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Reisen macht die Augen hell macht
behend den Schritt,
Nimmst du nur als Wandergut frohe
Laune mit.
Das Für und Wider eines Land- oder Badeaufenthaltes ist durchaus nicht vom guten Ton abhängig, sondern allein von den Gesundheitsverhältnissen und von den persönlichen Mitteln. Es wäre töricht, eine überarbeitete Mutter zu tadeln, weil sie notgedrungenerweise trotz beschränkter Mittel, unter vielleicht recht fühlbaren anderweitigen Opfern, eine Erholungsstätte aufsucht, um nachher desto rüstiger wieder sich den Ihrigen widmen zu können, oder eine in gesicherten Verhältnissen unabhängig lebende, alleinstehende Dame zu bespötteln, weil dieser der eigene lauschige Garten, das traute Heim lieber ist, als eine mit Last und Hast verknüpfte Reise. Es gibt eben Menschen, die aus sich selbst schöpfen können, andere, die zeitweiliger Anregung von außen bedürfen.
Wer sich fester Gesundheit und entsprechender Mittel erfreut, der sehe sich immerhin zuweilen in der schönen weiten Welt um, sei es nun zum Badeaufenthalt oder zur Tourenreise. Durch fühlbare Einschränkungen darf indes solches Heraustreten aus dem gewohnten Geleise nicht erkauft werden.
Das Tagesprogramm des Badelebens bringt die Badegäste in häufige Berührung, ohne geradezu die Bekanntschaft zu vermitteln. Dies tut der gute Ton, der ein leichtes Grüßen am Brunnen, an der Tafel, auf der Promenade, beim Konzert diktiert, aus dem bei bald fühlbarem gegenseitigem Anziehen sich leicht ein dauernder Verkehr entwickeln kann.
Immerhin verlangt gerade der Badeverkehr eine gewisse Vorsicht, hauptsächlich in unserer aufklärungsstolzen Zeit, die sich doch so leicht von hohlem Schein blenden läßt. Man prüfe daher erst mit scharfem Blick und feinem Empfinden die Sinnesart, die sich im äußerlichen Auftreten dieser erst flüchtig Bekannten kundgibt, man lausche angelegentlich der Rede, die auch bei klüglichster Wendung nicht verschleiern kann, was im Herzensgrunde lebt. – Schlichtes, ungelehrtes Wort kann unmittelbar und lebendig ansprechen, die tönendste Phrase hingegen anwidern, entspringt sie unlauterer Gesinnung.
Mehr als irgend sonstwo hat man gerade im Bade die Augen offen zu halten, denn manche Scheinexistenz drängt sich anspruchsvoll in unseren Gesichtskreis und weiß sich einen Nimbus zu verleihen, den sie gar nicht verdient, indes der wahre Gesinnungsadel nur zu leicht verkannt und übersehen wird.
Man hüte sich also auf alle Fälle, unvorsichtig aus höflicher Reserve herauszutreten oder gar persönliche Verhältnisse zu besprechen; die wahre Bildung wird auch über diese Klippe hinaus die richtige Verkehrsweise finden.
Bei den geselligen Freuden des Badeaufenthaltes ist der jungen Welt nur allzuleichter Anschluß ermöglicht. Man hüte sich dabei jedoch vor übereiltem, innigerem Verhältnis; ein allzurasch eingegangenes Verlöbnis könnte schwere, ja unheilbare Enttäuschung mit sich bringen.
Nicht selten bildet gerade der Wunsch einer günstigen Heiratsgelegenheit den eigentlichen Grund der Badereise. Dies ist aus Gründen der Moral und der Klugheit durchaus zu verwerfen. Viel häufiger noch suchen sich ruinierte Existenzen durch eine reiche Heirat rasch zu »arrangieren«, wie es in der sogenannten Kavalierssprache heißt, in der Sicherheit, daß ihre Vergangenheit, ihr zweifelhafter Ruf hier nicht bekannt.
Jede vornehmdenkende, feinempfindende Tochter sollte sich durch solche Werbung verletzt fühlen und in berechtigtem wahrem Stolze in nicht mißzuverstehender Weise den Aufdringlichen abweisen.
Der Mutter, den Eltern liegt es ob, gemachte Angaben des betreffenden Herrn auf ihre Wahrheit hin zu prüfen, am besten durch Erkundigung am gewöhnlichen Wohnorte desselben. Fühlt er sich dadurch verletzt, um so gewisser ist es alsdann, daß er Nachfrage zu scheuen hat.
