Friedrich Huch
Pitt und Fox
Friedrich Huch

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Essen verlief zu aller Zufriedenheit. Fox hatte sich um die Weine gekümmert und seine Kennerschaft bewährt. Herr Sintrup sagte stolz: Ja ja, mein Sohn hat auf der Universität nicht bloß Fach gesimpelt, er hat auch den Magen nicht zu kurz kommen lassen! – Man stieß auf das Wohl der Braut an, und Frau Feihse rief selbstvergessen: Heil, Elsa von Brabant! entschuldigte sich aber sofort, falls dies zu intim wäre. Dann brachte Herr Sintrup einen Toast auf Frau Heine aus, die dies gütig über sich ergehen ließ. Schließlich hob Elsa ihr Glas und sagte in einer plötzlichen Anwandlung: Es sei doch eigentlich schade, daß Pitt nicht zugegen sei – erntete damit aber keinen Beifall; vielmehr wurde Herrn Sintrups Gesicht ein wenig trübe, und er sagte: An den wollen wir uns lieber nicht erinnern, er hat es nicht verdient. – Aber er ist doch ein guter Kerl, meinte Fox, nur daß ihm das Zeug zu allem fehlt, das ist wahr. – Ich trinke trotzdem auf sein Wohl! Er hat mich immer so hübsch unterhalten! sagte Fräulein Heine. Elsa! rief Fox, neckisch mit dem Finger drohend, ich weiß, er ist dir immer nachgelaufen! – Was schadet denn das? fragte sie kokett, ich habe ihn immer gern gehabt und werde ihn auch ferner gern haben, und das Nachlaufen werde ich ihm auch nicht verbieten. – Elsa! rief Fox mit warnender Stimme, aber sie legte sogleich ihre Hand auf die seine und beruhigte ihn. So lief der Abend ungetrübt, harmonisch hin, fast wäre es allerdings einmal zu einem unliebsamen Zwischenfall gekommen: Frau Feihse nämlich, angeregt durch den Wein, konnte sich nicht enthalten, ohne Namen zu nennen, auf Lotte anzuspielen, und schließlich gar zu sagen: Und wissen Sie wohl noch, der merkwürdige Junge, der immer rief: Wer ist denn der Onkel? – Hier mußte ein für allemal ein Riegel vorgeschoben werden. Fox erhob sich, indem er sagte, er wolle draußen Zigaretten holen, kam aber sogleich zurück und fragte Frau Feihse, wo sie ständen. Sie folgte ihm dienstbeflissen und war erstaunt, als er sie draußen sofort auf das deutlichste und schroffste zurechtwies, mit kurzer, unterdrückter, schneidiger Stimme. – Sie war sehr erschrocken und nannte sich selber taktlos und «ehrenrührig». Um ihm ganz zu zeigen, wie sehr sie ihn begriffen, erzählte sie dann später von ihrem Vetter: eine wie glückliche Ehe der führe mit eben jener Dame, die sie zuvor genannt habe, und daß der Himmel ihm so viele Kinder beschert habe. Einmal sei ihr eigener Mann, Herr Feihse, als diese Kinder groß genug waren, es zu verstehen, ihnen als Weihnachtsmann erschienen. Sein höchster Traum wäre gewesen, einmal seinen eigenen Kindern als Weihnachtsmann zu erscheinen, aber da sie ihm versagt blieben, mußte er es vor fremden – die gute alte Haut! Und wie er nun vor den Kindern stand, da habe er kein Wort hervorbringen können, denn er sei zu erregt gewesen.

Am nächsten Morgen umarmte Herr Sintrup Fox abermals, sagte, er habe Freude an seinem Sohn erlebt, und händigte den Damen mit großer Galanterie zwei Blumensträuße aus. Zum Schluß bekam Frau Feihse einen Weinkrampf: Frau Heine vermißte ihren Brillantring; sie hatte ihn auf dem Waschtisch liegen lassen, er fand sich nicht gleich, und nun konnte man vielleicht ihre arme, unschuldige Seele im Verdacht haben! – Gott sei Dank! sagte Herr Sintrup, als er vom Bahnhof zurückkehrte, Frau Feihse, Sie haben sich wirklich glänzend bewährt! Sagen Sie mal, wollen Sie nicht dauernd die Wirtschaft bei mir führen? Ich sage Ihnen aber gleich: Es geht bei mir etwas drüber und drunter. Sie könnten hier famos Ihre Muttertalente anbringen!

