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Als Elisabeth allein geblieben war, fiel ihr die Einsamkeit, so schön und still sie auch war, zuerst doch recht schwer aufs Herz. Pertz zurückzurufen, war schon zu spät. Sie schämte sich auch ihrer Feigheit. Wirklich – was sollte ihr hier heroben in Gottes freier Natur geschehen? Sie faßte sich also ein Herz, machte einen kleinen Spaziergang über die Wiese und wagte sich sogar in den dämmernden Schatten des Waldes – –
Nach einer halben Stunde etwa kam sie wieder zur Hütte zurück. Sie hatte sich einer Aufgabe erinnert, die ihrer dort harrte. Sie wollte das Geschirr abwaschen und die Zimmer aufräumen, in denen sie und Pertz geschlafen hatten. Sie lächelte bei diesem Gedanken – sie wollte nach langer, langer Zeit wieder einmal für einen Mann arbeiten – – –
Als sie in die Tür der Hütte trat, blieb sie wie angewurzelt auf der Schwelle stehen. Stieß einen grellen Schrei aus – – an dem Tisch, auf dem noch die Reste des Frühstücks standen, saß ein fremder Mensch. Ein Mensch mit wirrem Bart und tiefliegenden Augen. Er hatte sich ein großes Butterbrot gestrichen, verschlang es hastig und gierig.
Der Revolver, den ihr Pertz gegeben – wo lag der? Allmächtiger, hatte sie ihn nicht auf den elektrischen Ofen gelegt?
Davonlaufen? Wohin? In ihren Seidenschuhen? In ihrem engen Kleide?
Als der Mann sie erblickte, fuhr er auf. Seine Augen brannten auf ihr – das war derselbe Mann, den sie schon einmal begegnet war. Wie kam er hierher? Wer war er? Irgend etwas war um ihn, an ihm – etwas, was sie sich nicht zu erklären vermochte. Was über allem Schrecken, den er ihr einflößte, ein formloses Gefühl irgendwelcher Erinnerungen in ihr heraufriß – – –
Der Mann stand am Tische und ließ die Augen nicht von ihr. Wie wenn sein Blick sie magnetisierte, kam sie langsam näher und näher. Ihre Knie zitterten, das Herz schlug ihr in die Kehle hinauf, ihr – das war derselbe Mann, dem sie schon einmal begegnet, sie hatte das Gefühl, daß dieser Mann ihr nicht fremd war, daß sie ihn kannte, daß er – – –
»Guten Tag, Elisabeth, wie geht es dir?« sprach der Mann.
»Leopold!«
Sie schrie dieses Mal nicht. Das Entsetzen war zu groß. Wie eine Eisenklammer legte es sich ihr um den Hals.
»Leopold!« hauchte sie zum zweiten Male.
Der Mann war nur Haß, Wut und Gift. In seinen Augen sah sie es, und sie dachte nicht an sich, an die Gefahr, die ihr drohen mochte. Leopold war ihnen gefolgt – wartete er nicht auf Pertz?
Ihr Mut, ihre Fassung kehrten zurück. Sie verachtete diesen Mann viel zu sehr, als daß sie ihn wirklich fürchten konnte. Wenn sie nur ihren Revolver in die Hand bekam – – –
»Was willst du hier?« fragte sie. Ihre Stimme war ruhig, kühl, und sie blickte ihn hochmütig an.
»Das ist alles, was du an Wärme aufbringen kannst, wenn du deinen Mann nach so vielen Jahren wiedersiehst?« stieß er zwischen die Zähne durch.
»Hast du mehr erwartet?«
Er antwortete nicht gleich. Ihre Sicherheit, ihre Verachtung nahmen ihm den Mut. Er war als der Feigling zurückgekommen, als der er gegangen war. Desto größer wurden in ihm Wut und Haß und Rachgier.
