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20. Erwachsene Kinder im Elternhause.

Ein Tor, wer Fremden zu gefallen trachtet
Und guten Ton im engsten Kreis verachtet!

a) Anstandsregeln für den Sohn des Hauses.

Heranwachsende junge Leute neigen zur Übertreibung in Rede und Gebärde und verletzen dadurch oft genug die Gesetze der Schicklichkeit. Brutales Betragen, freche oder grobe Rede ist aber keineswegs ein Zeichen von Männlichkeit, im Gegenteil, sie verunzieren auch die angenehmste Erscheinung. Kameraden, die sich solch unziemlichen Tones befleißigen, sind fernzuhalten, sie und ihre Art gehören nicht in ein feines Haus.

Jugendliche Heiterkeit und frohe Laune brauchen darum keineswegs geschmälert zu werden, sie wirken in maßvoller Beschränkung nur um so anmutiger und erfrischender.

In jeder Lebenslage wird der gute Ton des jungen Mannes Wege ebnen, seine Vorgesetzten und Leiter für ihn einnehmen. Ohne denselben werden auch sein gründlichstes Wissen, seine gediegensten Kenntnisse und Talente nicht halb so viel Würdigung finden.

b) Das Verhalten des Sohnes gegen den Vater.

Des Sohnes Benehmen gegen den Vater sei getragen von aufrichtiger Verehrung und Liebe. In Ton und Rede offenbare sich wahrhafte Ehrerbietung, auch der Gruß bekunde dieselbe. Bei Annäherung oder beim Eintreten des Vaters hat sich der Sohn zu erheben, auf der Straße schreitet er demselben zur Linken, tritt beim Ausweichen oder Betreten eines Hauses zurück.

Des Vaters Schwächen, Liebhabereien, Eigenheiten dürfen niemals Gegenstand mitleidigen Belächelns oder Bespöttelns sein, noch anderen merklich gemacht werden. Es ist vielmehr geboten, sich denselben nach Möglichkeit anzupassen. Im Freundeskreise oder sonstwo in geringschätziger Weise vom Vater, seinen Grundsätzen, Gepflogenheiten und Vorschriften zu sprechen, ist unwürdig, es entehrt den Sohn, der doch unbedenklich alles Gute und Notwendige aus dieses bespöttelten Vaters Hand entgegennimmt!

Unsere so rasch fortschreitende Zeit mit ihrer Fülle von früher ungeahnten Bildungsmitteln und Bequemlichkeiten hat die Grenzlinien längst verschoben.

Es ist durchaus keine Seltenheit, daß geistig sehr bedeutende Söhne aus niedrigem Kreise zu Amt und Würden emporsteigen, daß sie Verbindungen anstreben, Erfolge verzeichnen dürfen, die mit ihren Geburtsverhältnissen durchaus nicht vereinbar erscheinen. Dessen rühme sich der Sohn nur ja nicht! Geist, Talente, Fleiß und Strebsamkeit mögen in seine Wagschale fallen, aber die Opferwilligkeit des wenig gebildeten, vielleicht in dürftigen Verhältnissen lebenden Vaters, die allein gute Schulung und alle denkbaren Hilfsquellen ermöglichte, die alles überwindende Mutterliebe, die alle Türen aufstößt, um dem geliebten Kinde die Wege zu einer gesicherten Zukunft zu ebnen, wiegen ungleich schwerer. Immer ist der Sohn der Nehmende, zu Dank und Verehrung Verpflichtete, und würde er seinen Dank mit Zinseszins zurückzahlen, Schuldner bliebe er darum doch zeit seines Lebens. Darum soll auch der Sohn niemals seine geistige Kraft mit derjenigen des Vaters messen, seine höhere Bildung bedarf keines Wortsieges, der den Gegner vielleicht gar nicht einmal überzeugt; ein etwa irriges Urteil braucht er keineswegs zu rügen, nicht schlimmer ist's, als wenn die irrige Meinung anderer, die er doch auch nicht kurzweg beiseite räumen kann, ihm entgegensteht.

