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IX.

Tief drin im Steyrtal liegt die Besitzung der Antzey, schon mehr dort, wo es sich verengt und in die Berge des Gesäuses hineinkriecht. In Linz muß man den Wiener Schnellzug verlassen und den Zug der Salztalbahn nehmen, der in die Ennsthaler Alpen geht. In Klaus besteigt man dann das vorsintflutliche Steyrtalbähnlein, mit dem man in drei Gott geschlagenen Stunden nach Rottenstein kommt. Mitunter dauert's auch länger. Wenn gerade ein Kalb, das eingeladen werden soll, sich allzu renitent zeigt. Oder wenn der Herr Bürgermeister von Leixen hat an die Station sagen lassen, er kommt gleich. Oder wenn auf einer Station »frisch ang'schlag'n« ist – na ja, dann müssen Kondukteur und Lokomotivführer geschwind einen Halben probieren – kurz, auf der Steyrtalbahn regiert noch die gute alte Zeit. Die pfeift auf den Fahrplan, die trinkt ihr Bier, raucht sich ihr Pfeiferl an, plauscht a bissel über Vieh und Wetter mit den Fahrgästen und fahrt halt ab, wenn sie grad nichts Besseres mehr anzufangen weiß.

Also – wenn's gut geht, kommt man nach drei Stunden von Klaus nach Rottenstein. Das Schloß liegt auf einem kleinen Hügel, hinter dem sich der Ort ins Tal bis an den Fuß der Berge heranstreckt. Alt ist Rottenstein, so ein richtiger österreichischer Herrensitz aus der Zeit des gemütlichen Pfaffen-Barocks – ein langes, zwei Stock hohes Gebäude mit rechtwinklig vorspringenden Seitenflügeln, während über dem Mittelbau ein breiter, vierschrötiger Uhrturm aufragt. Ohne Turm kein Schloß in Oberösterreich – der Turm gehört nach dem Landesgeschmack zum Schloß wie zum Kaiser die Krone. Ein Schloß ohne Turm wird nicht anerkannt. Wird nicht respektiert. Ist höchstens ein »Hof«.

Rottenstein aber war ein Schloß. Und war respektiert. Und die Leute im Orte hielten noch was auf die Herrschaft trotz Agitatoren und Republik. Sie waren nicht mehr so devot wie früher, wo die reichste Bäuerin zum alten Grafen »Küß die Hand, Herr Graf« sagen mußte, aber sie zogen noch immer freundlich den Hut, wenn der »junge Herr Graf« vorüberritt. Und als einmal, gelegentlich der Wahlen von Steyr, ein Agitator heraufkam und den Grafen einen Volksbedrücker und Ausbeuter nannte, warfen sie ihm sämtliche Bierkrügeln an den Kopf und ihn selber dann zum Dorf hinaus. In Molln, im nächsten Ort, war's schon anders. Da gab es fortgeschrittenere Elemente. Die schworen auf den Renner und den Seitz und nahmen die Pfeife nicht aus dem Maul, wenn der »Fallot, der Graf« vorüberritt. Den Edthof, der sich nicht weit von Molln erhob und zu Rottenstein gehörte, hatte einmal sogar so ein Fanatiker anzünden wollen. In Molln war auch das große Sägewerk, das seit undenklichen Zeiten Rottensteiner Besitz war. Dort wurden so an die hundert Arbeiter beschäftigt, die natürlich alle Radikale und Todfeinde ihrer Herrschaft waren. Der Krieg hatte sie verdorben. Die älteren und verläßlicheren Elemente trauten sich nicht gegen die jungen Schreier und Krawallierer vor. Alle Augenblicke gab's Skandal im Werk, und dieses, früher eine Quelle des Reichtums für die Rottensteiner, bereitete dem jungen Grafen jetzt viel Sorge. Die Geschäfte gingen auch nicht gut. – Kurz und gut, der gegenwärtige Herr und Gebieter auf Rottenstein hatte just kein Dasein, das sich ungemischter Freuden rühmen durfte.

