Jean Paul
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X.
Des Gehurtshelfers Walther Vierneissel Nachtgedanken über seine verlornen Fötus-Ideale, indem er nichts geworden als ein MenschDiesen Aufsatz – zu dessen Höllen-Breughelianismus ich durch Zustufung vermittelst des vorigen Aufsatzes den Leser mildernd geführt – werf' ich als Eris- und Eva's-Apfel her, um still zuzuhören, wie tausend Kunstrichter darüber streiten und fechten, wer ihn wohl gemacht, ob Leibgeber, oder Katzenberger, oder Vierneissel, oder ich. – Die Tatsachen übrigens, welche das schnelle Wachsen des Fötus und die erste Gestalt seiner Glieder betreffen, sind wörtlich- und arithmetisch-genau und wahr, und jeder kann die Belege in Hallers großer Physiologie und in allen anatomischen Lesebüchern finden.

Denn jetzo, da ich die Ideale zu betrauern anfange, werd' ich wohl nichts Neues mehr aus dem Alten, sondern bleibe – wie die anatomischen Vorschneider der Physiologie den Menschen gut genug definieren – das einzige Tier, das ein Paar Hinterwangen hat, worüber noch dazu ohne Not die Vorderbacken erröten wollen.Bekanntlich unterscheiden wir uns von den Affen nach den Naturforschern auf diese Weise von hinten.

O ihr edlen Jünglinge! fahren und wachen eure Träume einer idealen Zukunft bloß zu einem prosaischen Gähnen der Gegenwart auf: so weinet mit mir und nehmt mein Schnupftuch; auch mir sind herrliche Träume zu Wasser worden, die ich als Fötus gehegt, und das Ende des längsten Schlafes war das Ende des schönsten Traums gewesen.

Ich hatte so viele Gründe – als ich nachher angeben werde –, zu träumen, was ich einst müßte in der Welt werden, wenn ich in sie käme durch die Geburthelferinnen; nämlich auf dem Lande ein Jupiter, auf dem Meere ein Neptun, im Eden-Garten ein Gartengott, kurz immer der Orts-Gott, der Gott loci ... den Geburthelfer Vierneissel schreib' ich jetzo.

Noch dazu waren meine Träume mehr Schlüsse; und es muß, wenn ich fortfahre, was nur Fötus gewesen, fast in Erstaunen setzen über das Wenige, was man wird, aus einem Fötus etwa höchstens ein Schriftgelehrter oder ein Schriftsässiger – ein Oberbeichtvater oder ein Beichtsohn dessen – ein Feld- – ein Bart-Scherer – ein Ritt- – ein Deutsch- – ein Wild-Meister – ein Fuhr- – ein Edel-Mann – ein Meß- – ein Geburt-Helfer – kurz jedenfalls ein Mensch.

Aber wie anders und größer sind die Aussichten eines Punctum saliens, Embryons, Fötus! – Ich mochte kaum zwölf Stunden alt sein vor meiner Geburt, als ich schon aus einem entschiedenen Nichts ein großer Kopf geworden war, und noch dazu ohne alles dumme hors d'oeuvre von Rumpf. Ich war ganz Kopf; – und war, wie die Vollkommenheit und Ewigkeit sich abbildet, nämlich zirkelrund; dies ließ auf Zukunft schließen. Meine Mutter vergaß über mich (so sehr wußte meine Erscheinung sie einzunehmen) Essen und Mann, ja meine erste Gesellschaft machte ihr jede andere zum Ekel, und die erste Bewegung, die ich wie große Feldherrn auf dem Kontinente erregte, war die umgekehrt-peristaltische, die zum Übergeben zwingt.

Nach einigen Tagen stieß zum Kopf schon ein gutes Herz – kein drittes Glied saß weiter an mir pium corpus –; ich konnte folglich, wenn beide sich so fort ausdehnten, als sie angefangen, ein Doppellauter von Enzyklopädisten und Madonna zugleich, ein Doppelchor von Argus und Engel werden, wenn nicht sechsmal mehr.

