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XVII.

»Was sind wir Menschen doch für armselige Geschöpfe«, sagte Hubert Pertz. »Da hat nun dieses Tier, das wir als unvernünftig zu bezeichnen uns erlauben, etwas gesehen oder gehört, was unseren stumpfen Sinnen vollständig unerreichbar war. Nun stehen wir da, stieren es an und wissen uns nicht zu helfen. Na – ich kann die Naturgeschichte nicht ändern, aber ich meine, es ist besser, wenn Frau Worth heute abend nicht mehr zurückfährt. – – –«

»Warum denn nicht?« fuhr Elisabeth auf. »Glauben Sie, ich fürchte mich? Wenn ich nicht jemand mitnehmen müßte, der den Wagen wieder zurückbringt, würde ich allein fahren.«

»Selbstverständlich werde ich Sie begleiten, Frau Elisabeth!« rief Stephan.

»Du bleibst hier,« sagte sein Onkel, »bewachst das Haus und deine Gäste! Ich werde die verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen, Frau Worth sicher und wohlbehalten zum Edthofe zu bringen.«

»Und ich werde gar nicht gefragt?« remonstrierte Elisabeth.

»Nein!« sagte Hubert Pertz.

Dabei blieb es. Fünf Minuten später rollte der leichte Wagen auf die Landstraße hinaus. Elisabeth saß neben Pertz, der die Jucker in flottem Trabe gehen ließ. Von der Seite her blickte sie den Mann an. Scharf war sein Profil. Unter dem geraden Munde sprang ein eckiges Kinn hervor. Wuchtig und herausfordernd. Er ist bestimmt ein brutaler Mensch, sagte sich Elisabeth.

Einige Zeit lang sprachen sie nichts miteinander. Nur das gleichmäßig-rhythmische Klapp-Klapp der Hufe ertönte. Ohne sich zu rühren, hielt sich Hubert Pertz auf dem Bock und blickte über die Köpfe der Pferde geradeaus. Und Elisabeth saß neben ihm, wütend, verletzt in ihrem Stolz. Der Teufel begann wieder an ihr zu reißen und zu zerren.

Als der Weg an die kleine Steigung kam, die zum Edthofe hinaufführte, mäßigte Pertz den Schritt der Pferde. Sie schnaubten und warfen die Köpfe – –. Er aber wandte sich zu Elisabeth.

»Verzeihen Sie, gnädige Frau, wenn meine Frage vielleicht für einen Mann, der Sie erst wenige Stunden kennt, indiskret erscheint, aber es würde mich doch interessieren, zu wissen, wie eine so mondäne Frau dazu kommt, sich auf diesem, just diesem stillen, gottverlassenen Fleck Erde niederzulassen.«

»Gottverlassen nennen Sie dieses Tal?« Mit einer weitausholenden Gebärde umfaßte sie das ganze Becken mit seinen Wiesen, Aeckern, Dörfern und Bergen. Wunderschön, wunderfriedlich war dieses schlafende Tal. Von Molln her glänzten ein, zwei Lichte, verschollen, verträumt – –.

»Ist es nicht eher gottgesegnet? Ist hier nicht ein Frieden, der einem müden, abgehetzten Weltkinde willkommen sein muß?«

»Ist dieses Weltkind aber wirklich so müde und abgehetzt, oder ist es nur die Sucht nach einem bißchen Abwechslung, die dem müden und abgehetzten Weltkinde morgen schon wieder zu langweilig ist?«

Bissiger Hohn war in dieser Frage, dazu so etwas wie eine leichte Drohung. In Elisabeth drehten sich alle guten Geister um und liefen davon. Sie war bereit, diesem arroganten Manne zu dem Tanz aufzuspielen, den er haben wollte.

Sie lehnte sich auf ihrem Sitz zurück und wandte sich dabei so zu ihm hin, daß sie seinem Blick, der noch immer auf ihr lag, voll begegnen konnte. Wieder trafen sich die blauen und die grauen Augen. Fochten stummen, aber erbitterten Zweikampf miteinander aus.

Sie haben ihn bereits gegen mich mobilisiert. Haben ihm die Schlange gezeigt, die das Paradies auf Rottenstein zerstören will – der Gedanke ätzt sich ihr ins Bewußtsein, machte sie vollends bös und wild. Sie lächelte, jenes Lächeln – – –!

»Es freut mich, Herr Pertz, daß Sie solch Interesse für die Empfindungen des müden und abgehetzten Weltkindes an den Tag legen. Aber da ich geimpft bin und keiner staatsfeindlichen Organisation angehöre, glaube ich, wird man gegen meine Niederlassung auf dem Edthofe billigerweise nichts einzuwenden haben. Ich meine sogar, neulich abends auf dem kleinen Fest in Rottenstein den Eindruck gewonnen zu haben, daß man mich nicht als unwillkommenen Mitbürger begrüßt.«

»Das glaube ich sehr wohl, und ich würde Ihnen raten, Frau Worth, den Damen der Nachbarschaft Ihre Modejournale zur Verfügung zu stellen und immer Ihre neuesten Toiletten zu zeigen, ehe Sie sie in der Oeffentlichkeit anziehen. Das wirkt versöhnend auf die Damenwelt. Vergessen Sie nicht – das ist der wohlmeinende Rat eines aufrichtigen Freundes –, daß Sie etwas tun müssen, um die Verzeihung dafür zu erlangen, daß Sie so viel hübscher, so viel eleganter und so unendlich vieles gefährlicher sind als Ihre übrigen Mitschwestern. Diese letztere Erfahrung dürften Sie aber auch schon früher gemacht haben, nicht wahr?«

»O ja, und ich bin dadurch in der Anschauung bestärkt worden, daß es für mich am besten ist, das zu tun, was mir paßt. Ich kann es mir ja erlauben, nicht wahr? Gerade, weil ich hübscher, eleganter und um so vieles gefährlicher bin als die anderen Frauen. Nicht wahr, Herr Pertz?«

Sie sah, wie in seine grauen Augen der Schimmer heimlicher Belustigung kam. Sollte er es wagen, sie nicht ernst zu nehmen?

Der Edthof war erreicht. Hubert hielt die Pferde an und ließ zweimal mit lautem Knallen die Peitsche schwirren. Das Tor öffnete sich, und Marie erschien. Leichtfüßig und graziös sprang Elisabeth vom Wagen und reichte ihm die Hand hinauf zum Abschied.

»Ich danke Ihnen für die amüsante Viertelstunde, Herr Pertz«, lächelte sie. »Es soll mich wirklich freuen, diese Unterhaltung so bald wie möglich fortzusetzen. Vielleicht haben Sie noch mehr Ratschläge, nach denen ich mein Wohlverhalten einrichten kann.«

»Werden Sie sie aber auch befolgen?« fragte er zurück, lächelnd wie sie selbst.

»Das kommt auf die Ratschläge an. Hängt von dem Geiste ab, in dem sie gegeben werden. Vielleicht befolge ich sie nicht. Vielleicht amüsiere ich mich bloß über sie. – Gute Nacht, Herr Pertz! Grüßen Sie mir Ihren Neffen!«

Dieses Mal hatte sie das bessere Ende für sich. Hubert Pertz war zum ersten Male in seinem Leben verblüfft. Ihr letzter Pfeil traf ihn so sicher, daß er nichts anderes konnte, als ihr nachstarren. Das Tor fiel hinter ihr zu, hinter seinen Glasscheiben erlosch das Licht.

Da fluchte Hubert Pertz leise vor sich hin, wendete den Wagen und fuhr langsam Rottenstein zu.


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