Aber nichts merkte man ihm an, als er auf dem kleinen Bahnhof in Klaus stand und seine Gäste aus Wien erwartete – ein großer, schlanker Mann, Anfang der Dreißig, mit einem hübschen, liebenswürdigen Gesicht unter dem braunen Steyrerhütel, das ein mächtiger, selbstgeschossener Gemsbart zierte.

»Wie sein Bruder!« fuhr es Elisabeth durch den Sinn, als sie ihn vor sich sah. Nur stärker, gesünder, nicht so verweichlicht, so verlebt.

Dazkovic stand mit verhaltenem Atem und angstvoll zusammengekniffenen Aeuglein dabei, als sie ihm durch Helene vorgestellt wurde und mit freundlichem Lächeln die Hand reichte.

»Sie entschuldigen, Herr Graf,« sagte sie dabei, »daß ich mich so aufdränge, aber da ich bei Helene Mutterstelle übernommen habe, hielt ich es für meine Pflicht, sie in die Wildnis der oberösterreichischen Berge zu begleiten.«

Stephan blickte überrascht von der schönen Frau zu dem dicken, grauhaarigen Dazkovic. Ein ganz leises Lächeln huschte über sein offenes Gesicht, auf dem augenblicklich immer alles zu lesen war, was er dachte.

Elisabeth fing dieses Lächeln auf.

»Oh nein!« rief sie. »Die Mutterstelle, die ich bei dieser jungen Dame vertrete, ist sozusagen nur theoretischer Natur, ohne Aufgabe meiner persönlichen Freiheit und meiner Individualität. Beginnen Sie unsere Bekanntschaft nicht damit, Herr Graf, daß Sie Herrn Dazkovic in einem gänzlich falschen Lichte sehen.«

Alles lachte, und man begab sich vor das Stationshäuschen zu dem Jagdwagen, vor dem ein Paar feurige Jucker stampften und scharrten. Ein zweites Gefährt stand für das Gepäck bereit, dessen Verladung unter der Aufsicht von Marie vor sich ging und längere Zeit in Anspruch nahm. Stephan führte dann seine Gäste in scharfem Trabe auf der Chaussee, die sich neben der schäumenden, stürmischen Steyr hinzog, talwärts, Rottenstein zu. Helene saß neben ihm auf dem Bock, Elisabeth im Wagen neben Dazkovic, der mit wohlgefälligem Ausdruck auf das Lachen und Plaudern der beiden jungen Leute vor ihm horchte. Ab und zu drehte sich Stephan zurück und zeigte mit der Peitsche den und jenen interessanten Punkt.

»Sehen Sie, meine Herrschaften,« sagte er nach einer Fahrt von etwa einer Stunde, »der Berg, der da zur Linken herüberschaut, ist der Traunstein bei Gmunden – und da unten, dicht vor uns, ist Rottenstein!«

»Wie herrlich!« jubelte Helene. »Selbst nach Ihrer Schilderung, Herr Graf, habe ich mir das Schloß nicht so schön vorgestellt!« Und in der Lebhaftigkeit ihrer Freude fuhr sie herum und funkelte Elisabeth an. »Nun, sagen Sie, theoretische Mama, ist das nicht schön?«

Elisabeth nickte nur. Irgendein ihr selbst unerklärliches Gefühl griff ihr scharf und stechend ans Herz. Vom Schloß und seinem Turm glitt ihr Blick zu Stephan.

Als der Wagen vor dem großen Tore hielt, trat eine alte, hochgewachsene Dame aus dem Hause. Sie war einfach gekleidet und hatte ein schmales, intelligentes Gesicht, dem das eisgraue Haar eine matronenhafte Würde verlieh.

Ueberrascht blickte Elisabeth auf dieses Gesicht. An wen mahnte es sie nur? An wen? Irgendeine formlose Erinnerung zuckte in ihr empor. Dieses Gesicht – hatte sie es selbst schon einmal gesehen – –? Oder – –?

