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Als sie erwachte, tanzten goldene Sonnenreflexe auf dem Boden ihres Stübchens, spielten über die Decke ihres Bettes. Sie fuhr auf, sprang an das Fensterchen, riß es auf – draußen stand in Morgenschönheit der Wald – – –
Sie tat einen weiten Atemzug. Solche Luft hatte sie all ihr Lebtag nicht eingeatmet. Voll trank sie sich mit dem Balsam, freute sich über die Sonne, die ihr die nackten Schultern und die Brust wärmten, lief dann zum Waschbecken und plantschte vergnügt in dem kalten Wasser herum. An gar nichts anderes dachte sie als an das Vergnügen, als an die ihr bisher so unbekannte Wonne, die ihr dieser Waldmorgen bereitete. Doch da fiel ihr Blick auf das elegante Ballkleid, das an einem Kleiderhaken hing. Mein Gott, das sollte sie hier tragen? Dazu die Damastschuhe, die Seidenstrümpfe – sie lachte hell auf.
Vorsichtig öffnete sie die Tür, trat in den Gang hinaus und spähte hinunter. Da sah sie Hubert Pertz eifrigst an seinem Ofen hantieren. Der Geruch heißen Kaffees stieg lockend zu ihr in die Höhe. Der Tisch war bereits gedeckt. Schinken sah sie darauf, Speck und goldgelbe Butter. Ein prächtiger Blumenstrauß grüßte aus der Mitte des roten Tuches. – –
Pertz mochte ihren Blick fühlen. Er drehte sich um und blickte zu ihr hinauf, und als er ihr Gesicht sah, lachte er, herzlich, freudig, so, wie sie ihn noch nie hatte lachen gesehen.
»Sie kommen gerade recht«, rief er. »Das Mahl ist bereitet, o Herrin, dein Diener harret deiner!«
Lachend wie er kam sie die Treppe herunter und streckte ihm die Hand hin.
»Guten Morgen.«
»Guten Morgen.«
Ihre kleine, weiße Hand legte sich in die braune, harte, nervige des Mannes. Er trug nicht mehr den Frack vom Abend, sondern Jägergewand, kurze Hosen, Wadenstrümpfe und Schnürstiefel. Schlank und kräftig gebaut war er. Sehnig und muskulös, das sah man an jeder Bewegung.
Nun brachte er den Kaffee auf den Tisch und wollte ihr einschenken. Sie aber ließ sich dieses Amt nicht nehmen. Während sie die Tassen füllte, machte er große, dicke Butterbrote zurecht, einen ganzen Haufen, den er lachend auf ihren Teller packte.
»Das soll ich alles essen?« rief sie.
»Natürlich. Solch kostbare Gefangene wie Sie, Frau Worth, behandelt man ihrem Range entsprechend. Wie sagt der Dichter: ›Solchen Glanz sah nie noch meine Hütte!‹ Vielleicht sagt er es auch anders; ich war nie sehr fest in Poesie.«
»Ich kann Ihnen nicht auf die Beine helfen, denn ich bin gerade so ungebildet wie Sie, und dann habe ich jetzt Wichtigeres zu tun. Der Kaffee ist herrlich, ebensogut wie der, den Ihre Frau Schwester braut.«
So lachten sie. So aßen sie ihr Frühstück. Die feindselige Stimmung war verflogen. Sie saßen da wie zwei Ausflügler, die es sich gut gehen lassen, gar keine anderen Sorgen haben. Elisabeth wurde übermütig, in ihren blauen Augen tanzte das Vergnügen über das Abenteuer – der Mann ihr gegenüber ließ den Blick nicht von ihr. Himmelherrgott, war dieses Weib schön!
Sie tranken fast den ganzen Kaffee aus, machten in die Butter ein großes Loch und ließen vom Schinken nicht viel übrig.
»Mein Gott,« lachte sie, »ich muß mich ja schämen. Ich habe meine ganze gute Erziehung vergessen und mich tatsächlich sattgegessen. Wenn das so weitergeht, fürchte ich, werde ich vollständig in den Zustand der Barbarei zurücksinken und essen, was und wieviel mir schmeckt.«
»Das gebe Gott! Sie werden sehen, am Schlusse Ihrer Gefangenschaft werden Sie mir noch dankbar sein. Hier heroben ist es schön, Frau Worth. Es ist keine leere Redensart, glauben Sie mir, wenn ich sage, man ist hier dem Himmel näher – – –«
Ein ganz neuer Ton war in seiner Stimme. Etwas Feierliches. Etwas, das von einer Stelle in seinem Wesen herkommen mußte, die sie bis jetzt noch nicht kannte. Er stand auf und öffnete weit die Tür. Wie eine Sturzflut kam das Sonnenlicht herein.
Mit einem Sprung war sie neben ihm. Sie traten hinaus – vor ihnen breitete sich der Wald. Blau war der Himmel, wolkenlos, und um die Zacken der Felsen flimmerte der Sonnenglanz. Leiser Wind strich über die Wiese, die mit blauen Glockenblumen erfüllt war. Das war ein Duften und Wehen.