Die Beendigung des Badeaufenthaltes löst auch gewöhnlich den gepflogenen Verkehr bis auf gelegentlichen, bald versiegenden Austausch weniger Ansichtspostkarten. Treffen wir jedoch zu Hause oder an anderer Stelle mit den früheren Badegenossen wieder zusammen, so sind wir keineswegs genötigt, den zeitweiligen Verkehr neuerdings aufzunehmen, ist er uns nicht selbst zu lieber Gewohnheit geworden.
Die Welt ist nicht mehr so engherzig, der einzelnen Dame den Genuß des Reisens vorzuenthalten. Viele Tausende stehen allein und unbeschützt inmitten des harten Lebenskampfes, sollte ihnen da die schöne Welt mit ihren wunderbaren Naturreizen verschlossen, sollte ihnen die unumgängliche geistige und körperliche Erfrischung versagt sein?
Angenehm ist es für die einzelne Dame, sich während des beabsichtigten Badeaufenthaltes einer befreundeten Familie anschließen zu können. Bedingung ist dies natürlich nicht, am wenigsten für Leidende.
Die Badeverwaltung erteilt gern jede gewünschte Auskunft, auch hinsichtlich passender Wohnung, da Damen in der Regel Privatzimmer dem Hotel vorziehen.
Für Leidende kommen gesellige Vergnügungen überhaupt nicht in Betracht, sie leben allein ihrer Gesundheit.
Konzerte, Wohltätigkeitsvorstellungen, das Kurtheater können einzelne Damen recht wohl allein besuchen, für größere Veranstaltungen jeder Art, auch für weitere oder Tagesausflüge begeben sie sich in den Schutz einer Familie, andernfalls verbietet sich die Teilnahme an solchen Vergnügungen.
Die einzeln reisende Dame trete mit bescheidener Würde auf, ihr Anzug sei gewählt, doch durchaus einfach. Bunte Besätze, Flitterkram, teure, prunkende Stoffe sind nirgends weniger am Platz als auf der Reise und im Bade.
Alles Tun und Lassen verrate die Sicherheit gebildeten Benehmens. Weit ängstlicher noch als am gewohnten Aufenthaltsorte vermeide man voreiligen Anschluß, auffallendes Sprechen und Lachen, vorschnelle Urteile und Bemerkungen, überhaupt alles, was irgendwie Anlaß zu mißliebiger Deutung geben könnte.
Die Verköstigung, besonders Mittagstisch im Gasthause ist anzuraten. An der Tafel nimmt man stets den gleichen Platz ein, der nur durch Abgehende und Neuankommende eine zeitweilige Verschiebung erfährt.
Im Lesezimmer aufliegende Zeitungen sind jeder Dame ebenfalls zugänglich; doch wird sie sich, ist das Lesekabinett von rauchenden Herren besetzt, mit dem gewünschten Blatte in das Musikzimmer begeben.
Einzelne Damen können bei kurzen Promenaden Herrenbegleitung annehmen; bei größeren Spaziergängen ist dies abzulehnen.
Ist ein junges Mädchen in Begleitung des Vaters im Bade, so wird dieser, sofern er an Vergnügungen und Ausflügen nicht teilnehmen kann oder will, seine Tochter bei allen derartigen Anlässen in den Schutz einer bekannten Familie oder älteren bekannten Dame stellen.
Vor Antritt des Badeaufenthaltes verabschiede man sich persönlich bei allen lieben Freunden und Bekannten; nach erfolgter Rückkehr begrüße man dieselben durch einen kurzen Besuch.
Sommerfrische – ein Wort voll poetischen Zaubers, das ungeahnte Freuden erstehen läßt, die Phantasie mit lockenden Bildern erfüllt!
Nur zu oft aber verkehren sich diese schimmernden Vorstellungen in ihr Gegenteil, und daran mögen beide Teile gleichermaßen Schuld haben, Mieter und Vermieter.
Gewöhnlich wird die Sommerfrische von ganzen Familien oder doch wenigstens von Müttern mit einer Anzahl Kinder ausgesucht, und es mag gewissermaßen begreiflich erscheinen, daß dieselben nicht allzuviel häusliche Bequemlichkeit zu vermissen, hingegen für möglichst mäßigen Preis die denkbar beste und reichlichste Verpflegung zu genießen wünschen. Doch alles mit Maß und Ziel, ohne fühlbare Geldopfer kommt man selbst in der wohlfeilsten Sommerfrische nicht davon.
