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XXI.

Hubert Pertz trat an den Wagen heran und bot Elisabeth die Hand.

»Wollen Sie nicht absteigen, Frau Worth?« fragte er höflich. Dieses Mal wirklich ohne jeden Spott.

Sie antwortete nicht gleich. Trotz, Angst, Zorn und immer wieder eine nicht zu bewältigende Neugier kämpften in ihr. Und dann – stärker als jedes andere Gefühl war die Lust in ihr, sich mit diesem Manne zu messen. Seiner Brutalität, seiner Kraft, seinem Selbstvertrauen ihre Schönheit, ihren Geist und ihre Liebenswürdigkeit entgegenzusetzen. Die uralte Streitfrage – wer ist stärker, der Mann oder das Weib?

Lächelnd blickte sie auf ihn herab. Er stand da am Bock, die Zügel noch in der Hand. Das Gesicht zu ihr emporgerichtet. Der Mond lag fast mit Tageshelle über der Hochlandwiese. Sie konnten sich beide deutlich sehen. Wieder bohrten sich ihre Augen ineinander. – –

»Nun, Frau Worth?«

Sie ließ sich herunterheben. Einen Moment lang hing sie in seinen Armen, spürte das Spiel seiner Muskeln, die Kraft seiner Brust, wie er sie langsam und vorsichtig zu Boden gleiten ließ.

Wenn er dich jetzt küßt – – –? zuckte es ihr durch den Kopf.

Aber er küßte sie nicht. Ruhig und gelassen stellte er sie auf den Boden, zog ihr den Mantel über die Schultern und sagte dabei:

»Seien Sie vorsichtig, es ist sehr kühl hier heroben.«

Dann öffnete er die Tür zur Hütte und ließ sie eintreten. Das elektrische Licht flammte auf, und sie sah sich in einem einfach und derb ausgestatteten Raume. Mit großen Augen blickte sie um sich – eine Jagdhütte. Einfache Bauernmöbel. An der Wand links ein großer, offener Kamin. Auf der gegenüberliegenden Seite eine kleine Treppe, die zu den oberen Stuben führte. Der Boden roh gehobelte Bretter, über die aber Bären- und Wolfsfelle gebreitet waren. Huberts erstes war, das in dem Kamin bereitgeschichtete Holz anzuzünden; in wenigen Sekunden prasselte ein lustiges Feuer auf und übergoß die ganze Hütte mit warmem, behaglichem Schein.

»Wenn Sie mich einen Augenblick entschuldigen wollen, Frau Worth,« sagte ihr Entführer, »so will ich geschwind die Pferde besorgen. Ich bin gleich wieder zurück.«

Ohne ihre Antwort abzuwarten, ging er hinaus, und sie hörte, wie er das Gespann um die Hütte herumführte, wo sich augenscheinlich ein kleiner Stall befand. Ganz deutlich vernahm sie durch die Holzwand, wie er dort herumwirtschaftete.

Als er wieder die Hütte betrat, fand er sie vor dem Feuer sitzend und sich wärmend. Dabei bot sie ein so schönes Bild, daß er ganz überrascht an der Tür stehenblieb und, ohne sich zu rühren, seinen Augen die Freude gönnte.

Sie drehte sich langsam zu ihm hin und lächelte.

»Sie sehen, Herr Pertz, ich benehme mich ganz verständig. Ich füge mich der Gewalt, aber es würde mich doch interessieren, zu erfahren, was Sie eigentlich mit mir in dieser Hütte vorhaben. Ich leugne nicht, daß sie sehr poetisch ist, auch den Reiz der Neuheit für mich hat – aber einem längeren Aufenthalt würde ich doch nur mit höchst gemischten Gefühlen entgegensehen.«

»Ich werde die Ehre haben. Sie hier so lange als meinen Gast zu bewirten, Frau Worth, bis mein Neffe sich mit Fräulein Helene Dazkovic verlobt hat.«

Da fuhr sie auf. Ihre Augen flammten. Der Mantel fiel ihr von den Schultern, und hoch aufgerichtet stand sie dem Manne gegenüber.

»Das ist eine Infamie, Herr Pertz«, rief sie. »Eine doppelte Infamie, das wissen Sie recht gut.«

Dieses Mal blieb er nicht ruhig.

Wohl noch nie in seinem Leben war ihm ein Schimpf so geradeweg ins Gesicht geschleudert worden wie jetzt. Vielleicht hatte er sich durch ihre bisherige Ruhe täuschen lassen. In seinem Gesicht zuckte es, seine Lippen preßten sich zu einer ganz dünnen Linie zusammen – aber Hubert Pertz wendete den Blick ab, schaute in irgendeine Ecke seiner Hütte.

