde Hände über. – Sehr vernünftig, wirklich vernünftig! – Dann wird Ihr großes Haus aber recht einsam, wenn Ihre Kinder beide fort sind – oder haben Sie noch Töchter? – Nee; ja ein bißchen öde wird es wohl, zudem meine Frau im Grunde doch recht leidend ist, seit netto dreieinhalb Jahren. – Ach! – Fräulein Nippe machte ein tief bedauerndes Gesicht; zugleich aber war ihr, als habe sie plötzlich viele Stufen mit einem Male übersprungen. – Ja, sagte sie, und dann ein ganzes, großes Hauswesen führen, das strengt an; zumal wenn keine Töchter da sind. Da sollten Sie sich doch nach einer Hausdame umsehen, um die Frau Gemahlin zu entlasten. – Das kann ich ja auch mal, wenn es nötig ist, das ist doch furchtbar einfach. – So furchtbar einfach ist das nicht! meinte Fräulein Nippe bedenklich: Herzensbildung, wahre Herzensbildung gehört dazu, und die findet man sehr, sehr selten. Ich habe selbst einmal länger einen Haushalt geführt. Wie war der vorher verwahrlost, durch gemütsrohe Damen, die vor mir da waren!

Holla! dachte Herr Sintrup; sollte die Absichten haben? Sich einnisten wollen, um später, wenn die Frau tot ist, den Mann zu heiraten? Dabei schoß ihm eine andere Idee durch den Kopf; er sah nach seiner Uhr, steckte sie aber beruhigt wieder ein. – Nein, nein, sagte er, mir genügt schon, wenn die Person keine silbernen Löffel stiehlt.

Fräulein Nippe fuhr ein klein wenig zurück, als wolle sie einem Stäubchen ausweichen, das an ihrer Nase vorüberflöge. Und Herr Sintrup redete weiter: Brauche bloß zu annoncieren, am nächsten Morgen steht der ganze Vorplatz voll. – Ja, aber ich meine doch – Fräulein Nippe stockte. – Was meinen Sie? fragte Herr Sintrup und grinste einfach.

