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Elisabeth Worth wurde also eine Berühmtheit. Zunächst nur eine spezifisch Pariser Berühmtheit. Doch das genügt für den Anfang einer jeden Karriere. Sie wurde berühmt nicht nur wegen ihrer Schönheit, ihrer Eleganz, sondern auch wegen ihrer Unnahbarkeit. Eigentlich hauptsächlich dieser Eigenschaft wegen. Es dauerte nicht lange, und Paris zerbrach sich den Kopf über diese in jeder Beziehung merkwürdige Frau. Man sprach in den Salons von ihr. Die Zeitungen veröffentlichten witzig pointierte Entrefilets über sie. Die illustrierten Revuen und Magazine rissen sich um ihre Bilder. » La belle Madame Elisabeth Worth dans son salon.« »La plus belle femme de la société parisienne.« Und so weiter. In den Kabaretten des Montmartre sang man allerlei spitzbübische Strophen über die Tugend der schönen Madame Elisabeth Worth. Sie waren boshaft oft, diese Strophen, aber sie waren galant dabei, huldigend, und Elisabeth selbst lachte darüber. Bis eines Tages der Gesellschaftsplauderer des »Figaro« sie » la femme la plus mystérieuse de Paris« nannte.
Von da ab verdunkelte der Glanz ihrer Persönlichkeit den aller anderen Sterne. Sie wurde unbestrittene Sonne des total verrückten Planetensystems, das sich » tout Paris« nennt.
Mysteriös – das war das Wort, das den noch lose in der Neugierde der Pariser steckenden Nagel auf den Kopf traf und ihn ganz tief hineinschlug. Elisabeth Worth war schön, war elegant, hatte Geld, viel Geld – nach ihrem Auftreten zu schließen – und keinen Liebhaber! Es gab in Paris schöne Frauen genug, elegante, reiche – es gab Frauen, die schön, elegant und reich waren, aber eine Frau, die zu all diesen bewundernswerten Qualitäten auch noch die der Anständigkeit hinzufügte, war für Paris mehr als ein Novum. War ein Mysterium. Der eine oder andere munkelte etwas von einem steinreichen alten Serben – –. Aber niemand wußte etwas Genaues. Niemand hatte je Gospodin Stanko Dazkovic von Angesicht zu Angesicht gesehen. Der Gospodin selbst sorgte schon dafür, daß von seiner Existenz nicht allzuviel in die Oeffentlichkeit drang. Er saß in einem kleinen bescheidenen Hotel auf dem Boulevard Magenta in der Nähe des Gare du Nord, freute sich der Popularität seiner Kompagnonin und rieb sich zufrieden die dicken, behaarten Hände.
Der einzige Bozo Dimitrievic, der von ihm wußte. Und der –
Bozo Dimitrievic war fesch, jung, hatte zwar den Rock des österreichischen Generalstäblers, aber nicht die damit verbundene Keckheit ausgezogen. Zudem glaubte er dadurch, daß er zu Ehren von Elisabeths Farben dem Grafen Lavoux ein Loch in die rechte Schulter geschossen hatte, sich ein Anrecht auf besonderes Vertrauen erworben zu haben. Also – nachdem sie sein ceterum censeo, seinen Antrag, ihn zu heiraten und damit zu dem am meisten beneideten Menschen in Paris zu machen, zum hundertsechsundzwanzigsten Male zurückgewiesen hatte, fragte er sie geradezu, ohne alle Umschweife, fragte er sie, ob sie die Geliebte des alten Stanko Dazkovic sei.
»Und wenn ich es wäre?« fragte sie zurück.
»Dann geh' ich hin und schieß' den alten Betyar tot«, erklärte Bozo Dimitrievic. »Ob Sie mir es glauben oder nicht, ich liebe Sie so, Elisabeth Worth, daß ich Sie niemand anderem gönne.«
Sie lachte ihm ins Gesicht.
