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18. Kapitel

Dem afrikanischen Hornraben gelang es, einen längeren Besuch in der Freiheit zu machen. Der schwarze Vogel, der die Größe eines Truthahnes hat, mit dem mächtigen Schnabel, war auf die einfachste Weise von der Welt entflogen. Nach der Fütterung durch den Wärter war die Tür der Außenvoliere nicht eingeschnappt; als ein Vorübergehender dagegenstieß, tat sie sich auf, und der Vogel schritt bis an den Rand seines Käfigs. Dann hüpfte er tolpatschig und doch leicht den halben Meter hinunter, der ihn vom Fußweg trennte, und sah sich aufmerksam und klug um. Seine dunklen Augen waren von schwarzen Wimpern beschattet, die dem Ausdruck des Vogels etwas Menschliches gaben.

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Der Abbagamba an der Schwelle der Freiheit

Als er jetzt wieder ein paar Schritte ging, vervollständigte sich der Eindruck, denn er hatte den etwas wiegenden und doch sicheren Gang eines Bauern.

Nun bogen zwei Kinder um die Ecke des Vogelhauses. Den Hornraben sehen und mit Gebrüll draufzustürzen war eins. Der breitete seine Schwingen aus, schlug mit kurzen, kräftigen Schlägen die Luft, während er eine Reihe von Startsprüngen über den Kinderspielplatz hin machte, und dann flog er.

Es war dem Vogel etwas ungewohnt, doch erfüllte ihn ein Lebensgefühl, wie er es lange nicht mehr empfunden hatte. Unter ihm schrien und riefen die Menschen, ein Wärter rannte in der Richtung, in der der Vogel flog, so als wenn er ihn einholen könnte, aber der Hornrabe schwang sich über die Wipfel der Bäume und flog schon nicht mehr über dem Gebiet des Zoologischen Gartens.

Als er gleich darauf über den Bahnhof zog, stieß eine D-Zug-Lokomotive mit viel Lärm mächtige Rauchgebirge aus. Der große, düster gefärbte Vogel verschwand im weißen Qualm, dann hob er sich entsetzt aus den Rauchwolken, gewann eine beträchtliche Höhe und orientierte sich.

Weit im Westen sahen seine scharfen Augen hinter endlosen Flächen von Steingebirgen, dem Häusermeer der Großstadt, einen dunklen Streifen – den Wald. Dorthin zog er.

Tausende von Menschen hatten den seltsamen Riesenvogel über der Stadt dahinziehen sehen, und die Abendblätter brachten schon die Nachricht von der Flucht des afrikanischen Hornvogels.

In den beiden Tagen darauf druckten auch die Kreisblätter die Notiz und baten darum, auf den Verbleib des Vogels zu achten, aber nicht auf ihn zu schießen, sondern, wenn möglich, ihn gefangenzunehmen, ohne ihn zu beschädigen.

Doch merkwürdigerweise gelangte vorerst keinerlei Nachricht an die Schriftleitungen der Blätter. Schon nach wenigen Tagen vergaß man den »Abbagamba«, wie die Afrikaner den Hornraben nennen, und die Zoodirektion war der Ansicht, daß der Vogel irgendwo umgekommen wäre. Nachdem Abbagamba den Wald erreicht hatte, fiel er erschöpft in die Krone einer Kiefer ein. Er war des Fliegens seit langem entwöhnt, und der Langstreckenflug ist sowieso nicht die Stärke der Hornraben.

Wie er so saß, das Sonnenlicht wurde schon golden, ruderten ein paar Krähen über die Wiesen heran. Eine baumte in derselben Kiefer auf, in der der Afrikaner regungslos saß.

Die Krähe rüttelte ihr grauschwarzes Gefieder, senkte ihren Kopf mit dem kräftigen Schnabel nach unten und rief kula-kula. Weiter kam sie nicht, denn ein Riesenschnabel sauste auf ihren Rücken. Die Krähe quarrte in Todespein, sie krampfte die Füße, ihre Flügel schlugen wild, und sie wäre zur Erde gestürzt, wenn der mächtige Schnabel sie nicht umklammert hätte.

Der Abbagamba stellte einen Fuß auf den zuckenden und sich sträubenden Vogel, der Schnabel faßte den Hals der Krähe und blieb fest geschlossen. So wurde das Opfer erdrosselt.

Als die Nebelkrähe dann still im Schnabel des Hornraben hing, ließ er seine Beute fallen, um sich gleich darauf selbst vom Ast zu schwingen und neben der Krähe zu landen. Mit wenigen geschickten Schnabelhieben begann Abbagamba seinen Raub zu zerlegen, als über ihm Fittichschlag und Krächzen laut wurden. Die Genossen der Erschlagenen waren über ihm.