Dem heranwachsenden wie dem erwachsenen Sohne steht es zu, dem Vater jede Beschwerde abzunehmen, soweit er überhaupt an seine Stelle treten kann. Dies gilt namentlich bei Handreichungen aller Art, Besorgungen, Dienstleistungen usw. Vorwürfe, Zurechtweisungen, Ermahnungen sind stehend und mit aller Ehrerbietung anzuhören; alle verlangte Auskunft werde klar, präzis und ohne alle Gereiztheit oder üble Laune gegeben. Ist in notwendiger Klarlegung eines strittigen Punktes Widerspruch unumgänglich, so werde er bescheiden und in gehaltener Weise vorgebracht.

Je mehr das Alter mit seinen Gebrechen und Beschwerden sich fühlbar macht, desto verehrungswürdiger muß der Vater dem Sohne sein. Jetzt ist diesem die Gelegenheit geboten, in geringem Grade wenigstens, seine Dankesschuld zurückzuzahlen; darum sei er die Stütze, die rechte Hand, das sichere Auge, der zur Tat werdende Wille des Vaters, auf daß dieser nicht die Grausamkeit des Alters, wohl aber dessen Wohltaten empfinde.

c) Das Benehmen des Sohnes gegen die Mutter.

Nichts ist schöner, allein auch nichts natürlicher als wahre, tiefe Ehrerbietung des Sohnes gegen die Mutter! Sie beweise und bewähre sich in allem, denn nicht nur die Mutter, auch die Frau hat Anspruch darauf. Ein Sohn, der seine Mutter liebt und ehrt, wird auch anderen Frauen gegenüber der schuldigen Achtung nicht ermangeln, er wird sich draußen in der Welt aber auch nicht wegwerfen, denn er ist durch den wirksamsten Talisman gegen Versuchung gefeit.

Der Sohn vergesse nicht, daß er der Bittende ist; er kleide seine Wünsche niemals in das Gewand der Forderung. Rücksichten für die Mutter, kleine Aufmerksamkeiten, die sorgsame Beachtung ihrer Wünsche sind nur natürlich.

Wie ein Kavalier der Dame, soll der Sohn seiner Mutter begegnen. Es schickt sich also, daß er sie auf der Straße und vor anderen genau so höflich begrüße wie eine Fremde, daß er möglichst nicht in ihrer Gegenwart rauche, oder doch nicht während der Unterhaltung mit ihr, daß er ihr die Türe öffnet, bei Ausgängen das Paket abnimmt, nach ihr die Treppe hinab, vor ihr dieselbe emporsteigt, genau wie bei Fremden.

Auf der Straße gebührt ihr die Häuser-, auf der Treppe die Geländerseite. Dienstleistung beim Ein- und Aussteigen, das Begleiten bei Spaziergängen oder bei Regenwetter mit dem Regenschirm, Darbieten des Armes auf schlechten Wegen, Entgegengehen oder Abholen bei abendlicher Abwesenheit und weiteren Gängen, dies alles gehört zu den Höflichkeitspflichten des Herzens.

Laß deine Mutter nicht kränken, auch nicht durch den flüchtigsten Blick; erlaube dir selbst aber auch nicht die geringste Kränkung derselben in Blick, Wort oder Ton. Sei sie auch eine schlichte Frau aus dem Volke, sie muß dir verehrungswürdiger sein, als die feinste Dame. Alles, was gut, schön und rein in dir und deinem Leben, alle liebe, süße Kindheitserinnerung, das Beste deines Daseins, verdankst du ihr allein!

d) Das Verhalten des Sohnes gegen die Schwester.

Im allgemeinen genießen Brüder leider nicht den Ruf großer Ritterlichkeit, und törichterweise suchen junge Leute oftmals gerade ihre männliche Kraft und Würde durch herrisches, trotziges, unfreundliches Wesen gegen die Schwester zu bekunden.

Jede Verletzung des guten Tones wirkt ausnahmslos tief verstimmend.

So höflich, schon allein, weil die feine Sitte es gebietet, wie er fremden Damen begegnen würde, soll der Bruder auch der Schwester gegenüber sein, ihr Geschlecht verdient, die Rücksicht auf die Eltern gebietet es. Wo anders soll sie Schutz finden auf der Straße etwa, im Gedränge, in Gesellschaft, auf der Eisbahn, wenn nicht bei dem Bruder? Von wem kann sie achtungsvolles Entgegenkommen verlangen oder erwarten, wenn der Bruder unter seinen Kameraden ihrer in unvorteilhafter Weise Erwähnung tut, oder von diesen irgendwelche Verletzung ihrer Würde duldet?

