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39. Kapitel

Dort ertönte zu dieser Stunde nur der schmetternde Gesang eines Buchfinkenhahnes. Aus der Ferne leuchtete rot und weiß das Kleid einer Spreewälderin aus dem smaragdflimmernden Park. Zwei kleine Jungen rannten, immer denselben krähenden Laut ausstoßend, durch die leeren Reihen der Stühle, und drüben an einem Tisch, dicht am Gehege der Flamingos, saß ein gut angezogener alter Herr und las in einer Morgenzeitung. Sein schöner weißer Bart leuchtete in der Sonne auf, wenn der Lesende ein Blatt seiner Zeitung umwandte. Eine Spatzenhochzeit stürmte heran, drei Hähne warben feurig um ein Weibchen. Den Stoß gefächert, die Flügel gesenkt, so hüpften sie mit geblähter, schwarzer Kehle um die Spröde herum. Die aber schlug auf die Bewerber ein, als fühlte sie sich beleidigt. Immer heftiger tschilpten die Vögel, bis sie plötzlich davonflogen und über dem Teich den Blicken des alten Herrn entschwanden.

Drüben, in der Nähe der Terrasse, stand der Ober. Er blätterte in einem Notizbuch, dann steckte er es in die Innentasche seines Fracks und verschwand im Restaurant.

So still war der weite Platz unter den Eichen, Platanen und Rüstern. Doch so um zwölf herum kam langsam etwas Leben in den großen Restaurationsbetrieb. An einzelnen der Tische saßen schon ein paar frühe Gäste. Zwei alte Damen mit ihrer Handarbeit und ein junger Herr, der ein mit der Maschine getipptes Manuskript überarbeitete. Hin und wieder hob er den Kopf und sah mit nach innen gerichteten Augen vor sich hin, als suche er ein geeignetes Wort.

Auf der breiten Mittelpromenade schlenderten jetzt schon Menschen einher, ein paar junge Leute, die heftig debattierten, einige besonnene Zooaktionäre, ein Mann im dunkelgrünen Jagdanzug, dem man den Gutsbesitzer ansah, und ein Kindermädchen mit zwei kleinen, blonden Dingern, von denen das kleinere artig an der Hand ging, während das andere munter voraushüpfte. Jedoch wirklich lebendig wurde es dann zwischen zwei und drei Uhr. Die Hälfte der Stühle, die im Halbrund unmittelbar vor der muschelförmigen Kapelle standen, waren jetzt besetzt.

Dort saßen jene, die von der Musik nur etwas hatten, wenn sie sahen, wie sie gemacht wurde.

Junge Mädchen, in Begleitung junger Männer oder schüchtern von ihnen gefolgt, flanierten vor der Kapelle auf und ab, in der schon einige der Musiker ihre Instrumente auspackten. Der Zigaretten- und der Zeitungsjunge waren aufgetaucht, und das Schokoladenhäuschen hatte sein Verkaufsfenster geöffnet. Der kleine Herr mit dem merkwürdigen Gang, der Kopfhaltung, wie sie die Schildkröte hat, und dem törichten, allzeit freundlichen Lächeln kam, mit weißem Strohhut bedeckt, herbei und steuerte auf seinen Stammplatz zu. Das war der äußerste Stuhl links in der vordersten Reihe des Halbrunds von Stühlen, das vor der Kapelle stand.

Ein ganz ähnlicher, ebenfalls sehr kleiner Herr, der auch etwas wunderlich schien, war schon da. Er hatte den Platz daneben inne. Die beiden etwa fünfzigjährigen Männer waren immer zusammen, aber leiden konnten sie sich nicht. Sie hatten beide ihre gutgehenden Geschäfte frühzeitig verkauft und beschäftigten sich nun damit, ihre Beobachtungen und Erfahrungen auszutauschen, doch unterließen sie dabei nicht, sich gegenseitig, sowie einer beim anderen eine Blöße entdeckte, kleine Giftpfeile aufzubrennen.

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Die Zwillingsschwestern

Dann erschien das andere Paar der Zwillinge: Damen zwischen sechsundfünfzig und sechzig Jahren, die einander außerordentlich ähnlich sahen. Sie trugen die gleichen Hüte, Nasen und Busenschleifen, obwohl sie beide in gleichem Maße des Busens entbehrten. Sie waren stark geschnürt, trugen zwei lange, graue Röcke, die unten weit auseinandergingen, und ihre vier hohen, zierlich geformten Stiefel waren einander so ähnlich wie ihre kreisrunden, dunklen Kinderaugen.

Die beiden Jüngferlein trieben das Spiel der gegenseitigen Spiegelung so weit, daß selbst ihre Hutnadeln die gleichen Agraffen hatten. Doch in einem Punkte waren sie verschieden, insofern die eine ein Lorgnon vor die Augen hielt und die andere einen Kneifer trug.

Die Zweite warf der Ersten Ziererei vor, da sie sich mit ihrem Lorgnon wie eine Gräfin gebärde, aber diese meinte, die Schwester wolle mit dem Kneifer den Eindruck einer Intellektuellen hervorrufen.

