Jean Paul
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§ 15

Aber welche Rechnung wollen wir über alles dies ziehen? – Allerdings keine zum Nachteil des Naturforschers, welche in der Natur, wie der Zergliederer im Körper, nach nichts zu forschen hat als nach neuen Gliedern und nach deren Bund, aber nach keinem Geiste darin. Wollte er uns bloß mit einer Anweisung auf das erste Blatt Mosis bezahlen: so wäre er, so wie Jahrtausende und Buchtausende, zu ersparen gewesen. Gleichwohl halt' er nicht neue Erfahrungen für neue Erklärungen; noch weniger glaub' er mit logischen Zirkelworten den Zauberkreis der Schöpfung zu durchbrechen. Z. B. der Blumenbachische Bildung-Trieb kann, wie schon das Wort Trieb sagt, nur im Einzelwesen, also im schon Gebildeten wohnen, er kann Leben nur fortpflanzen, nicht pflanzen. Dabei setzt ja der Bildtrieb seinen eignen Bildner voraus und dann sein Gebildetwerden zu einem bestimmten Ziele und Bilde. – Der hohe Herder, zugleich Natur- und Gottgelehrter, will sich und uns mit organischen Kräften aushelfen, welche nur mit dem Organ wirken, das sie sich vorher zugebildet und umgeschaffen. Ist das Organ organische Materie, also selber organisch, so werden wir auf die alte Frage zurückgeworfen; ist es dieses nicht, so müssen, wie ich gezeigt, andere Bedingungen und Verhältnisse der Elemente, als bisher geschehen, nachgewiesen werden, damit aus jenen der Unterschied des Ursprungs der ersten Organisation von dem Ursprunge der jetzigen erhelle. – Überhaupt wäre, wenn man, es mehr auf Philosophie als auf Wahrheitliebe anlegte, hier statt organischer Kräfte besser zu setzen und zu sagen: Eine allgemeine organische Kraft, welche sich etwan, wie Averroes' Weltseele, nur in individuelle Kräfte, höhere und niedere, nach dem Werte der verschiedenen Materien, in welche sie sich einbauet, auseinander begibt. Dasselbe gilt vom allgemeinen Leben der Naturphilosophen, welches als existierend doch irgendwo, wenn auch überall, wohnen muß, aber sich nur lebendig erzeigt, wenn es gleichfalls irgendwo, aber nicht überall, sondern bestimmt im Blatte, Käfer etc. erscheint und sich von sich selber abreißt, ohne Nachricht, ob der Tropfe sich wieder ins Meer verloren.

– Unglaublichen Vorschub leistet bei so schwierigen Fragen jedem und auch mir die bloße Sprache; denn zu denken weiß ich dabei nichts, und ich folge hier willig den Philosophen, welche, bei so vielen Sachen ohne Worte in diesem Mysterien-Leben, gern häufig auch Worte ohne Sachen haben und verbrauchen.

 
§ 16

Schon die bloße Angst, die jeden bei Darwins obigem Satze (§. 5.) befällt und ihm das Herz einkerkert, daß aus einem Lebensfädchen sich der ganze Weltknäuel aufzwirnt zur Webe der Schöpfung, treibt zu weitern, sogar kühnen Forschungen und – Annahmen. Woher aber überhaupt der angeborne, kaum der Theoriensucht weichende Abscheu vor einem geistigen Entstehen aus Körper-Mächten, vor jedem Uhr- und Räderwerk, das den Uhrmacher macht?

Ich frage woher; aber ich antworte: daher, weil wir selber ein viel höheres Bilden und Schaffen nicht nur kennen, sondern auch treiben, ja jedem niedrigern, um es nur einigermaßen zu begreifen, unseres unterlegen müssen.

