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17. Das Benehmen auf der Reise.

Ein Sträußlein am Hute, den Stab in der Hand,
Zum Reisen genügt auch ein schlichtes Gewand,
Nur eines, das Beste, vergessen nicht sei:
Die Bildung; denn merk dir's: Nur Bildung macht frei.

a) Feine Lebensart auf der Reise.

Was uns daheim beengt und bedrückt, streifen wir mit Genugtuung ab, sobald wir das schlichte Reisegewand anlegen; jede zurückgelegte Wegmeile trennt uns vom Altgewohnten, dessen feststehendes Bild auch der bestimmten Lebensnorm ihr unverrücktes Gepräge gegeben. Der Blick weitet sich, freudiger pocht das Herz, neu und eigenartig erscheint uns alles, wohl wert, den bisher geduldig getragenen Etikettenbann darüber zu vergessen, denn – ein Quentchen Reiseübermut steckt doch wohl in jedem Menschen.

Immerhin darf auch hier eine feine Grenzlinie nicht unbeachtet bleiben. Bildung des Herzens wird stets den richtigen Höflichkeitsgrad treffen.

Die alleinreisende Dame z. B. weiß, daß sie ihre eigene Person in der Wahl des Platzes, in bezug auf gewisse natürliche Bequemlichkeiten wohl berücksichtigen darf. Einer älteren oder leidenden Dame, einem älteren Herrn, einer Mutter mit kleineren Kindern wird sie indes alle schickliche Erleichterung gewähren, sollten auch ihre eigenen Wünsche dadurch beeinträchtigt werden.

Rücksichten zu gewähren braucht man nicht, doch darf man auch keine erwarten. Gegenseitig geübte, maßvolle Höflichkeit schlägt indes auch über diese klaffende Kluft eine verbindende Brücke.

Seitens der Herren ist Damen dieselbe Rücksicht zu erweisen, die diese dem Alter oder der überbürdeten Geschlechtsgenossin schulden.

Solches Entgegenkommen darf unbedenklich angenommen werden, doch genügt als Anerkennung ein freundlicher Dank, fortgesetzte Unterhaltung ist dadurch keineswegs bedingt, vertrauliche Annäherung kühl zurückzuweisen.

Die Welt erscheint nur weit, in Wirklichkeit ist sie es nicht. Tausend verbindende Fäden laufen herüber und hinüber, sich heute noch fremd Gegenüberstehende sind morgen vielleicht in nahe Verbindung gebracht. Wohl demjenigen, der in allen Fällen den Gesetzen der Höflichkeit und dem Gebote vornehmer Gesinnung genügt hat, er wird nicht in die Lage kommen, sein Verhalten bereuen zu müssen, sollte ihm aus einem längstvergessenen gleichgültigen Reisegefährten überraschenderweise ein seinem Fortkommen oder seinen Plänen bedeutsamer Machthaber erstehen.

Jede Reise kann allerlei Zufälligkeiten, sie wird mancherlei Beschwerlichkeiten mit sich bringen, die nicht alle ausgeglichen werden können. Doch wird von der einen Seite Selbstbeherrschung, von der anderen schickliche Rücksichtnahme den notwendigen Ausgleich ermöglichen, man fordere nur nicht zuviel, denn der Wagenabteil ist nicht das behagliche Heim.

Es gibt Luftfanatiker und Luftscheue, sie müssen sich vertragen. Da nur einseitig die Wagenfenster geöffnet sein sollen, um allzuscharfen Luftzug zu vermeiden, so kann sich dieser immer noch möglichst schützen, jener seiner Liebhaberei frönen.

Hinsichtlich der Aussichtsplätze bei Tage, der Eckplätze zur Nacht einige man sich in Güte.

Entsteht scharfer Luftzug, beengt ungeschickt aufgehäuftes Gepäck ungebührlich den Raum, so wird eine höfliche Bitte mehr nützen als ein schroffes Wort. Im schlimmsten Falle währen solche Ärgernisse nicht ewig und sind als geringster Teil irdischer Prüfungen rasch wieder vergessen.

Immer und überall ist Höflichkeit die beste Waffe; nur Aufdringlichkeit muß nachdrücklich zurückgewiesen werden.

b) Reisebedarf und Reisegepäck.

Um sicher zu sein, daß man die geplante Reise auch wirklich programmgemäß ausführen kann, empfiehlt sich ein vorher aufzustellender Kostenüberschlag. Doch merke man sich, daß derselbe, wie beim Bauen, gewöhnlich zu niedrig ausfällt, da die unvorhergesehenen Ausgaben meist zu gering taxiert werden, daher richte man sich danach.

Geld ist das notwendigste Wandergut; man versehe sich also reichlich damit.

