Jean Paul
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Jean Paul

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VIII.
Bemerkungen über den Menschen

Die poetischen Tugend-Virtuosinnen

Jeder hüte sich vor poetischen Tugend-Virtuosinnen, nämlich er heirate keine davon. Diese moralischen Statistinnen, welche selten handeln, leben in der Täuschung, daß sie noch besser sind als alle benachbarte Schauspieler und Schauspielerinnen, bloß weil sie über diese mit feinem Gefühle lobend oder tadelnd richten. Es gibt nichts so Zartes, Schönes, Großes, zumal in der Vergangenheit, was sie nicht zu bewundern oder zu fodern wußten von andern; dieses Bewundern und Fodern aber steuert sie mit dem schönen Bewußtsein aus, daß sie die Sache selber haben, etwan wie in Italien (nach Archenholz) einem, der eine Kostbarkeit lobt, diese nach der Sitte zum Geschenk angeboten (obwohl nicht angenommen) wird, das sich aber die Virtuosin selber macht. Die Wärme ist schön, womit die Tugend-Sprecherin jede Aufopferung, sie werde ihr oder andern gebracht, zu schätzen weiß; desto tiefer daher muß sie den Selbstflüchtling verachten, der ihr selber eine zumutet. So liebt sie anstatt den Menschen desto inniger die Menschenliebe. Ja die Statistin behält sogar auf ihrem Kanapée bei aller sitzender Tugend-Lebenart Unparteilichkeit genug, um die geschäftigste Häuslichkeit einer Martha und jede ämsige Gatten- und Kinder-Verpflegung zu bewundern, ja vorzuschreiben; denn sie weiß so gewiß, was sie in diesem Falle tun würde, falls sie etwas täte. So gleicht sie als Heldin in der Tugend ganz dem, was ein Held im Kriege ist; nämlich wie dieser ordnet sie erfahren, scharf und kalt alles an, was jeder im Feuer zu tun und zu opfern hat, und schonet wie ein Feldherr sich aus Pflicht zum Vorteil des Kommandierens. Auch ihr selber werden die Rollen der edelsten Menschen nicht schwer, wenn sie ein Stückchen Papier – Druckpapier oder Briefpapier – gleichsam als die Bühne erhält, worauf sie solche spielen kann; das Papierblättchen wirft sich ihr so zu sagen zum Schauspiel an, womit allein die Lady Hamilton durch dessen Wenden und Falten die schönsten alten Göttinnen machte. Allerdings müssen Personen von solcher moralischen Höhe und Foderung die sittliche Unter- und Schattenwelt unbeschreiblich tief unter sich finden und darum sie so schwarz abmalen, daß sie damit andern, die es nicht schärfer nehmen, ordentlich zu verleumden scheinen; ja ganze Städte sind sie oft schwarz zu färben genötigt, so daß es wenig ist, wenn sie, mit Anspielung auf Ägypten, die eine Stadt eine Krokodilstadt (in Crocodilopolis wurden bekanntlich Krokodile angebetet, wie in Cynopolis Hunde), die andere eine Hundestadt nennen. –

Darum lasse ein Mann, wenn nicht seine Ehe, doch seine Verlobung mit einer solchen Virtuosin trennen, wenn er nicht das ehliche Band – anstatt zu einem Venusgürtel – lieber zu einem Stachelgürtel (Cilicium) und Ehestrang geflochten tragen will. Der gedachte ehelustige Mann rechne doch vorher genau nach, ich bitt' ihn, zu wie vielen Stufen des weiblichen Göttersitzes er sich zu versteigen getraue, da ihn nicht nur schwarzgefärbte Städte warnen, sondern auch der Lebenlauf und Lebenflug seiner Verlobten selber, welche Männerherzen nur von weiten genießen und verspeisen kann, etwan wie schwarze Maulbeeren, welche man an großen Tafeln bloß mit langen Stecknadeln zum Munde bringt, um sich die Finger nicht zu schwärzen. In England sagt der Küster gewöhnlich hinter der Trauung: Amen! Ständ' ich hinter der gedachten, so würd' ich sagen: wurde die sechste Bitte nicht erhört, so tu' man die siebente.

