Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

5.
Von der dreifachen Kraft Gottes


Wir müssen drei Kräfte unterscheiden: eine, die wachsen läßt, oder die schaffende Kraft, eine, die erhält, welche auch auf sich selbst gerichtet sein kann, und eine, die sterben läßt, oder eine freiwillig sterbende. Die gottväterliche, welche wachsen läßt, ist uns unbewußt, die freiwillig sterbende ist gottbewußt, in ihr wohnt ein Ideal, das sie von sich selbst ablenkt, so daß sie sich über andere vergißt, die sich selbst erhaltende ist zunächst unwillkürlich, wird aber bewußt. Solange sie unwillkürlich, in die göttlichen Kräfte eingeschlossen ist, ist sie gut, sie wird satanisch, wenn sie selbständig wird und sich im Gegensatz zu Gott erhalten will. Alles Teuflische ist in seinen Anfängen gut, solange es nämlich ein zu überwindendes Moment im Göttlichen bleibt.

Die Kraft, die wachsen läßt, schafft die Form innerhalb des Raumes und gibt das Gesetz innerhalb der Zeit; die Kraft, welche sterben läßt, löst die Form auf und hebt das Gesetz auf, sie ist die Ewige Zeit oder Ewigkeit im Gegensatz zu Raum und Zeit. Wir unterscheiden diese Kräfte auch als Notwendigkeit und Freiheit, die Griechen nannten sie die apollinische und dionysische. In der Bibel steht zwischen der schaffenden Kraft Gott Vaters und der opfernden Kraft des Heiligen Geistes der Sohn, der die sich selbst erhaltende Kraft kennt, aber überwindet, um die alte, erstarrte Form zu zerstören und neuem Wachstum den Boden zu bereiten. Das stete freiwillige Hingeben des Gestalteten zugunsten neuer Gestaltung steht als Opfer im Mittelpunkte jeder Religion. Je höher die Beziehung auf sich selbst, die Sucht der Selbsterhaltung steigt, desto notwendiger wäre das Opfer des eigenen Selbst. Denn zwischen Leben und Tod besteht ein geheimnisvoller Zusammenhang: die Kraft, welche wachsen läßt, und die, welche freiwillig stirbt, ist als Liebe unlösbar zu einer verflochten, indem das Wachsende sich von der Kraft dessen nährt, der es wachsen läßt. Das Gleichgewicht der Natur wird durch die Sucht, sich selbst zu erhalten, aufgehoben; daher innerhalb der selbstbewußten Menschheit Gott sich als die dionysische Kraft des Sichselbstvergessens neu offenbaren mußte.

Wenn es der selbsterhaltenden Kraft gelingt, die opfernde Kraft, welche jene fortwährend zu überwinden sucht, zu verdrängen, so kündigt sich das entstehende Mißverhältnis an durch das böse Gewissen. Der naiv Handelnde, den Gott wachsen läßt, ist, wenn er auch Sünden begeht, vor Gott unverantwortlich und leidet nicht unter bösem Gewissen. Unverzeihlich dagegen ist die Sünde wider den Heiligen Geist, wie die Bibel es nennt, das stete Handeln wider das Gewissen und die Betäubung des Gewissens, welche zur Erstarrung oder zum geistigen Tode führt. Die Sünde wider den Heiligen Geist besteht also in einer Verdrängung der göttlichen Kräfte durch die Beziehung auf sich selbst oder die Sucht, sich selbst zu erhalten. Das böse Gewissen, von dem ich hier spreche, ist also nicht etwa die Reue über ein begangenes Unrecht, sondern das Bewußtsein, sich selbst über alles oder niemanden so wie sich selbst zu lieben, ich kann auch sagen die vollzogene Zentralisation des eigenen Ich.