Einer Frau wie Elisabeth konnte das natürlich nicht entgehen. Kämpferin, die sie war, nutzte sie ihren Vorteil rücksichtslos aus, schlug unbarmherzig zu, trieb den Mann, der eben noch so überlegen vor ihr gestanden, an die Seile; er mußte sich ducken, mußte sich wehren.

»Ich bin es Zeit meines Lebens gewohnt gewesen, von den Männern infam behandelt zu werden. Ich bin deshalb das geworden, was ich heute bin. Was Sie sich leisten, Herr Pertz, überrascht indessen selbst mich, die ich doch wahrlich Erfahrung genug habe. Man hat mich verleumdet. Man hat mich in den Schmutz ziehen wollen. Man hat mich kaufen wollen – aber das hat noch keiner probiert, mir Gewalt anzutun –«

Er hob den Arm, als wollte er sie unterbrechen; doch lahm war diese Bewegung, kraftlos beinahe.

Sie ließ sich auch durch sie nicht aufhalten.

»Warum binden Sie mich nicht fest? Oder warum haben Sie mich nicht in die Steyr geworfen? Das wäre doch einfacher gewesen und – barmherziger. Oder gehen Sie vielleicht absichtlich darauf aus, durch diese romantische Entführungsfahrt meinen Ruf als Frau zu vernichten, mich zu einer lebendig Toten zu machen, daß man mit Fingern nach mir zeigt und mich meidet wie eine Pestkranke? Ist das vielleicht Ihre Absicht, Herr Pertz? Dann mein Kompliment, das Meisterstück ist gelungen.«

Dem Manne brannte die Wut auf den dunklen Wangen. Er war gepeitscht worden. – – –

»Es tut mir leid,« erwiderte er, »daß Sie mein kleines Unternehmen so ansehen. Ich kann es aber leider nicht ändern und habe auch keine Lust, es zu ändern – denken Sie von mir, was Sie wollen! Ich halte es für ein Glück, wenn mein Neffe Helene Dazkovic heiratet. Ihre Person ist da im Wege. Es hat ja keinen Zweck, hier mit der Kirche ums Haus zu reden, Frau Worth. Was ich gehört habe, was ich selbst gesehen habe, zwang mir die Ueberzeugung auf, daß ich so handeln mußte, wie ich gehandelt habe. Sie können natürlich von mir jede Genugtuung verlangen, die Sie wünschen – das ist eine cura posteria. Zunächst will ich, daß Stephan wieder einen klaren, vernünftigen Kopf bekommt, an sich und sein Haus denkt und Helene Dazkovic zu seinem Weibe macht. Ich habe Sie gewarnt, Frau Worth – Sie haben diese Warnung recht gut verstanden. Ich bin nicht der Mann, der umsonst spricht. Ich stelle es Ihnen frei, mit mir dann zu tun, was Sie wollen – aber Sie werden hierbleiben, von mir bewacht, Frau Worth, bis die Dinge auf Rottenstein den Lauf nehmen, den sie nehmen sollen.«

Eine Zeitlang herrschte Schweigen in der Hütte. Elisabeth wendete Hubert den Rücken und trat ans Feuer. Sie wunderte sich über sich selbst. Ihr Zorn war plötzlich in sich zusammengesunken. War sie nicht selbst schuld? Helenes Kummer – Helenes Tränen –? Sie hatte auf einmal das Empfinden, als müßte sie sich rechtfertigen. Wenn sie ihm sagte, wer sie war? Was sie durch seine Familie schon gelitten – würde er es auch dann noch wagen, sie so zu behandeln?

Im Kamin knisterte das Feuer; in ihren Gedanken nahm sie ein, zwei Holzscheite und warf sie hinein. Heller zuckten die Flammen, übergossen ihr Gesicht mit lebendigem Schein.

Hubert Pertz stand noch auf seinem Platz. Seine Augen konnten sich von dem schönen Weibe nicht losreißen. Wenn sie gewußt hätte, wie schwach, wie niedrig, wie gemein er sich selbst in diesem Augenblick vorkam! – Doch sie blickte nicht zu ihm hin. – –

Er riß sich los. Unterdrückte den Seufzer, der aus seiner Brust in die Höhe wollte, und trat an den kleinen elektrischen Ofen, der neben dem Kamin angebracht war. Dort begann er, mit einem Kochtopf zu rumoren.

»Wie wäre es mit einer Tasse Tee?« fragte er, ohne von seinem Kochtopf aufzublicken.

Sie empfand die Frage nur als Hohn. Die weiche Stimmung schwand. Der Trotz kam wieder.

»Ich danke!« rief sie über die Schulter zurück.

Er vertiefte sich in seine kulinarische Tätigkeit. Teller klapperten, Messer klirrten. Ab und zu ging er. Deckte den Tisch. Sie saß wie eine vertrotzte Medea am Kamin und rührte sich nicht. Drehte nicht den Kopf nach ihm.