Brüderliche Neckereien sind gefürchtet, sie sind zumeist unzart und endlos. Darum bedenke, daß deine Schwester ihre Freundinnen geehrt, ihre Liebhabereien geschont, ihre kleinen Geheimnisse unangetastet wissen will. Unterlasse alles Spötteln, Necken, Bloßstellen, alles Kränken durch Härte und Hochmut, alles Verletzen und Gefährden ihres feinen Empfindens.

Vergiß niemals, daß an der Schwester Opferwilligkeit und Entsagungsgröße gar oft das Weltglück des Bruders hängt!

e) Des Sohnes Verhalten gegen jüngere Geschwister.

Jüngere Geschwister blicken mit Ehrfurcht zu dem großen Bruder empor, dessen Macht und Wissen, trotz aller Lückenhaftigkeit, ihnen noch unbegrenzt erscheint. Laß nie Furcht allein daraus werden durch hartes, schnöd abweisendes, rauhes Wesen.

Der große Bruder sei der Vertraute, das beste Vorbild, der willigste Ratgeber und Helfer der Kleinen. Er darf ihr Vertrauen nicht mißbrauchen, ihre kindliche Unschuld nicht gefährden, ihre Liebe und Dankbarkeit nicht schroff zurückweisen.

Je inniger das Band zwischen Geschwistern, je herzlicher der Verkehr unter Familiengliedern, desto größer der Schatz holder Erinnerung für die Zukunft. Wer das Elternhaus und die Seinen ehrt, verdient die Achtung aller Wohlgesinnten.

f) Die äußere Haltung des Sohnes.

Die Kleidung sei einfach aber geschmackvoll; ein Modegeck kann nur Gleichgesinnten oder gedankenlosen Toren gefallen.

Sauberkeit in Anzug und Wäsche, reine Hände und Fingernägel, gutgehaltene Zähne, wohlgepflegtes, einfach getragenes Haar, gerade, freie, ungezwungene Haltung, offener Blick, gewählte, nicht gezierte Rede, das ist der wahre Schmuck des heranwachsenden Sohnes.

Jede Nachlässigkeit in Anzug und Manieren werde peinlichst vermieden. Schmutzige Stiefel sind gut zu säubern oder vor Betreten des Zimmers mit reinen zu vertauschen; alle Polstermöbel sind zu schonen, desgleichen Tischplatten, Dielen und Teppiche; Zigarrenasche und glimmende Zigarrenstummel sind denselben gefährlich, sie gehören nur in die dafür bestimmten Schalen.

g) Des Sohnes Verhalten in Gesellschaft.

Die jugendliche Heiterkeit, wie sie im Freundeskreise zum Ausdruck kommt, kann selbstredend in Gesellschaft keine Stätte finden.

Der gute Ton verlangt ein gewandtes, doch nicht freies, vorlautes Benehmen; Bescheidenheit ohne linkische Schüchternheit, Aufmerksamkeit ohne Aufdringlichkeit.

Der Sohn, der gegen Vater, Mutter und Schwestern die Regeln des guten Tones beobachtet, wird sie auch in der Gesellschaft mit Sicherheit handhaben.

Somit hat derselbe älteren Herren zuvorkommend und ehrerbietig zu begegnen, ihnen alle Gefälligkeiten und Handreichungen zu erweisen, die der Vater fordern darf; er hält sein vermeintes oder wirkliches Besserwissen im Zaume, unterdrückt Widerspruch und Dreinrede.

Junge und ältere Damen haben alle Rücksichten und kleinen Dienstleistungen von dem heranwachsenden Sohn zu erwarten, die schon in den Abschnitten 13, 14, 15 als Höflichkeitspflichten wiederholt erwähnt wurden, sie dürfen den Vorzugsplatz, den Vortritt, kurz jeden üblichen Ritterdienst beanspruchen.

Der junge Mann hüte sich vor Schmeicheleien, da dies Huldigungsmittel meist seinen Zweck gründlich verfehlt, besonders aber bei klugen, weltgewandten, denkenden Damen. Verbindlich sich zu äußern, ist eine feinere Kunst, die wohl erlernt sein will und nicht verletzt.

Hilfeleistung beim Ein- und Aussteigen, beim Anlegen des Mantels, der Schlittschuhe, bei Schlitten-, Wagen- und Bootfahrten, beim Öffnen der Laden- oder Haustüre usw. darf jede Dame erwarten, dies vergegenwärtige sich der heranwachsende Sohn immer wieder.