Diese Verschiedenheit war gewissermaßen der Fechtboden der beiden alten Jungfern, der sie frisch erhielt. Doch endeten sämtliche Mensuren unentschieden.

Heute wollten sie die Musik in voller Eintracht genießen, denn ihr gemeinsamer Schwarm, der Kapellmeister Max Stamm, sollte dirigieren. Und so hatten sie ihre Sehwerkzeuge in die nicht zu unterscheidenden Pompadours versenkt.

Währenddessen waren immer neue Musikanten gekommen, und man hörte schon die einzelnen Töne verschiedener Instrumente, die eine ganz eigene Stimmung der Erwartung vor jedem Konzert aufkommen lassen. An der kleinen Treppe, die zur Kapelle hinaufführte, standen ein paar der Musiker und unterhielten sich mit Bekannten. Doch dann verabschiedeten sie sich, denn der Kapellmeister war gekommen. Während sich die Musikanten zurechtsetzten, ihre Notenständer an die richtige Stelle rückten und die Notenblätter auflegten, stand der Dirigent noch unten und unterhielt sich mit einigen Damen und Herren seines Publikums, die die Gelegenheit, den bewunderten Kapellmeister vor den Augen aller sprechen zu können, nicht vorübergehen lassen wollten. Dann machte sich Herr Stamm aber entschieden frei und eilte zu seiner Kapelle.

Gleich darauf machte er, dem der makellose Frack wie angegossen saß, zum Publikum gewandt, seine Verbeugung.

Kraftvoll und elegant zugleich, das Gesicht mit den männlichen Furchen in den Wangen beherrscht und streng und doch auch wieder gütig, mit der Andeutung eines Lächelns, so machte er seinen Zuhörern die korrekt-geschmeidige Verbeugung, derentwegen ihm die Frauenherzen zuflogen.

Dann tickte der Taktstock fein und präzise an das Pult, Kapellmeister Stamm hob mit einer unnachahmlichen Gebärde die Arme, und mit der ersten sicheren, knappen Bewegung ihres Dirigenten schickten die Musikanten einen klingenden, schmetternden preußischen Marsch in den menschenerfüllten Park hinaus.

Das war Musik, da schlug das Herz höher, das hob den Menschen in den Glanz glorreicher Vergangenheit und ruhmreicher Zukunft zugleich.

Die matten Augen alter Herren erglänzten, ihre schon etwas angegriffenen Knie strafften sich, und sie warfen einen kühnen Blick in die Runde. Die Damen aber, die mit ihnen jung gewesen waren, reckten den Hals nach vorn und hielten den Kopf etwas schief, während ein Lächeln wehmütiger, aber begeisterter Erinnerung ihre Gesichter erhellte.

Die Zwillingsdamen jedoch streiften einander mit einem schnellen Blick, es war, als betrachtete sich jede im Spiegel.

Sie mußten wohl zufrieden sein, denn ein Strahl der Hoffnung brach aus ihren runden Äuglein.

Von der Kapelle ergoß sich der Strom der Klänge weiter über das Publikum.

Vorn auf einem der Stühle des Halbrunds saß Jochen Braun, den Skizzenblock auf den Knien. Er hatte es auf die Musiker abgesehen. Die Bläser der großen Blasinstrumente vor allem waren es, die ihn reizten. Ein Dicker, der die Posaune blies, forderte direkt zum Gezeichnetwerden heraus. Alles an ihm war rund: die wie zwei Kugeln geblähten Backen, die Glatze, das wulstige Genick, die Nase und das Doppelkinn. Die Schultern, die kurzen, dicken Finger, die Beine und besonders der wie ein Globus untadelig geformte Bauch vervollständigten den Eindruck, daß der Mann aus Kugeln und Halbkugeln zusammengesetzt war.

Aber jetzt wurde die Aufmerksamkeit aller durch einen Gast abgelenkt, der durch seinen Riesenwuchs nicht unbemerkt bleiben konnte. Wiegenden, unhörbaren Ganges schritt ein Elefant durch die Menge. Auf seinem Nacken saß der Wärter, und links neben dem Rüssel lief ein anderer einher.

Luise, die vor kurzem Mutter gewordene Elefantenkuh, machte ihre Runde durch den Zoo. Sie stellte ihre Ohren nach vorn, als sie an der Musikkapelle vorbei mußte. Das war ja, als wenn eine Herde wilder Elefanten durcheinandertrompeteten. Am liebsten wäre Luise mal rübergegangen, um sich die blitzenden Dinger, aus denen die vertrauten Laute klangen, etwas näher anzusehen. Doch ihr Freund und Lenker oben auf ihrem Genick war anderer Meinung. Er brachte die Elefantenmutter schnell von der Stelle, als er ihre Unruhe bemerkte. Luise aber fand doch noch Zeit, den Rüssel nach links und rechts führend, Zuckerstücke einzusammeln, die ihr bereitwillig gespendet wurden. Dann verließ der graue Berg schaukelnd den Konzertplatz.


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