Das Reisekleid enthalte mehrere feste, gutschließende Taschen, eine derselbe berge nur die Börse, um ein zufälliges Herausschleudern durch Taschentuch oder Handschuhe zu verhüten. Die anderen hingegen dienen zur Aufnahme notwendiger, doch minder wertvoller Dinge, wie Taschennecessaire, Bürstchen, Messer usw.

Das Portemonnaie enthalte nur das nötige Kleingeld und Silbergeld, in Sorten gesondert.

In fremden Ländern bediene man sich der üblichen Landesmünze, wechsle jedoch schon vor Antritt der Reise die betreffenden Sorten ein, um vor widrigen Zwischenfällen geschützt zu sein.

Ist eine weite Reise geplant, in deren Verlauf verschiedene Länder berührt werden sollen, so ist es ratsam, sich mit Kreditbriefen zu versehen, oder in gewissen Zeiträumen sich Geld nachschicken zu lassen; ebenso bei längerem Aufenthalt an ein und demselben Orte. Man ist dadurch der Sorge um mitgeführte größere Summen enthoben und braucht doch nicht um zureichende Geldmittel zu bangen. Von Wert ist ferner das Mitführen genügender Ausweispapiere, eine Vorsicht, die namentlich bei weiteren Touren nicht außer acht gelassen werden sollte.

Der unumgängliche Reservevorrat, am besten in Gold, darf unter keinen Umständen in der Tasche getragen werden. Damen tragen denselben am sichersten im Oberkleide fest eingenäht oder an gutbefestigtem flachem Ledertäschchen unter der Kleidertaille; Herren in verborgenem Ledergürtel oder in guter Ledertasche an festem Riemen, doch erfordert diese Bergungsart dauernde Vorsicht.

Das Reisegepäck sei möglichst beschränkt, dies bedeutet erhöhten Reisegenuß.

Der Herr kann Ledertasche und Plaid über die Schulter geschnallt tragen, den Handkoffer zur Seite. Den bequemen Reiseanzug kann ein zweiter, besserer ergänzen, dazu etwas Wäsche und die notwendigen Toilettebestandteile, damit ist allen gerechten Ansprüchen Genüge geschehen.

Damen sei in ihrem eigenen Interesse dieselbe Beschränkung dringend empfohlen. Einfachheit ist das beste Reisekleid, Schmuck nirgends unangebrachter als auf der Reise. Auch vieler Wäschestücke bedarf es nicht; man kann überall rasch genug waschen lassen. Mehrere Handschuhpaare sind von Vorteil; schlichte für die Eisenbahnfahrt, bessere für Hotel, Promenade und Museen.

Besser ein Regenschirm als zwei Sonnenschirme, damit ist Wetter-Gunst und -Ungunst gleichermaßen gedient.

Längerer Besuchs- oder Badeaufenthalt erfordert natürlich mehr Auswahl an Garderobestücken und größeren Wäschevorrat; in diesem Falle wird der Koffer am besten zuvor direkt an seinen Bestimmungsort gesandt, und nur das nötigste Handgepäck beibehalten.

Mehr als ein größeres Gepäckstück ist nicht anzuraten. Ein großer Koffer oder Reisekorb genügt vollständig, um alles Notwendige aufzunehmen: Wäsche, Kleider, Schuhzeug; in gesonderter Abteilung feiner Putz und Hüte. In der Handtasche finden die notwendigen Toilettegeräte, Reservehandschuhe, das Kursbuch, etwas Gebäck und stärkende Essenzen Raum. Dazu Plaidrolle mit Schutzdecke, Schirm und Schal, mehr bedarf es nicht, um für alle Fälle versehen zu sein.

c) Der Reiseanzug.

Zum Reiseanzug wähle man nur unauffällige Farben, einfache Machart und praktischen Schnitt, der alle unpassenden Zierate entbehrlich macht.

Für Herren eignet sich am besten ein Jackettanzug aus schmiegsamem Tuch oder dauerhaftem Lodenstoff; dazu waschlederne Handschuhe, weicher, kleidsamer Filzhut, für die Nacht eine Reisemütze. Diese einfach praktischen Bestandteile werden im Sommer durch einen dauerhaften Reiseplaid, im Winter durch Reisepelz, Fußdecke oder Fußsack vervollständigt. Eines Schirmes bedarf es nicht, für Regen, Sonnenschein und Temperaturwechsel genügt der Reiseschal vollkommen.

