Jean Paul
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§ 9

Ich antworte: allerdings will ichs und tu' es, wie folgt:

Nicht die Tatsachen selber, sondern die Schlüsse und Erklärungen, womit sie umgeben werden, sind anzugreifen. Der organische Maschinenmeister setzt an die Stelle entweder der Eier oder der Eltern gemeinschaftlich zusammenwirkende Elementen-Kräfte. Hier tritt ihm zuerst die schwer drückende Frage entgegen, ob sonst Kräfte erschufen, welche jetzo untergegangen sind, oder ob nur die jetzigen vormals nur kräftiger in günstigern Kreisen bildeten. Indes jetzo unbekannte, nun verlorne Bild-Kräfte nachzuweisen, wird wohl kein Naturforscher versuchen und vermögen, er müßte denn verborgne Ursachen (causae occultae) und doch ihm nicht verborgne zurückzuführen wissen. Mithin bleibt zum Beleb-Apparat der Urwelt nur die damalige größere Stärke jetziger matter Kräfte übrig, das warme neugeborne und neugebärende Getümmel, welches mit elektrischen, galvanischen und anderen Kräften auf der leblosen Welt eine lebendige ausbrütete.

Diese Stärke müßte man denn so weit als möglich in die Frühzeit der Erde hinaus verlegen. Aber gerade in den vorfrühen Ruinen der letzten, in den Urgebirgen, findet man keine versteinerten Tier- und Pflanzenreste. Erst in den spätern, aus Ruinen und Absetzungen gestalteten Gebirgen der zweiten und der dritten Ordnung (montes secundarii und tertiarii), besonders in denen der letzten, deckt sich uns die jetzige Lebenwelt begraben auf, vom Medusenhaupte der Vorzeit versteinert. Will man in diese Periode eingehen, wo der Meerkessel ein Braukessel des Fisch-Lebens und das Festland ein Brutofen der Pflanzen und Tiere war: so stößt man auf eine noch zu wenig genützte Erscheinung.

Alle Naturforscher nämlich bleiben darin einverstanden, daß, obgleich die Frühwelt sich in Versteinerungen sogar bis auf die zarten Blumen ausgedehnt und erhalten, welche letzte in der Jetzterde (nach Büffon) die tiefsten Schichten einnehmen, daß dennoch von der Gipfelblume des Lebens, nämlich vom Menschen, nirgend versteinerte Reste gefunden worden, so sehr auch an sich die Menschenknochen (nach Berger) der Zeit länger widerstehen als die Fischgräten, die man neben den Blumen in den hohen Särgen der Vorwelt, den Gebirgen, findet. – Ja, nicht ein mal versteinerte Reste von Affen, deren es doch 70 Arten gibt,Biologie von Treviranus. Bloß Cuvier will unter seinen 24 verlornen Tieren aus den Zähnen eine untergegangene Affenart mutmaßen, ohne indes zu entscheiden. hat jene Ur-Zeit zurückgelassen.

Woher das Ausbleiben oder Verschieben der edlern Gebilde, deren Erstehung man ja gerade von einer Zeit erwarten sollte, worin die ursprünglichen Lebens-Wecker mit größerer Stärke die Geburtstunden der Riesen-Tiere ausschlugen? – Ja man sollte dies noch mehr vermuten, da noch jetzo die Natur am einzelnen Tiere im Mutterleibe das Bilden und Gestalten immer bei den edlern Teilen, bei dem Kopfe und an diesem bei den höheren Sinnen, anhebt.

Die größte Einwendung ist endlich die Frage: wie denn Elektrizität, Galvanismus u. s. w., welche jetzo in ihrem kleinern Grade kein Leben erschaffen können, es früher bloß durch ihren höhern sollen gegeben haben, da ja das Leben selber nicht von dem Unbelebten in dem Grade, sondern in der Art verschieden ist; daher die Elektrizität zwar das schwächere Leben, z. B. das Ei, wohl ausbrüten und erhöhen, aber nicht erzeugen kann. Sie – oder was man ihr gleichstellet – ist nicht der Atem, der dem Erdkloße Leben einbläst, sondern selber ein Teil des Erdkloßes.