»Wer gibt Ihnen das Recht, so zu mir sprechen? Weil Sie töricht genug waren, sich meinetwegen zu duellieren? Da könnte genau mit demselben Recht Graf Lavoux kommen und dieselbe geschwollene Sprache führen. Daß er es nicht tut, beweist nur, daß er mehr Takt hat als Sie und es bedauert, meinen Namen schon einmal in den Mund aller Leute gebracht zu haben.«
»Bah, Königin meines Herzens, das wirkt nicht bei mir! Als ehemaliger Militarist bin ich gewohnt, abgekanzelt zu werden. Sie können mir verbieten, zu essen oder zu rauchen. Oder Karten zu spielen. Sie können mir sogar verbieten, auf Pferde zu setzen, die nie gewinnen – Sie können mir aber nicht verbieten, Sie zu lieben!«
»Tue ich das? Lieben Sie mich, wenn Sie dazu dasselbe Bedürfnis empfinden, wie zu spielen und zu wetten. Aber lieben Sie mich so, daß ich nichts davon bemerke! Behandeln Sie Ihre Liebe zu mir als Ihre ureigenste Privatangelegenheit, die keinen Menschen interessiert, am allerwenigsten mich!«
»Sie schweifen ab, meine Gnädigste! Unser für mich so überaus reizvolles Gespräch nahm seinen Ausgangspunkt bei der umfangreichen Persönlichkeit meines lieben und ehrenwerten Cousins Stanko Dazkovic. Gestatten Sie, daß ich Ihnen, wenn schon nicht von meiner Liebe, so doch von meiner Freundschaft spreche. Diese Freundschaft gebietet mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß der Name des guten Stanko immer häufiger mit dem Ihrigen in einem Zusammenhange genannt wird, der zwar sehr schmeichelhaft für ihn, aber desto weniger schmeichelhaft für Sie ist. Ich habe natürlich im Klub, als wieder die Sprache auf dieses Thema kam, erklärt, ich würde jeden einen Schurken nennen, der eine derartige Verbindung zwischen Ihnen und – hm – meinem Vetter auch nur andeuten wollte. Aber ich habe selbst die Empfindung, daß ich nicht die richtige Verve aufbringen konnte, um eine solche Ankündigung wirkungsvoll zu gestalten! Mir fehlte – verzeihen Sie – die offene Sprache der Freundschaft – die eigene innere Ueberzeugung. Ich würde daher glücklich sein, Frau Elisabeth, wenn Sie mir reinen Wein einschenken würden.«
»Ich bin Ihnen für Ihr ritterliches Eintreten sehr dankbar«, sagte sie, »finden Sie jedoch nicht, daß Sie reichlich unverschämt sind, mein guter Herr Dimitrievic?«
»Das kann ich nicht finden, Königin meines Herzens. Ich versuche, mein Gewissen zu beruhigen, denn ich bin fest entschlossen, den ersten, der wieder etwas Aehnliches äußert, senkrecht tot zu schießen – ganz gleich, ob – ob er recht hat oder nicht. Aber mein Gewissen wäre halt ruhiger, wenn er nicht recht hätte und deshalb seine Lektion verdiente.«
Elisabeth fand, daß sie etwas tun mußte, um diesen ebenso blutgierigen wie hartnäckigen Verehrer zu besänftigen. Sie ließ daher die Miene des überlegenen Spotts verschwinden und nahm eine solche würdevoller Traurigkeit an. Ihre blauen Augen hoben sich unter den langen Lidern zu ihm empor – –
Bozo Dimitrievic glaubte, unter diesem Blick den Verstand zu verlieren. Er liebte diese Frau, die doch nur mit ihm spielte, wirklich. Vielleicht gerade deshalb, weil er wußte, daß sie mit ihm spielte.