Als er sie verlassen hatte, waren die Linien des Unglücks, des Kummers in ihrem Gesicht gewesen. Sie waren verschwunden. Vor ihm stand jetzt Elisabeth strahlend, bezaubernd in ihrer großen Abendtoilette. In dem Halbdunkel der Hütte sah er die Weiße ihrer Brust und ihrer Schultern leuchten. Weit beugte er sich über den Tisch zu ihr hin. Schob den Stuhl, auf dem er gesessen, mit einem Ruck zur Seite und strich auf sie zu. In seinen dunklen Augen begannen die Lichter der Gier zu flackern.
Alle die Jahre, die er von ihr getrennt gewesen, hatte er sich nach ihr gesehnt. Seine Sinne hatten unaufhörlich nach ihr geschrien. Jetzt war er über sie gekommen – hatte sie endlich allein. Jetzt – –
Sie wich nicht vor ihm zurück. Mit einem Lächeln, dessen Hohn ihn zum Wahnsinn treiben mußte, blieb sie stehen. Er duckte sich vor ihr wie ein Raubtier, das zum Sprung ansetzt.
»Du bist heute nacht hier mit ihm gewesen, hier – allein«, zischte er. »Ich bin euch gefolgt. Seit wann bist du seine Geliebte?«
»Was geht das dich an?« Ihr Blick hielt ihn, obwohl die Wut an ihm zerrte und riß, wagte er sich nicht an sie heran.
»Du bist noch immer mein Weib!«
Sie lachte höhnisch auf.
»Dein Weib! Darüber wollen wir nicht streiten. Du wirst doch nicht glauben, daß ich mich heute noch an einen so verächtlichen Feigling wie dich gebunden halte? Wenn es auf dich angekommen wäre, säße ich vielleicht jetzt noch im Zuchthaus. Ja, im Zuchthaus!« schrie sie, da der Zorn sie mit einem Male übermannte. »Und jetzt wagst du es noch, mich zu belästigen! Mach, daß du fortkommst!«
Sie hatte sich dabei so gedreht, daß sie dem Kamin und dem kleinen Kochherde näherkam. Jetzt zog sie sich langsam, fast unmerklich, zurück, bis sie an die Messingstange des Herdes stieß. Vorsichtig tastete sie zurück – der Revolver war nicht da.
Leopold hatte ihre Absicht erkannt. Es war die Reihe an ihm, höhnisch zu lachen.
»Du suchst wohl deinen Revolver?« Er hielt ihn ihr hin. »Würdest es dir wohl nicht überlegen, deinen lieben Mann mit einem Stück Blei zu begrüßen? Wäre der einfachste Weg – aber ich habe mir erlaubt, das Pävenire zu spielen.«
Jetzt packte sie, da sie sich wehrlos sah, abermals die Furcht und krampfte sie sich in ihr fest. Sie hielt sich an dem Herde, denn sie fühlte, wie sie schwankte.
»Dieses kleine Ding da wäre ein gefährliches Spielzeug in deinen Händen, meine Liebe«, höhnte er. »Du tätest also gut daran, der Situation Rechnung zu tragen und vor allen Dingen einmal anzuhören, was ich dir zu sagen habe.«
»Bitte.« Aber sie rührte sich nicht von ihrem Platze. Vergebens bemühte sie sich, ihre Angst zu meistern und ihre Gedanken klar zu ordnen. Irgendeinen Plan zu fassen. Sie mußte Leopold unschädlich gemacht haben, ehe Hubert Pertz kam – – –
Er sah sich jetzt vollkommen als Herrn der Lage, setzte sich an den Tisch zurück und griff wieder nach dem Butterbrote, das er bei ihrem Eintritt weggelegt hatte. »Du verzeihst,« sagte er, »daß ich so unhöflich bin, während der Unterhaltung mit dir zu essen, aber ich habe seit gestern abend keinen Bissen im Munde gehabt. Ich konnte natürlich hinter eurem Wagen nicht herlaufen und bin erst in der Nacht hierher gekommen. Ich hoffe, du wirst mein Zartgefühl anerkennen, daß ich euer Schäferstündchen nicht gestört habe.«
Sie wurde nicht rot. Sie erbleichte unter diesem Schimpf. – Er lachte.