Muttertalente! Ja, sie war zu alt geworden zur Liebe, das fühlte sie; sie hatte endgültig verzichtet, sie machte sich keine Illusionen mehr, nun noch jemand zu gewinnen: Muttertalent, das war das einzige Pfund, mit dem sie noch wuchern konnte, das war das Zauberwort, das ihrem Leben einen Inhalt geben würde! Dieser Mann war noch nicht alt genug, um ganz auf die Freuden des Lebens zu verzichten – Haarnadeln, Puderbüchsen, Brennmaschinen – das alles deutete auf kein Alleinleben. Und das sah sie ja in allem: ausgenutzt wurde dieser Mann! Sie würde ihm mit Rat und Tat zur Seite stehen, mit ihrer Menschenkenntnis, ihn warnen und bewahren vor allem Bösen, und wenn sie manchmal für zwei zu bügeln hatte, was war da schließlich dabei?! Sie fühlte sich erhaben über die Vorurteile der Menschen. Wenn Herr Sintrup einmal starb, würde er ihr doch für ihre opferwillige Tätigkeit eine kleine Rente aussetzen, und Fox, der reiche Fox, war doch dann auch noch da! Er würde ihre Aufopferung für seinen Vater splendide revanchieren, an seiner Desdemona! Sie blieb und bat Herrn Sintrup in der Folge, sie wieder bei ihrem Mädchennamen zu nennen.

 

Pitt hörte von diesen Dingen, auch von seines Bruders Reise und Triumph, aber das alles traf ihn wie Nachrichten aus einer andern Welt. Ihm war, als sei er um Jahre zurückversetzt, als kehrten frühere, glückliche Zeiten wieder, nur mit dem Unterschied, daß er sie jetzt bewußt als Glück genoß. Er sah Elfriede oft, so oft er wollte, und nur die eine Sorge befiel ihn zuweilen: Daß dieses Glück wieder aufhören könne. Mit heimlicher Angst wartete er manchmal darauf, daß ihr Wesen wieder jenen wortlosen, verschlossenen Charakter annehmen könne wie früher, damals, draußen auf dem Gute. Aber das geschah nicht, sie war gleichmäßig warm und zart, sie zeigte keine Veränderung des Wesens, selbst wenn bei ihm manchmal die alte Zerstreutheit, die bekannte Kühle, die völlige Abwesenheit aller Gedanken eintrat, wenn er mitten im Gespräch etwas völlig Zusammenhangloses erwiderte, wenn er ihre dringlichen Fragen über Dinge, die ihr am Herzen lagen, überhörte. Sie gewöhnte sich daran, sie wollte sich daran gewöhnen, denn sie mußte es. Manchmal dachte er, ob er wohl so mit ihr zusammen leben könnte wie mit Herta; dann wollte es ihn bedünken, als gestaltete sich mit ihr zusammen alles leichter – und doch schob er diesen Gedanken ängstlich in den Hintergrund. Alles war so, wie es war, viel schöner. – Aber er konnte nicht verhindern, daß die Gedanken wiederkamen.

Frau van Loo sah dem Verkehr der beiden zu und ahnte, zu welchem Ende er führen würde. Sie redete mit Elfriede, und Elfriede sprach es als etwas Selbstverständliches aus; Frau van Loo sah sie sinnend und zärtlich an und sagte: Du mußt es wissen, Elfriede, was du tust; du hast jahrelang Zeit zum Nachdenken gehabt, und wenn dies die Frucht deines Nachdenkens ist, so muß ich zufrieden sein.