»Das ist Tante Ursula,« präsentierte Stephan die alte Dame seinen Gästen, »der gute Geist des Hauses und der weibliche Teil der Familie. Da ich gegenwärtig allein den männlichen vertrete, kennen Sie jetzt alle – ja richtig, beinahe hätte ich den da vergessen – das ist Lord, zweifellos das ehrwürdigste Mitglied des Haushalts. Er ist schon zwölf Jahre alt, also ein ziemlich betagter Herr.«

Ein gefleckter, kurzhaariger Hühnerhund war der Dame des Hauses gefolgt und nahm nun mit kritischem Schnüffeln die Gäste in Empfang. Als sein Herr von ihm sprach, wedelte er mit seinem Stummelschwanze und schaute mit großen braunen Augen einem nach dem anderen ins Gesicht.

»Er hat meinem Bruder Leopold gehört,« sprach Stephan weiter. »Und seit der fort ist, weiß der liebe Himmel – da ist das Tier nicht mehr dasselbe.«

»Wie interessant,« sagte Elisabeth und begann mit weicher Hand den Hund hinter den langen Ohren zu krauen. »Wie lange ist denn Ihr Herr Bruder schon fort?«

»Das sind schon mehr als vier Jahre – – –«

»Wollen wir nicht hineingehen?« unterbrach Dame Ursula die Unterhaltung. »Ich werde den Damen ihre Zimmer anweisen, und du, Stephan, führst Herrn Dazkovic in das seinige. Die Jause wartet schon – – bei uns gibt es nämlich noch eine österreichische Jause und keinen modernen Tee. Wir sind furchtbar rückständig.«

Man trat in die Halle, sehr zur Zufriedenheit des Gospodin, dem bei dem Gespräch Elisabeths mit Stephan der Angstschweiß auf der Stirne zu perlen begann. Die Tante hatte sich mit einem Schlage seine höchste Verehrung erworben, weil sie ihren ahnungslosen Neffen so resolut von den Schlingen wegriß, die ihm Madame Elisabeth zu legen sich anschickte. Wenn der Besuch gleich in den ersten Minuten solche Gefahren brachte, was konnte sich alles noch späterhin ereignen! Er kannte Elisabeth zur Genüge. Wußte, wessen man sich bei ihr zu gewärtigen hatte!

Groß war die Halle, nicht prunkvoll, aber behaglich – vornehm! Rechts führte eine breite, kunstvoll geschnitzte Eichentreppe in den Stock hinauf, während an der Wand gegenüber ein mächtiger Kamin sich erhob, vor dem im Halbkreis sich verschiedene alte und bequeme Lederstühle reihten. Rechts und links von dem Kamin standen zwei alte Eichenbüfetts, auf denen prächtige Zinn- und Tonkrüge angeordnet waren, die Wände, bis oben hinauf mit Jagdtrophäen geschmückt, zumeist einheimischen, von der kleinen Rehkrickel bis zum Geweih des Zwanzigenders, dazwischen Eberschädel, zwei Köpfe bosnischer Bären, ein Elchgeweih – den Fußboden deckten Wolfs- und Bärenfelle. Unter der Treppe war auch eine besonders gemütliche Ecke eingerichtet.

»Hier essen Tante Ursula und ich, wenn wir allein sind,« erklärte Stephan. »Und auch sonst hat dieser Platz eine besondere Weihe. Hier sitzen wir immer mit Onkel Hubert, wenn er wieder einmal zu Hause ist, und lassen uns von seinen Fahrten erzählen.«

»Sie haben mir schon gesprochen von ihm,« rief Helene. »Der Herr Graf ist nämlich ungeheuer stolz auf seinen Onkel – –«

Stephan lächelte.