Ich staunte mich ganz an, als ich mich nach zwei Wochen schon so groß fand als ein Hirsekorn; und nach fünfen gar als eine Bohne; fährt diese seltene Streckbarkeit, sagt' ich, nur erträglich fort (wie sie denn auch neun Monate fortfuhr, indem ich von1/ 100000 ch Gran bis zu 500,000 Granen Gewicht aufwuchs), so stichst du einst mit dem Kopf über den Dunstkreis hinaus und hast den Wolkengürtel um den Magen als Pelzweste; der Riese Og müßte dann den Riesen Goliath ziemlich in die Höhe halten, wenn er, da er ein Zwerg ist, dir die Hand küssen wollte.

Mein Rekrutenmaß ist jetzo 4½ Fuß und ein Strich.

Wenn nun gar, dichtete ich weiter, ein körperlicher Mikromegas deiner Art zugleich Titan an Kopf und Herz ist: so wollt' ich wetten, kann ein solches achtes Wunder der Welt Wunderwerke verrichten, alle Männer erleuchten, alle Weiber erwärmen und jeden, ders nicht haben will, tottreten. – – O Blütenträume der einzigen kurzen Fötus-Zeit, welche Schiller in seinen Gedanken über die verlornen Ideale so blühend und blätternd besingt!

In der siebenten Woche stieß ich, nachdem ich lange darnach gegriffen und gefußet, leicht zwei Arme und zwei Füße aus mir vor und konnte damit bequem nach fremden Dingen greifen und fußen.

In der neunten sah ich aus (die Vollkommenheit-Zirkel waren schon quadriert) wie ein Mensch im Kleinsten und wie ein Mann dazu; ich schloß sofort auf Geschlecht überhaupt und auf meines partiell und beharrte nachher bei demselben. Himmel, bedenk' ich, mit welchen langen Anstalten alles, was ich mir in der siebenten und neunten Woche mit kurzen angeschafft, auf der Erde wieder restauriert (ergänzt) wird: so hab' ich in der Tat meine Gedanken darüber!

In diese Zeit mocht' es fallen, daß sich mein Kopf umsah und vorfand, wie sich ein Rumpf, fast so groß als er selber, unter ihm anschieße. Wahrlich eine solche windige Wirklichkeit, als jetzo wirklich um uns her in derselben existiert, daß der Rumpf sieben Kopflängen und der Kopf nicht mehr als seine eigene einzige mißt, dergleichen fällt keinem verständigen Fötus auch nur ein, der vielmehr vernünftig so schließt: »Ist jetzo am runden großen Menschenkopf der Leib nichts weiter als der dünne Stiel an einem wahren Reichs- und Schönheitsapfel; verhält sich vollends das Herz im ganzen wie 3 zu 2: so ist der Fötus ein Ausbund und kann Großes aus sich machen.«

Das Große sieht man, wenn man geboren wird und reift. Wägt nur das Herz eines erwachsenen Hundertpfünders als ein vergrabenes Pfund Fleisch-Gewicht, oder zählt dessen spätern Andanten-Schlag gegen das Fötus-Prestissimo – man nehme z. B. meines –: so ist leicht begreiflich (da das körperliche Herz die Kapsel des geistigen ist), wie ich jetzo imstande bin, gegen ganze Menschen-Regimenter entschieden kühl zu sein – gegen einzelne Individuen mich zu erhitzen mit Zornfeuer – viele bei den Ohren zu nehmen, ja manche hinter solche zu schlagen. Ist dies aber das Herz, das sich ein Fötus verspricht?