Wie ein stilles Wasser floß die Zeit hin, so still und milde, wie draußen jetzt die Tage waren. Der Sommer war vorüber, aber ein leises Leuchten lag über der Erde, über den Feldern und allen Bäumen, der Himmel war hellblau und kühl, und doch wärmte die Sonne fast wie im Sommer. Leise begann das Laub sich bunt zu färben, und durch die Luft zogen feine, silberne Fäden, die sich glänzend in der Ferne verloren.

Elfriede fühlte in Pitts Wesen eine innere Wärme, die nie ganz auf die Oberfläche drang, sie fühlte, daß er sie liebte, wie er überhaupt zu lieben fähig war, und eines Tages sagte er es ihr selbst.

Sie war zu ihm herangetreten und hatte in leiser Zärtlichkeit ihren Kopf an seine Brust gelegt. – Könnten wir denn nicht ganz zusammen bleiben? fragte sie mit ruhiger, verhaltener Stimme, scheint es dir denn so ganz, ganz unmöglich?

Er machte sich los von ihr. Elfriede! sagte er, du weißt nicht, was für ein Mensch ich bin; es ist ganz, ganz unmöglich. – Doch, doch, sagte sie, ich weiß alles. – Nein, du weißt es nicht, wie haltlos, wie unbeständig ich bin. Mir ist es jetzt, als liebte ich dich; ich fühle es stärker, als ich Herta gegenüber fühlte; aber ich kenne mein Gefühl, ich weiß, daß es nicht standhält. Ich empfinde zu Zeiten gegen die allernächsten Menschen so, daß ich im Zweifel bin, ob ich überhaupt irgendeines Gefühles fähig bin. Es liegt nicht an den Menschen, es liegt nur an mir, an der Zusammensetzung meines Wesens. Du stehst mir jetzt unendlich näher als damals, wo wir zum erstenmal zusammen waren, ich weiß: Wenn ich das Leben mit jemand leichter ertragen kann als ganz allein, so bist du es; eine Zeitlang wird es scheinen, als seien wir beide glücklich; dann kommt wieder langsam jenes halb wahnsinnige Gefühl über mich: Mich herauszureißen aus allem, was mich bindet! – Es soll dich nichts binden, sagte Elfriede, du sollst das Gefühl behalten frei zu sein, durch nichts gebunden. Du sollst gehen können, wann du willst, du sollst nicht immer bei mir bleiben; ich weiß: nur wenn du das Bewußtsein deiner Freiheit hast, kannst du dauernd mit einem Menschen zusammen sein. Und wenn die schlimmen Zeiten kommen, wenn du wirklich gehst, so weiß ich: du wirst zurückkommen, ich werde immer die sein, die dir am nächsten steht. – Pitt hob den Arm: Du kannst es nicht ertragen, du wirst Bitterkeit gegen mich empfinden, du wirst es fühlen, wie egoistisch, wie herzlos ich im Grunde bin. Du sollst dich nicht täuschen lassen durch meine Worte: ich sagte dir, du ständest mir am nächsten von allen Menschen. Genau dasselbe habe ich einst zu Herta gesagt, und ich weiß: ich habe damals mich und sie selbst betrogen. Herta war für mich nichts anderes, als das, was der Ast, der über den Fluß hängt, für einen ist, der auf den Wellen treibt. Ich klammerte mich an ihn, ich suchte mich aufs Land zu ziehen. Kaum war ich ein wenig trocken, kaum hatte ich die Erschöpfung etwas vergessen, verlor ich alle Dankbarkeit, wollte ich wieder zurück in den Strom, ging mich der Ast im Grunde nichts mehr an. Ich suchte mich vor mir selbst zu täuschen, mir einzureden, das alles sei nicht wahr. Herta fühlte es aber ebenso deutlich wie ich, nur hatte sie mehr Mut und Klarheit, und machte da ein Ende, wo ich immer flicken und wieder flicken wollte. Dann bildete ich mir ein – wie früher schon in ähnlichen Momenten: ich liebte dich – um nicht so völlig leer und gefühllos vor mir selber dazustehen: Elfriede! Glaube nicht an mein Gefühl, es ist nur Täuschung und Halbwahrheit. Du weißt