Sie standen still wie in einem Gottesdienst. Der Blick der Frau stahl sich zu dem Manne, sah die Kraft des Lebens in ihm. Er paßte auf diese Waldwiese – in diese Berge.
Doch da –! Sie erinnerte sich, griff sich an die nackten Arme, an die nackten Schultern – – sie stand da im Ballkleid, in der großen Balltoilette, mit den seidenen Schuhen. War das nicht ein Symbol, grotesk, beschämend?
Wie wenn er ihre Gedanken erriet, drehte er sich zu ihr, schaute sie an von oben bis unten und brach in schallendes Gelächter aus.
Sie machte ein schmollendes Mäulchen.
»Das ist wenig edel, mich noch auszulachen! Finden Sie nicht Ihre Heiterkeit stark deplaciert, Herr Pertz? Wäre es nicht besser, wenn Sie dafür Sorge tragen würden, daß ich nicht mehr als so eine komische Figur vor Ihnen erscheine? Oder wollen Sie, daß ich wie eine verzauberte Prinzessin im Wald einherspaziere? Ich bin bereit, mein Los auf mich zu nehmen, aber ich verlange, daß Sie mich nicht nur nähren, sondern auch kleiden.«
Er machte ein verlegenes Gesicht und kraute sich den Kopf.
»Ich stehe nicht an, zu erklären, daß ich ein Esel bin«, brummte er. »An alles habe ich gedacht, nur an das Allerwichtigste nicht, an die Toilette. Aber dieser Fehler ist wieder gutzumachen, und zwar sofort. Bitte, schreiben Sie mir eine Zeile für Ihre Jungfer! Ich werde hinunterfahren, alles heraufbringen. Am Nachmittag bin ich wieder zurück.«
»Wäre es nicht einfacher. Sie würden mich mitnehmen?«
So lockend, so verführerisch blickten bei dieser Frage die blauen Augen, daß selbst Hubert Pertz, der sich gegen derlei Zauber für gefeit hielt, beinahe der Mut schwand.
»Frau Worth, ich werde bei dieser Gelegenheit gleich mit meinem Neffen sprechen; werde ihm sagen, wie die Dinge stehen, was ich getan habe. Daß es bei ihm ist, Ihre Gefangenschaft so rasch wie möglich abzukürzen.«
»Wissen Sie, daß es eigentlich unerhört ist, wie Sie mich mit Herrn Stephan Antzey in Verbindung bringen? Glauben Sie vielleicht gar, ich bin seine Geliebte? Oder was sonst um Gottes willen?«
Die frohe Stimmung schien zu verfliegen, die Atmosphäre zwischen ihnen spannte sich – doch Pertz wußte, was hier auf seinem Schuldkonto stand.
Unwillkürlich trat er auf sie zu und ergriff ihre Hand.
»Frau Worth, was ich getan habe, will ich verantworten. Vor Ihnen jederzeit, auf jede Weise, die Ihnen gut dünkt. Aber sagen Sie selbst – – –«
Sie machte sich von ihm los, nicht heftig, doch eine gewisse Abwehr markierend.
»Ich sage nichts, gar nichts«, erwiderte sie. »Sie werden ja sehen, was Sie aus meinem Rufe gemacht haben – – –«
Und plötzlich riß sich in ihr der Entschluß empor, ihm alles zu sagen – alles – – –
»Sie mögen vielleicht mit den Vorwürfen recht haben, die Sie mir machen«, begann sie. »Vielleicht bin ich nicht ganz schuldlos daran, wenn Stephan und Helene noch nicht ein glücklich liebend Paar sind. Ich will Ihnen noch mehr zubilligen, Herr Pertz. Wenn es nicht Helene wäre, würde ich Ihrem Neffen ganz andere Lichter angezündet haben – Irrlichter, die über Sümpfe tanzen, verstehen Sie, Herr Pertz? Ich kann das. Habe Erfahrung darin. Es hat mich schwere Ueberwindung gekostet, es nicht zu tun, Herr Pertz. Ein Wink von mir gestern abend, und Ihr Herr Neffe hätte sich mir zu Füßen geworfen, hätte seine Heirat mit Helene, seine beiden alten schönen Schlösser, das Glück seines Hauses fahren lassen, nicht wahr, Herr Pertz? Jetzt stehen Sie da, machen ein finsteres, drohendes Gesicht, pressen die Lippen zusammen, wie Sie immer tun, wenn Sie sich ärgern –«
Sie war von ihm zurückgetreten und lehnte sich an die Holzbank, die vor dem Hause stand. Er rührte sich nicht, aber seine Lippen preßten sich tatsächlich zusammen, wie sie es sagte. Was wollte die Frau auf einmal?
»Wissen Sie, Herr Pertz, daß ich ein Recht habe, Ihr Haus und alles, was dazu gehört, zu hassen? Daß ich, wenn es Helene nicht gewesen wäre, alles getan hätte, um Herrn Stephan Antzey in den Sumpf zu locken, um Ihr Haus zu ruinieren? Ich bin die Frau, die, durch ein Mitglied Ihres Hauses unglücklich gemacht, ins Elend gestoßen wurde, ich bin die Frau Ihres Neffen Leopold Antzey!«