Washington Irving
Erzählungen von der Eroberung Spaniens
Washington Irving

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Achtzehntes Kapitel.

Das Schlachtfeld nach der Niederlage. – Don Roderich's Schicksal.

Am Morgen nach der Schlacht ritt der arabische Heerführer, Tarek Ben Zejad, über dieses blutige Gefild am Guadalate, das mit den Trümmern jener glänzenden Schaaren bedeckt war, welche vor so kurzer Zeit noch wie ein prachtvoller Festprunk die Ufer des Flusses entlang gezogen waren. Da lagen Mauren und Christen, Rosse und Reiter, von klaffenden Wunden entstellt; und der Fluß, noch geröthet vom Blute, war mit den Leichen der Erschlagenen bedeckt. Der wilde Araber glich dem Wolfe, der durch die Hürde streift, welche er verheert hat. Wohin er schaute, schwelgte sein Auge in der Zerstörung des Landes, in den Trümmern des stolzen Spaniens. Da lag die Blüthe der jungen Ritterschaft, zerstümmelt und zermalmt, da die Kraft der Landbewohnerschaft in den Staub hingestreckt. Der gothische Edle lag vermischt mit seinen Vasallen; der Bauer mit dem Fürsten; jeder Rang und jede Würde waren in einem gemeinschaftlichen Blutbad vereinigt.

Nachdem Tarek das Schlachtfeld in Augenschein genommen hatte, ließ er die Waffen der Erschlagenen und die Beute des Lagers vor sich bringen. Es war ein unermeßlicher Schatz. Man sah hier schwere Ketten und seltenen Schmuck von Gold, Perlen und reichen Edelsteinen, prachtvolle seidene und Brocatgewänder, und viele andere Gegenstände des Prunks und des Luxus, in welchen sich die gothischen Edeln während der letzten Zeit ihrer Entartung gefallen hatten. Auch unermeßliche Summen Geldes wurden gefunden, welche Roderich zur Bestreitung der Ausgaben des Kriegs mitgebracht hatte.

Tarek befahl nun, die Leichen der moslemitischen Krieger zur Erde zu bestatten. Die der Christen wurden in großen Haufen auf einander gelegt, große Holzstöße errichtet, und sie darauf verbrannt. Die Flammen dieser Holzstöße stiegen hoch in die Luft und wurden während der Nacht in weiter Ferne gesehen; und als die Christen sie von den benachbarten Bergen sahen, zerschlugen sie sich die Brust und zerrauften sich das Haar und weinten über ihnen, wie über den Leichenfeuern ihres Vaterlandes.

Das Blutbad, welches dieser Kampf veranlaßte, steckte die Luft an und verpestete sie zwei ganze Monate lang, und mehr als vierzig Jahre hindurch sah man Gebeine auf dem Schlachtfelde aufgehäuft; ja, es waren Jahrhunderte dahin und entschwunden, da fanden die Landleute, wenn sie den Boden umgruben, noch Bruchstücke von gothischen Panzern und Helmen und maurische Säbel – die Ueberbleibsel jener schrecklichen Schlacht.

Drei Tage hindurch verfolgten die arabischen Reiter die flüchtigen Christen und jagten sie über die Gefilde ihres Vaterlandes, so daß nur ein kleiner Theil jenes mächtigen Heeres davon kam, um in der Heimath die Geschichte ihres Unglücks zu erzählen.

Tarek Ben Zejad sah seinen Sieg so lange für unvollständig an, als der gothische König am Leben war; er setzte daher öffentlich große Belohnungen für einen Jeglichen aus, welcher ihm Don Roderich todt oder lebendig ausliefern werde. Demzufolge stellte man nach allen Seiten die eifrigsten Nachforschungen an, – lange Zeit war aber Alles vergeblich. Endlich brachte ein Krieger dem arabischen Heerführer das Haupt eines christlichen Kämpen, dessen Bedeckung mit Federn und kostbaren Edelsteinen geschmückt war.

Tarek nahm dieses Haupt als das des unglücklichen Roderich an und sandte es, als eine Trophäe seines Sieges, dem Musa Ben Nosair, welcher es, in gleicher Weise, dem Kalifen von Damaskus übermachte. Die spanischen Geschichtschreiber haben jedoch stets in Abrede gestellt, daß es Don Roderich's Haupt gewesen.

Ein geheimnißvoller Schleier hing stets und wird fortwährend über dem Schicksale des Königs Roderich an jenem düstern und schmerzreichen Tage Spaniens hangen. Es muß immerdar ein Gegenstand der Vermuthung und des Streites bleiben, ob er inmitten des Schlachtgetümmels geblieben ist und durch ein vaterländisches Grab seine Sünden und Verirrungen büßte, oder ob er am Leben blieb, um sie in einsamer Verbannung zu bereuen.