Der Nachtisch wurde aufgetragen. – Seid ihr da unten immer noch nicht fertig? Wer jetzt noch rechnet, kriegt keinen Champagner, das ist mal sicher! – Gleich! antwortete Herr Könnecke, als ob Herr Sintrup sein Direktor wäre. Der Pfropfen sollte mit einem Knall zur Decke springen. – Das ist hier nicht üblich! hauchte der Kellner. – Üblich oder nicht: Knallen soll er! Und Herr Sintrup öffnete persönlich die zweite Flasche. – Ach, der liebe Hund! sagte Fräulein Nippe, die verärgert auf ihrem Stuhl saß, er fürchtet sich und ist zu mir gekommen! Sie nahm das Hündlein auf den Schoß, streichelte und küßte es, und da es faul bei ihr verharrte, meinte sie, es habe sich schon ganz an sie gewöhnt: Tiere haben einen viel freieren Instinkt als die Menschen; sie fühlen sofort, wer sie lieb hat: sehen Sie nur, wie er mich ansieht! Sie drückte es zärtlich an sich. Wie heißt denn dieses Tier? fragte Herr Sintrup, der die Gläser füllte, mit einem etwas boshaft musternden Blick. – Eigentlich heißt es Lili! sagte Elfriede. Fräulein Nippe fand, als sich nun alle zum Anstoßen der Gläser erhoben, einen schicklichen Grund, sich dieses Tieres sogleich wieder zu entledigen. – Ach Gott, schmeckt das mal wundervoll! sagte Herr Könnecke, und als Herr Sintrup die Gläser zum zweiten Male füllte, fragte er selbstvergessen: Kann ich auch noch? – Herr Sintrup wandte sich jetzt ausschließlich wieder zu Elfriede; er zwinkerte von ihr zu Pitt und von Pitt zu ihr, und sagte, wie wenn er einen Satz verschluckt hätte: Na, in ein paar Jahren werden wir uns hoffentlich wieder sprechen. Er war nicht mehr nüchtern, seine Anspielungen wurden immer deutlicher, und dann wollte er gern ihr «süßes kleines Händchen» küssen. – Luft, Luft, rief Fräulein Nippe plötzlich, man erstickt hier ja! eilte zum Fenster, öffnete es und verharrte an der Gardine. Herr Könnecke, der nun nichts mehr beweisen konnte und sich ohne seine Kusine unbehaglich zu fühlen begann, folgte ihr, unter dem Vorwand, das Fenster wieder zu schließen, falls es kalt würde. – Sie starrte verdrossen in die Nacht hinaus; ach geh doch! sagte sie unwirsch, und befangen zog er sich langsam wieder zurück. – Herr Sintrup hatte inzwischen rasch ein paar aufklärende Worte an Elfriede und Pitt gerichtet und sagte jetzt: Paßt mal auf, wie ich die wieder rumkriege! – Er erhob sich, trat zu ihr hin, reichte ihr ein neues Glas und sagte: Also besinnen Sie sich vielleicht doch noch? – Wieso? fragte sie mißtrauisch. – Nun, ich dachte mir, an der einen Erfahrung als Hausdame hätten Sie genug, und deshalb fragte ich nicht weiter. Aber wenn Sie einmal Lust haben sollten, dann ließe sich ja weiter über die Sache reden. – Zunächst konnte sie vor Überraschung nicht viel erwidern und sagte nur: O bitte. – Erst allmählich ward ihr alles klar: Wie grundfalsch hatte sie diesen Mann beurteilt! Nichts, gar nichts hatte er bemerkt! Sie hatte die Unterhaltung dahin dirigiert, wohin sie sie haben wollte, und er meinte, er habe dies getan! Freilich, daß er sagte, er wolle keine Person, die silberne Löffel stehle, und dabei schon an sie dachte – nein, ganz fein war das nicht; aber er meinte das ja gar nicht so! Reiner Widerspruchsgeist gegen ihre eigene vorher geäußerte Meinung über das Ideal einer Hausdame: Männer widersprechen doch so gern! Und daß er ihr einmal geradezu ins Gesicht lachte – mein Gott, ein bißchen plumpe Kindlichkeit, ja geradezu Verlegenheit war das gewesen! Dieser Mann wollte ganz einfach, ganz natürlich behandelt werden! Sie streckte ihm die Hand entgegen und sagte: Also: Ein Mann – ein Wort! – Was verabredest du denn da mit Herrn Direktor? fragte Herr Könnecke neugierig. – Ich werde bei Herrn Direktor Hausdame! sagte sie mit Genugtuung. – Ihm war, als fiele er irgendwo herunter, und er sah sie flehend an. – Sie lächelte gönnerhaft: Einmal muß ja doch geschieden sein, daß es nun so bald geschähe, hätte ich freilich auch nicht gedacht. – Sie trank den Rest aus ihrem Glase. Na, so bald ist es hoffentlich nun nicht! meinte Herr Sintrup. Sie wollte gerade antworten: Hoffentlich wohl doch! als ihr die Situation wieder einfiel. – Allerdings! sagte sie zartfühlend; hoffen wir, daß es noch recht – noch ziemlich lange dauert! Sie reichte ihm wieder die Hand, als wenn sie sich soeben verlobt hätten, und Herr Sintrup schnitt ein vergnügtes Gesicht. – Herr Könnecke war noch immer in seiner Erstarrung: der ganze Champagner schmeckte ihm nicht mehr. Jetzt flüsterte Pitt ihm zu, alles sei nur ein Scherz; sein Vater habe es ihm selbst gesagt; er erlaube sich öfter solche Scherze. Da fühlte sich Herr Könnecke wie von einem Eisenpanzer befreit, er empfand plötzlich eine starke Lebensfreude und sagte unvermittelt: Schiller ist doch wirklich der größte Dichter! Ich verstehe zwar nicht viel von Literatur und komme selten ins Theater, aber immer, wenn Wilhelm Tell gegeben wird, denke ich: Da möchte ich rein! Ich gehe auch manchmal in Wilhelm Tell, und ich kann mir nicht helfen: immer, wenn er auf den Apfel zielt, denke ich: Jetzt trifft er'n nicht und schießt den Jungen tot! Maria Stuart habe ich auch mal gesehen, aber das mag ich nicht so gerne; ich denke immer: Wozu reden die soviel, es hilft ja nichts – sie wird ja doch enthauptet. – Das verstehst du eben nicht! rief Fräulein Nippe, du hast keinen Sinn fürs rein Poetische! Ach, immer, wenn die Worte kommen: Eilende Wolken, Segler der Lüfte – da weine ich jedesmal meine Naht 'runter! Wird in Ihrem Theater viel Schiller gegeben? wandte sie sich an Herrn Sintrup. – Jawohl! Räuber, Don Cesar, Tell – das wird alles bei uns gegeben! Fräulein Nippe sah schon im Geiste einen Abonnementsitz und sich darauf, im schwarzen Seidenkleide. – Du darfst uns dann mal besuchen! wandte sie sich an ihren Vetter, und dem gab es wieder einen Stich, obwohl er ja wußte, daß alles nicht wahr sei; aber sie redete auf einmal so zu ihm, als ob sie – als ob er – er wußte selber nicht wie. – Und die Kinder, wenn die in den Ferien heimkommen, die sollen es dann schon gemütlich finden! Sie sah zu Pitt herüber: Nicht wahr, ich sorge doch jetzt schon für Sie wie eine Mutter! Dann wandte sie sich wieder an Herrn Sintrup: Sie sollen sehen, wie auf einmal alles blitzblank und sauber in Ihrem Hause wird! – Das wäre sehr zu wünschen! – Dann wäre es aber doch vielleicht das beste, ich käme bald! – Ja, offen gestanden: lieber heut als morgen. – Aber Sie drolliger Mann, weshalb lassen Sie denn alles so langsam aus sich herausziehen?!

