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35. Kapitel

Bei den Engländern spielt die Tierzucht eine große Rolle. Wenn ihnen in einer ihrer Rassen ein bestimmter äußerer oder innerer Zug fehlt, so scheuen sie sich nicht, ihn einzukreuzen, selbst wenn die Rasse, die ihn in die betreffende Zucht bringen soll, grundverschieden von der zu verbessernden Rasse ist. Die Produkte der ersten Generation sind natürlich ungeheuerlich, was Rasselosigkeit anbelangt.

Dann aber paaren sie aus der Nachzucht die richtigen Tiere, und so erreicht man nach einigen Generationen das, was man angestrebt hat. Das gilt nicht nur für Geflügel, sondern für alle Tiere. So hat man dem Pointer die ihm früher mangelnde Schärfe angezüchtet. Ursprünglich stammt das Material zu dem Wunderhund, den der heutige englische Pointer darstellt, aus Spanien, wie so viele edle Hunderassen von dort hergekommen sind, wenn das auch Jahrhunderte zurückliegt.

Der Pointer, dieser feinnervige Spezialist für die Hühnerjagd, war in England schon seit ein paar hundert Jahren der bewegliche, feinnasige Jagdhund, der er heute ist, wenn er auch sicher nicht die äußerste Vollkommenheit gehabt haben mag, die ihn jetzt auszeichnet. Er war aber psychisch zu zart und ängstlich. Da unternahmen seine Züchter etwas, das in der gesamten Züchterwelt einen Verzweiflungsschrei auslöste: sie kreuzten von allen Hunden der Welt ausgerechnet die Englische Bulldogge in den Pointer ein, denn die Bulldogge verfügt über einen Löwenmut.

Nun stelle man aber die beiden Rassen gegenüber, und man wird begreifen, warum die meisten Züchter die englischen Wagehälse für verrückt erklärten.

Der Pointer ist derart feinnasig, daß seine Nase der eines Wildtieres, sagen wir des Rothirsches, gleichkommt, der auf über hundert Meter wittert. Demgegenüber hat die Bulldogge nur ein minimales Geruchsvermögen. Der Kopf der Bulldogge ist massig, rund, faltenschwer, der Nasenrücken fehlt ganz, der Hund hat also einen ganz eingedrückten Fang. Der Unterkiefer biegt sich weit nach oben über den Oberkiefer. Die Ohren sind klein und sitzen hoch am Kopf.

Der Pointer hat einen feinen gestreckten Kopf, der Fang, die Schnauze ist lang, die Kiefer sind gleichmäßig, er hat Hängeohren, und weder im Gesicht noch am Hals irgendwelche Hautfalten.

Was nun aber das Gebäude dieser beiden Rassen angeht, so gibt es überhaupt keine Parallelen.

Der Pointer hat den feinlinigsten Bau, die bestproportionierte Figur aller Hunderassen. Er ist ein Wunder an Ausgeglichenheit, eine Präzisionslaufmaschine, denn er soll ja auf der Hühnerjagd, ohne zu ermüden, wie ein Vogel über die Fluren streifen, in unermüdlicher Quersuche viel Feld nehmen, und in dem Augenblick, in dem die Witterung seines Wildes die feine Nase trifft, soll er mitten aus dem vollen Tempo heraus seinen Körper so in der Gewalt haben, daß er sofort steht.

Die Bulldogge dagegen ist ungeschlacht, hat eine Brust wie eine Tonne, ihre Geschwindigkeit ist gering, ihre Läufe sind geschweift und mächtig, ihr Hals ist kurz und stiermassig, die Hinterpartie steht höher als die Vorderpartie, kurz, der ganze Hund ist eine Groteske, ein Athlet, dessen Anblick Schrecken einflößt.

Trotz dieser Verschiedenheit in allem und jedem gelang es den Züchtern, einen Pointer zu schaffen, dem man von außen nichts Bulldoggenhaftes mehr ansieht, es sei denn, daß der Fang eine leichte Tendenz nach aufwärts erhalten hat, die aber nur den Typ des feinnasigen Hundes erhöht.