Eine andere Frage hat man noch gar nicht getan: ob nämlich die eine anregende Welthälfte, die aus elektrischen, galvanischen, wärmenden Kräften oder Reizen besteht, nicht zu gleicher Zeit die andere anregbare, die lebendige, voraussetze und der letzten so bedürfe wie diese ihrer; ob nicht tot-körperliche Welt mit organischer zugleich zu setzen, so wie Pflanzenwelt mit Tierwelt? Grüne Inseln ohne Tiere, elektrische Wüsten ohne Leben sind keine Einwendungen, da der Luftkreis alle Eiländer und Wüsten mit dem Leben verknüpft und umringt.

 
§ 10

Dabei ist nun die alte Frage durchaus nicht wegzudrängen und abzuweisen, warum alle diese mechanischen Poussiergriffel jetzo auch gar nichts, nicht einen organischen Klumpen mehr schaffen. (Die Einwendung der Aufgußtierchen wollen wir später abtun.) Im feucht-warmen Äquator-Amerika, diesem Brennpunkte so vieler Reizkräfte, entstehen nur alte Tiere. Wer einwirft, daß allda eigentlich nur die kleinern Tiergattungen gedeihen, dem stell' ich wieder nicht nur den brasilianischen Tiger und die Boasschlange, sondern vorzüglich die kolossale Pflanzenwelt, die herrlichen Palmen und die Riesenblumen entgegen. – Und warum blieb denn gerade die neue halbe Erdrinde an so vielen Bildungen der alten unfruchtbar, so daß auf ihr kein ganzes Tiergeschlecht des alten heißen Erdgürtels gefunden wird?Zimmermanns geograph. Geschichte etc. I. B. So wie besonders keine Schafe, Kamele, Esel, Pferde und Affen? Warum treiben Erdbeben und Naturglut neue warme Inseln aus dem Meere, aber keine neuen Tiere auf ihnen? – Warum führt und treibt das größte Infusorium, das es gibt, und von welchem das Festland nur ⅓ der Erde ausmacht, das Meer, voll Leben, voll Mollusken-Fäulnis, voll Gewächse und überquellend vom Leuchten der Auflösung, uns unter seinen Gestalten-Heeren kein neues zu?

 
§ 11

Man hat auf diese Fragen mehr Antworten als Beantwortung. Z. B. die: »Neue Organismen entstehen nicht mehr, weil schon zu viele alte da sind, welche den organischen Stoff verarbeiten.« – Aber wenn einmal die schaffende Mechanik so viel organischen Stoff teils erzeugte, teils gestaltete: wie sollten denn die Kombinationen der zahllosen Tierformen zu erschöpfen oder jener Kräfte-Mechanik zu verwehren sein? Wenn 24 Buchstaben tausend Quintillionen Male zu versetzen sind: wie oft nicht die Millionen Tiere selber wieder, so daß man sich wenig über die beiden geschnäbelten Säugtiere (Ornithorhynchus paradoxus und aculeatus) zu verwundern hat!

Die gemeinste Ausrede ist das Veraltern der Erde. Organische Wesen und also ganze Völker können altern und verfalben, leiblich und geistig; und manches Volk wird ein kindischer Greis mehre Jahrhunderte vorher, eh' es als ein kindliches Kind wieder wird. Aber unorganische Kräfte, die Elemente, Elektrizität, Galvanismus etc., behalten als Herzen des Erdballs alten Schlag und alte Glut; man müßte denn in ungeheuere Zeitfernen, wohin keine Versteinerungen reichen, sie zurückschieben wollen. Nicht die Erde, sondern einzelne Länder altern, blühen oder wechseln. Als Siberien glühte, war der Äquator entweder von jenem Urmeere bedeckt, wovon nach DelamétherieDessen théorie de la terre. II. 103. ein 24tel verflogen ist, oder seine Glut rüstete ihn mehr zu einem Scheiterhaufen als Brutneste des Lebens zu. Stellen etwan die glühenden Gewürze und Tiere so vieler Gleicher-Inseln graues Haar der Erde vor? – Höchstens hat sich die ausbrütende Erwärmung der Länder nur versetzt, nicht verloren.