Er versäume nie, sich in schicklicher Weise vorstellen zu lassen. Der älteren Dame biete er aus schuldiger Rücksicht den Arm; sie kann dies annehmen oder ablehnen, ohne zu verletzen. Bei jüngeren Damen ist dies besser zu unterlassen, da es zu Mißdeutungen Anlaß geben könnte; bedürfen sie indes des ritterlichen Schutzes, so kann er auch in dieser Weise seinen Ausdruck finden. Zwei Damen zugleich den Arm zu bieten, wäre unschicklich und geschmacklos, zugleich verkörperte es nur das lächerliche Bild eines »Brautführers vom Lande«.

h) Die Tochter des Hauses in ihrer Erscheinung.

Die äußere Erscheinung gilt als Spiegel des Inneren, ganz besonders bei einem jungen Mädchen. Dasselbe sei daher peinlich sorgsam in bezug auf Ordnung, Sauberkeit und Nettigkeit. Es verlasse niemals sein Gemach in unvollständigem Anzuge, denn auch der schlichteste Hausanzug kann vollständig sein; besonders dem Vater und Bruder, Hausgenossen und Dienstboten gegenüber lasse es sich nicht die geringste Nachlässigkeit oder Unvollkommenheit des Anzuges hingehen.

Das Haar sei, wenn auch einfach, so doch stets sorgsam geordnet, keinerlei Verrichtungen, am wenigsten Küchenarbeit werde mit ungeordnetem Haare vorgenommen.

Der Morgenanzug sei einfach und sauber, am besten waschbar, denn die regsame Betätigung der Tochter bei häuslichen Arbeiten darf vorausgesetzt werden.

Der Tagesanzug darf geschmackvoll und zierlich sein, je nach den Mitteln, doch niemals auffallend, anspruchsvoll prunkend oder von geschmackloser Modetorheit diktiert.

Alle einzelnen Toilettebestandteile seien ordentlich an ihrem Platze. Eine herabhängende Schleife, ein loser Knopf sind kein Zierat mehr. Saubere Hals- und Ärmelkrausen, fehlerlose Nähte, reine Schürze und reine Hände mit wohlgepflegten Fingernägeln sind die beste Zierde.

Ist das Haar wohlgeordnet, verrät das Antlitz die Frische gründlichen Kaltwassergebrauches, dazu glänzende Augen und lächelnde Lippen, das Gepräge unversieglich guter Laune, – wahrlich, es bedarf keines stundenlangen Studiums vor dem Spiegel, um solch eine Erscheinung anmutend zu machen!

Das Stübchen des Haustöchterleins, sein eigenes Nestchen muß in bezug auf Sauberkeit, Frische, Ordnung, Geschmack nur das wahre Sein seiner Besitzerin verraten. Dazu Blumen und Sonnenschein, – so anmutig muß dieser Raum wirken, wie seine Bewohnerin, weiß sie in Haltung und Gebaren weibliche Würde und Anmut zu vereinigen.

i) Haustöchterleins Verhalten in der Familie.

Die ganze Art und Weise des Haustöchterleins sei ebenso gewinnend wie das äußere Bild. Höflichkeit und Herzlichkeit geben den melodischen Klang, der allen wohltut und gefällt.

Bei sicherer Haltung sei dasselbe doch immer bescheiden und respektvoll gegen die Eltern, gegen Fremde, gegen Lehrer und Lehrerinnen; sie alle haben Zuvorkommenheit und rücksichtsvolles Betragen zu fordern.

Den Eltern und deren Familienangehörigen begegne das Haustöchterlein aber ganz besonders mit herzlicher Liebe, Verehrung und Dankbarkeit. Ihnen gelte alle zarteste und innigste Rücksicht in Wort und Tat, alle natürliche Dienstleistung als karges Entgelt für so viel zuvor empfangene Liebe und Treue.

Mit den Geschwistern sei die Tochter des Hauses verträglich; es gibt nichts Schöneres als ein niemals gelockertes Band inniger Anhänglichkeit zwischen Brüdern und Schwestern. Gegenseitige Gefälligkeiten sind ein starker Kitt und durchaus keine Einbuße an persönlicher Würde.

