Artur Landsberger
Bankhaus Reichenbach
Artur Landsberger

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4.

Als Tante Amalie dem jungen Morener – wie sie es nannte – auf die Beine half, stand sie nicht etwa im Komplott mit Hedda. Ja, nicht einmal ihr stilles Einverständnis setzte sie voraus. Sie wußte im Gegenteil, daß es ihrer Nichte mit der Abwehr ernst war. Aber sie kannte auch deren Temperament. Das hatte Hedda von ihrer Mutter geerbt, die Tante Amalies Schwester gewesen war. Von dieser Schwester her wußte Tante Amalie, daß die Natur sich nicht zurückdrängen ließ. Die Mutter hatte es versucht. Aber sie war bei diesem Versuch, den die Tochter nun wiederholte, gescheitert. Die letzten Jahre ihres Lebens hatte sie in einem Sanatorium verbracht. In der krankhaften Vorstellung, eine Heilige zu sein. Ans diesem traurigen Erlebnis leitete Tante Amalie, die eine ebenso gute wie kluge Frau war, ab, daß es dem geistigen und körperlichen Wohlbefinden einer leidenschaftlichen jungen Frau zuträglicher sei, eine Heilige zu scheinen, als zu sein. Als sie von der Verlobung ihrer jungen Nichte mit dem um dreißig Jahre älteren Millionär Heinrich Morener erfuhr, war ihr erster Gedanke: ein Ersatzmann! Diesen obszönen Gedanken sprach sie nicht etwa aus, wehrte ihn, als sie sich dabei ertappte, wie etwas Fremdes, das sich ihr aufdrängte, ab und sagte: ich weiß allein, was ich dem Andenken meiner Schwester schuldig bin.

Als sie dann in ihrer übertriebenen Angst schon nach einem halben Jahre bei ihrer Nichte ähnliche nervöse Erscheinungen wahrzunehmen glaubte, wie zwanzig Jahre zuvor bei ihrer Schwester, sagte sie zu Hedda:

»Gegen deine Krankheit gibt es nur ein Rezept! Du tust also kein Unrecht, sondern hältst dich für deinen Mann gesund. Mehr kann ich dir nicht sagen. Alles andere überlasse ich deinem Takt.«

Aber Frau Hedda hatte energisch abgewehrt:

»Wäre ich die Frau des Reichsgrafen Wahl-Reuth, würdest du mir derart liebevolle Ratschläge nicht geben. Einen Heinrich Morener aber meinst du, kann man betrügen – damit vergibt man sich nichts.«

»Ich würde dir vermutlich auch dann dazu raten – obschon es natürlich ein Unterschied ist.«

»Für mich nicht. Ich würde in diesem wie in jenem Falle die Achtung vor mir selbst verlieren. – Weniger aus Moral, als weil ich mich meinem Manne gegenüber verstellen müßte. Das ist es, was ich nicht ertrüge – daß ich aufhören würde, ein freier Mensch zu sein. Wer lügt, ist unfrei.«

»Aber deine Gesundheit!«

»Die ist bei meinem Manne in besten Händen. Wenn sie sich verschlechtern würde, wäre er der erste, der es bemerkt.«

»Was wäre damit geändert? Glaubst du etwa, er würde . . .«

»Liebe Tante Amalie!« fiel ihr Hedda ins Wort. »Du weißt, ich habe immer viel auf deine Ansicht gegeben und in den meisten Fällen auch deinen Rat befolgt. Aber es gibt Dinge, die eine anständige Frau nur mit sich selber abmachen kann – und dazu gehört dies Thema, das wir hoffentlich heute zum letzten Male behandelt haben.«

»Du bekommst es fertig und sprichst, statt mit deiner Tante, mit deinem Mann darüber.«

»Wenn überhaupt mit jemanden, dann nur mit ihm.«

»Deine Ansichten sind ganz unzeitgemäß.«

»Seit wann verficht eine Gräfin Wahl-Reuth die Ansichten eines republikanischen Zeitalters?«

»Wenn man daraus profitieren kann, warum nicht? Etwas Gutes steckt in jeder Verfassung.«

Damals hatte Tante Amalie ihrer Nichte versprechen müssen, nie wieder von diesen Dingen zu reden – es sei denn, daß sie selbst davon anfing. Seitdem waren anderthalb Jahre vergangen, in denen sie sich fast jede Woche gesehen hatten. Wo immer sie sich begegneten, hatte die Tante ihr Gelegenheit gegeben, sich auszusprechen. Aber Hedda, die sehr viel klüger als ihre Tante war, fühlte das ganz genau und sagte mehr als einmal, wenn sie sich trennten:

»Es tut mir ja leid, daß ich dir den Gefallen nicht tun kann, Tantchen, aber es ist noch immer nicht so weit.«

Als aber Hedda am Tage nach Heinrich Moreners Nervenzusammenbruch während der Aussprache mit Karl schluchzend aus dem Zimmer stürzte, wußte Tante Amalie, daß es nun so weit war. Sie vermied es daher von nun an, irgend etwas zu sagen, was auch nur entfernt darauf hindeuten konnte, obgleich sie sich hätte sagen müssen, daß sie sich gerade dadurch verriet. Denn sie zeigte damit, daß sie im Bilde war. Der offenen Natur Heddas war das unerträglich. Eines Tages sagte sie zu ihrer Tante unvermittelt:

»Ich habe das Gefühl, wenn man seinen Mann betrügt, setzt man sich und seinen Mann herab.«

Die Tante, die anderthalb Jahre lang vergebens auf ein solches Stichwort gewartet und sich die schönsten Reden zurecht gelegt hatte, war jetzt um eine Antwort verlegen. Erst als Hedda sie fragte:

»Findest du nicht?«

erwiderte sie:

»Weder – noch. – Und ein Betrug wäre es in deinem Falle schon gar nicht.«

»Du glaubst, man kann seinen Mann trotzdem lieb haben?«

»Lieber als den Mann, mit dem man ihn betrügt.«

Da fiel Hedda ihrer Tante um den Hals und sagte:

»Das mußt du mir noch einmal sagen!«

Und als die Gräfin es wiederholt hatte, war sie nachdenklich und sagte:

»Vielleicht, Tante, braucht man den andern Mann überhaupt nicht lieb zu haben.«

»Auch das gibt es, Kind. – Aber warum nimmst du das alles so schwer? Was du tust, kannst du verantworten.«

»Was man verantworten kann, kann man auch eingestehen. Nimm also an, mein Mann stände jetzt da – was würdest du mir raten: zu schweigen oder zu gestehen?«

»Zu schweigen natürlich – schon aus Rücksicht auf ihn.«

»Und wenn er mich fragt – was tue ich dann?«

»Er wird dich nicht fragen.«

»Siehst du, du weichst mir aus. – Aber ich werde aus jedem Blick und aus jeder Bewegung seine Frage herausfühlen und seine Schonung als eine Beleidigung empfinden. Ich werde ihn zwingen, mich zu fragen – und ihm dann die Wahrheit sagen.«

»Warum willst du das tun?«

»Damit ich mich dann frei fühle und ihn wieder anschauen kann.«

»Aber er wird dich vielleicht dann nicht mehr anschauen wollen.«

»Aus Furcht also soll ich schweigen und lügen?«

»Ich bin genau so eine gute Katholikin wie du. Aber ohne Lüge kann weder ein Staat bestehen noch eine Ehe.«

»Ein Staat nicht, aber eine Ehe schon.«

»Durch deinen Fanatismus, der in erster Linie gar nicht die Sucht nach Wahrheit, sondern ein übertriebenes Selbstbewußtsein ist, komplizierst du dir das Leben und beschwörst aus kleinen Anlässen Konflikte herauf, die dir schließlich über den Kopf wachsen.«

»Ich bin nur konsequent – genau wie du! Aber nicht nur im Denken, sondern auch im Handeln.«

»Du würdest eher einen Menschen als deinen Stolz opfern.«

»Vielleicht.«

»Ein Mensch wie du darf eben keinen Schritt vom Wege abgehen.«

»Jetzt hast du's getroffen!« rief Hedda erregt. »Du sprichst aus, was ist. Und weil ich das weiß und mich kenne, darum meine Vorsicht, meine Furcht, meine Abwehr!«

»Dann mußt du dich eben beherrschen.«

»Dein Rat kommt zu spät.«

»Tu es von nun ab!«

»Das würde Geschehenes nicht ungeschehen machen.«

»Dann kann ich dir nur wünschen, daß die Ärzte mit ihrer Diagnose unheilbar recht behalten.«

»Wie kannst du so unmenschlich sein! Von nun an werde ich täglich für seine Genesung beten.«

»Rufe mich, wenn du mich brauchst, mein Kind! Ich werde immer für dich da sein!«


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