»Ich bin nicht die Geliebte des Stanko Dazkovic«, sprach sie, und ihre Augen bohrten sich in den seinigen fest. »Glauben Sie mir, Bozo Dimitrievic, oder soll ich es Ihnen vor dem Muttergottesbild schwören?«
»Ich glaube Ihnen, ich glaube Ihnen«, stammelte er und bemächtigte sich ihrer Hand, die er mit glühenden Küssen bedeckte.
»Stanko Dazkovic ist mir ein guter Freund,« fuhr sie fort, »und ich schätze ihn dafür sehr hoch. Er ist der erste Mann in meinem Leben, der nichts für seine Freundschaft von mir verlangt. Gar nichts – – –«
»Das versteh' ich nicht. Wie kann man neben Ihnen leben und Sie nicht lieben, nicht begehren?« schrie Bozo Dimitrievic. »Sie sind nicht nur schön – ach was, hol' mich der Geier! – es gibt schöne Frauen genug in Paris. Frauen, die man begehrt – ja – ja – – aber bei Ihnen ist es noch etwas anderes! Der Teufel muß Sie mit irgendeinem ganz besonderen Fluidum geladen haben, ehe er Sie auf die Welt losgelassen hat. Denn Sie machen uns Männer verrückt, toll! Wenn ich Sie nur ansehe, fängt in mir alles zu zittern, zu kochen an. Mein ganzer sogenannter Männerstolz geht schmählich aus dem Leim, wenn ich Ihnen nur die Hand küssen darf – so – so – ah – – –«
Er küßte sich den weißen, runden Unterarm entlang bis zum Ellenbogen hinauf. Da gebot sie ihm Halt. Entzog ihm leise, wie von tiefstem Mitleid erfüllt, die Hand und legte sie ihm auf den Kopf.
»Armer Bozo!« seufzte sie.
»Armer Bozo!« fuhr er auf, wild und verzweifelt. »Sehen Sie, das muß man sich sagen lassen! Armer Bozo! Und ich hab' mir immer eingebildet, ich sei so was wie ein Mann! Und nun bin ich glücklich, dankbar, daß Sie mir die Hand auflegen und ›Armer Bozo!‹ zu mir sagen! Denn die anderen, denen Sie die Seele im Leib geradeso herumdrehen wie mir, haben ja nicht einmal das! Oh, Elisabeth Worth, ich liebe Sie! Wie liebe ich Sie!«
Dann stürzte er fort, und sie zuckte die Achseln. Doch Stanko Dazkovic nahm die Sache nicht so phlegmatisch auf.
»Der Bozo war immer ein verrückter Kerl«, sagte er. »Werden Sie sehen, wird er noch was anstellen.«
Er hatte recht.
Drei Tage später warf Bozo Dimitrievic im Jockeyclub Sir Harald Bloughton das Whiskyglas ins Gesicht, weil dieser die Ansicht äußerte, Frau Elisabeth Worth sei gar nicht so mysteriös, wie sie die Welt glauben mache. Die richtige Ziffer auf den Scheck geschrieben, und Madame – – –
Weiter kam er nicht, denn da traf ihn schon Bozos Glas mitten auf die Nase. Ein Faustschlag folgte, und es entwickelte sich eine kleine, aber recht animierte Prügelei, bei der Bozo die ihm fehlenden Kenntnisse im Boxen durch eine blutdürstige Wildheit ersetzte.
Eine Prügelei im Jockeyclub de France! Ein noch nie dagewesener Skandal! Ein Shimmy in Westminsterabtei konnte kein größeres Sakrileg sein! Die serbische Regierung berief schleunigst ihr enfant terrible Bozo Dimitrievic ab und schickte ihn als Bezirkskommissar nach Mazedonien – dort, wo es am dicksten ist. Bozo verließ Paris, ohne Elisabeth zu sehen – er hatte nicht den Mut dazu. Aber als er in Prilep ankam, ließ er sich sämtlichen in der Stadt aufzutreibenden Slibovitz kommen, trank sich einen selbst für balkanische Verhältnisse phantastischen Rausch an, stieg, als kein Slibovitz mehr in Prilep war, zu Pferde, um im nächsten Ort weiterzusaufen; stürzte nach zehn Schritt aus dem Sattel und brach sich das Genick.