Sie stießen voll Wut herab, ihre Augen blitzten, und sie machten einen Höllenlärm. Ein Riesenungeheuer, das ihnen selbst doch ähnlich war, und dergleichen sie noch nie gesehen hatten, zerpflückte eine der Ihren. Mit der den Krähen eigenen Treue und Anhänglichkeit ihren Artgenossen gegenüber haßten sie nun auf den mörderischen Fremdling. Es wurden immer mehr. Mit gebreiteten Schwingen und nach oben gerichtetem Schnabel stand der Hornrabe über der toten Krähe, die er nicht lassen wollte. Doch weithin sichtbar war der tolle Wirbel der auf und nieder jagenden schwarzen Vögel, und so kamen von allen Seiten immer neue hinzu.

Nebelkrähen, Saatkrähen und Dohlen fanden sich zusammen, bis es hundert und mehr waren, und mancher Schnabelhieb traf den Abbagamba.

Schließlich verließen ihn beinahe die Sinne, so tobte der Schwarm der Rächer. Der Hornrabe ließ die Beute im Stich, rannte auf seinen kräftigen, hohen Beinen los, und während seine Schwingen schlugen, bekam er endlich Wind unter die Flügel und flog davon.

Doch die Meute seiner Verwandten ließ ihn nicht. Unter einer Wolke von immer aufs neue herniedersausendem Haß floh der Riesenrabe. Schwerfällig erschien er gegenüber den viel wendigeren Krähen und Dohlen, und so konnte er sich nicht wehren, nur fliehen.

Zuerst versuchte er durch Steigen der Meute zu entgehen. Doch so hoch er stieg, sie folgte ihm. Da ließ er sich wieder sinken und spähte nach einer Deckung aus, die ihn schützen könnte. Doch die Wiesen breiteten sich endlos.

Unter einem Hagel von Schnabelstößen, halb verrückt von dem gellenden Lärm, der in sein Gehör drang, wandte er sich zurück zum Walde. Zuerst gab es auch hier keine Rettung, denn es war raumes Kiefernaltholz. Dann aber kam eine Blöße und dahinter Mischwald, und an dessen Rande standen dichte Brombeerhecken.

Dahinein ließ sich der Gehetzte fallen, wühlte sich in das stachlige Gerank, und wo der Wuchs des Gestrüpps am vollständigsten den Himmel verbarg, bohrte er sich hinein und verhielt sich regungslos.

Eine kleine Weile schimpften die Schwarzen und Schwarzgrauen noch von allen Ästen, dann sahen sie die Nutzlosigkeit ein und flogen davon, denn in den Schlupfwinkel des Verhaßten und doch so Gefürchteten trauten sie sich nicht hinein.

Als dann der Abend kam, stolzierte Abbagamba still und ernst am Waldesrande entlang. Eine kleine Waldwiese sollte ihm endlich die erste Mahlzeit in der Freiheit bringen. Es glückte ihm, ein halbes Dutzend guter, kräftiger Frösche zu fangen. Er faßte sie geschickt mit der Schnabelspitze und drückte ihnen den Kopf ein; dann warf er sie hoch, um sie mit großer Sicherheit in dem aufgesperrten Schnabel wieder zu fangen und den Schlund hinabgleiten zu lassen. Zehn oder zwölf kleinere Fröschchen ergatterte er auch noch, und auf diese Weise leidlich gesättigt, suchte er sich einen geeigneten Schlafbaum und schwang sich ein.

Still stand der große, fremde Vogel auf seinem Ast. In der Kuppel des Baumes war tiefes Dämmerlicht wie unter einem gewölbten Dach.

Abbagamba brachte sein Federkleid in Ordnung, seine Ständer knickten ein, und dann saß er, den Kopf eingezogen, still da. Schnell kam die Dunkelheit, der Hornrabe steckte den Schnabel ins Rückengefieder, und über seine Augen sanken die schwarzen Wimpern herab.

Als der Morgen graute, schlief der Vogel noch. Die Meisen und Goldhähnchen waren schon emsig bei der Arbeit, als der Hornrabe sich überstellte, den Tau aus den Federn schüttelte, Flügel und Ständer streckte und zwei- bis dreimal einen dumpfen Laut aus dem Schnabel dringen ließ. Der klang uh–uh, so, als wenn er aus einer Tonne käme. Die große Rohrdommel ruft ähnlich.

Der Hornrabe warf seinen Kot ab, der klatschend auf die Blätter unter ihm fiel, und dann flog er auf die Erde nieder.

Er brauchte nur drei Schritte zu gehen, da sprangen schon die Grashüpfer nach allen Seiten auseinander. Aber flink und mit großer Sicherheit fuhr der schwarze Schnabel nach rechts und links, und Abbagamba sorgte emsig für sein Frühstück.