»Du bleibst wenigstens in der Familie. Ich finde deine Anhänglichkeit rührend. Erst ich, dann mein Bruder und dann zum Schluß mein Onkel.«
So peinigte er die wehrlose Frau und verzehrte dabei mit größtem Appetit sein Butterbrot. Kein Tropfen Blut mehr war in ihrem Gesicht. Doch und doch – sie hielt an sich. Sie dachte nur an Hubert Pertz.
Leopold vergönnte sich ein zweites Brot, auf das er den Rest des Schinkens packte.
»Hast du noch etwas Kaffee?« fragte er. »Nein? Schade. Wenn ich nicht wüßte, daß das Kochen immer deine schwächste Seite war, würde ich dich bitten, mir einen neuen Kaffee zu brauen. Aber Milch wird ja da sein. Ich schätze, daß Herr Hubert Pertz, ehe er dich hier heraufführte, für Vorräte gesorgt hat, damit dieses Liebesidyll nicht durch das Knurren hungriger Magen beeinträchtigt wird. Laß einmal sehen!«
Nun hatte er sie vollständig in der Gewalt. Nicht er fürchtete sie, sondern sie ihn, vielmehr den Revolver, den er ihr weggenommen hatte. Er stand auf und trat an den Schrank in der Ecke. Darin war ein großer Topf Milch.
»Ich habe es ja gewußt«, triumphierte er. »Hast du in der Zwischenzeit wenigstens so viel gelernt, Milch heiß zu machen?«
»Gib her!« sagte sie. Sie wollte Zeit gewinnen.
Er sah sie überrascht und mißtrauisch an. Sie nahm ihm ohne ein weiteres Wort den großen Topf mit der Milch aus der Hand, füllte ein kleineres Gefäß und stellte es über den Herd. Als die Milch aufkochte, trug sie ihm den Topf zum Tisch hin.
»Liesel,« begann er nun in neuem Tone, »schau, ich habe es drüben nicht ausgehalten. Ich bin zurückgekommen, deinetwegen. Du sagst, ich habe dich im Stich gelassen, bin feig davongelaufen. – – Was sollte ich denn anders tun? Sie haben mir ja keine Wahl gelassen. Entweder ich duckte mich oder –«
»Wolltest du nicht die Milch trinken?« unterbrach sie ihn. Er blickte lauernd zu ihr auf, die jetzt neben ihm am Tisch stand. Seine Hände tasteten nach ihr, die Verachtung in ihrem Gesicht stieß ihn wieder zurück. Er trank die Milch.
Sie zermarterte sich inzwischen den Kopf. Kein rettender Gedanke wollte kommen. Nur das eine – eine – Zeit gewinnen – Zeit gewinnen.
Sie unterdrückte den Ekel, mit dem sie dieser Mensch erfüllte, den sie einst geliebt hatte, und setzte sich zu ihm an den Tisch. Auf einmal sah er ihre Augen nicht mehr kalt und verächtlich, sondern mitleidsvoll auf sich gerichtet, und ihre Stimme klang warm und freundlich.
»Wie ist es dir denn überhaupt in Amerika ergangen?«
»Nicht gut. Ein Mensch, der schon in der Heimat nicht recht vorwärts kommt, kann auf fremdem Boden erst recht nicht Wurzel fassen. Ich habe alles mögliche versucht – Liesel, aber, es war doch alles nur halb, nicht mit der Energie, die ich gebraucht hätte, um dort drüben vorwärts zu kommen. Ich habe ja immer nur an dich gedacht, an dich, Liesel, und wie ich es dann nicht mehr ausgehalten habe, bin ich eben zurückgekommen. In Wien habe ich erfahren, daß du mit Dazkovic nach Rottenstein gefahren bist. Ich konnte mir das nicht erklären, du und in Rottenstein!«
»Dein Bruder Stephan soll ja die Tochter des Dazkovic heiraten.«
»Und ich dachte, du –«, stieß er hervor. »Der Gedanke machte mich wahnsinnig. Ich kam nach Molln und habe mich hier versteckt. Ich lag immer und immer auf der Lauer. Du hast mich nur einmal gesehen – aber meine Augen waren immer hinter dir her, Liesel. Du weißt ja nicht, wie ich dich liebe! Meine Liebe zu dir hat mich ja zu dem gemacht, was ich bin!«
Ehe sie es verhindern konnte, hatte er sich ihr zu Füßen geworfen. Umklammerte ihre Knie, preßte sein Gesicht darauf. – –
Durch den dünnen Stoff spürte er den Duft ihres Fleisches. Betäubend stieg er ihm in die Sinne. Tiefer und tiefer wühlte er sich an ihre Glieder. Umkrampfte sie mit zitternden Händen. Riß sich über ihr empor.