Am besten ist es überhaupt, zu Hause eine Aufstellung dessen zu machen, was man zu beziehen wünscht und was man anlegen kann. Auf Abrundung nach oben mache man sich aber durchweg gefaßt, all die kleinen Nebenausgaben summieren sich ganz unglaublich zusammen.
Auch der Vermieter kommt nicht ohne Enttäuschungen weg. Seine Sachen werden mehr abgenützt, als vorauszusehen, seine Ruhe, seine Lebensgewohnheiten erleiden unerwartet starke Einbuße, schließlich ist kein einziges Markstück mühelos erworben.
Am besten ist es daher beiderseits, das Mietsverhältnis und dessen Ausdehnung zuvor schriftlich festzusetzen, sowohl was die gewünschten Räume und Bequemlichkeiten, als auch was notwendige Entschädigungen und Dienstentlohnung betrifft. Daran halte man fest von beiden Seiten, es wird Verdruß und ungerechte Beschwerden ersparen.
Das Benehmen des Sommergastes sei höflich, aber gehalten, jede Vertraulichkeit ausschließend; Posteinläufe verlange man ohne allen Verzug ausgeliefert.
Auch der Vermieter enthalte sich vertraulichen Entgegenkommens. Seine Pflicht erfülle er strikte und willig, alles weitere ist vom Übel. Der Sommergast mag seine Unterhaltung selbst suchen; der Wirt vermietet nur seine Räume, seine Sachen und in beschränktem Maße seine Zeit, nicht aber die Zeit, die seinem Berufe, seiner Erholung gehört. Der Mieter, ganz besonders Familien mit Kindern, achte die häusliche Ruhe des Vermieters. Schonung der gemieteten Räume und Geräte kann unbedingt verlangt werden, dazu sind unnachsichtlich auch die Kinder anzuhalten. Zu Hause wohlgesitteten Kindern dürfen in der Sommerfrische keinerlei Freiheiten hinsichtlich des persönlichen Verhaltens oder guter Lebensart nachgesehen werden. Von selbst versteht es sich übrigens, daß glimmende Zigarrenstummel nicht zu Boden geworfen, nicht auf Tischplatte oder Teppich abgelegt, Streichhölzchen nicht an der Tapete entzündet werden dürfen. Schmutziges oder staubiges Schuhzeug ist abzulegen und wegzustellen, Polstersachen und Teppiche dürfen dadurch nicht beschädigt werden.
Auch der Garten sei dem Schutze der Mieter und ihrer Kinder strengstens anbefohlen. Gartenzutritt bedeutet nicht den Mitgenuß von Blumen, Beerenfrüchten und Obst.
Einladungen für Dauergäste bedürfen eingehendster Überlegung selbst bei solchen, die Raum genug haben und den erheblichen Mehraufwand im Haushalt nicht zu scheuen brauchen. Übereilte Einladungen fallen oft sehr mißlich aus, namentlich dann, wenn der Logierbesuch nicht Takt genug besitzt, rechtzeitig an den Rückzug zu denken.
Der Zeitpunkt, zu welchem ein Gast willkommen wäre, darf ja wohl angegeben werden, denn er bildet den Anhaltspunkt, gewissermaßen den Anlaß der Einladung, ebenso auch die ungefähre Dauer, sub rosa, etwa: Daß wir über die Dauer der nächsten drei bis vier Wochen uns ganz zur Verfügung stellen könnten. Tag und Stunde der Ankunft unseres Gastes genau zu bestimmen, geht natürlich nicht an, noch viel weniger aber den genauen Zeitpunkt seiner Abreise.
Unerwartete Besuche sind gewissermaßen immer eine Prüfung, besonders für die Hausfrau, die vielleicht gerade ein Resteressen zusammengestellt hat oder mit dem knappgewordenen Haushaltgeld noch die letzten paar Monatstage reichen möchte. Doch, sind die Gäste verständig, so tragen sie mit gutem Humor die Folgen dieser selbstverschuldeten Überraschung. Wirt und Wirtin jedoch geben, was sie können; im Privathause speist man nicht à la carte.
In der Regel sollten auch Gäste, die auf freudigen Willkomm rechnen dürfen, ihren beabsichtigten Besuch, selbst wenn er nur von kurzer Dauer ist, zuvor anzeigen, mit der Bitte, ungescheut abzulehnen, falls irgend eine Abhaltung vorhanden.
