Jean Paul
Museum
Jean Paul

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

§ 13
Scheintod und Sterben in Beziehung des Magnetismus

Wir gehen vom Wahnsinne auf eine erfreulichere Verwandtschaft des Magnetismus, nämlich auf die mit dem Sterben über. Was eben hier zufällige Rede-Verknüpfung war, dies ist sogar Wahrheit. Denn nach den Bemerkungen der Ärzte wandelt eben ein leichtes Irresein dem Sterben voraus. Die Ähnlichkeit zwischen dem Zustande des Hellsehens und des Sterbens hat schon der mit kindlich-reinem Herzen und reichem Geiste die Natur anschauende und fragende SchubertIn seinen Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. wahrgenommen.

Diese Ähnlichkeit ist unter allen Ansichten des Magnetismus die helleste. Betrachten wir zuerst blos das Scheinsterben: so erfreuen uns zwei entscheidende magnetische Erscheinungen. Die erste ist, daß Scheintote während ihrer Sinnen-Sperre ganz wie Magnetische in einem lauen Wonnenmeere schwammen und ungern sich wieder in die scharfschneidende Luft des Gemeinlebens aufrichteten. Ohnmächtigen erschienen hinter den gebrochenen Augen bunt gebrochne Strahlen einer Freuden-Welt; Scheinertrunkne vernahmen (nach Unzer) im Wasser das ferne Glockengetön in einem selig-wogenden Sein, gleichsam liegend an der halb-offenen Todes- und Paradieses-Pforte und einsaugend einen Rausch von Edenduft. – Sogar Schein-Erhangene schwammen, ihrer Versicherung zufolge, nach dem ersten Schmerze aus dem dicken Toten-Meer in lichte Paradiesesflüsse hinein; daher der Arzt Wepfer den Strangtod für den süßesten erklärte, so wie daher mehre erschöpfte abgejagte Lustjäger in England mit einem Schein-Gehangenwerden sich reizten und letzten.

Die zweite überraschende Ähnlichkeit des Scheintodes mit dem Magnetismus ist, daß die Kranken, welche die Pest, der Schlagfluß, die Verblutung in den Scheintod gestürzt, aus diesem so genesen und kräftig erwachet wie andere Kranke aus dem magnetischen Schlafe: so wie nach Gall schon tiefe Betäubungen und Ohnmachten großen Wendepunkten (Krisen) der Krankheiten heilend dienen. Wie hätte auch der MagnetismusDoktor Sackenreuter – ein junger, aber sach- und geistreicher, leider den Kranken und den Ärzten zu früh verstorbener Arzt in Baireuth –, welcher sehr selten (und also umso glaubwürdiger) den Magnetismus zum Heilmittel erwählte, brachte damit mehre scheintote Frauen zum Leben. Bei einer am Tetanus Scheintoten machte er, nachdem er magnetisch belebend Mund und Augen aufgeschlossen, diese durch den Gegenstrich entseelend wieder zu, um sich dadurch (aber zu wagend) noch gewisser vom Magnetismus zu überzeugen. S. Allg. medizin. Annal. 1811, März, S. 241. Scheintote, deren Sinnen ihm zugeschlossen waren, wecken können, wär' ihm nicht ein empfänglich-reger in ihnen entgegengekommen? Der gewöhnliche Zeitraum des Scheintodes dauert drei Tage, ja nach Schuberts Beispielen oft 7-9 Tage. Aber eben diese Tiefe und diese Dauer des Schlafs ist der abkürzende Ersatz der längern magnetischen Kurfrist.

