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Wie Tarek el Tuerto die Stadt Toledo durch Hülfe der Juden einnahm, und wie er die berühmte magische Tafel Salomon's fand.
Während sich dies zu Cordova begab, richtete der einäugige arabische Feldherr Tarek Ben Zeyad, nachdem er die Stadt und die Vega von Granada unterjocht und die Berge der Sonne und der Luft unter seine Botmäßigkeit gebracht hatte, seinen Zug in das Innere des Königreichs, um die alte Stadt Toledo, die Residenz der gothischen Könige, anzugreifen.
Der Schrecken, welchen die reißenden Siege der Moslemen verbreiteten, war so groß, daß schon bei dem blosen Gerüchte von ihrer Annäherung viele der Bewohner, obgleich sie sich in der festesten Stadt des Königreichs befanden, ihre Mauern verließen und mit ihren Familien in die Berge entflohen. Die Zahl der Zurückbleibenden war jedoch groß genug, um eine furchtbare Schutzwehr darzubieten, und da die Stadt auf einen hohen Fels gebaut, von massiven Mauern und Thürmen umgeben und fast ganz von dem Tajo umgürtet war, drohete sie, einen langen Widerstand zu leisten. Die arabischen Krieger schlugen ihre Zelte in der Vega an den Ufern des Flusses auf und schickten sich zu einer langwierigen Belagerung an.
Während Tarek eines Abends in seinem Zelte saß und über die Art nachdachte, wie er diese felsenthronende Stadt angreifen sollte, brachten einige der Rundwachen des Lagers einen Fremden vor ihn.
»Als wir unsere Runde machten,« sprachen sie, »sahen wir, wie dieser Mann an Stricken von einem Thurme herabgelassen wurde. Er überlieferte sich uns freiwillig und bat, wir mögten ihn vor dich führen, da er dir gewisse Dinge mitzutheilen hätte, welche dir sehr wichtig seien.«
Tarek heftete sein Auge auf den Fremden. Er war ein jüdischer Rabbi mit einem langen Bart, der über sein grobes Gewand floß und bis auf seinen Gürtel niederging.
»Was hast du mir zu entdecken?« fragte er den Israeliten.
»Was ich dir zu sagen habe,« versetzte der Andere, »darf nur dein Ohr hören. Laß daher, ich bitte dich, diese Männer abtreten.«
Als sie sich entfernt hatten, redete er Tarek in arabischer Sprache an.
»Wisse, o Führer des Heeres des Islam« sagte er, »daß die Kinder Israels, die in Toledo ansässig sind, mich zu dir abgesendet haben. Wir sind von den Christen in der Zeit ihres Glückes unterdrückt und verhöhnt worden, und nun haben sie, da sie von der Belagerung bedroht sind, uns alle unsere Vorräthe und unser Geld genommen; sie haben uns gezwungen, wie Sklaven zu arbeiten, um ihre Mauern auszubessern, und sie nöthigen uns, Waffen zu tragen und einen Theil der Thürme zu bewachen. Wir verabscheuen ihr Joch und sind bereit, so fern du uns als Unterthanen aufnehmen und uns freie Ausübung unseres Glaubens und den Genuß unseres Eigenthums zugestehen willst, die Thürme, welche wir bewachen, in deine Hände zu liefern und dir einen sichern Weg in die Stadt zu zeigen.«
Dieser Antrag überraschte den arabischen Feldherrn auf das Freudigste, und er erzeigte dem Rabbi große Ehre und gab Befehl, ihn in kostbare Gewänder zu kleiden und seinen Bart mit Essenzen von hohem Wohlgeruch zu salben, so daß er der Duftreichste in seinem ganzen Stamme war; und er sagte:
»Halte Wort und setze mich in den Besitz der Stadt, und ich werde Alles und mehr thun, als du begehrt hast, und werde dich und deine Brüder mit unzählbaren Schätzen überhäufen.«
Nun wurde unter ihnen der Plan verabredet, wie die Stadt verrathen und übergeben werden sollte.