Damen enthalten sich aller auffälligen oder irgendwie anspruchsvoll erscheinenden Toilette, der Eisenbahnwagen ist kein Modelager, die Reise kein Geschmackswettrennen, wo Prunk und Überladung den Sieg erstreben. Elegante Reisekleider müssen durch einen entsprechenden Umhang von hellgrauem Gloriastoff, Rohseide oder Lüster, je nach der Jahreszeit auch aus schmiegsamem Woll- oder Lodenstoff geschützt werden. Am besten eignet sich immer ein grauer oder bräunlichmelierter Jackettanzug, dem Staub und Rußteilchen nicht so leicht gefährlich werden, zur Reisetoilette. Festes, gutsitzendes Schuhzeug ist Bedingung, der Hut sei einfach und kleidsam und entbehre des schützenden Schleiers nicht.

d) Die Wahl der Wagenklasse.

In der Wahl der Wagenklasse sind Herren durchaus unbeschränkt. Nur Offizieren, höheren Staatsbeamten, gegen Zugluft und ungepolsterte Sitze Empfindlichen ist eine höhere Wagenklasse vorgeschrieben.

Im Winter und bei längeren ermüdenden Touren empfiehlt sich die mit Polstersitzen versehene 1. und 2. Klasse. An heißen Sommertagen ist die luftigere 3. Klasse vorzuziehen, vorausgesetzt, daß sie nicht durch Vereine oder angeheitertes Sonntagspublikum überfüllt ist.

Für alleinreisende, wie auch für leidende Damen kann nur das Nichtraucher- oder Damencoupé in Betracht kommen, für junge alleinreisende Mädchen nur das Damencoupé; es schickt sich nicht, daß solche unter Umständen im Nichtrauchercoupé nur auf Herrengesellschaft angewiesen sind.

Reisen Kinder mit, so ist bei ganz kleinen das Damencoupé, bei größeren jedenfalls das Nichtrauchercoupé zu wählen.

e) Der Verkehr mit Reisegefährten.

Das Kapitel der Reiserücksichten kann beschränkt oder erweitert werden, je nach Gelegenheit und Sinnesart; im allgemeinen wird jeder soviel des gewohnten guten Tones auch auf die Reise mitnehmen, daß er besonderer Verhaltungsmaßregeln füglich entraten kann.

Es ist gestattet, sich auf der Reise alle tunlichen Bequemlichkeiten zu verschaffen, sie dürfen allerdings nicht auf Kosten der Mitreisenden erworben sein. Unter gleichaltrigen Herren kann es sich also kaum um besondere Rücksichten handeln; älteren oder leidenden Mitreisenden, welche durch unbequemen Sitz, Zugwind, grellen Sonnenschein oder sonstwie belästigt erscheinen, wird jeder gebildete Herr die schuldige Rücksicht erweisen.

Dieselbe Regel gilt für jüngere oder rüstige Damen gegenüber Leidenden beiderlei Geschlechtes oder älteren Damen.

Der lästige Zugwind kann vermieden werden, wenn die Fenster durchweg nur einseitig (dem Wind entgegengesetzt) geöffnet werden. Diese Regel sollte stets befolgt werden, mehr als das zunächst befindliche Fenster kann jedoch der einzelne nicht belegen, in strittigen Fällen, wo weder Einsicht noch Rücksicht Einigung erzielen, mag der Schaffner entscheiden.

Rechthaberei ist auch hier vom Übel. Namentlich die Rücksicht für Leidende müßte auch ohne Bitte oder Verweis von selbst ausschlaggebend sein.

Eigenes Gepäck ist rasch und sicher unterzubringen, fremdes schonend zur Seite zu schieben, wenn es irgendwie belästigt.

Bei Benutzung von Eilzügen versehe man sich mit ausreichendem Eßvorrat. Starkriechende Sachen sind ausgeschlossen; doch eignet sich trockenes Gebäck, dickschalige Apfelsinen, Schokolade, Konfekt und dergleichen gut dafür. Ein paar Papierserviettchen, die zum Schutze der Kleider, zum Reinigen der Hände und zu späterer Aufnahme etwaiger Abfälle dienen, dürfen nicht fehlen.

Nur appetitliche Sachen sollen mitgeführt werden, solche darf man in unaufdringlicher Weise auch, ohne sie zuvor zu berühren, seinen Reisegenossen anbieten. Wird das Anerbieten jedoch abgeschlagen, so ist dies durchaus keine Beleidigung, verbietet jedoch eine Wiederholung desselben.

Das Essen geschehe manierlich in anspruchsloser Weise, keiner der Mitreisenden darf dadurch gestört werden. Abfälle werden nicht durch das Fenster geworfen, der passende Augenblick, sich ihrer zu entäußern, muß wahrgenommen werden.

Es ist durchaus gestattet, ein unbefangenes, gleichgültiges Gespräch mit unbekannten Reisegefährten anzuknüpfen, ist es nicht erwünscht, so wird es bald genug wieder verstummen.