Elfriede erhob sich; sie wollte diese Szene nicht mehr bis zum Ende mit ansehen. – Ich begleite dich! sagte Pitt. Herr Sintrup, der wieder zum Tisch getreten war, hörte, wie sein Sohn – der dieses selbst nicht wußte – in so vertrauter Form zu Elfriede sprach. Sie mal! dachte er, die beiden sind ja schon viel weiter als ich dachte; na, das hätte er mir auch wohl vorher sagen können, dann hätte ich mir selber nicht so viel Mühe zu geben brauchen. – Er sah nach seiner Uhr und fand die Zeit genügend vorgeschritten, um selber aufzubrechen. – Das ist ja aber jammerschade! rief Fräulein Nippe, jetzt, wo wir erst anfangen, recht gemütlich beieinander zu sein. Bleiben Sie doch noch! fügte sie hinzu, als sei sie die Hausfrau und Gastgeberin. – Ich muß leider gehen! sagte Herr Sintrup, aber es wird mir ein besonderes Vergnügen sein, wenn Sie mit ihrem Herrn Onkel oder Vetter den Abend feiern, solange Sie wollen. Ich werde dem Kellner die Weisung geben, mir die Rechnung später zuzuschicken; man kennt mich hier genügend, ich zahle alles. Suchen Sie sich nur das Beste raus! Fräulein Nippe nahm diesen Vorschlag begeistert an und pries seine «gentile Großmut», während Herr Könnecke rot wurde und sich wie ein Bettler behandelt vorkam. Er protestierte auch dankend und zog sich seinen Mantel an; sie war aufgebracht, und als alles nichts half, rief sie: Du hast überhaupt gar nicht mitzureden! Du warst ja von Anfang an gar nicht mit eingeladen! Ich habe dich doch nur mitgenommen! – Und Sie wurden von mir mitgenommen, das kommt doch auf eins heraus! sagte Herr Sintrup ärgerlich und wollte damit Herrn Könnecke über die Situation hinweghelfen. – Nun war Herr Könnecke eisern in seinem Entschluß, und Fräulein Nippe mußte ihm wohl oder übel folgen. Herr Sintrup warf noch große Trinkgelder um sich; dann stand man draußen und nahm Abschied. – Schreiben Sie mir nun recht bald so einen richtigen Schreibebrief! wandte sie sich an Herrn Sintrup; und überhaupt, wann soll ich denn nun kommen? – In dem gutmütigen Herrn Könnecke wachte plötzlich ein Rachegelüste auf, für alles, was seine Kusine ihm heute abend angetan hatte: Mach dich doch nicht lächerlich! sagte er nachdrücklich; merkst du denn nicht, daß Herr Direktor nur einen Scherz mit dir gemacht hat?! – Fräulein Nippe fühlte etwas Eisiges ums Herz herum: Haben Sie sich wirklich einen Scherz mit mir erlaubt? – Ungemein ernst, rief Herr Sintrup, seinen Hut im Abgehen schwenkend, ungemein ernst ist es nicht gewesen. – Sie würgte an ihrer Enttäuschung, und in dem heftigen Bedürfnis, nichts davon zu zeigen, rief sie in erzwungen heiterem Ton Pitt nach: Sie sind mir ja noch Ihre intime Geschichte schuldig, wissen Sie nicht mehr? – Ein andermal, ein andermal! tönte Herr Sintrup zurück: Bis dahin ist sie dann noch intimer geworden! Sie sah ihnen noch einen Moment unbeweglich nach, dann wandte sie sich zu ihrem Vetter: Nun sind wir wieder allein! sagte sie, und während sie sich innig an seinen Arm schmiegte, erfaßte sie eine irritierte Wut gegen ihn, der ihr gleichsam übergeblieben war. Und in ihm schmolz sogleich die Bitterkeit: wenn man der Sache auf den Grund sah – hatte sie denn so unrecht, daß sie mit beiden Händen zugreifen wollte? Was konnte er ihr denn bieten?