Gegenwärtiges las ich einst einer solchen Virtuosin vor; da aber Weiber sich in jedem andern Spiegel leichter und schöner finden als im Schwaben- oder Sachsen-Spiegel oder anderem Seelen-Spiegel, so sagte sie freundlich: »herrliches Wort zu seiner Zeit! Wüßten Sie, lieber Richter, wie viele Weiber dieser Art ich selber gekannt! Aber keiner davon konnt' ich beibringen, daß sie ja selber dazu gehöre.«

 
2.
Menschen-Schwächen gegen Menschen

Es ist eine leben-verwirrende Gewohnheit, daß der Mensch sich das fremde Hassen viel lebhafter und öfter in das Herz hineinmalt als das fremde Lieben, daher er das eine stärker erwidert als das andere; so werden auch die Engel meistens nur klein und halb als Köpfchen mit Flügelchen vorgemalt; aber selten wird ein halber Teufel gezeichnet, der Satan tritt immer ganz auf, dazu noch ausgesteuert mit Glieder-Außenwerken oder Randglossen von Horn, Huf und Schwanz. Kein Wunder, daß ein armer Teufel lebhafter gehaßt wird, als das beste Engelkind geliebt.

b

Hast du mit einem Freunde rein gebrochen: so gib – nicht nur aus Menschenliebe, auch aus heiliger Scheu vor der Freundschaft-Leiche – ihm kein Zeichen, kein Blatt und, ists möglich, keinen Augenblick Gegenwart mehr von dir, weil die Zeichen voriger Wärme als die Zeichen jetziger Kälte unnütz und hart den Schmerz des Bruchs wiedergebären. Der Mann verträgt viel leichter die kalte Gegenwart einer jetzo feindlichen Geliebten als die eines jetzo feindlichen Freundes; denn eine Geliebte kann durch eine andere ersetzt werden, aber kein Freund durch einen andern.

c

Der erste Gedanke eines Menschen, der etwas nicht findet, ist der, man hab' es ihm gestohlen; und so häufig auch das bloße Verlieren und Verlegen gegen das seltene Bestehlen vorkommt, so glaubt er doch das nächstemal wieder an einen Dieb.

3
Das Ich gegen das Du

Wie viel das Ich von seinem Innersten dem Du schuldig ist, stellen vorzüglich zwei Erfahrungen dar. Der harte Eis-Schauder, womit uns in der Einsamkeit eine vermeintliche Geisteserscheinung mit den kalten Ringen einer Riesenschlange umflicht und erstickt, löset sich zum Teil in warmes Leben auf, sobald nur ein einziger Mensch, welcher doch nichts könnte als höchstens dem Sterben zusehen, neben uns steht und uns durch bloße Gegenwart mit Leben wärmt. Daher schon vor seinem sogar fernen Menschenlaute der Geister-Schauder so verschwindet wie nach der Sage vor dem eignen Worte ein gehobner Geisterschatz. – Eine zweite Erscheinung ist: schwerlich geht ein tadelloser Mann (er müßte denn einen dreifachen Panzer anhaben) durch den Feuerregen einer ihn verachtenden, aushöhnenden Menge oder Brandschmerzen der Ehre und Selberachtung hindurch, wenn ihn kein Freund begleitet, welcher gleichsam sein zweites Selbstbewußtsein vorstellt. Aber an der Hand eines einzigen ihn ehrenden Menschen trotzt derselbe Mann dem Gelächter eines Volks. So wurde dem erhabnen Sokrates das Aufstehen unter Aristophanes Wolken, welche dadurch für ihn nur als Staubwolken seines Triumphwagens aufstiegen, vielleicht durch die Nähe seiner Verehrer mehr erleichtert, als seine Kraft bedurfte.

4.
Über Weiber

a

Töchter, welche bloß von Vätern erzogen werden, saugen so viel männlichen Geist ein, daß ich Liebhabern derselben die strengste Prüfung anrate, ob sie selber genug davon besitzen, um den fremden sowohl zu leiden als zu leiten.

b

Ich habe oft mit Ärgernis gelesen, wie man unmännlich vor Weibern kniete, wenn man ihnen rauben wollte, was nicht wieder zu erstatten ist. Indes find' ich es männlicher, wenn ich an den Schlächter denke, der ebenfalls vor den Lämmern und andern Opfertieren knieet, wenn er sie töten will. – Michel Angelo verpanzerte, wie bekannt, den Fuß seines berühmten Christus in der Minerven-Kirche mit Messing, damit das Kunstwerk sich nicht unter dem küssenden Anbeten abnützte; – Schönheiten (so wie den Gewaltigen), zu deren Füßen so viele Verehrer liegen, wäre wohl ein kleiner Panzer ihres Werts zu gönnen.

c

Die Weiber sollten schon aus Koketterie Männern eigentliche Toiletten-Besuche verbieten. Unser Anschauen des weiblichen Putzens hat den ersten Nachteil, daß wir alles stückweise musivisch zusammenstecken sehen, was uns später auswärts mit einem vollendeten lebendigen Gemälde blenden würde; – und der zweite ist, daß der reizende Trug der Anspruchlosigkeit, welchem man sich so willig ergibt, durch das angeschauete Vormachen der weiblichen Jägerkünste uns etwas schwer gemacht wird.