Zu Besuchen von längerer Dauer ladet man sich nicht selbst ein, dieselben bedingen Einschränkungen hinsichtlich des Raumes und der Zeit, vermehrten Geldaufwand, Arbeitsvermehrung und Beschränkung der persönlichen Bequemlichkeit für unsere Wirte, dies alles ist zu bedenken. Überhaupt bedarf es dringender und wiederholter Aufforderung zu längerem Besuche, um eine derartige Einladung anzunehmen.
Als Gast hat man sich unbedingt in die Hausordnung und die Lebensgewohnheiten seiner Wirte zu fügen.
Ansprüche dürfen niemals gestellt werden, weder an die Zeit, noch an die Börse des Wirtes.
Die Morgenstunden verbringt man am besten im Gastzimmer oder im Garten, es ist nicht fein, der Hausfrau die ohnehin knappe Zeit ungebührlich zu beschneiden.
Dem Hausherrn nicht störend im Wege zu sein, verlangt einen noch erheblich größeren Taktaufwand, da Herren im allgemeinen sich nicht allzulang fremder Gesichter und irgendwie veränderter Lebensweise erfreuen mögen.
Angenehm wirkt es, wenn ein junges Mädchen willig und geschickt der Hausfrau bei ihren mannigfachen häuslichen Pflichten zur Hand geht oder sich der Kinder annimmt, ohne jedoch ausgelassene Keckheit derselben zu wecken oder zu dulden. Dem Jüngling steht es zu, sich mit passenden Dienstleistungen dem Hausherrn zur Verfügung zu stellen, sei es im Garten, sei es bei irgend einer Liebhaberei, selbst wenn er derselben persönlich weder Interesse noch Verständnis entgegenbringt.
Von beiden wird stets gleichmäßige heitere Laune und das Anerbieten etwaiger geselliger Talente erwartet. Alles Einmengen in familiäre Angelegenheiten verbietet sich von selbst.
Die Verhältnisse des Hausherrn und seiner Angehörigen seien dem Gaste heilig, er verwahre sie in verschwiegenem Herzen.
Die erfahrene Aufmerksamkeit ehre man durch freundliches, dankbares Gedenken, durch kleine Reisegeschenke zum Einstand, passende Andenken nach der Heimkehr oder an Geburtstagen, durch Gefälligkeiten aller Art, durch wohlgemessene Trinkgelder an das Gesinde.
Je taktvoller der Gast war, desto lieber wird er wieder eingeladen.
Das höfliche Nötigen zu einer Verlängerung des Aufenthaltes sollte nie zu hoch taxiert werden. Besser ist es jedenfalls, die zuvor geplante Zeitdauer gar nicht oder doch nicht wesentlich zu überschreiten.
Als Wirt verzichte man gern auf einen Teil des gewohnten Behagens.
Den Bedürfnissen des Gastes entgegenzukommen, sei des Wirtes vornehmstes Bestreben.
Es bedarf keines Taumels von Vergnügungen, namentlich auf dem Lande; frische Luft, Bewegung, ruhiger Schlaf, reichliche, aber einfache Kost, damit ist schon das Beste geboten. Man hüte sich vor übertriebenem Aufwand; nur wie man fortmachen kann und will, sollte man beginnen; der Aufenthalt auf dem Lande bietet der Reize und Genüsse ohnehin schon genug, die dem Stadtkind neu und willkommen sind.
Die Sonnenseite des Haushaltes erfreue den Gast, Gewitterwolken ziehen vorüber, dem Gast aber bliebe der empfangene Eindruck miterlebter häuslicher Verstimmungen oder Zerwürfnisse gewiß unverwischbar.
Unsere Gäste bedürfen auch etlicher Stunden persönlicher Freiheit; lassen wir ihnen dieselben unverkümmert zu beliebiger Verwendung; Ruhen, Briefeschreiben, notwendiger Sammlung, stillen Spaziergängen usw., so werden sich dieselben um so wohler in unseren vier Wänden fühlen.
Auch des Wirtes Laune und Stimmung sei gleichmäßig; was ihn etwa verstimmt, halte er taktvoll zurück.
Genossene Gastfreundschaft hat der Gast baldigst nach seiner Rückkehr mit schriftlichem Dank als eine Zeit wirklichen Genusses zu bestätigen. Ein paar freundliche Antwortzeilen des Gastgebers beweisen, daß auch ihm eine angenehme Erinnerung geblieben.
Der Gast, der nur den Landaufenthalt seines Wirtes geteilt hat, bedankt sich noch persönlich nach dessen Rückkehr in die Stadt und sucht die erfahrene Güte nach Möglichkeit durch Einladungen oder sonstige Aufmerksamkeiten zu erwidern.