Aber ordentlich, als sollte ein junger Mensch im Uterus überall zum lügenden Vor-Nativität-Steller seiner selber werden, nicht einmal als diseur de mauvaise aventure behält er Recht, sondern weissagt, wie Jonas, Böses, ohne zu treffen. Ich halte mich hier nur an das bekannte tierische Schwänzchen, das ich, wie alle Menschen, in den ersten Monaten getragenAm Rückgrate des Fötus erscheint das Steißbein (os coccygis) aus Mangel an Fleisch in der Gestalt eines kleinen Schweifs. und das man noch findet an mehr toten Exemplaren in Wein-Geist. Anfangs will ein solcher Exponent eines Tiers – gleichsam ein prophezeiender Schwanzstern-Schweif – einem gebildeten edeln Fötus mit Recht nicht in den Kopf; dadurch, durch den Schweif – so mutmaßt der Fötus vor der Hand – häng' er ja ordentlich mit der geschwänzten Affen-Innung zusammen, und es sei so viel, als häng' er das Schweifchen als Handwerks- und Handels-Zeichen von Tier et Compagnie aus. Mich dünkt, der junge winzige Mensch kann, noch so unbelesen in der Naturgeschichte – von welcher er weniger ein Leser als Paragraphus ist – und bei ebenso kleiner Weltkenntnis als großer Unschuld, aus dem Schwänzchen nie einen andern Schluß ziehen, als daß der tierische Umschweif oder Pavians Namenzug nur gar zu klar seine Erdenzukunft gleichsam mit einer Titelblatt- oder Schlußvignette ansagen wolle. Ich sehe – sagt der stumme Fötus –, daß ich diesen End-Reim (bout rimé) hinter mir an mir habe, damit ich ihn ausfüllen soll mit passenden Gedanken nach meiner Geburt; und der Teufel hol' es! Freilich nimmt später jeder sittliche Fötus – und wer von uns bleibt nicht einer nach der Geburt – das Rückgratschwänzchen als Unehren-Bogen zurück (wie der reifende Frosch das seinige in Hinterfüße verwandelt) und zieht dieses verhaßte Bierzeichen des Tiers, wie ein Mönch-Kloster, ein und kleidets in Fleisch. Wird also ein Mensch später, wenn er geboren ist, ein wahrer geschwänzter Pavian im Leben: so setzt er nur seine Unschuld fort, nicht die kindliche, sondern die embryonische.

Wir kehren aber lieber wieder in Mutterleib zurück.

Bedenk' ich nun, wie damals und allda meine Wohnung mit mir selber wuchs, und wie schnell dazu – denn im ersten Monat bewohnt' ich nur ein Grasmücken-Ei, woraus ich mich im zweiten in ein Gans-Ei erhob, bis ich im dritten ein Straußen-Ei bezog –: so muß wohl ein Fötus, wenn er denken kann, sich in den Kopf setzen, er werde künftig von Schlössern und endlich in Äther-Schlösser ziehen und von der Beckenhöhle in Dido's Höhle, in Rosenmüllers Höhle bei Muggendorf und in die Höhle des Montesimos, wenn er nicht gar sich schmeichelt, als Weltseele das Orpheus-Ei der Welt zu beseelen. Ein Irrtum, der eben so verzeihlich ist, als wenn der Fötus voraussetzt, daß er einmal, weil er neun Monate lang Schwimm-Stunden nimmt, als der ausgelernteste Schwimmer kursieren werde, und zwar, zufolge des crescendo im Wachsen, als Walfisch.

– Im vierten Monat zahnt' ich schon; – ob es mir gleich weder bei meiner flüssigen Kost, noch draußen auf der Welt viel half, weil die Zähne ihr eignes Zahnfleisch zuerst käuen und zerreißen mußten. –

Auch mit Gehörknochen versah ich mich, wiewohl noch keine Kollegien zu hören waren, desgleichen mit einer großen Gallenblase, als hätt' ich vorausgesehen, daß ich in eine Welt kommen würde, wo die Ergießung derselben noch zweckmäßiger ist als die des Herzens.

Indessen wurde meine Sehnsucht nach der dummen Erde, worauf man nur ein Köter oder Kotsasse des Universums ist, immer heftiger, so daß ichBekanntlich steht das Kind in den letzten Monaten vor der Geburt auf dem Kopfe. mich deshalb auf den Kopf stellte, teils um meine alten Verhältnisse mit dem H. anzusehen, teils um zu beweisen, daß ich auf meinem Kopfe (Monate lang) bestehen könnte, teils um der vornehmen Erdenwelt (wofür ich sie noch hielt) mich bei dem Eintritte von der höflichsten und wichtigsten Seite zu empfehlen, indem ich den Gesellschaftsalon mit dem Kopf einträte. In der Tat wird Fötibus, die der Welt aus Mangel an Welt zuerst den H. oder die Fersen weisen, die schlechte Lebens-Art schon von Hebammen, diese Türsteherinnen des Lebens (portières), grob genug eingetränkt.