»Mit Recht. Onkel Hubert, übrigens der Bruder meiner Mutter und meiner überaus würdigen Tante Ursula, ist ein weltberühmter Mann. Vielleicht haben Sie seinen Namen einmal gehört oder in der Zeitung gelesen. Es ist nämlich ein Name, der in sehr vielen Zeitungen steht – Hubert Pertz. Nicht bekannt? Nun, Sie brauchen nicht vor Scham zu vergehen, meine Herrschaften! Wenn Sie bis jetzt gelebt haben, ohne von meines Onkels Ruhm zu wissen, werden Tante Ursula und ich Ihnen das nicht nachtragen. Hubert Pertz ist heute wohl die erste Autorität auf dem Gebiet des Bahn- und Brückenbaues. Er hat die Linie über den Zambesi gemacht und ist jetzt dabei, eine Bahn von Tiflis nach Teheran zu bauen. Er ist schon das, was man einen ganzen Kerl nennt – mein Herr Onkel Hubert, nicht wahr, anbetungswürdigste aller Tanten?«

Dame Ursula nickte lächelnd. Sie sagte zwar nichts, aber in ihren Augen war ein geheimes Leuchten, das mehr als die lautesten Worte den Stolz verriet, mit dem die Taten ihres Bruders sie erfüllten. Sie war eine jener stillen Frauen, die nur für andere denken, fühlen und hoffen und arbeiten. Diese Frauen legen ihre Gefühle nicht als Schminke auf ihr Gesicht.

*

Zur Jause versammelte man sich auf der großen Terrasse, die sich längs der ganzen Hinterfront des Hauses hinzog und von der man einen wundervollen Rundblick über das ganze Steyrtal hatte, das sich hier zu einem weiten Becken dehnte. Zur Rechten stiegen, mit dichtem Wald bedeckt, die Ennstaler Alpen auf, über deren Gipfel aus der Steiermark der Große Nock und der Hohe Priel herüberschauten. Zur Linken zog sich das Traungebirge in die Donauebene hinunter – ganz weit im Süden glänzte es weiß und stolz – – das waren die Hochalpen – – –. Und vor dem Schloß das Steyrtal, lieblich und anheimelnd mit seinen Weiden und Aeckern, seinen freundlichen Dörfern, dem Flusse selbst, der sich als richtiges, übermütiges Kind der Berge trotzig und wild in tiefen Schluchten seinen Weg bahnte. Weiter unten sah man das Sägewerk mit seinen dünnen Schloten und Molln, den Hauptort des Beckens mit seinen zwei Kirchen. Abgesondert stand auf einem flachen Hügel der Edthof, ein schmuckloses Gebäude mit seinem Stockwerk und einem großen, grün angestrichenen Tor – eigentlich ein besserer Bauernhof. Doch an seiner Westseite erhob sich das Wahrzeichen der ganzen Gegend, das Paar der zwei fünfhundertjährigen Linden, hoch und ehrwürdig aufragend, und weit, weit hinausschauend über Tal und Fluß.

Das alles zeigte Stephan seinen Gästen, als sie miteinander auf der Terrasse saßen, aus köstlich feinen alten Wiener Tassen wundervoll duftenden Kaffee tranken und guten echten altösterreichischen Guglhupf dazu aßen. Warme Frühlingssonne schien über das Land, aus dem Park kam der Duft würziger Blumen – – so still, so wundersam friedlich schön die Welt hier – – –

Ein dünner Pfiff zitterte vom Stationsgebäude herauf. Dort fuhr eben der Zug aus Klaus ein. Keuchend schob er sich heran, bis er unter Kreischen und Knirschen stehenblieb. Zwei Bauernweiber kletterten aus dem einen Waggon, ein geistlicher Herr aus dem anderen – – –

»Sehen Sie«, lachte Stephan, »das ist der fahrplanmäßige Zug, dem ich Sie nicht anvertrauen wollte. Sonst hätte Tante Ursula noch länger mit ihrem Kaffee und Guglhupf warten müssen. Aber diese großväterliche Gemütlichkeit ist meiner Meinung nach gerade das Schönste an der Bahn – an dem ganzen Land. Das Auto ist uns noch ein zeitfernes Ungeheuer.«

»Und was sagt Ihr Onkel, der doch der Baumeister der neuen Zeit ist, zu solch reaktionären Ansichten?« fragte Elisabeth.