Doch Insekten und Frösche konnten den großen Vogel nicht erhalten. Ernst und würdevoll ging er daher auf der Waldwiese hin und her, immer Ausschau nach Freßbarem haltend. Da plötzlich ging vor ihm ein Häufchen Erde auf. Da unten zog der Maulwurf seine dunkle Bahn. Abbagamba stand, einen Fuß vorgestellt, den Kopf leicht zur Seite geneigt, und hielt den Schnabel gesenkt. Und wieder hob sich die Erde. Da stieß der gekrümmte Schnabel vor und tief in das Erdreich. Gleich darauf fuhr er zurück, und der quietschende und sich sträubende Maulwurf hing darin. Doch bald war er verendet, und wieder warf der Hornrabe die Beute in die Luft und würgte den strammen kleinen Kerl hinunter. Dabei drückte er die Augen zu, und sein nackter Kehlsack zitterte vor Behagen.

Abbagamba fühlte sich nun in Form. Die Morgensonne wärmte sein Gefieder, wie er so dahinschritt und behäbig an einigen vorjährigen Farnen entlang wackelte. Da nahm sein alles sehendes Auge eine Bewegung wahr, die, so gering sie auch gewesen sein mochte, den großen Vogel doch wie ein elektrischer Schlag traf.

Dort unter den vergilbten Farnen lag etwas im ungewissen Gewirr von Licht und Schatten, das bei genauerem Hinsehen wie eine große, zusammengerollte Spiralfeder aussah. Oder wie jenes Gebäck, das die Kinder für fünf Pfennig kaufen, eine Zuckerschnecke, nur größer.

Zur Mitte hin bewegte sich ein kleiner Teil des Gebildes, und nur dadurch hatte das wachsame Auge des Hornraben die Spirale trotz der Lichter und Schatten, die sie unkenntlich machten, erkannt.

Er drehte dem Ding die Seite zu und schnellte den Flügel vor, ihn sofort wieder zurückreißend und gespreizt vor sich haltend. Auf den Schlag hin entwickelte sich die Spirale blitzartig zu einer emporschnellenden starken Kreuzotter, die zischend angriff. Aber ihr Biß traf eine der Schwungfedern, die wie ein Zaun vor dem Vogel standen und ihn schützten.

Die Schlange fiel zurück. Sie bog sich seitlich nach hinten, um wieder angreifen zu können. Schon traf sie ein neuer harter Schlag, und ehe sie sich davon erholt hatte, wieder einer. Nun fuhr sie zum zweiten Male drauflos, doch abermals verlor sie ihr Gift umsonst. Noch mehrmals griff die Otter an, immer aber wurde sie hart zu Boden geschlagen. Jetzt war sie erschöpft, auch bargen ihre Drüsen kein Gift mehr, und da traf sie der Schnabel Abbagambas. Er durchschlug ihr das Kreuz, und immer wieder traf der Vogel die sich windende Schlange, bis ihre Bewegungen nur noch ganz matt waren.

Dann packte er sie beim Kopf und würgte die wohl dreiviertel Meter lange Kreuzotter hinunter.

Auf diese Weise endlich gesättigt, erhob sich der Hornrabe und zog fort. Er flog über Wälder, Wiesen und Felder hoch dahin. Ortschaften und Seen fielen unter ihm zurück, und als er eine Stunde so geflogen war, ließ er sich auf einem weiten Brachland nieder, auf dem hin und wieder eine Baumgruppe stand.

Dort lebte er mehrere Wochen ungestört und fand als ausgesprochener Allesfresser reichliche Nahrung. Eines Abends jedoch nahm er sich auf, um wieder ein Stück weiterzuziehen. Er war wohl eine halbe Stunde geflogen, da kam er über ein Erlengebüsch. Auf der Erde fing die Dunkelheit eben an, Busch und Wiese ineinanderzuweben, und Nebelschwaden hingen wie helle Tücher über den Gräben und Senken.

Da donnerte und blitzte es zu dem Fremdling herauf, ein brennender Schmerz durchfuhr seinen linken Flügel, und er stürzte zur Erde hinunter.

Dumpf schlug er auf.

Ehe er noch zur Besinnung kommen konnte, eilte ein Mann heran, gleich darauf ein zweiter.

»Nanu, Strauch, was haben Sie denn da heruntergeholt?«

»Ich weiß ja nicht, Herr Doktor, gucken Se doch bloß mal, was das fürn Ungetüm is – – –«

»Ich glaube wahrhaftig – – Mensch, Sie haben doch den Hornraben geschossen, von dem in den Zeitungen stand! Ich habe Ihnen doch ausdrücklich gesagt, Sie sollen Ihre geehrten Finger stillhalten, außer es kommen Enten!«

»Na, ich wußte doch nicht – – –«

»Nee, das stimmt. Na, nun man los, ziehen Sie Ihren Mantel aus und werfen Sie'n rüber, der Kerl hat ja einen ganz gefährlichen Schnabel.«

Und so wurde Abbagamba wieder gefangen. Und ausgeheilt, denn der Jagdpächter war Arzt, der sich auf so etwas verstand.

Drei Wochen später war der Hornrabe wieder im Zoo in seiner alten Voliere, denn nachdem der Doktor ihn gesund gemacht hatte und der Flügel die Schiene nicht mehr brauchte, brachte er den Vogel dem Zoo zurück, den dort niemand mehr wiederzusehen geglaubt hatte.


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