Ich tat natürlich, was ich konnte; die neue Welt, in die ich auf meiner Höllenfahrt wie Vespuzius Amerikus fahren wollte, schimmerte und spornte mich unglaublich an. – Ich durfte, wie gesagt, auf Progressen rechnen und zum wenigsten annehmen, ich würde dem Leibe nach so etwas von Heidelberger Faß und Erfurter Glocke im Kleinen, und dem Geiste nach das große, den Seelen-Tag regierende Licht, und nachts eine lebendige Milchstraße. – Überdies wird wohl jedem Fötus, der keinen andern Umgang hat als seinen eignen, am meisten die Zeit lang. Freilich Zwillinge, Drillinge, Vierlinge, die gleichsam schon als Residenzstädter in Klubs und Casinos leben, wissen davon nichts. Aber ein Kron- und Erbfötus, der drei Viertel des Jahres ohne Gesellschaft-Cavaliere und Ehrendamen im Uterus ausharren muß, lechzet nach seinem Hofe; daher ein solcher auch gewöhnlich seiner ersten Langweile mit solchen forderten Eilmärschen entspringt, daß er oft halbtot und (wie jeder Fötus) atemlos und unbrauchbar anlangt.

Wir brauchen uns nicht zu übereilen im Beschreiben; – kein Lever, kein Eintritt bei Hofe ist so wichtig als der in eine Erde, wo ja sämtliche Höfe und Vorhöfe wohnen. – Ich tue demnach lieber wieder hundert Schritte zurück, um mich und die Leser so lange im Uterus fest zu halten, bis wir die schafmäßigen Vorstellungen des Fötus von seiner Zukunft durchgegangen haben.

Wie gesagt, ich hatte da andere Hoffnungen, nämlich die allergrößten vom Erdleben. Und warum nicht? – Ein Fötus wie ich oder der Leser – im einzigen gesunden warmen Klima ohne Wechsel der Jahr- und der Tag-Zeit wohnend – ernährt wie ein Dorfbettler von seinem Wohnorte – Teil an allem habend, was seine Landesmutter genoß – im eigentlichen Sinne von Liebe umfaßt, mit seinem Herz und Glück am fremden hängend und lebend wie dieses von seinem – dabei ohne alle Nahrungssorge, außer etwan die, daß er zu dick würde, weil er ein solches indisches Vogelnest bewohnte und verzehrte als Mußteil, daß der nachherige Kindtaufschmaus nicht einmal als eine gute Henkermahlzeit ausfiel – – –, ein Fötus, der dergleichen blühende Vorlenze erfährt, gerade im unbesonnensten und feurigsten Lebenalter (denn 15 Jahre später regiert natürlich ruhiger kalter Verstand), der ist freilich nicht der Mann darnach, welcher von der künftigen Erden-Schererei sich etwas träumen läßt. Aber völlig schnappt er über und sieht umgekehrt die leere Erden-Baßgeige für einen Himmel an, wenn er gar über seinen geistigen Wachstum etwas vermuten will. Schon vor neun Monaten mit einigen Sinnen beschenkt, schließt er, was er vollends von künftigen 180 Monaten an Sinnen zu erben habe. Was hofft er nicht für Liebe von dem nähern Zusammenleben mit so viel tausend Seelen, an sie durch ein geistigeres Band geknüpft, als die jetzige Nabelschnur ist! Was verspricht er sich nicht für Kenntnisse von so unzähligen Predigten und Lehrstühlen, Musensitzen, Zeno's-Gängen und klassischen Böden, diese verglichen gegen seine jetzige dunkle delphische Höhle! – Ja ein solcher dummer Fötus (ich verhehle meine Jugendsünden vor der Geburt nicht) folgert sogar, er müsse, wenn er schon als schwaches punctum saliens (Hüpfpunkt) seine billionenmal stärkere Mutter in seiner Gewalt gehabt, draußen noch großstämmiger als sie, in der Tat als Schwungbrett der Menschheit, als ein Mastbaum langer Staatschiffe dahinziehen. – – –


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