Die Tochter des Hauses sei auch höflich gegen Dienstboten und zeitweilig Dienstleistende, wie Nähterinnen, Haarkünstlerinnen usw., doch begebe sie sich nicht ihrer Würde durch unpassende Vertraulichkeit. Am wenigsten teile sie denselben Familienangelegenheiten mit oder Intimes aus anderen Familien, enthalte sich auch alles Ausfragens über anderer Leute Verhältnisse und Gepflogenheiten; es wäre dies ein persönliches Armutszeugnis und könnte außerdem peinlichste Folgen haben, denn Verschwiegenheit ist den meisten Menschen leider eine ungewohnte Tugend.

Freundinnen zu besitzen und als Freundin begehrt zu sein, ist ehrend für ein junges Mädchen; doch braucht dasselbe nicht einen ganzen Kreis »vertrauter Herzensfreundinnen« um sich zu sammeln, man kann viele liebe Genossinnen haben, aber nur eine einzige Freundin, der man voll vertraut. Nicht das erstbeste, äußerlich vielleicht bestechende Mädchen verdient diesen Vorzug.

Was in der Familie vorgeht, geplant oder gesprochen wird, sei in deinem Herzen begraben. Wozu die Neugier damit füttern? Dein Heim ist deine Burg. Wahre den Burgfrieden und die Burgehre!

Zeit ist Geld, heutzutage, wo fremde Hilfe so schwer zu beschaffen, auch im Haushalte. Der Tochter des Hauses steht es darum wohl an, allenthalben mitanzugreifen; sie habe am besten ein festes Tagesprogramm, das keine Lücke aufweist.

In der Regel sind die Morgenstunden den gröberen häuslichen Verrichtungen vorbehalten, der Vormittag der Küchenarbeit, die sich bis zum Mittagsmahl ausdehnt. Ist dies letztere nicht notwendig, so werden praktische Handarbeiten wie Ausbessern, Schneidern, Plätten usw. in diesen Vormittagsstunden vorgenommen, während der Besuchszeit indes nur eine Handarbeit, die beibehalten werden kann, wenn die Haustochter nur mitanwesend ist; vertritt sie jedoch die Hausfrau oder wird mit ins Gespräch gezogen, so hat sie dieselbe wegzulegen.

So angenehm es ist, eine liebe Handarbeit zu fördern, so ist es für ein junges Mädchen doch nicht angängig, in öffentlichen Anlagen oder im Konzertsaal daran zu arbeiten.

Das freundliche Lächeln in dem frischen jungen Antlitz sei nicht angelernt, sondern Natur; die Sprache gewählt, doch nicht geziert. Gemeine Ausdrücke, derbe Witzworte, abgeschmackte Sprachgewohnheiten oder Verzerrungen sind am widerlichsten auf den Lippen eines jungen Mädchens.

Suche dein Glück, deine Erholung daheim, so werden auch gelegentliche kleine Freuden und Vergünstigungen dir wie erlesene Genüsse erscheinen.

k) Die Tochter des Hauses in Gesellschaft.

Schon das Backfischchen kann sich der Mutter beim Empfang der Gäste hilfreich erweisen. Es tritt denselben zuerst entgegen, nimmt ihnen die Überkleider ab, bietet ihnen Stuhl und Fußbank an, kurz, es stellt sich ihnen völlig zur Verfügung, auch, jedoch durchaus unaufdringlich, mit seinen geselligen Talenten.

Selbstredend ist die Mutter möglichst zu entlasten, damit sie sich um so ungestörter ihren Gästen widmen kann. Dies geschieht, indem sich das Haustöchterlein um die Bewirtung annimmt, anwesende Kinder versorgt und unterhält, den Tee und das Gebäck herumreicht, die Spieltische ordnet, Aufträge der Mutter ausführt oder bestellt, die Dienstboten beaufsichtigt.

Aufmerksam zuhören, ist oft besser als selbst reden; die Unterhaltung beherrsche man nicht allein, doch belebe man sie nach Kräften. Die junge Welt erheitere man durch Spiele; werden musikalische Darbietungen in Vorschlag gebracht, und mögen die anderen nicht den Anfang machen, so ziere man sich nicht unnötig; der einfachste, kunstloseste Vortrag kann, bereitwillig dargebracht, befreiend wirken und die Stimmung ungemein erhöhen.