»Er sagt nichts dazu; er lebt hier nach ihnen, gerade so wie wir! Oh, ich sage Ihnen, gnädige Frau, er ist in vieler Beziehung noch weit rückständiger als ich. Sie würden staunen, wenn Sie ihn kennen und selbst seine Ansichten hören würden.«

»Oh, ich glaube wohl, daß mich ein Mann interessieren würde, der seine Lebensaufgabe darin sieht, die Türen verschlossener Länder zu öffnen, ihnen auf seinen Eisenbahngleisen die Kultur unserer heutigen Zeit zuzuführen und dabei auf die gute alte Zeit schwört, so wie sie durch diese prächtige Steyrtalbahn repräsentiert wird.«

»Ganz so ist es wohl nicht. Ich meinte nur – nun ja – – –« Stephan stockte. Wußte einen Augenblick lang nicht recht weiter – – »Ich meinte nur, man kann ein ganz moderner Mensch sein und doch Gefallen an der beschaulichen Ruhe und bescheidenen Lieblichkeit unseres Steyrtals finden. Das meinte ich«, setzte er beinahe trotzig hinzu, zufrieden mit sich, daß er sich durch die überlegene Sicherheit dieser schönen Frau schließlich doch nicht hatte einschüchtern lassen.

Unwillkürlich tastete sich sein Blick zu Helene Dazkovic hinüber, die auf der Brüstung der Terrasse saß und mit leuchtenden Augen auf das trauliche Bild des Tales schaute. Sie war nicht so schön, so mondän wie die andere, doch war sie jünger, frischer, unverdorbener – – sie konnte noch bewundern, sich begeistern – – –. Er freute sich an der Freude, die aus ihrem Gesichtchen strahlte.

Und die andere? War sie durch so viel Kummer und Leid gegangen – –? Was lag hinter dem Schleier dieser blauen Augen verborgen? – – –

Er führte die Gäste durch das Schloß.

»Wir haben eine richtige Ahnengalerie, wie es ja zu einem rechten Schloß gehört, und ein Spukzimmer haben wir selbstverständlich auch. Wenigstens soll es in dem Raume, der unter der Uhr liegt, einmal gespukt haben – irgendeine leichtsinnig veranlagte Dame aus der Wallother Linie soll dort für ihren nicht ganz einwandfreien Lebenswandel strafweise umgegangen sein. Aber die Geschichte scheint ihr zu dumm geworden zu sein, oder hat sie ihre Strafe abgebüßt? Auf jeden Fall hab' ich meine Lebzeiten nichts mehr gehört und gesehen von ihr.«

So plauderte er in seinem lieben, österreichischen Deutsch – just so, wie sein Bruder plaudern konnte, dachte Elisabeth und wunderte sich. War diese Zeit des Elends und der Schmach doch noch nicht in ihr tot? Mußte sie denn immer und immer vergleichen? Warum? Was wollte sie eigentlich von diesen Menschen, auf diesem alten, vornehm-verstaubten Schloß? Warum war sie hergekommen?

Kaum hörte sie, was Stephan erzählte und erläuterte. Kaum sah sie, was er alles zu zeigen hatte. Bis sie sich endlich zusammenriß und alles Spekulieren hinter sich warf. – Warum nicht? Hatte dieser junge, hübsche Mensch, der so lieb plauschen konnte, nicht seinen Bruder gezwungen, sie im Elend zurückzulassen – –?

»Dieses Zimmer ist der Stolz unseres Hauses«, hörte sie ihn dann auf einmal sagen. »Hier hat die Kaiserin Maria Theresia zwei Tage gewohnt, als sie einmal Oberösterreich bereiste. Es ist alles noch so, wie es war, als sie es verließ. Ich glaube, in dem kleinen Lavoir haben wir noch von Vater auf Sohn das Wasser vererbt, in dem sie sich zuletzt die Hände gewaschen hat – –.«

»Nein, so was!« rief der Gospodin, dem vor lauter Grenzerrespekt die Augen übergingen. »Wirklich – so was! So was!«

Allgemeines Gelächter. Dazkovic bekam einen roten Kopf und brummte etwas von vorlauter Jugend. Worauf die Besichtigung weiterging.