»Liesel –«, stöhnte er.
Sie setzte sich zur Wehr. Stemmte die Hände gegen seine Brust. Keuchend kam sein Atem – seine Augen glühten wie Feuer – sie hörte, wie seine Zähne knirschten – – –
Aber sie war stärker als er, den Ausschweifung, Trunk und Hunger zugrunde gerichtet hatten. Sie machte sich frei, stieß ihn zurück, daß er taumelte.
»Ich will dich –« schrie er, »will dich!« schrie er noch einmal, »du bist meine Frau, noch gehörst du mir!«
Abermals stürzte er sich auf sie. Wieder kam sie frei. Wieder stieß sie ihn zurück. Er taumelte, stolperte über den Stuhl, fiel der Länge nach auf den Boden. Einen Moment lang lag er ganz still.
Sie sprang ans Telephon, riß den Hörer ab.
»Ist dort das Forsthaus?« schrie sie hinein. Zuerst hörte sie eine Frauenstimme; in ihrer Angst verstand sie sie gar nicht und dann – dann die Stimme Huberts.
»Herr Pertz, kommen Sie – rasch – ich – –«
Da war schon Leopold hinter ihr, über ihr. Ein furchtbares Schimpfwort zischte er ihr ins Ohr.
»Rufst du ihn! Warte, ich will dich –!«
So rangen sie miteinander. Sie trat nach ihm, schlug ihn mit den Fäusten ins Gesicht. Jetzt machte ihn die Verzweiflung, die Wut, zu einem rasenden Tier. Er packte sie mit der einen Hand an der Kehle und zerrte mit der anderen den Apparat von der Wand. Ihr war, als sollten ihr die Sinne schwinden. Nein – nein, um Himmels willen, dann war sie verloren – so hielt sie aus. Raffte all ihre Kraft zusammen und machte sich frei. Auf die Tür zu wollte sie – hinaus und davonlaufen, hinunter, Pertz entgegen – – Leopold war schneller als sie. Vor die Tür sprang er und hielt ihr den Revolver entgegen.
»Ich schieße dich nieder, du –«
Wieder dieses furchtbare Schimpfwort.
Da lief sie die Treppe hinauf. Er hinter ihr her.
Sie erreichte ihr Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu. Mit ihrer letzten Kraft hing sie sich an die Klinke. Er draußen riß und riß.
»Mach auf,« schrie er, »oder ich schieße durch das Holz.«
Die Tür ging nach innen auf – lange konnte Elisabeth sie nicht mehr halten. Der Mann davor warf sich in rasenden Stößen dagegen. Immer weiter drückte er sie zurück und dann – plötzlich krachte ein Schuß. Die Kugel schlug durch das Holz, aber weit über ihren Kopf. Er hatte sie nur erschrecken wollen.
Doch sie gab nicht nach. Klammerte sich an die Klinke, stemmte sich an die Türe – schon stand er mit halbem Körper in der Oeffnung. Schon griff sein Arm nach ihr herum, da – eine Waffe! – irgend etwas! – der Krug – der Krug! Sie packte ihn, wich von der Tür zurück – Leopold stolperte herein. Sie sah nur seine blutunterlaufenen Augen, dann hob sie den Krug und schlug zu. – – –
Mit dumpfem Laut brach er zusammen.
Und um sie wurde es dunkel. – –