Das war Elisabeths erstes Opfer.
»So ein Esel!« sagte Stanko Dazkovic.
Sie sagte nichts, sondern fuhr in die Komische Oper, wo Graf und Gräfin Leuenström sie in ihre Loge geladen hatten.
Der junge Winston Huntley, einziger Sohn und Erbe des Lord Sealsby, war das zweite Opfer.
Er war lungenkrank, unheilbar. Vier Monate, hatten sich die Aerzte ausgerechnet, konnte er mit dem Fetzchen noch leben, das ihm von seinen Lungen geblieben war: In Nizza lernte er Elisabeth kennen, mit der ganzen fiebernden Leidenschaft des Lungenkranken warf er ihr seine Liebe entgegen. Er war dreiundzwanzig Jahre alt, ein hübscher Junge, mit traurigen, heißhungrigen Augen und kannte sein Schicksal.
Am zweiten Tage ihrer Bekanntschaft kam er in die Villa »Monbijou«, in der Elisabeth wohnte. Als ein Mann, für den jede Minute ebensoviel Leben bedeutet wie für andere ein Jahr, ging er geradeswegs auf sein Ziel los.
»Madame,« sagte er, »die Aerzte geben mir vier Monate, und mein Vater gilt als einer der reichsten Männer der Vereinigten Königreiche. Ich werde Sie in meinem Testament als Universalerbin einsetzen, wenn Sie kommen und mir über diese letzten vier Monate hinweghelfen wollen. Vielleicht haben sich die Aerzte geirrt, und ich reiche gerade noch für zwei Monate. Tant mieux pour vous. Ich bin ein Sterbender, Madame! Man sagt von Ihnen, Sie hätten kein Herz, keine Liebe für alles, was sich Mann nennt. Das mag wahr sein. Ich weiß es nicht, aber ich finde, die Leute, die Sie gleichzeitig als die schönste Frau der Welt schildern, haben gerade soviel gesagt, daß sie nicht hinter der Wahrheit zurückbleiben. Ich bin ein Sterbender, Madame, ich biete Ihnen ein Vermögen und verlange dafür nichts als ein bißchen Mitleid.«
Elisabeth sah ihn freundlich an, versicherte ihn ihres tiefsten Mitleides und schickte ihn fort. Er ging hin und nahm sämtliche Chloralpulver, die ihm der behandelnde Arzt zur Beruhigung seiner Schmerzen verschrieben hatte, auf einmal.
»Schade,« meinte Gospodin Stanko Dazkovic, »das Geschäft hätte man machen können. Zumindest das Testament hätte man sich anschauen können.«
»Ist das Ihr Ernst?«
Ganz dunkel wurden dabei die blauen Augen.
»Ah, gar keine Spur – ich – ich – hab' nur so – so – gedacht – –«, stotterte der Gospodin und verzog sich.
Irgendwie wurde die Geschichte bekannt. Vielleicht schrieb der arme Teufel einen Abschiedsbrief, in dem er den Grund angab, der ihn veranlaßte, unter seine vier Monate einen so radikalen Strich zu ziehen. In den Londoner Gesellschaftsblättern, im »Bystander« und im »Tatler«, erschienen ein paar Andeutungen, die zwar Elisabeths Namen verschwiegen, indessen keinen Zweifel darüber ließen, wer unter der »weltbekannten herben Schönheit« gemeint war.
Das war die Geschichte von Elisabeths zweitem Opfer. Die dritte verlief minder tragisch; doch sie machte Elisabeth zur internationalen Berühmtheit. John Stewart Davison, der Chikagoer Getreidekönig, war ihr Held, ihr passiver Held selbstverständlich.