Der Mensch ist als Geist ein Doppel-Schöpfer, der seiner Gedanken, der seiner Entschlüsse. Nur er vermag sich selber eine Richtung zu erteilen, indes alle Körper eine nur erhalten.Denn scharf genommen ist jede Körperwirkung die Summarie und das Geschöpf aller daseienden Körperwirkungen auf einmal; aber jeder Geist kann frei von neuem anfangen. Er kann sagen und es durchsetzen: »Ich will über etwas nachdenken.« Aber was heißt dies anders, als Gedanken erschaffen wollen, die man voraussieht, weil man sie sonst nicht wollen und regeln könnte, und welche man doch nicht hat, weil man sie sonst nicht zu erschaffen brauchte. Keine andere Kraft kann daher eine Zukunft suchen und sie zu einem Gebilde ordnen als eine geistige. Sogar der Instinkt, obwohl von körperlichen Zügeln und Spornen gedrängt und beherrscht, kann, da er in eine noch nicht einwirkende Ferne hinausgreift, z. B. die tierische Vorsorge für ungeborne Brut, nur in einer Seele leben. Nur im Geiste herrscht Ordnung und Zweck, d. h. Viel-Einheit, außerhalb in Körpern nur lose Einzelheiten, welche erst ein Geist vorauslenkend oder nachbetrachtend zum Bunde der Schönheit zwingt.

Über die zweite geistige Schöpferkraft der Entschlüsse, die Freiheit, ist hier der Ort zur langen Erwähnung zu enge. Die ganze Natur ist Notwendigkeit, aber zu jeder Notwendigkeit fodern wir etwas Fremdes, das nötigt; die Freiheit hingegen setzt weder fremdes Nötigen noch fremdes Freisein voraus, sondern nur sich. Selber der alles durch Ursachen begründende Leugner der Freiheit nimmt wider Wissen im Schicksal oder in der ersten Urnotwendigkeit etwas von Gründen Unbedingtes als Freiheit an.

Das Nebeneinanderziehen selbstständiger verschiedener Körperkräfte zu einem Ziele setzt eine geistige Kraft voraus, welche anspannte und lenkte. Oder wollt ihr das unzählbare Zusammenpassen äußerer Kunstgebilde mit den geistigen aus den Würfeln des Zufalls erklären? Oder wollt ihr noch kühner und schlimmer die geistige Ordnung selber zur Tochter der körperlichen, d. h. den Saitenspieler aus dem Nachklange eines Saitenspiels erklären?

Zum Verführen der organischen Maschinenmeister wirkt Folgendes mit. Eine sternlose Brautnacht liegt auf dem Entstehen durch Paarung. Sie wird noch finsterer durch die Tiere, welche sich ohne Begattung durch freiwilliges Zerteilen vermehren, wie manche Aufguß- und die Samentierchen; – ferner durch die Armpolypen, für welche das verstümmelnde Messer die Geburtzange ist – und durch die Seeanemone und den Seestern, von welchen beiden (zufolge Treviranus nach Dicquemare und Baster) die Stücken, die an Felsenstellen im Fortrücken kleben bleiben, zu ihren Nachkommen werden – – und endlich durch die Wiedererzeugung abgeschnittener Schneckenköpfe, Krebsscheren, Eidechsenschwänze u. s. w. Indes ist die Wiedererzeugung – um bei dieser anzufangen – kein anderes Wunder als das alltägliche der Ernährung, nur schneller verrichtet; denn da sogar der Mensch in drei Jahren (nach Boerhave) seinen alten Körper abwirft, so setzt er also, nur ohne Sprünge und Wunden, einen neuen an, und die Zeit löset mir so gut, nur leiser und langsamer, wie der Naturforscher einer Schnecke, den Kopf ab, und ein neuer wird von beiden Seiten nachgetrieben. Die Wiedererzeugung abgeschnittener Glieder kann man auch der Häutung der Insekten gleichstellen, in welcher dem Tiere neue Augen, Kinnbacken, Gedärme, Lungen geboren werden. – Ebenso sollte die Fortpflanzung der Pflanzentiere sowohl durch freiwillige als durch abgenötigte Teilung uns nicht verwirren; ein Armpolype ist nicht einer, sondern ein System, ein Eierstock unentwickelter Polypen, wie eine mit Zwillingen Schwangere eine verhüllte lebendige Dreieinigkeit ist. Wie vom Vogeleierstocke voll kleiner Eier sich das große ablöset, so bei dem Pflanzentiere das reife Inntier; der Messerschnitt reizt und zeitigt nur das unreife. – Aber alle diese Erscheinungen geben dem organischen Machinisten kein Recht zu seiner Lehre; denn in ihnen entsteht neues Leben ja nicht aus toter Adams-Erde, sondern aus altem Leben, welches einen Erklärer früher fodert als födert. Das Erklären der Erzeugung selber gehört in eine ganz andere, aber schwerste Untersuchung, welche sich zuletzt über das Verhältnis von Geist zu Materie, von Freiheit zu Notwendigkeit, ja vielleicht über das von Unendlichem zu Endlichem zu erklären hat.