»Wie kann ich mich aber« sagte Tarek »versichern, daß dein ganzer Stamm erfüllen wird, was du versprochen hast, und daß dies nicht eine Kriegslist ist, mich und die Meinigen in eure Gewalt zu bekommen?«
»Deine Sicherheit soll diese sein« sagte der Rabbi: »zehn der vornehmsten Israeliten werden in dieses Zelt kommen und als Geiseln hier verbleiben.«
»Dies genügt!« sagte Tarek und leistete einen Eid, daß er halten wolle, was er versprochen. Und die jüdischen Geiseln kamen und lieferten sich in seine Hände.
In einer dunkeln Nacht näherte sich eine auserlesene Schaar sarazenischer Krieger dem von den Israeliten bewachten Theil der Stadtmauern; sie wurden heimlich durch ein kleines Pförtchen eingelassen und versteckten sich in einem Thurme. In derselben Zeit legten sich zehntausend Araber in den Felsen und dem Buschwerk, auf einer Anhöhe der andern Seite des Flusses, wo man die Stadt übersehen konnte, in Hinterhalt.
Am nächsten Morgen verwüstete Tarek die Gärten des Thales, warf Feuerbrände in die Höfe und Hütten, schlug dann sein Lager ab und zog weg, als wenn er die Belagerung aufgäbe.
Mit dem größten Staunen blickten die Einwohner Toledo's von ihren Mauern und Zinnen auf die sich zurückziehenden Schaaren des Feindes und wagten es kaum, an ihre unerwartete Befreiung zu glauben. Noch ehe die Nacht einbrach, war nicht ein Turban, nicht eine Lanze mehr auf der weiten Vega zu sehen.
Die fromme Bewohnerschaft von Toledo schrieb al1 dies der besondern Vermittlung ihrer Schutzheiligen Leocadia zu; und am nächsten Tage – es war der Palmsonntag – zogen sie in feierlicher Prozession – Männer, Frauen und Kinder – in die Kirche dieser Heiligen, welche außerhalb der Stadtmauern liegt, um ihr für den wunderbaren Schutz Dank zu sagen.
Als ganz Toledo herausgeströmt war und mit Kreuz und Reliquien und feierlichem Gesange der Kirche entgegen zog, brachen die Araber, welche in dem Thurme versteckt waren, hervor und schlossen und verrammelten die Thore der Stadt; andere zerstreuten sich in den Straßen und machten alle nieder, die sich ihnen widersetzten; andere eilten auf die höchste Höhe der Veste und zündeten ein Feuer an und ließen die Rauchsäule hoch zum Himmel hinan steigen.
Bei'm Anblick dieses Zeichens erhoben sich die Araber, welche jenseits des Flusses im Hinterhalt lagen, mit großem Geschrei und griffen die Menge an, welche sich zu der Kirche der heiligen Leocadia drängte. Hier entstand ein furchtbares Gemetzel, obgleich das Volk ohne Waffen war und keinen Widerstand leistete; und in den alten Chroniken wird erzählt, der verrätherische Bischof Oppas sei es gewesen, der die Moslemen ihrer Beute entgegen geführt und sie zu diesem Blutbad angefeuert habe. Der fromme Leser, sagt Fray Antonio Agapida, wird eine solche Ruchlosigkeit schwerlich glauben; allein es gibt nichts Giftigeres, als den Haß eines abtrünnigen Priesters; denn das Beste, was diese Welt hat, wird, wenn es sich dem Bösen ergibt, das Schlimmste und Fluchwertheste.