Dieser Mann, einer von den big three, die von ihren Bureaus in Chikago aus der Welt den Preis ihres Brotes diktieren, hatte im Internationalen Sportingclub ungefähr derselben Meinung Ausdruck gegeben, deretwegen Sir Harald Bloughton das Whiskyglas des armen Bozo ins Gesicht bekommen hatte.
»Jede Frau hat ihren Preis«, hatte er erklärt. »Es muß ja nicht immer bares Geld sein – – –«
»Winston Huntley bot ihr sein Vermögen!« hatte jemand eingeworfen.
»War ihr vielleicht nicht groß genug für die Chance, sich den sicheren Tod zu holen. Hang it all – bei dem Preis muß auch der Mann sein, der ihn bietet.«
John Stewart Davison war schon ein Mann. Fünf Fuß zehn Zoll hoch, breit, vielleicht ein bißchen zu breit, ein Mann dazu, der gewohnt war, die Welt zittern zu sehen, wenn er den Finger hob. Kurz und gut, das Ende dieser diskreten Unterhaltung über eine schöne Frau war, daß der Chikagoer zehntausend Dollar wettete, er werde die bis jetzt uneroberte Festung zu Fall bringen.
Elisabeth hatte immer den einen oder anderen guten Freund, der ihr zutrug, was über sie gesprochen wurde. Sie war es gewohnt, daß sie durch die Fangzähne der Gemeinheit geschleift wurde – seit der Minute in dem Schlafwagen, da irgendein Mensch sie als »ein prachtvolles Frauenzimmer« klassifizierte. Sie hatte mit der Zeit gelernt, die Achseln zu zucken.
Dieses Mal war es Stanko Dazkovic selbst, der ihr die Geschichte von der Wette erzählte. Ihm hatte sie der Oberkellner in seinem Hotel ins Ohr geflüstert.
»Wirklich wahr, muß man sich schämen, Mann zu sein,« knurrte er als eigenen Kommentar hinter seinem Berichte her, »wenn man hört, wie Männer untereinander über eine Frau reden.«
Sie lachte.
»Wundert Sie das, Dazkovic? Mich nicht. Ich bin ja eine alleinstehende Frau, hübsch bin ich auch – also! Da man mich nicht mit den Händen besudeln kann, tobt man sich in Worten aus. Lassen Sie sie reden, Dazkovic! Uns tut's nicht mehr weh.«
»Ist und bleibt aber doch bodenlose Niedertracht, Elisabeth. Sollten Sie dem Kerl eins auswischen. Ich bin alt und dick und zuckerkrank – dreiundeinhalb Prozent hat dieser Gauner von Doktor neulich konstatiert –, ich kann nichts für Sie tun. Der arme Bozo, der Esel, ist tot! Und das wär' Gelegenheit, Maria und Josef, was für Gelegenheit! Könnte man auch Eindruck von der verflixten Geschichte mit dem jungen Huntley bissel verwischen – war nicht sehr günstig, wissen Sie – –«
»Was geht das mich an?«
»Das schon, Elisabeth, aber schauen Sie, das ist doch bodenlose Niedertracht, Sie zum Gegenstand von Wette zu machen! Wie bei Pferd! Nächstens wird man Odds gegen Sie legen, 1:2 oder 1:3 – – joi, wenn ich daran denk', packt mich die Wut!«
Sie sah ihn höhnisch an. In ihren Augen begannen böse Lichter zu funkeln.
»Von Ihnen könnte ein Reklamechef bei Barnum lernen! Gehen Sie jetzt, und lassen Sie mich nachdenken!«
Am nächsten Morgen war Herr John Stewart Davison, der im »Negreseo« die Fürstenappartements bewohnte, sehr erstaunt, als ihm sein Kammerdiener eine Dame meldete, die sich Madame Elisabeth Worth nannte. Er beeilte sich, seine Toilette zu vollenden, aber irgendein unangenehmes Gefühl kroch ihm dabei den breiten Rücken herauf. Sollte sie vielleicht von der Wette gehört haben – –? Zur Vorsicht beschloß er, seinen Sekretär zu der Unterredung mitzunehmen.