Indem wir von der Ähnlichkeit des Scheinsterbens mit dem organischen Magnetismus in der Doppelgabe des Entzückens und des Genesens zu der nämlichen Ähnlichkeit des Wahrsterbens in diesem Doppelgeben übergehen, haben wir auf der Schwelle sogleich einer rechten Unähnlichkeit oder der Vorfrage zu begegnen, wie das wahre Sterben dem Magnetismus, welcher von ihm sonst errettet, doch ähnlich sein könne. Wir haben bisher den Erdleib und die Ätherhülle voneinander geschieden, weil beide immer auf gegenseitige Unkosten leben. Beide Hüllen stehen, so wie äußerlich, wo die eine das Grubenkleid und die andere der Isisschleier des Geistes ist, so sehr im Wechselstreit, daß nicht nur die volle Gesundheit, des Wilden, d. h. die Festigkeit der Erdhülle, sondern sogar die wiederhergestellte der Hellseherin die Leuchtkraft der ätherischen einwölkt und erdrückt, und daß ebenso auf der andern Seite jede Vergeistigung die Verkörperung auflöset, sobald jene über den Mittelgrad, wo sie noch nicht die Ätherhülle heilt, gestiegen ist. Daher werden – um die bekannten Giftbecher und Giftpfeile durch die Entzückungen des Denkens und der höhern Empfindungen zu übergehen – die Arzneikräfte, welche um die Ätherhülle und dadurch um die Seele weiten Raum zu froh-freien Bewegungen erschaffen, der starren Erdkruste auftauende Gifte. Es ist ja bekannt, wie Gifte für einen tiefern Organismus – z. B. Mohnsaft, dessen Bestandteile Fontana im Viperngifte wiederfindet, oder der giftige Fliegenschwamm, dessen eau de vie die Kamtschadalen zugleich aus der Destillier- und aus der Harnblase trinken – und kurz, wie eigentlich alle PflanzengifteDas Gift der Metalle hingegen, die auch im Magnetismus martern und drücken, zerreißt beide Hüllen, Wurzel und Gipfel zugleich, ohne dazu einen Umweg über die Lust und höhere Belebung zu nehmen. auf kurze Zeit unter dem Zernagen und Entwurzeln des äußern Körpers den ätherischen und den Geist zur Wonne und zur Kraft überspannen. So blühen z. B. den Schwindsüchtigen in der Stunde des Erdenverwelkens (nach Richerz in Muratori über die Einbildungskraft B. I.) alle Seelenkräfte zu höhern Blumen auf.

So ist denn der Tod nur zuviel Opium, d. h. für den Erdleib zuviel Schlaf und Gift zugleich. – Laßt uns einige schöne Ähnlichkeiten beschauen, welche das Sterben mit dem Magnetismus hat: Zungen-gelähmte bekamen kurz vor dem Tode Sprache wieder, und Arm- und FußlahmeEin zu Butzow 28 Jahre lang sprachlos und lahm niedergelegener Greis konnte am letzten Tage sprechen und sich bewegen. Bewegung, und Wahnsinnige Verstand. – Harthörige und Kurzsichtige sagten ihr Sterben durch Weithören und Weitsehen an. – Schwangere Mütter gebaren, nach Schubert und Garmann, nach dem Tode noch lebendige Kinder. – Die Zuckungen des Sterbens, die für uns, wie alle epileptischen, nie die Bedeutung einer Empfindung haben sollten, gleichen nur den Krampf-Zuckungen, mit welchen nach WolfartEr merkt noch das Augentreiben an, mit welchem die Kranken aus gemeinem Schlaf in den hellsehenden ziehen. die Kranke das Ende des gemeinen Schlafs und den Eintritt des hellsehenden ankündigt; und so wird immer mehr das Sterben zu einem Genesen und das hohle harte Grab zu einem vollen wogenden Hafen des Abschiffens; und so wie dem Schiffer die neue Welt bei dem ersten Erblick nur als ein dunkler Streif am Horizonte erscheint: so ruht die neue Jenseit-Welt vor dem brechenden Auge nur als eine Wolke, bis sie durch Annähern sich zu Palmen und Blumen entwickelt. Das Wonne- und Glanzgefühl der Hellsehenden ist häufig auf das sterbende Antlitz gemalt: Jakob Böhmen umflossen höhere Sphärentöne – die Mystiker verklärten sich – Klopstock sah die vorangegangene Geliebte – Herder rief entzückt: »Wie wird mir!« Und so starben in der frühern christlichern Zeit gewöhnlich die Greise heiterzurückblühend und gingen hinter dem prophetischen Abendrote eines schönen Morgens unter. – Nur selten erscheinen sterbende Krampfgesichter, meistens Folge voriger Zerrüttung oder bei Gewissenskranken, weniger das verklärende Sterben als das sich wehrende Leben zeigend. Wie man auf den Alpen oft auf einem warmen blumigen Rasen dicht neben einer grünblauen Eisfläche liegt: so wogen neben dem irdischen Todes-Eise die Auen des neuen Frühlings hin. Daher fand Lavater die Züge des Verstorbenen nach einigen Stunden ungewöhnlich verschönert und veredelt, gleichsam als erhalte auch der tiefste Schlaf, gleich dem mythologischen, eine Grazie zur Gattin. Aber diese unsere letzte Verschönerung haben wir nicht bloß dem Glücke, daß nach dem schweren Schlaftrunk des Lebens der magnetisierte Zaubertrank des Todes den Menschen erquickte und durchfloß, sondern auch dem Umstande zu danken, daß der Mensch, wenn das Sterben das letzte Magnetisieren ist, zumal in der Windstille des Lebens, von diesem auch die moralische Verschönerung erfuhr. Denn im Zustande des Hellsehens sind die Empfindungen reiner und das sittliche Gefühl zärter – so daß unsittliche Menschen den Kranken zu Nervengiften werden und ihre Gedanken ihnen zu Krämpfen. – Die Liebe ist inniger und zärter nicht bloß gegen den magnetischen Arzt, sondern auch gegen Magnetisierte, ja gegen Andere,Z. B. eine Hellseherin liebte eine ältere Frau außerhalb des Magnetismus nur heimlich und schüchtern, in diesem aber mit ganzer Überfließung der Liebe; und sie schrieb ihr darin einen Brief des Herzens, auf welchen sie eine Antwort für das Erwachen an einen angezeigten Ort hinlegen mußte. Wienholt B. 3. S. 207. und durch das Sprechen über erhabene Gegenstände, wie z. B. über den Wunderbau des Körpers, wölbt sich ihnenNach Wolfarts Beobachtung. ein Himmel mehr unter diesem Himmel.