Hingegen Weiber können ohne Schaden als Priesterinnen das anzuputzende Madonnenbild umringen. Ihnen ist Kleiden-Sehen und Kleiden-Helfen fast so viel als selber eingekleidet werden. Sogar die Feindin springt hier der Feindin bei; was ein so schöner Zug wie der vom Engländer Collins ist, welcher denen, die gegen ihn schreiben wollten, mit Rat und Büchern beistand. – Übrigens möcht' ich Kammerfrauen beschicken und befragen, wie es auf dem Charakter der siebenten einfließe, wenn sie täglich ein halbes Dutzend Damen zu putzen hat.

d

Viele heutige Weiber von Stand oder Geld glauben so oft häuslich zu sein, als sie zu Hause bleiben und da so viele gute Gesellschaft annehmen, als hineingeht, so daß die Männer sie wieder noch häuslicher finden, wenn sie selber ausgehen, und wär' es in die größte Gesellschaft.

e

Eine Braut kann ihren Bräutigam mitten im Wortgewitter gegen seinen Bedienten ohne Entkräftung ihrer Liebe antreffen; wenn er aber die Braut im Zankgefecht mit ihrer weiblichen Dienerschaft überrascht: so kann er leicht vom Prachtvogel Juno's nichts bei ihm übrig bleiben als dessen – Stimme; das Rüge-, Frieden- oder Krieggericht einer Jungfrau über eine untergeordnete wird ihr eignes. Diese Wichtigkeit eines weiblichen Aufbrausens bei der Unwichtigkeit eines männlichen gibt viele Winke und Schlüsse.

f

Nach jedem Tee-, Eß- und Ball-Abend und überhaupt nach je dem gesellschaftlichen Festtage bekommen die Weiber noch einen blauen Montag nachzufeiern, nämlich den nächsten Tag, an welchem sie das Fest-Gestern fremden Ohren malen, und dessen Genuß ihnen gewiß bleibt, wenn sie auch nichts zu schildern hätten als einen der langweiligsten Abende. Daher suchen sie niemal so eifrig Gesellschaft, als wenn sie aus einer kommen, besonders aus einer schlechten.

g

Männer sprechen selten und ungern von abgefallenen und bundbrüchigen Freunden. Weiber unterhalten sich mit ihren jetzigen Freundinnen so erquickt und weitläuftig von den Untreuen ihrer vorigen abtrünnigen, als wären ihnen die Freundinnen nur Bekannte gewesen, und jetzo diese jene geworden. Diese Bemerkung würde fast scherzhaft und satirisch klingen, wäre sie nicht ernsthaft und wahr.

h

Ich fürchte sehr, die Leichtigkeit der männlichen Siege über weibliche Tugend ist (doch aber nur bei der kleinern Weiberzahl) nicht der Übermacht des sinnlichen Augenblicks oder dem Übermannen der Neuheit beizumessen, sondern vielmehr der Gewalt alter gepflegter Liebe-Bilder und Gegen-Altarblätter, welche im freien zügellosen Reiche der Phantasien verborgen hinter Wangen und Lippen spielten und schweiften und durch ein phantastisches Mehr leichter mit dem wirklichen Minder versöhnten.

i

Je kostbarer die Kleidung, desto öfter der Wechsel darin; daher gibts einen größern bei Weibern als bei Männern. Die Frauen gleichen der Porzellan-Schnecke, welche ihre Schale, ob sie gleich die schönste im Meere ist, jährlich abwirft und eine neue ansetzt; ja sie sind vielleicht noch besser und reicher, unsere weiblichen Porzellan-Schnecken, da sie jede Messe eine neue herrliche Körperschale ansetzen, sich aus der alten mausernd.