Begehen wir überhaupt nicht einen Fehler, daß wir die höheren Kräfte aus niedern entwickeln wollen und entstehen lassen, anstatt die Leiter umgekehrt an den Himmel anzusetzen, um auf ihr zur Erde herabzusteigen? Im niederen Wesen erscheint nur die Einschränkung und Hülse des höhern. In der Entwicklung ist die Verwicklung leichter zu fassen und auseinander zu fasern als umgekehrt im Kleinen die unsichtbar und eng ineinander gelegte Entfaltung des Großen. Dem Baumblatte, dem Baumkerne, der Raupe etc. würden wir die regelmäßige Bildung nicht ansehen, wäre sie nicht vorher mit den großen Zügen eines Baums, eines Schmetterlings etc. leserlicher gegeben. Unser Bewußtsein unserer selber ist der Schlüssel der Welt, aber mehr der untermenschlichen als der übermenschlichen.

 
§ 17

Wenn Stahl (der große Arzt des vorigen Jahrhunderts) die Seele für die Baumeisterin und Ärztin des Körpers hielt, so kann ihn wenigstens nicht der organische Machinist dadurch widerlegen, daß er ihm das Unbewußtsein derselben entgegensetzt, denn er erkennt ja dasselbe auch in allen materiellen Kräften an, die er an die Stelle der geistigen schiebt. Noch mehr verkleinert sich der Einwurf, wenn man über die Kunst-Kräfte der Gewohnheit und Fertigkeit – die allein nur Geistern eigen ist, nach Skaliger – zu erstaunen hat, mit welchen der Mensch den nie etwas Geistiges erlernenden Leib unbewußt zu Sprach-, Ton- und allen Kunstbewegungen nötigt. So kann z. B. ein Klavierspieler, während er lieset und unachtsam spielt, richtig nach dem Generalbaß mit Fingern phantasieren, denen selber keiner beizubringen ist.

Am meisten stärkt sich Stahls Hypothese einer körperbauenden Seele durch Beobachtungen am menschlichen Magnetismus,In der folgenden Abhandlung über den organischen oder tierischen Magnetismus wird man die Zeugen aller dieser Wunder genannt finden. daß die Hellseherin (clairvoyante), unkundig der Anatomie, doch ihr Inneres und die Windungen der Nervengeflechte innerlich anschauet und anzugeben weiß; ferner die Zukunft ihres Befindens, Aufwachens und die Mittel ihrer Heilung zu weissagen und die dunkelsten Hintergründe tiefster Kindheit, eignes und fremdes Benehmen bei starresten sinnlosen Ohnmachten zurück zu weissagen vermag, indes gleichwohl das Erwachen ihr die ganze Kenntnis bis sogar auf die Erinnerung desselben raubt. Wie, wenn nun Seelen solche schon erwachte Hellseherinnen wären, welche größere Dinge vollenden, als sie besonnen-wach deren erinnerlich oder fähig sind? – Eine noch größere Allmacht der Seele über den Leib, so groß auch die über den eignen durch bloßen Willen ist, offenbart sich am fremden dadurch, daß der Magnetiseur blos mit den scharf auf die magnetisierte Seelenbraut gehefteten Gedanken abwesend und entfernt die Wirkungen der Nähe an deren Körper ausübt und nachschafft.