Viele Christen hatten sich in die Kirche geflüchtet und die Thore verrammelt; aber Oppas befahl, Feuer an den Thoren anzulegen und drohte, Jeden in der Kirche über die Klinge springen zu lassen. Glücklicherweise langte der alte Tarek noch zeitig genug an, um die Wuth dieses hochwürdigen Renegaten zu zügeln. Er ließ die Trompeten schmettern, und auf ihren Ruf mußten die Schaaren vom Gemetzel abstehen; seine Gnade erstreckte sich über alle noch lebenden Bewohner der Stadt. Es wurde ihnen erlaubt, im ruhigen Besitze ihrer Häuser und Habseligkeiten zu bleiben; doch mußten sie eine mäßige Abgabe entrichten. Auch gestand man ihnen die freie Ausübung ihrer Religion in den noch bestehenden Kirchen, deren Zahl sich auf sieben belief, zu; allein es wurde ihnen untersagt, neue zu bauen. Die, welche es vorzogen, die Stadt zu verlassen, durften ungefährdet abziehen, aber nichts von ihren Habseligkeiten mitnehmen.
Tarek fand eine unermeßliche Beute in dem Alcazar oder königlichen Schlosse, welches auf einer Felsenhöhe auf dem erhabensten Theile der Stadt lag. Unter den hier in einem versteckten Gemache verwahrten königlichen Kleinodien waren fünf und zwanzig Königskronen von dem feinsten Golde, mit Hyacinthen, Amethysten, Diamanten und andern Edelsteinen besetzt. Dies waren die Kronen der verschiedenen gothischen Könige, welche in Spanien geherrscht hatten, indem es Sitte war, bei dem Tode eines jeden Königs seine Krone in diesen Schatze niederzulegen und seinen Namen und sein Alter darauf zu schreiben.Conde, Hist. de los Arabes en Espana, cap. 12. – Der Verf.
Als Tarek sich auf diese Weise in den Besitz der Stadt gesetzt hatte, kamen die Juden in feierlichem Zuge, unter Gesang und Tanz und dem Klange der Trommel und des Psalters, und begrüßten ihn als ihren Herrn und Gebieter und erinnerten ihn an seine Versprechungen.
Der Sohn Ismael's hielt den Kindern Israel's sein Wort; sie erhielten Schutz in der Ausübung ihrer Religion und durften ihre Gesammthabe behalten; überdies wurden sie mit Kleinodien von Gold und Silber und vielem Gelde belohnt.Eine kurze Erzählung von der List der Juden von Toledo findet sich in der Chronik des Bischofs Lucas de Tuy; ausführlich wird sie berichtet in der Chronik des Mauren Rasis. – Der Verf.
Einen spätern Streifzug führte Tarek el Tuerto gegen Guadalaxara, das sich ohne Widerstand ergab. Auch nahm er die Stadt Medina Celi ein, wo er eine unschätzbare Tafel fand, die zu der Beute gehört hatte, welche Alarich zu Rom gemacht hatte, als diese heilige Stadt von den Gothen überwältigt und eingenommen wurde. Sie bestand aus einem einzigen ganzen Smaragd und besaß Zauberkraft; denn die Sage behauptet, sie sei ein Werk der Genien, welche sie für König Salomon den Weisen, den Sohn David's, gefertigt hatten. Tarek bewahrte dieses wunderbare Ueberbleibsel aus der alten Zeit sorgfältig und betrachtete es als das Kostbarste unter allem, was er erbeutet; er bestimmte es zu einem Geschenk für den Khalifen, und zum Andenken daran wurde die Stadt von den Arabern »Medina Almeyda,« das heißt »die Stadt der Tafel,« genannt.Nach den arabischen Erzählungen war diese Tafel ein Spiegel, welcher alle großen Begebenheiten enthüllte, so daß, wenn der Besitzer darauf blickte, er Schlachten und Belagerungen und Reiterangriffe und alle denkwürdigen Ereignisse schaute und auf diese Art die Wahrheit aller geschichtlichen Begebenheiten sicher stellen konnte. Es war daher ein Spiegel der Geschichte und hatte ohne Zweifel dazu beigetragen, daß König Salomon jene wunderbaren Kenntnisse und jene Weisheit erlangte, durch die er so berühmt geworden ist. – Der Verf.
Nachdem Tarek diese und andere Eroberungen von geringerer Wichtigkeit gemacht und eine große Menge von Gold und Silber und reichen Stoffen und kostbaren Steinen gesammelt hatte, kehrte er mit seiner Beute in die königliche Stadt Toledo zurück.