Seine Zweifel über diesen Punkt wurden in der ersten Minute behoben, als er ihr in seinem Empfangssalon gegenübertrat. Elisabeth sah so schön aus, blickte ihn mit solcher Verachtung an, daß der Amerikaner vor ihr stand wie ein kleiner Schuljunge vor der Lehrerin, die sich anschickt, ihm die Leviten zu lesen.
»Sie haben mir die Ehre erwiesen,« sagte sie, »mich zum Gegenstand einer jener kleinen Scherze zu machen, mit denen man wohl bei Ihnen drüben seine Achtung vor den anständigen Frauen bezeugt. Darf ich fragen, wie hoch Sie gewettet – das heißt, wie hoch Sie mich eingeschätzt haben – –?«
»Frau Worth, ich versichere Ihnen, ein harmloser Scherz – – wie könnte ich – –?«
»Sie sind aber nicht nur gemein, Sie sind auch noch feig.«
Herr Davison bedauerte, seinen Sekretär mitgenommen zu haben. Doch die Frau, die ihn so stellte, schien mit diesem Arrangement höchst zufrieden, denn sie fuhr fort:
»Man hat mir gesagt, zehntausend Francs! Ich finde das plebejisch wenig, mein Herr! Sehen Sie mich recht an, und Sie werden mir zugeben müssen, daß Sie als Charaktereigenschaft zur Gemeinheit und Feigheit auch noch die Knickerigkeit hinzufügen.«
Der Getreidekönig fand endlich seine Würde.
»Morris,« sprach er zu seinem Sekretär, »geleiten Sie Frau Worth hinaus!«
»Einen Moment«, sagte Elisabeth, »wenn Sie mich nicht jetzt anhören, werden Sie mich vor aller Welt hören müssen – auf der Promenade des Anglais zum Beispiel.«
»Ich werde mich dagegen zu schützen wissen.«
»Diese Aeußerung dient vortrefflich zur Vollendung des Bildes, das ich mir von Ihnen gemacht habe. Erst eine achtbare Frau in der gemeinsten, unflätigsten Art beleidigen, ihr mit der Miene der siegreichen Bestie Mann die Ehre abschneiden und dann sich hinter die Polizei verkriechen. Tun Sie das, mein Herr, und ich gehe von hier geradewegs zur Redaktion des »Eclaireur« und erzähle unsere Unterhaltung. Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie Ihren Sekretär anwesend sein lassen, dadurch habe ich einen Zeugen, der um so glaubwürdiger sein wird, als er als Mann von Ehre gegen seinen Brotherrn wird aussagen müssen. Ist es nicht so, Herr Morris?«
Der Sekretär war ein junger, intelligent und entschlossen dreinschauender Bursche. Doch als sich die wundersamen blauen Augen ihm zuwandten, erging es ihm wie seinem Chef. Er stammelte etwas, was er selbst nicht verstand, wurde rot und äugte sehnsuchtsvoll nach der Tür.
»Herr Morris ist, wie ich sehe, mit mir einverstanden«, erklärte Elisabeth mit einer Sicherheit, die sowohl Chef wie Sekretär verblüffte. »Ich nehme daher an, daß Sie es vorziehen, mich hier anzuhören.«
»Aber beeilen Sie sich, Madame«, schrie Davison, der seine Nerven zu verlieren begann.