Die die Welt schaffenden, erhaltenden und auflösenden Kräfte werden eins in der Person des Gottmenschen, dem Ebenbilde Gottes, dem Ziele der Schöpfung. Er erfüllt das Gesetz und hebt es auf, er bringt Frieden und doch den Krieg, er liebt seine Feinde und verflucht die Pharisäer. Am nächsten stehen ihm unter den Menschen Paulus und Luther, wenn auch, besonders was Luther betrifft, der Abstand nicht verkannt werden kann, den die Zeit mit sich brachte und der natürlich auch in der Person liegt. Dessen war sich Luther wohl bewußt, wenn er klagte, daß ihm der Märtyrertod versagt sei, und daß ihn die alte Schlange greulich gebissen habe.

Bereits zu Luthers Zeit war die Kraft der Selbsterhaltung im Begriff, die unbewußten Kräfte des Wachsenlassens und Sterbenlassens zu überwiegen. Er hätte nicht auf seine Zeit wirken können, wenn nicht auch in ihm die Kraft des Erhaltens bis zu einem gewissen Grade wäre wirksam gewesen, z. B. im Organisieren; immerhin überwogen in ihm die göttlichen Kräfte noch so sehr, daß er von den Zeitgenossen und von den Nachkommen gar nicht verstanden wurde.

Jeder Gottmensch hat ein Doppelantlitz: zerstörend und neubildend. Zerstören muß er, weil die freiwillig sterbende Kraft durch den Satan der Selbsterhaltung verdrängt worden ist, nicht aus Zerstörungslust, sondern im Auftrage Gottes, als Vertreter des Ganzen. Mit dem Atem der Freiheit reißt er Zwingmauern um und läßt mit schaffendem Zauberwort neues Leben wachsen. Aber an allen menschlichen Helden kann man auch die Selbstbeziehung beobachten, welche die göttliche Kraft spaltet, damit sie sich wieder vereinigt, die sie aber auch endgültig trennen kann, so daß die Dreieinigkeit auseinanderfällt. Das Überhandnehmen der selbsterhaltenden Kraft über die unbewußten Kräfte ist ein Alterssymptom, welches bis zum Tode führen kann.

Alle heidnischen Völker beteten neben der schaffenden und erhaltenden Kraft auch eine zerstörende an; die christliche Religion erkannte, daß Gott der All-Liebende, der Gott der Lebendigen ist, der Lebendiges wohl verwandelt, aber nur das Tote zerstört; daß es die Menschen sind, die sich, verführt vom Teufel, selbst zerstören, wenn sie sich, stolz geworden, über Gott setzen und sich selbst führen wollen. Alle unwillkürlichen Kräfte führen zur Verwandlung; die selbstbewußte Kraft führt, nach Verdrängung der unwillkürlichen Kräfte, zum geistigen Tode, zur Erstarrung und zur Selbstzerstörung.

Solange die unbewußten Kräfte überwiegen, beruht das öffentliche Leben auf Persönlichkeiten, die, indem sie miteinander kämpfen, einen Ausgleich von Macht, Freiheit und Recht herbeiführen. Fällt die Dreieinigkeit durch das Überwiegen der selbsterhaltenden Kraft, durch Zentralisierung, auseinander, so stehen Macht, Recht und Freiheit unausgeglichen und unausgleichbar nebeneinander; das Recht oder die absolute Form als Mechanismus, die Macht oder die absolute Person als Despotismus, die Freiheit oder der absolute Geist als Anarchie.

Im Altertum war das Aufgehen des einzelnen in der Gemeinschaft, das Sichopfern des einzelnen für das Vaterland noch etwas Selbstverständliches. Im Mittelalter war wenigstens die Äußerung des Machttriebes noch selbstverständlich. In der modernen civitas hominis regelt sich das Leben nicht mehr von selbst, d. h. durch den natürlichen Zusammenhang aller mitwirkenden Kräfte, aus dem Unbewußten, sondern durch den Verstand. Das Dilemma besteht darin, daß nur die nicht selbstbewußte, die göttliche Kraft, schaffende Kraft ist.


 << zurück weiter >>