War viel zu sehen auf Schloß Rottenstein. Lauter Dinge, die in der Familie alt geworden, nicht in irgendeinem Antiquitätenladen eingekauft waren. Schöne Empire- und Biedermeiermöbel, prächtiges Wiener Porzellan, Bilder und Stiche guter österreichischer Meister. Hatte alles Stil, hatte alles Charakter.

Man sah Stephan an, daß er mit inniger Liebe an dem kleinsten dieser Stücke hing. Von jedem wußte er die Geschichte. Die erzählte er dann voll Wärme und Treue. – Er interessierte sogar Elisabeth; Helene war bezaubert, war schlankweg begeistert. Dazkovic dagegen, der von Stephans alten Porzellantellern und Bildern grad so viel hielt wie von Elisabeths Spitzen, fuhr immer häufiger mit der breiten Hand nach dem Mund, um sein Gähnen zu verbergen. Er war müde, hatte einen erbärmlichen Schlaf und langweilte sich vor einer Heroldgruppe gerade so herzinnig wie vor einem Kriehuberbildnis.

Aber plötzlich wurde er mehr als lebendig.

Der Hausherr war in den rechten Seitenflügel abgeschwenkt, wo die Wohnzimmer der Familienmitglieder lagen. An den beiden ersten Türen ging er vorbei, ohne sie zu öffnen. –

»Das sind die Zimmer meines Bruders,« sagte er. »Sie sind verschlossen.«

Das war's, was Dazkovic aus seiner Schläfrigkeit aufschreckte. Doch zu seiner Beruhigung schien Elisabeth nicht das geringste Interesse an diesen Türen zu haben. Sie verzog keine Miene.

Stephan schloß das dritte Zimmer auf.

»Hier betreten wir das Reich Onkel Huberts«, sagte er. »Hier wohnt er, wenn er zu Hause ist. Und in den nächsten drei Räumen sind seine Sammlungen untergebracht – eigentlich schon so was wie ein ethnologisches Museum. Es sind sehr kostbare Sachen darunter, besonders indische Elfenbeinschnitzereien und japanische Lacke – –. Doch davon verstehe ich nicht viel. Da müßte der Onkel schon selber den Führer machen. Hier ist er übrigens, wie er leibt und lebt!«

Er führte sie vor eine große Photographie, die einen Mann in Khaki und Tropenhelm darstellte. – – –

Diesmal hätte Elisabeth zum erstenmal seit langen Jahren beinahe die Fassung verloren. Mit Mühe und Not preßte sie den Schrei der Ueberraschung zurück, der ihr in der Kehle hochquoll. Der Mann auf der Photographie war derselbe Mann, der vor vier Jahren mit ihr am Haustor zusammengestoßen, der oben an der Wohnungstüre nach ihr gefragt hatte. Onkel Hubert war der Mann mit den harten, grauen Augen, die sie nie und nimmer vergessen hatte. – – –

Sie trat einen Schritt hinter die anderen zurück, um ihre Ueberraschung nicht sehen zu lassen. Doch da hatte sie eine fast noch größere. Sie sah, wie Stanko Dazkovic mit weit aufgerissenen Augen auf das Bild starrte – – – er hatte sich ja nicht so in der Gewalt wie Elisabeth.

»Das ist Ihr Onkel, Herr Graf?« fragte er mit einer Stimme, der man die Erregung deutlich anmerkte.

Stephan und Helene blickten ihn erstaunt an.

»Kennen Sie ihn vielleicht, Herr Dazkovic?« fragte der junge Mann.

»Ich – ich habe im ersten Moment geglaubt,« brachte Dazkovic nicht ohne Schwierigkeiten heraus. »Aber wenn ich näher hinsehe, ist er es nicht, den ich gemeint habe. Nein, bestimmt nicht – der Herr, den ich meinte, ist viel älter.«

Damit suchte sein Blick ängstlich Elisabeth. Aber die machte ein gleichgültiges Gesicht und war damit beschäftigt, eine widerspenstige Haarlocke an den ihr gehörigen Platz zu bringen. Da atmete er auf, augenscheinlich von einer großen Sorge befreit.

Auch dieses Aufatmen sah Elisabeth.


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