Könnte nicht der Magnetismus einiges Taglicht auf den nächtlichen Larventanz der sogenannten Geistererscheinungen fallen lassen? Diese erfolgen nämlich immer in der Sterbestunde und immer vor Geliebten; so z. B. die wunderbare, von dem sonst bezweifelnden Wieland ohne Bezweifeln erzählte in seiner Euthanasia. Wie nun, wenn der Ätherleib, welcher im Sterben frei und unter dem Niederfallen des schweren Nachtkleides der Erdnacht aus einem Seelenflor zum Brautkleide des Himmels wird, wenn dieser, welcher schon vorher so seltsame, den gemeinen Raum durchdringende Verknüpfungen mit geliebten Personen vollendete, ein Wunder der Erscheinung verrichtete, das am Ende doch nicht viel größer wäre als die frühern umgekehrten Wunder, daß der Hellseherin entfernte Personen sichtbar sind, oder gegenwärtige ohne Berührung des Arztes unsichtbar, oder daß der abwesende Arzt mit bloßen Gedanken ihren fernen Körper einschläfert? –

 
§ 14
Aussichten ins zweite Leben

Weniger kühn kann eine andere Hoffnung sich auf der magnetischen Erfahrung fester gründen. Bisher wurde in der gemeinen Denkart die Unsterblichkeit des Geistes durch die Sterblichkeit seiner Persönlichkeit, nämlich seiner Erinnerung, untergraben, wie durch ein Grab; und in der Tat hätte diese Rockenphilosophie im Schlusse Recht, da ein Ich ohne bewußte Vergangenheit als keines erscheint, und ein anderes Ich ebenso gut statt Meiner sein könnte, oder Ich selber jeder ferne Ich wäre. Die magnetischen Hellsehenden offenbaren aber an sich nicht bloß ein Erinnern in eine dunkelste Kinderzeit hinab, sondern auch eines an alles, was nicht sowohl vergessen als gar unempfunden zu sein scheint, nämlich an alles, was um sie früher in tiefen Ohnmachten oder gänzlichem Irresein vorgefallen. Zweitens wenn die Hellsehenden sich in ihrem höhern poetischen Schlaf-Wachen wohl des Prose-Wachens erinnern, aber nicht in diesem des ersten,Eine scheinbar wichtige Einwendung wäre die: daß im sogenannten Doppelschlaf (welcher die höchste Steigerung des Hellsehens oder Somnambulismus ist) gerade alle Zustände des gewöhnlichen Hellsehens ebenso unerinnerlich sind als dem Wachen die Zustände des Somnambulismus. Aber obgleich, den Berichten zufolge, alle Kräfte stärker erscheinen, so scheint der Doppelschlaf mehr ein Übermaß der Stärkung als reine Stärkung, mehr ein magnetischer Rausch als Abendmahlwein zu sein, indem der Kranke so ganz in seinen Arzt verfließt, daß er nur für ihn Zunge, Ohr und Sinn behält und andere Menschen nur als Schmerzen fühlt und taub für alle ist. so geht eine Erinnerung, ob sie gleich unter dem dicken undurchsichtigen Lethestrom liegt, doch nicht darum der Zukunft verloren; daher im Hell- und Hellstensehen jener Welt, wo der ganze schwere Erdleib abgefallen, nach diesen Wahrscheinlichkeit-Regeln fremde Erinnerungen aufwachen können, welche ein ganzes Leben verschlummert haben.