5
Zeit-Allerlei

a

Meistens werden die Ämter mit mehr Ehrgefühl verwaltet als erworben; vielleicht schon darum, weil die Verletzung desselben bei dem Erwerben kürzer, verborgner, ja gefoderter ist als bei dem Verwalten.

b

Die feinsten und listigsten Zwecke politischer Großen und Größten werden wider Vermuten der letzten meistens vom Publikum sogleich entziffert; nur das Erhabne und Reine seltner Fürsten hat das Unglück, selten geahnet, ja öfter mit dem Gegenteil verwechselt zu werden; wenn anders dieses Unglück für den Urheber nicht gar ein Glück für die Sache ist, welche durch ihre Götter-Unsichtbarkeit dem feindlichen Widerstande leichter entweicht.

c

Statt elender sechs Wochentage genießen viele Leser jetzo endlich sieben frohe Ruhe- oder Sonntage, an welchen man nichts verkauft; ein solcher jährlicher Festtag von 365 Tagen gibt die alten Saturnalien zurück, wo Sklaven und Freie sich gleich waren und (kaufmännisch zu reden) nichts gemacht wurde.

d

Nicht einmal die Autorwelt, welche mit Büchern heilen und heben will, verzage, wenn sie am Einzelwesen und am nächsten Jahre so wenige vortretende Verbesserungen wahrnimmt; aber noch weniger ermüde und verzweifle der Völker bauende Fürst, wenn er von seinen Erzieh-, seinen Bild-Anstalten oder andern Aussaaten im Herzen keine nächsten Früchte vor seinen Augen grünen sieht. Er tröste sich damit, daß an Einzelwesen und Jahren anfangs alles nur wenig erscheint; was sich später erst an Völkern und Zeiten als Heilung und Hebung offenbart. Die Luft ist himmelblau, aber der kleine Ausschnitt von ihr im Zimmer ist farblos; nur die ganze große Luftkugel umwölbt uns mit ihrem Äther-Blau. – Der Mensch, zumal der mächtige, will alles schnell zeitigenZeitigen ist fast die Übersetzung von Temporisieren. und ernten; um daher dem Baume (man denke sich darunter nun ein Volk oder ein Kind) auf einmal recht viel Blütenhonig und Fruchtsüße zu geben, höhlet oder fäulet er ihn geschickt aus, damit die Bienen in den hohlen Stamm ein ganzes Honigwarenlager niederlegen. Nur schade, daß alsdann der sterbende Baum keine eignen Süßigkeiten mehr trägt, und daß ihn endlich die Bienen als seinen eignen Sarg bewohnen.

e

Verzage doch niemand an der Zeit oder gar an der Vorsehung. Habt ihr einmal irgendein kleines Übel der Welt mit der unendlichen Güte und Fürsorge zu reimen und zu versöhnen gewußt: so müßt ihr es auch bei jedem größern vermögen, da der Einwurf oder Zweifel gegen den Allheiligen und Unendlichen derselbe bleibt, ob er vom kleinsten oder vom größten Leiden hergenommen wird. Aber der Mensch wird weniger vom Übel selber als von dessen Zusammendrängung in Zeit oder Raum betäubt und getäuscht; – daß jede Minute auf der ganzen Erde sechzig Leichen aus ihr wegträgt, fällt uns weniger auf, als die Pest einer Stadt uns erschüttert. Eine Gewitterwolke oder eine Sonnenfinsternis deckt dem vorschnellen Irrgefühle dunkler und dichter die unendliche Ur-Sonne zu als eine längste Polar-Nacht. Aber warum denken denn die Menschen nicht daran, daß in düstern Jahrhunderten – sie wären ja auch sonst da geblieben und hätten immer schwärzer nachgedunkelt – ein von Gott abgeschickter Gottes-Sohn plötzlich aus dem Gewölke trat und sonnig die weinende Erde in warmen Glanz einfaßte? Warum erinnert das seltsame Ding, der Mensch, sich sonst aus seiner, besonders aus seiner kindlichen Geschichte immer lebhaft der Freuden, und nur wenig der Entbehrungen und Strafen; aber warum entsinnt er sich nicht ebensowohl aus der Weltgeschichte, aus der langen Völker-Vergangenheit, mehr der Erhebungen derselben als der Niederstürzungen, mehr des Trostes als des Grams, mehr Gottes als des Teufels? – Wie, wenn nun ein Mann an der Noahs-Arche und nahe an der Sündflut einen gottlästernden Schluß auf die nachfolgende Weltgeschichte gemacht hätte?

f

Ein hochgesinnter Fürst mit grauen Haare, zu dessen Füßen seine Länder blühen, gleicht den hohen Bergen, mit Schnee bedeckt, unter welchen die Auen und Täler, die von ihren Gipfeln gewässert werden, umher liegen voll Blumen und Ernten.


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