Zuweilen fühlen sich aber auch beide Teile wirklich gefesselt, die Unterhaltung vertieft sich, der Wunsch nach persönlicher Vorstellung erwacht. In diesem Falle wird Namensnennung oder besser Austausch der Karten erfolgen.

Wird das Gespräch zwischen Herr und Dame geführt, so darf sich der Herr unbedenklich vorstellen, die Dame braucht dies indes keineswegs zu erwidern, sie wird die geschehene Namensnennung nur mit dankendem Kopfneigen quittieren.

Beim Ein- und Aussteigen, hinsichtlich des Gepäckes, bei gewünschter Erfrischung an Haltepunkten, bei notwendiger Auskunft durch den Schaffner, das Kursbuch usw. erweise man Damen und älteren Herren alles selbstverständliche Entgegenkommen.

f) Das Verhalten im Hotel.

Gasthauswände – dünne Wände; weithin dringen Schall und Hall, das vergegenwärtige man sich beim Gehen, Sprechen, Lachen, Türschließen usw.

Spätes Eintreffen, frühzeitiger Aufbruch bedingen rücksichtsvolles Verhalten; scharfes Klingeln, lautes Rufen oder Sprechen, Stiefelklappen, Türzuschlagen werde strengstens vermieden.

Namentlich die Unterhaltung gemeinsam Reisender sei gedämpften Tones geführt, der Nebenbewohner braucht nicht all unsere Pläne, Verhältnisse, Anschauungen und Empfindungen kennen zu lernen.

Die Wahl des Zimmers steht im Belieben des Reisenden und richtet sich nach seinen Bedürfnissen und Mitteln, nicht nach der Bestimmung des Kellners.

Beim Betreten des Frühstückszimmers oder Speisesaales grüßt man leicht, ohne einzelne Personen auszuzeichnen.

Beim Platznehmen an der Tafel werden die rechts- und linksseitigen Tischnachbarn durch leichte Verbeugung begrüßt.

Damen dürfen bei Tafel kleine Dienstleistungen des Tischnachbars mit freundlichem Dank entgegennehmen; ist derselbe nicht vorgestellt, so ergeben diese Gefälligkeiten noch keinen Anlaß zu gemeinsamer Unterhaltung.

Es ist nicht fein, die Speisen oder Weine zu tadeln. Was nicht mundet, kann man unbedenklich vorübergehen lassen, anderes mag es ersetzen.

Das bedienende Personal behandle man mit kühler Höflichkeit, verdiente Rüge überlasse man dem Wirt, an den man sich berechtigterweise unverzüglich wendet.

Das Lesezimmer wird von Damen nur aufgesucht, wenn es nicht von rauchender Herrengesellschaft besetzt ist. Junge Mädchen betreten es überhaupt nie allein, sondern stets in Begleitung von Bekannten oder Verwandten.

g) Allgemeines über das Reisen.

Gute Laune ist das beste Wandergut. Bewahre sie auch in mißlichen Fällen.

Was dich heute ärgert, ist morgen schon überwunden, wozu also dem unvermeidlichen Zwischenfall allzugroße Bedeutung beilegen?

Ein angenehmer Reisegefährte ist Goldes wert; sieh zu, daß du als solcher geltest.

Auch der grämliche Reisegenosse muß ertragen werden, je höflicher dies geschieht, desto besser bei unvorhergesehenem Wiederzusammentreffen.

Unbillige Ansprüche sind auf der Reise am wenigsten am Platze. Ein rechtzeitig gespendetes Trinkgeld öffnet zuweilen verschlossene Pforten.

Wo angängig, bediene man sich seiner Muttersprache, wir brauchen uns ihrer nicht zu schämen. Nur in wirklichem Notfalle gebrauche man die fremde Landessprache, um so besser, wenn die vorhandenen Kenntnisse derselben sich alsdann als ausreichend erweisen.

Auf der Reise verraten sich die Tugenden und Untugenden der Menschen weit sicherer als bei jeder anderen Gelegenheit. Darum führe man Geduld, Gelassenheit und Geistesgegenwart stets bei sich, sie werden sich als gute Hilfsmittel bewähren.

Höflichkeit gegen Fremde ist ebenso unerläßlich wie unter Bekannten, und der sicherste Gradmesser wirklicher Bildung.

Man überzeuge sich stets von Zeit zu Zeit von dem Vorhandensein des Vorratsgeldes und der Handbörse. Vermißt man augenblicklich dieses oder jenes, so suche man mit peinlicher Genauigkeit nochmals nach und hüte sich ja vor übereilter, unbegründeter Verdächtigung oder Anzeige.


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