Er setzte sich an den Tisch. Schenkte sich eine Tasse Tee ein, begann zu tafeln: Schinken, Eier – – –. Der köstliche Duft des chinesischen Gebräus schmeichelte sich zu ihr hin, verführerischer, verderblicher denn Opiumdämpfe. Die lange Fahrt in der mit tausend Balsamen gewürzten Nachtluft hatte sie hungrig und durstig gemacht – –. Unwillkürlich rückte sie auf ihrem Kummerstuhle – – –.

»Wie wäre es doch mit einer Tasse?« kam die Stimme des brutalen Gewaltmenschen vom Tische her.

»Ich – ich – – danke!« antwortete das brutalisierte schwache Weib.

Er stand auf, brachte ihr eine Tasse hin. Die dampfte, duftete –. Sie drehte sich heftig und hastig von ihm ab. Er folgte mit dem Verführungsgetränk – – –.

»Ich – – ich habe Ihnen ja gesagt, – – daß – – daß – –«

Und dann hielt sie die Tasse. Hatte sie sie genommen oder er sie ihr in die Hand gedrückt? Und dann hielt sie auch noch einen Teller mit köstlichem Butterbrot. Und aß und trank – – –. Und wußte nicht, sollte sie sich freuen oder ärgern über ihre Niederlage. Er war so zartfühlend, so aufmerksam auf einmal – – –.

Doch sie blieb am Kamin sitzen. Als sie fertig war, auch mit einer zweiten Tasse Tee und einem zweiten Teller Butterbrot, erhob sie sich.

»Ich bin müde«, sagte sie, »und möchte schlafen gehen. Haben Sie außer Ihrem Pferdestall noch einen anderen Raum, in dem man sich ausstrecken kann?«

»Wenn Sie mir folgen wollen«, sagte er und stieg die Treppe hinauf.

Es zeigte sich, daß oben vier kleine Zimmerchen waren, Schlafräume für die Jagdgäste. Spartanisch ein jedes von ihnen eingerichtet. Ein eisernes Feldbett, eine Waschstelle aus Blech, ein Kleiderhaken und ein Stuhl vor dem Bett. Herrlich, nicht wahr?

Elisabeth lachte schrill auf.

»Das muten Sie mir zu?«

Er hob bedauernd die Schultern.

»Sie schlafen hier dem Himmel näher als unten, Frau Worth. Sie werden finden, daß selbst für eine verwöhnte Großstädterin diese Nachbarschaft sehr gesundheitsfördernd ist!«

Der alte Trotz flammte in ihr auf.

»Ich danke für die hygienische Belehrung«, zischte sie. »Gute Nacht, Herr Pertz!«

Sie schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Blieb aber hinter ihr mit der Klinke in der Hand stehen und horchte hinaus.

Er stieg langsam die Treppe hinunter. Sie wollte die Tür verschließen, doch da packte sie heftiger Schrecken, denn sie entdeckte, daß kein Schloß daran war. Einen Moment lang war ihr, als müßte sie zu ihm hinunterstürzen – doch dann besann sie sich, schüttelte den Kopf – – nein, das wußte sie, sicher war sie – – –.

Langsam kleidete sie sich aus und legte sich ins Bett. Hart aber frisch war es, und hatte den Duft des Waldes in sich. Trotz ihrer Erregung fielen ihr die Augen zu. – –

Plötzlich fuhr sie wieder auf, setzte sich im Bett in die Höhe, starrte verwundert um sich. Wo war sie? Dann erkannte sie das Zimmerchen – sie hörte Huberts Schritt auf dem kleinen Gange, der rings um die Hütte führte, hörte ihn näher kommen, näher und näher – –.

Das Herz sprang ihr in die Kehle hinauf. Wenn er jetzt – – sie biß die Zähne aufeinander. Den Atem hielt sie an. Sollte er doch – doch –?

Blieb er nicht vor ihrer Tür stehen? Griff er nicht nach der Klinke? Nein. Er ging vorüber. Leise und vorsichtig. Unter seinem Tritt aber krachten die Bretter. Eine Tür auf der anderen Seite öffnete sich – schloß sich – dann war alles still. Ganz still.

Sie wurde ruhiger. Ihre Nerven entspannten sich – sie lächelte über ihre eigene Angst. War es nur Angst gewesen? Und wenn er hereingekommen wäre? Was dann?

Sie schauerte. Ließ sich in das Bett zurückfallen und zog die Decke hoch über sich.

Unten, im großen Raume, knisterte das Feuer, warf ersterbende Reflexe über den Tisch und die Stühle. Draußen im Walde rauschte es leise, geheimnisvoll –.

Abermals schlummerte Elisabeth ein.


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