Überhaupt entscheidet hier nicht allein Jugendwärme der Erde. Konnten denn die Tiere der Eisländer, wie z. B. das Rentier etc., in Glutzonen geformet werden? Fällt nicht jetzo noch bei manchen Tieren und Pflanzen die warme Zeit der Liebe und der Blüte gerade in die Wintermonate, z. B. bei Wölfen, Kreuzschnäbeln, der schwarzen Nießwurzel, den Schneeglöckchen und Moosen?

Solange die Erde – obwohl ihre Berge Scherbenberge (monti testacc.) der Urwelt sind – noch so viele Kräfte übrig hat, um mit ihnen allen fortgesetzten Schöpfungen zu dienen und beizustehen, damit der Löwe werde und der Mensch und der höhere Mensch, so lange wollen wir dieser Allmutter oder vielmehr All-Amme so gut die Jahre und zugleich die Kräfte lassen als den Erzvätern, welche zwar immer im hohen AlterVor der Sündflut nämlich, da zeugte Enos im 90ten Alter zuerst, Kenan im 70ten, Jared im 162ten, Henoch im 65ten, Methusalah im 187ten etc., nach der Sündflut meistens wie die alten Deutschen im 30ten und 29ten. zeugten, aber doch Söhne, die wieder eines erlebten. Jetzo freilich dürfen wir in Untersuchungen schwerlich ohne Nachteil des Ernstes das europäische Alter anführen, welches zeugt, und welches erzeugt wird; doch erlebt noch manche Eintagfliege einen Minuten-Enkel an ihren Stundenfliegen.

Ob die Erde vor der großen Flut mit viel jugendlichern Kräften gearbeitet als nach derselben, beantwortet die Erscheinung, daß die unterirdische versteinerte Tierwelt im Ganzen nur ein Abgußsaal der wiedergebornen jetzigen ist. Alle verlorne, uns in den Übergang- und Urflöz-Gebirgen nur als Versteinerungen übriggebliebnen Arten (die Belemniten, Lituiten, Enkriniten etc.) sind als matte, kleine Erstgeburten der Erde mehr den menschlichen gleich, die gewöhnlich Mädchen sind, etwa die Ammoniten der Größe wegen ausgenommen. Aber diese, so wie die von Cuvier beschriebenen, nicht wiedergekommenen Tierklassen entscheiden wenigstens nicht durch bloße Glieder-Auftürmung für frühere große Bildkraft.

Als ein auseinandergezognes Tiergebirge muß z. B. der Walfisch, im kalten formlosen Element geboren und gewiegt, an Feinheit und Feuer aller Kräfte tief vor den kleineren Landtieren und Lufttieren und den instinktreichen Insekten untertauchen, welche ein heißeres Schöpfung-Feuer fodern; so wie die noch weniger lebengeistigen Bäume an Riesenhaftigkeit wieder jene überragen; und wie wieder auch unter den Gewächsen die ungeheuern Giganten-Bäume sich in innerlichem Werte nicht mit der Sensitive oder einer Giftblume messen können. Auch wäre noch der punischen Elephanten-Kohorte von Cuvier die Frage entgegenzustellen, ob er denn gewiß wisse, daß diese Knochen-Massen sich doch nicht in andern Ländern jetzo noch mit Leben und Fleisch bekleiden, da wir alle ja von Asien nur drei Viertel kennen, von Amerika drei Fünftel, von Afrika gar nur ein Fünftel; Land genug für alle seine Riesentiere, um darauf zu leben und zu rauben.