nicht, an was für einen Menschen du dich ketten willst, all deine Liebe würde nicht hinreichen, das Leben mit mir zu ertragen. – Nur dann, sagte Elfriede, wenn ich fühlen würde, daß alles wahr ist, was du sagst. Aber es ist nicht wahr! Zuvor hast du gesagt: du liebst mich so, wie du einen Menschen nur lieben kannst, und jetzt, wo ich hierauf weiter bauen will für mich und für dich, widerrufst du alles, setzest du alles in ein zweifelhaftes Licht. Pitt, daraus sehe ich, daß dein Gefühl zu mir ein echtes, tiefes ist; es packt dich eine Angst der Verantwortung, und nun widerrufst du alles, weil du mich zu sehr liebst, um mir ein Schicksal zu bereiten, das nur in deiner Angst besteht! – Ja, sagte er, so ist es; ich will nicht schuld sein, daß du unglücklich wirst. Herta ist nicht unglücklich geworden, aber sie hat auch die Kraft gehabt, frühzeitig genug alles durchzuschlagen, und dann liebte sie mich lange nicht so, wie ich fühle, daß du mich liebst! – Du redest immer von Hertas Stärke – ich kann dies nicht als Stärke empfinden, ich fühle mich viel kräftiger als sie, denn meine größere Liebe macht mich stärker gegen alles, was mich treffen kann. Alle Zeiten scheinbarer Entfremdung, die zwischen dir und mir kommen können – und sie werden kommen – werde ich ertragen in der Gewißheit, daß du dich stets, stets zu mir zurückfinden wirst. Wir werden Kinder haben, und in ihnen werde ich dich selber wiederfinden, und du vielleicht auch mich. Du siehst mich noch zu sehr mit den Augen, mit denen du mich früher sahst: ich bin kein junges Mädchen mehr, voller Ideale und Ansprüche, meine Liebe zu dir ist eine andere geworden als sie war. Ich wollte dich vergessen, mehr als ein Menschenschicksal hat sich mit meinem eigenen gekreuzt – und ich habe es erfahren, daß der Weg aus ihnen immer wieder zu dir zurückführt. Ich bin geläutert worden und komme wieder zu dir: ich weiß alles, alles, wie es werden wird, aber dies alles zu tragen bist du mir wert, denn nie war ein Mensch da, den ich so liebte, und nie, nie wird jemand in mein Leben treten, zu dem ich so empfinden könnte wie zu dir. Mir ist ja, als kennte ich dich, solange ich überhaupt nur denken kann! – Du weißt es nicht, Elfriede, was du auf dich nehmen willst! – Ich weiß alles, und ich nehme es auf mich. – Sie war zu ihm getreten und sah ihm in die Augen. Da zerlöste sich alles in ihm in einem Gefühl unsäglicher Dankbarkeit, er sank fast an ihr nieder. – Ich will es versuchen, Elfriede, und wenn du mir hilfst – mein Gott, wenn nicht alles tot und wüst ist in mir – o Elfriede, wenn ich noch mit dir zusammen glücklich würde!

Du wirst es, soviel du überhaupt glücklich werden kannst! Und ich mit dir! – Und deine Kunst, was wird aus deiner Kunst? – Die wird mir doppelt wert werden, denn ich werde mich viel an sie halten müssen. – Elfriede, ich schäme mich, wenn ich dich so reden höre; bin ich denn wirklich so fürchterlich, wie ich mir selbst erscheine? – Sie lächelte: Solange du so fragst, bist du es nicht. Er legte seine Hände um ihr Haar und küßte sie. – Du bist stark und kräftig, sagte er, und deine Kinder werden es auch sein, wenn sie dir nachgeraten. Du wirst mit ihnen jung bleiben und leben, und ihr alle werdet kräftiger und stärker sein als ich. – Seine Augen sahen über Elfriede hinweg ins Abendrot; er schwieg, und wie zu sich selber sagte er nach einer Weile langsam: In einem aber werde ich sie alle überholen; einen nach dem andern werde ich hinter mir lassen, denn ich fühle es: Ich werde ur-uralt.


 << zurück