Herr Sintrup verabschiedete sich inzwischen von Pitt und Elfriede. Er dachte an seine Verabredung, war eigentlich nicht mehr recht in Stimmung, wollte sie aber trotzdem innehalten, da die Stimmung sich wohl wieder einstellen würde. – Kann man dich auch so allein gehen lassen? fragte er neckisch und drohte Pitt mit dem Finger. Was siehst du mich denn so komisch an? Da Pitt nicht antwortete, kam eine kleine Pause, Herr Sintrup schaute von einem zum andern, dann, wie nach einem Entschlusse, reichte er Elfriede die Hand, schlug die Hacken wieder zusammen und verband damit den Anfang und das Ende seiner heute abend durchlaufenen Kreisbahn tadellos und klappend prompt.

Pitt holte aus tiefster Brust Atem und sagte langsam: Gott sei Dank. Dann holte er noch einmal Atem und dann zum drittenmal. – Hatte ich Ihnen nicht gesagt, fragte er nach einer Weile traurig, wie alles werden würde? Und ich selbst komme mir Ihnen mit einem Male ganz fernegerückt vor; es kann ja auch kaum anders sein. – Ihr war, als erwache sie aus einem beklemmenden Traume. Sie hörte seine Stimme wieder, all das, was sie heute abend von ihm abgestoßen hatte, erschien ihr jetzt nur noch unendlich traurig, das alte, echte Gefühl strömte voll in sie zurück, ihr war, als habe sie ihn noch viel lieber als früher. Und sie sagte es ihm. Wirklich? fragte er, und ergriff ihre Hand. Und dann wurde er allmählich sehr vergnügt und pfiff eine Melodie, die er durch sie kannte, während sie wortlos und nachdenklich neben ihm herschritt.

Ich begleite dich! Diese Worte hörte sie noch, als alles still und dunkel um sie war.


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