Der gelehrte Erzbischof Rodrigo, welcher die Begebenheiten dieser unglücklichen Schlacht berichtet hat, behauptet, Don Roderich sei unter dem rächerischen Schwerte des verrätherischen Julian gefallen und habe auf diese Weise mit seinem Blute sein Verbrechen gegen die arme Florinde gebüßt; allein in diesem seinem Berichte wird der Erzbischof von andern Chronikenschreibern nicht unterstützt. Man scheint allgemein zugestanden zu haben, Orelia, das Lieblingsroß des Don Roderich, sei in einem Moore an den Ufern des Guadalate gefunden worden, und die Sandalen, der Mantel und die königlichen Insignien Don Roderich's hätten nahe dabei gelegen. Der Fluß ist hier breit und tief und war mit den Leichen von Kriegern und mit todten Pferden bedeckt; man nahm daher an, er sei in dem Flusse umgekommen; aber sein Körper wurde nicht in dem Wasser gefunden.

Schon waren viele Jahre dahin gegangen, und die Gedanken der Menschen begannen, da die Ruhe wieder in einem gewissen Grade zurückgekehrt war, sich mit den Begebenheiten dieses unheilvollen Tages zu beschäftigen, als sich das Gerücht verbreitete, Roderich sei dem Blutbade an den Ufern des Guadalate entgangen und wandle noch unter den Lebenden.

Der Sage nach hatte er, wie er von einer Erhöhung aus das ganze Schlachtfeld überschaute und sich überzeugte, daß die Schlacht für ihn verloren war und sein Heer sich nach allen Richtungen flüchtete, sein Heil gleichfalls in der Flucht gesucht. Man setzte hinzu, eine Schaar arabischer Reiter habe bei einem Streifzug in den Gebirgen, um der Flüchtlinge habhaft zu werden, einen Hirten gefunden, welcher in die königlichen Gewänder gekleidet gewesen; man habe diesen vor den Sieger gebracht, da man ihn für den König selbst gehalten. Graf Julian klärte jedoch den Irrthum bald auf. Der zitternde Landmann erzählte, nachdem man ihn zur Rede gestellt: während er auf den Weideplätzen des Gebirgs seine Schaafe gehütet, sei ein Ritter auf einem müden und abgetriebenen Rosse gekommen, das unter dem Reiter zusammen zu brechen gedroht habe; der Ritter habe ihm mit gebieterischer Stimme und drohender Miene befohlen, die Kleider mit ihm zu wechseln; er habe sich in die rauhe Hülle der Schafpelze gekleidet, seinen Schäferstab und Brodtasche genommen und den Weg die klippigen Engpässe der Berge empor, die nach Kastilien führen, eingeschlagen, bis er ihn aus dem Gesichte verloren.Bleda, Chronica, lib. II. cap. 9. – Albucasim Tarif Abentarique, lib. I. cap. 10. – Der Verf.

Diese Ueberlieferung wurde von Vielen theuer gehalten, welche an dem Glauben, ihr König sei noch am Leben, als ihrer einzigen Hoffnung, Spanien gerettet zu sehen, sich anklammerten. Es wurde sogar behauptet, er habe mit einem Theile seiner Truppen auf einer Insel des »oceanischen Meeres« Zuflucht gefunden, von wo er einst noch zurückkehren könne, um seine Fahne wieder auszubreiten und für die Wiedererwerbung seines Thrones zu kämpfen.

Jahr um Jahr verstrich jedoch, und man hörte nichts von Don Roderich; dennoch blieb sein Name, wie der des Königs Sebastian von Portugal oder Arthur's von England, eine Art Vereinigungspunkt für das Volk, das an seinem Andenken hing, und das Geheimnißvolle seines Endes erzeugte fortwährend romantische Fabeln.

Als endlich Geschlecht um Geschlecht in das Grab hinabgestiegen und beinahe zwei Jahrhunderte dahin geschwunden waren, wollte man Spuren entdeckt haben, welche über das endliche Loos des unglücklichen Don Roderich's Licht verbreiteten.

Zu dieser Zeit hatte Don Alonso der Große, König von Leon, die Stadt Viseo in Lusitanien den Händen der Moslemen entrissen. Als seine Krieger die Stadt und ihre Umgebungen durchstreiften, entdeckte einer derselben auf einem Felde außerhalb den Stadtmauern eine kleine Kapelle oder Einsiedelei, vor welcher ein Grabstein war, auf dem man folgende Inschrift in gothischen Charakteren las:

HIC REQUIESCIT RIODERICUS,
ULTIMUS REX GOTHORUM.
Hier ruht Roderich,
der letzte König der Gothen
.

Viele haben geglaubt, dies sei das wahre Grab des Monarchen, und in dieser Einsiedelei habe er in bußfertiger Abgeschiedenheit seine Tage vollendet. – Als der Soldat das angebliche Grab des einst so stolzen Roderich's sah, vergaß er aller seiner Verbrechen und Verirrungen und weihte seinem Andenken die Thräne des Kriegers. Als sich seine Gedanken aber an den Grafen Julian wendeten, brach sein patriotischer Unwille aus, und mit seinem Dolche grub er einen rauhen Fluch auf den Stein.

»Verflucht« sagte er »sei die gottlose, wahnsinnige Rache des Verräthers Julian. Er war der Mörder seines Königs, der Schlächter seiner Verwandten, der Verräther seines Vaterlandes. Möge sein Name in jeder Stunde verhaßt, sein Andenken bei allen Geschlechtern ehrlos sein!«

Hier endigt die Erzählung von Don Roderich.


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