»Sie scheinen, abgesehen von allen Ihren anderen mir bereits bekannten Vorzügen auch noch ungebildet zu sein, da Sie nicht einmal die äußeren Formen im Verkehr mit einer Dame einzuhalten wissen. Doch das ist Sache der Damen, mit denen Sie sonst verkehren, und die sich Ihr Benehmen bieten lassen. Um zum Zwecke meines Besuches zurückzukehren, möchte ich wiederholen, daß ich den Preis von 10 000 Dollar beleidigend gering finde. Nur um eine Ziffer zu nennen, sage ich 100 000. Ich könnte ja auch eine Million fordern – – –«
Davison starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. Die Frau wurde ihm allmählich unheimlich – – aber – aber – – – er gestand sich im Innern, sie hatte recht, eine Million – – –! Wenn sie wirklich wollte!
»Ich begnüge mich mit 100 000 Dollar, die Sie heute noch dem Maire der Stadt Nizza für seine Armen zur Verfügung stellen werden. Die Quittung darüber wünsche ich morgen mit der ersten Post in Händen zu haben, sonst – –«
Irgendwie und irgendwoher hatte sie auf einmal eine Hundepeitsche in der Hand. Ließ sie ein-, zweimal klatschend durch die Luft sausen.
»Sonst werde ich meiner an sich so bescheidenen Forderung mit diesem Instrument da Nachdruck verleihen, wo und wann ich Sie antreffe. Ich habe die Ehre, Ihnen einen guten Tag zu wünschen, Herr Davison!«
Am nächsten Morgen, um neun Uhr, präsentierte sich in der Villa »Monbijou« Herr Morris mit einem Briefe seines Chefs, in dem eine Quittung des Bürgermeisters von Nizza über 100 000 Dollar sowie ein Scheck über weitere 100 000 Dollar enthalten war.
Davison schrieb dazu:
»Gnädige Frau,
ich habe Sie schwer beleidigt, und ich bitte Sie, mir zu vergeben. Ein Nichtwissender hat gesündigt. Doch nun weiß ich, daß es eine Frau auf der Welt gibt, die sogar mir imponiert – ja imponiert im vollsten Sinne des Wortes. Ich kenne kein größeres Lob. Gestatten Sie mir daher, Ihnen anbei diesen kleinen Scheck zu übersenden mit der Bitte, Ihnen nach Ihrer freien Verfügung für einen Ihrem großmütigen Herzen geeignet erscheinenden Zweck der Wohltätigkeit zu verwenden.
Ihr von nun ab bedingungslos ergebener
John Davison.«
Elisabeth las den Brief, nahm die Quittung des Maire und legte sie beiseite. Den Scheck gab sie Morris zurück.
»Sagen Sie Herrn Davison,« lachte sie, »daß ich auf diesen Trick nicht hineinfalle. Ich wünsche, mit ihm nichts mehr zu tun zu haben, und bitte Sie daher, ihm diesen Wisch zurückzustellen.«
Das Gesicht, das Morris in diesem Augenblick machte, zu beschreiben, ist ein Ding der baren Unmöglichkeit. Wie in der Trance nahm er mit spitzen Fingern den kleinen Papierstreifen, der ein Vermögen darstellte, aus der Hand dieser schönen Frau. Wie in der Trance wankte er zur Türe.
Schon hatte er die Klinke in der Hand, da rief sie ihn zurück.
»Einen Augenblick, Herr Morris, ich habe es mir überlegt. Geben Sie mir den Scheck wieder; ich habe doch eine Verwendung für ihn. Wieviel Gehalt haben Sie bei Herrn Davison? Dreihundert Dollar monatlich, sagen Sie? Ich wußte, daß er schmutzig ist. Haben Sie eine Braut, die Sie gerne heiraten möchten? Nein? Zu arm, um ans Heiraten zu denken? Dann suchen Sie sich so rasch wie möglich eine Braut, denn ich schenke Ihnen diesen Scheck! Kassieren Sie ihn nur schnellstens ein, ehe ihn Davison sperren kann. Guten Tag, Herr Morris!«