Wenn uns der irdische Magnetismus das erhebende Schauspiel von Seelen-Vereinen blos durch ätherische Körper-Vereine gibt, wenn z. B. (nach Wienholt) zwei Hellseherinnen hohen Standes sich und eine dritte, ihnen sonst gleichgültige aus niedrigem innigst lieben und Schlummer und Rede teilen; wenn Arzt, Kranke und ferne Mitkranke ein liebender Äther-Kreis einschließt und sie alle nur mit einer gemeinschaftlichen Seelenhülle empfinden und lieben: so dürfen wir wohl furchtsam-kühn ahnen, wenn auch nicht schließen, daß hinter unserem schroffen Leben, das uns so hart und weit auseinander hält und oft uns nur zur Wechsel-Zerstückung einander nahebringt, daß, sag' ich, künftig jenes unbegreiflich ätherische Medium, welches hier einige zu einem höhern Lieben und Freuen verknüpft und ebenso gut Tausende zugleich ebenso verschwistern könnte, vielleicht als eine Ätherhülle, als ein Welt- Körper oder Welt-Leib eine aus tausend Seelen zusammengefloßne Welt- Seele umschließen und tragen könne. – Freilich fliegen solche Ahnungen der zweiten Welt kühn und hoch; aber warum sollen sie es nicht, da schon in dieser der Magnetismus so viele kühne überflog?

Nur fragt nicht, wie der Übergang des Sterbenden aus dem Magnetismus geschehe in die zweite Welt. Denn es ist kein Übergang, sondern ein Sprung, so wie im hiesigen Leben auf Schlaf und Traum das Erwachen unvermittelt und in einem Nu, wie durch eine losgelassene Springfeder, eintritt. Man vergißt es überhaupt zu oft, daß die Natur im Körperlichen und im Geistigen alles zwar nach einem Gesetze der Stätigkeit entwickle und fortsetze, aber vorher alles nach einem Gesetze der Unterbrechung oder des Sprungs anfange, so bei dem Beleben, Erblühen, Verscheiden.

Wir kennen nur die lebende Welt, nicht die sterbende; diese hat keine Zeit, uns sich aufzudecken; mit welchen neuen fremden, uns verhüllten Erfahrungen mag in der allerletzten stummen Stunde eine sterbende Menschenwelt nach der andern sprachlos hinübergezogen sein!

Wir sehen nur die Abendröte ihres Verscheidens, aber sie, die in der Abendröte selber ist, kennet die Sonne, welche in sie scheint. – Das ganze Erdleben umringen wahrscheinlich zahllose hohe Wesen und Wirkungen – denn das Weltganze und Geisterall wirkt auf jedes Teilchen und Geisterchen –, von welchen wir Endliche nichts vernehmen, als bis der hiesige Leib mit seinen Adern- und Nerven-Strömen und seinem ganzen Sinnen-Brausen auf einmal still geworden und aufgehört. Denkt euch auf ein halbes Jahrhundert unten an die Felsen des Rheinfalles gekettet: ihr hört dann nicht unter dem Wassersturm die sprechende Seele neben euch, nicht die Gesänge des fliegenden Frühlings im Himmel und keinen Westwind in den Blüten; auf einmal verstumme der Sturm: wie wird euch sein? – Wie uns allen künftig. Denn wir sind jetzo gebundne Anwohner der irdischen Katarakte, die ohne Unterlaß über die Erde hin donnern, und unter welchen wir einander nicht verstehen; plötzlich aber steht und erstarrt der Wasserfall zu stillem Toten-Eis: so hören wir auf einmal uns einander ansprechen, und wir hören den leisen Zephyr und die Gesänge in den Gipfeln und in dem Himmelblau, welche bisher ein ganzes Leben hindurch ungehört um uns verklungen.

So möge denn jedem von uns unter dem Verrauschen und Gefrieren der Erdenwasser in der hohen Sterb-Stille der Himmel zu tönen anfangen mit den Gesängen und Lauten des ewigen Frühlings, und das Herz mög' uns nur an der letzten und schönsten Freude brechen!


 << zurück weiter >>