Der Naturforscher strebe und jage immer (er hat Recht) den höhern Kräften nach, die sich wie gebundnes Feuer in niedern einkerkern, so wie er den Magnet jetzo als Elektrizität, weiter hinauf als Galvanismus, diesen als organischen Magnetismus entdeckt hat. Nur halt' er neue Erfahrungen nicht für Erklärungen der Erfahrungen überhaupt; nur glaub' er nicht in immer höher hinaufgeläuterten Kräften an jene Kraft zu rücken, womit er selber alle läutert und ausforscht. Das rechte Erklären wäre eigentliches Verklären; aber der Naturforscher als solcher gleicht dem Bergmann, welcher, in entgegengesetzter Richtung des Sternsehers Schätze holend, diesem nie begegnen, sondern nur weiter entkommen kann, wenn der letzte den Himmel auf einmal vor sich bekommt und den Glanz droben findet, den jener drunten gräbt. Wäre freilich dem Menschen das Vollenden der Naturforschung möglich, so würd' er ein Bergmann, welcher, durch den Erdkern hindurch und hinaus grabend, sich mit dem Sternseher unter einem Taghimmel begegnet.

Wenn wir nämlich keine höhere, Körper ordnende, also bauende Kraft kennen als die geistige, d. h. unsere, welche sich auch dem dürftigsten Auge wenigstens in äußerer Zusammenordnung und Bezwingung ganzer Körper als Freiheitgöttin zeigt, die nirgend wohnt als in der Menschenbrust: so ist es gewiß kein Knoten zerhauender Machtspruch, wenn wir von Leiber bauenden Seelen zum höchsten Geister-Architekten aufsteigen, welcher sowohl ihre freien als alle widersprenstigen irren Kräfte zu einer Ordnung schafft und bändigt; denn damit wird hier nicht Unbegreiflichkeit aus Unbegreiflichkeit, sondern nur eine äußere scheinbare durch die innere erklärt, mit welcher wir auf jene fortwirken, und ohne welche wir das Wort »unbegreiflich« nicht einmal aussprechen könnten, weil dieses ein Begreifliches, aber nur in uns Liegendes voraussetzt.

 
§ 18

Nun so wollen wir denn, da die Ur-Seele viel bekannter unserer Nachseele ist als die Welt selber, die wir nur außer uns entziffern, dem menschlichen Heimweh nach einem Gott nachziehen.

Wir können allerdings keine besondere Wirkung Gottes für den Verstand ausscheiden, aber eben weil bei ihm alles nur eine ist; und er scheint nur zu ruhen, eben weil er nie ruht, so wie wir auf einer ewigen nachtlosen Sonne kein Licht wahrnehmen würden. Laßt uns von dem Verhältnis zwischen der allein regelnden Seele und dem blind dienenden Leibe zu dem höhern zwischen dem Urgeiste aufsteigen, welchem die geschaffne Geister-Natur nachschafft, indem sie blind verrichtet, was sehend von ihm entworfen und befohlen ist. Nur der Gedanke an ihn ist der Ankerplatz im unabsehlichen Meere der Kräfte, und nur ein Herzschlag erwärmt und bewegt das All.

Gleichwohl wollen wir uns nicht verschweigen und verschleiern, daß die Urseele uns nur als eine immer hellere, aber ewige Aurora am All erscheint, und daß diese Sonne nie aufgeht, weil das Auge der Endlichkeit an der Sonne stürbe. Nur das göttliche Morgenrot sieht und verträgt der Menschenblick.

Nachschrift

Dieser furchtsame Versuch, wiewohl er mehr die Liebe als die Kraft der Untersuchung offenbart, sei als Herzens-Nachfeier des achten Februars dem erhabnen Verfasser der »Betrachtungen über das Universum« zugeeignet. Denn Er wird am liebreichsten dem Aufblick in das Überirdische – und der dankenden Liebe – und den Wünschen für Ihn und für Seinen Staat die kurze Zueignung eines kurzen Werkchens verzeihen und vergönnen. So bleibe denn dieses Kleine, wie Größeres und Großes, dem edlen Fürsten gewidmet!


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