Beim Abschied hat das Haustöchterlein die Gäste freundlich zur Türe hinauszugeleiten und sich gleichermaßen liebenswürdig von allen zu verabschieden, nachdem es wiederum beim Anlegen der Überkleider behilflich gewesen.

l) Das junge Mädchen im Verkehr mit Herren.

Kaum irgend ein anderer Verkehr erfordert so viel Takt und Vorsicht wie gerade dieser, die Grenzlinie ist sehr scharf gezogen.

Jede junge Dame hat Anspruch auf gewisse Ritterdienste; sie rechne jedoch nie damit, denn betonte Rechte sind am allermeisten gefährdet. Im Notfalle darf sie dieselben verlangen.

Ihr Benehmen sei weder gesucht ablehnend noch irgendwie entgegenkommend oder gar herausfordernd; weibliche Würde und gehaltene Freundlichkeit, das ist das Rechte.

Alte Herren, Geistliche, frühere Lehrer darf die junge Dame zuerst grüßen, es wird ihr wohlanstehen. Nach dem Befinden eines Herrn erkundigt sie sich nicht.

Alle Zeichen der Vertraulichkeit in Blick, Wort oder Gebärde sind zu vermeiden oder ernst zurückzuweisen. Die reine Frauenwürde darf niemals verletzt werden.

Oftmals ist Schweigen eine wirksamere Waffe als rügende Worte. Eine verletzende Rede kann durch kaltes Schweigen deutlich zurückgewiesen werden; das ernste Abwenden, die abweisende Miene wird eine Wiederholung gewiß vereiteln.

Schmeicheleien sind als nichtiger Flitterkram aufzufassen. Am besten werden sie überhört oder scherzend zurückgewiesen; welche geistvolle Dame möchte sie an sich herankommen lassen?

Die Anrede eines Unbekannten ist eine Beleidigung und verdient keine Antwort.

Genau bekannte Herren darf das junge Mädchen gegebenen Falles zur Begleitung annehmen.

Nur mit zuvor vorgestellten Herren darf es tanzen oder ihren Arm annehmen, doch darf nicht der eine Herr angenommen, der andere hingegen abgewiesen werden. Auszeichnungen einzelner verbieten sich überhaupt.

Verstehe zu hören, auch zu reden, beides zu seiner Zeit.

Klar und wahr, rein und sittig sei deine Rede, dein ganzes Tun und Lassen. Aufmerksamkeiten, Blumenspenden, kleinen Geschenken von fremder, wenn auch heimlich zu erratender Hand, versage den Eintritt in dein Reich; gestatte dir vor deinem Gewissen nicht, was dich vor dem prüfenden Mutterauge erröten machen müßte!

m) Allgemeines über das Verhalten von Sohn und Tochter.

Das Blümlein Erdenglück ersetzt niemals das Glück im Elternhause. Darum vergiß nie, was du diesem schuldest, mögen auch Reichtum und Erfolg deine Wege umkränzen.

Vater und Mutter haben dir ihr Bestes geopfert, verweigere ihnen nie die schuldige Achtung. Wie du ihnen begegnest, werden deine Kinder dir selbst dereinst begegnen.

Die Anrede unter Geschwistern sei: Lieber Bruder, liebe Schwester, noch besser mit dem betreffenden Vornamen, niemals das formlose »du«, das leider so oft zu hören ist; der Ton sei nicht herrisch, sondern liebevoll.

Der Bruder bewähre an der Schwester seine Ritterlichkeit auf dem Balle wie auf der Straße; er vergesse oder versäume sie nicht um ihrer Freundinnen willen.

Besser als klassische Schönheit ohne Geist oder Lieblichkeit ist die Anmut, die ihre Reize aus dem Zauberborn eines reinen Herzens schöpft; sie ist es, die ewige Jugend und Anziehungskraft verleiht.

Ein anstößiges Buch finde nie eine Statt im Mädchenzimmer, selbst nicht unter fremdsprachlichem Gewande.

Güte und Liebe, Fleiß und Einfachheit, Zuvorkommenheit, Mitleid und Barmherzigkeit sind köstliches Geschmeide für ein junges Mädchen; wer solche Zier nicht zu schätzen weiß, hat wahre Werte niemals gekannt.

Verschwiegenheit sowohl für eigene wie auch für fremde Geheimnisse ist unerläßlich.

Das Erkennen der eigenen Schwächen und Fehler, sowie das neidlose Anerkennen der Vorzüge anderer mag dieser Tugend ebenbürtig sein.


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