In seinem Wesen jedoch ist der Pointer ein anderer geworden, er hat Mut und Selbstbewußtsein von seinem Bulldoggvorfahren ererbt.

Um so etwas fertigzubringen, muß ein Züchter nicht nur alles wissen, was mit Zucht zu tun hat, er muß auch kühn sein.

Rassisch sehr vollendete Geschöpfe sind im Zoo auch bei den Hühnern zu finden.

Indische Kämpfer, Holländer Weißhauben, Thüringer Pausbäckchen, Favourolles, Italiener, Cochins, Sumatra, Phönixhühner und außerdem die reizendsten Zwerghuhnrassen: die Mille-Fleurs, Bantams, Zwergcochins, Deutsche Zwerge, Antwerpener Bärtchen, und vor allem die Japanesen: winzige Hühnchen mit einem steil aufstrebenden Schwanz, der den Kopf mit dem Riesenkamm überragt, als wären es nicht Federn, sondern ein Strauß von den Blättern der Schwertlilie. Die ganze Figur ist untersetzt, und zwischen der Bauchlinie und der Erde ist kaum ein Zwischenraum.

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Der Japanische Zwerghahn

Von allen Hühnerrassen sind die Japanischen Zwerge bei weitem die originellste Erscheinung. Doch wieviel Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte hat ihre Erzüchtung in Anspruch genommen?

Der Asiat hat Zeit. Was der Vater nicht schafft, führt der Sohn fort, und was der Sohn nicht zum Abschluß bringen kann, daran arbeitet der Enkel weiter.

Nur mit dieser Einstellung waren Japanische Zwerge zu erzüchten, und nur mit dieser Geduld, die über die kurze Zeitspanne des eigenen Lebens hinausgeht, war es den Japanern möglich, den Phönixhahn zu schaffen, dessen Schwanzfedern eine Länge bis zu sieben Metern erreichen.

Es gibt nur noch einen Züchter, der die Japaner in dieser Eigenschaft übertrifft – die Natur.

Welche Kräfte bevorzugen und verwerfen, lassen bestehen oder vergehen, wählen unter Tausenden von Individuen die geeigneten, um auf dem Wege voranzukommen, an dessen vorläufigem Ende die Mähnentaube steht? Das Wesen mit den smaragdschillernden, lanzettförmigen Federn, die, halb so lang wie das Tier selbst, den einzig schönen Halsbehang bilden?

Welch hoher Geist hat so viel Geschmack, daß er Pracht mit so einfacher Schönheit verbindet?

Was ist es für ein Wesen, das den blendenden Einfall hatte, der Dolchstichtaube einen blutroten Fleck mitten auf die helle Brust zu setzen, der so aussieht, als hätte das Tier eben einen Messerstich erhalten, und nun breite sich das Blut auf dem Federkleid aus?

Das ist die Kraft Gottes, sagen die einen.

Die unerschöpfliche Natur, die anderen.

Doch über welche Organe und Sinne des Tieres läuft der Entwicklungsweg zu dieser speziellen Zeichnung?

Auf welche Weise entsteht die Tatsache, daß sämtliche Millionen von Dolchstichtauben haargenau dasselbe Federkleid haben? Es muß einen Faktor geben, der, wie beim Menschen der sondierende Wille des Züchters, einen bestimmten Weg geht und sich an strenge Regeln hält. Nicht blind, gewaltig in der Vielfalt der Kräfte, nach allen Richtungen schöpferisch, suchend und wuchernd, sondern es muß etwas Ähnliches wie eine Idee zugrunde liegen.

Mit welchen Mitteln des Organischen erreicht diese Kraft das bestimmte Ziel?

Wer findet die Wege, auf welchen der unsichtbare Züchter die Rassen und Arten der Natur erzüchtet?


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