Übrigens sind seinen 24 Riesenklassen mehre Hunderte Zwergklassen von Muscheltieren verflüchtigt nachgeschwunden,In Blumenbachs Naturgeschichte, 5te Auflage, findet man S. 708 ein langes Verzeichnis. die jetzo durch nichts anders an sich erinnern als – wie verjagte und ermordete Völker – durch leere Behausungen.

Eine noch schwierigere Antwort liegt dem organischen Machinisten auf die zweite Frage zu geben ob, in welcher Gestalt sich die ersten Tiere zusammengegossen, ob in Eier-Gestalt oder in ganz ausgebildeter.

Es sei in der ersten: so fragen wir, durch welche denkliche Brutkräfte und entwickelnde und ernährende Gestalten z. B. das Pferde-Ei, das Adler-Ei, das Tauben-Ei ohne Milch, Fleisch und Korn und ohne alle Eltern-Sorge nur auf eine Woche lang von blinden, tauben, harten Kräften aufzupflegen war. Will man vollends das zarte Menschen-Kindchen von der Spinnmaschine leb- und liebloser Kräfte nur einen Fuß lang ausspinnen lassen: so ist nirgends Aussicht und Rat. Die Erde ist kein Mutterleib, der Himmel keine Mutterbrust.

Wohl! so greife man denn in dieser Not zur Annahme, daß sogleich ganze vollständige Tiere vom metallnen Getriebe ausgeprägt worden. Aber noch hat jeder organische Machinist Anstand genommen, lebendige Tierherden samt dem reifen Adam, als dem Hirten hinter ihnen, ausgewachsen vom Schiffwerft organisierenden Schlamms ins Lebenmeer einlaufen zu lassen. Indeß suchte man in der Verhüllung des Knotens die Auflösung desselben. Nämlich durch ein geschicktes philosophisches Spielen aus der Tasche – aber, wie ohnehin gewöhnlicher, mehr aus unserer als aus der des Spielers – wird aus dem Pflanzenreiche beigebracht, daß der nackt aus dem Wasser aufsteigende Fels zuerst sich mit Flechten, Moosen, Aftermoosen überkleide. »Die VerwesungS. Meiners l. c. S. 33 ff. Ich führe nur einen Autor an, der und den wieder ein Heer gleichgläubiger Schriftsteller anführt in dreifachem Sinne (citer, commander, tromper). der ersten Flechten, Moose u. s. w. bereitete allmählig den ersten Gräsern, die der Gräser den ersten Stauden, diese den ersten Bäumen Leben (?), Wohnstätten und Nahrung vor.« Vor beiden letzten schwärzt er das Leben ein. Der verkappte unausgesprochne Fehl-Schluß ist dieser: »Die verbesserte fettere Modererde ist die Amme immer höherer Gewächse, folglich auch deren – Mutter, der Same der Gesträuche, Bäume u. s. w. wird hier nicht in die Erde zufällig gesäet (z. B. vom Winde), sondern von ihr gemacht. Das Moos entfaltet sich durch den Niederschlag immer höherer Verfaulungen endlich zur Lilie und Palme.« – Aber nur wenn man die Erdkugel für eine Gehirn-Kugel ansieht, welche sich selber ohne Samen mit den seltsamsten Bastardgeburten und Fantaisie-Blumen überzieht und bevölkert, dann darf man durch eine solche Verwechslung der Wiege mit dem Ehebette die Erde befruchten und das Sprichwort: »conservatio est altera creatio« so verändern: die Erhaltung ist die erste Schöpfung. Findet man nicht viele warme Länder, ungeachtet der treibenden Modererde, welche die Blumen-Musaik sein soll, oft Jahrhunderte von manchen Gewächsen entblößt, wenn ihre Samenkörner fehlen? Regen, Winde, Wogen, Vögel, Insekten sind die Säemänner und Samenhändler neuer Gärten und Wälder; aber die fettesten Beete besäen sich nicht selber, so wie auf den Glut-Eilanden mitten im Meer kein anderes Leben erscheinen kann als hingewehtes oder hingeflognes, aber z. B. kein Landtier.


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