Artur Landsberger
Bankhaus Reichenbach
Artur Landsberger

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29.

Frau Hedda fuhr an diesem Abend nicht auf ihr Gut zurück, sondern blieb bei Frau Reichenbach. Die Ereignisse hatten zwei Frauen, die sich seit Jahren kannten, sich aber fremd, wenn nicht gar unsympathisch geblieben waren, innerhalb weniger Stunden zu Freundinnen gemacht. Sie fuhren von Schnitters Wohnung aus, nachdem sie dessen Tochter beruhigt hatten, zum Anwalt und drangen darauf, daß nicht nur der Staatsanwalt noch in derselben Nacht von der Festnahme Schnitters und dem Fund der Devisen Nachricht erhielt, sondern daß auch die Zeitungen in ihrer Morgenausgabe an sichtbarer Stelle von der neuen Wendung im Prozeß Reichenbach berichteten. Der Anwalt war nach den Erfahrungen, die er in dieser Affäre gemacht hatte, gegen jede Überstürzung. Den Staatsanwalt in seiner Privatwohnung anzurufen lehnte er den Damen, so großen Wert er darauf legte, sie als Klienten zu haben, rundweg ab. Aber Frau Hedda beschied sich damit nicht. Sie meinte:

»Wenn der Staatsanwalt unaufgefordert und unangemeldet zu mir kommt, so ist das ein gröberer Verstoß gegen den gesellschaftlichen Takt, als wenn ich ihn um zehn Uhr abends in seiner Wohnung anrufe.«

»Er ist verheiratet,« sagte der Anwalt.

»Dann werde ich seine Frau ans Telephon bitten – um jeden Verdacht von ihm abzuwenden.«

Sie hatte im selben Augenblick auch schon die Verbindung, nannte der Gattin des Staatsanwalts ihren vollen Namen, entschuldigte sich und erhielt in liebenswürdigster Form zur Antwort:

»Ich würde an Ihrer Stelle genau so handeln.«

Es stellte sich heraus, daß die Frau Staatsanwalt über den Fall unterrichtet war, der, wie sie versicherte, weitaus das Interessanteste in ihrer dreijährigen Ehe war.

Sie gab den Hörer ihrem Mann, der neben ihr stand und lächelnd das Gespräch mitangehört hatte.

Frau Hedda erzählte ihm das Erlebnis mit Schnitter, und er erwiderte – und sagte damit die Wahrheit.

»Alles das ist mir bereits bekannt.«

»Wie ist das möglich?« fragte Frau Hedda erstaunt.

»Ich habe es unmittelbar vorher erfahren. – Dieser Geldmann Schnitter ist mir nicht unbekannt. – Ich wußte auch, daß sein Sohn zweiter Sekretär bei Herrn Reichenbach ist.«

»Das wußten Sie?«

»Er wird bereits seit längerem beobachtet. Ich hätte die Beobachtung gern noch kurze Zeit fortgeführt – aber die Damen sind mir zuvorgekommen.«

»Sind Sie uns denn nicht dankbar?« fragte Frau Hedda.

»Ich nehme Ihre Hilfe gern an. Ich sagte Ihnen das ja heute nachmittag schon. Aber wir dürfen uns nicht gegenseitig ins Handwerk pfuschen.«

»Ja, zweifeln Sie denn noch immer – auch jetzt noch, wo man diesen Mann verhaftet und die Devisen bei ihm gefunden hat, an der Unschuld von Heinz Reichenbach und Karl Morener?«

»Ich gebe die Möglichkeit zu – sogar die Wahrscheinlichkeit. Aber aus der Tatsache, daß man die Devisen bei diesem Schnitter fand, geht noch nicht hervor – jedenfalls nicht mit Bestimmtheit –, daß er der Täter ist.«

»Na, hören Sie mal!«

»Der Mann macht auf mich viel eher den Eindruck eines Hehlers.«

»Er sagte so etwas wie, daß er nicht direkt beteiligt sei – darin liegt doch ein Zugeständnis.«

»Dies nicht direkt gäbe mir recht,« erwiderte der Staatsanwalt. »Aber ich will in Ihrem Interesse hoffen, daß ich mich irre.«

Frau Hedda glitt der Hörer aus der Hand. Sie hörte nicht mehr, wie sich der Staatsanwalt in höflicher Form von ihr verabschiedete, sie glitt auf einen Sessel, ergriff die Hand Frau Reichenbachs, die neben ihr stand, und sagte verzweifelt:

»Noch immer nicht am Ziel.«

»Wie ist das möglich? Wo doch alles klar und bewiesen ist!«

»Wir wollen es hoffen,« erwiderte Frau Hedda. »Das Wichtigste ist, daß Sie zunächst morgen Ihr Kind wiederhaben.«

»Sie sollten jetzt nicht von uns fortgehen. Mir ist, als wenn wir damit alle unsern Schutz verlieren.«

Sonderbar, dachte Frau Hedda und mußte an die Schutzgöttin Kuanyin, zu Häupten ihres Bettes, denken. – Und zum erstenmal in ihrem Leben ertappte sie sich dabei, daß sie an Bestimmung glaubte. Sie dachte an ihre erste Begegnung mit Reichenbach – wie vieles hatte sich davon erfüllt. War es ein Zufall, daß er sich von dem weitaus schönsten Stück seiner Sammlung, der Kuanyin, getrennt und sie ihr, die nicht einmal viel von diesen Dingen verstand, überlassen hatte? Von diesem Augenblick an aber war ihr Schicksal mit dem anderer Menschen verknüpft. Sie fühlte sich verantwortlich für das, was andere taten und hielt sich für verpflichtet, ihnen zu helfen.

»Ihr Neffe hat mir einmal klarzumachen versucht,« sagte Frau Hedda, »wieviel richtiger es oft im Leben ist, den Verstand auszuschalten und nach dem Gefühl zu handeln. So zwecklos diese Reise mir erscheint und obgleich die Ärzte nicht wünschen, daß mein Mann mich sieht – mir ist so, als wenn ich zu ihm müßte.«

»Vergessen Sie nicht, daß Sie zu einem Schwerkranken fahren, der Ihnen nicht helfen kann, der Sie nur noch mehr belasten wird.«

»Die Vernunft versagt in diesem Falle – das haben wir ja doch alle erlebt. Vielleicht, daß ein Einfältiger einen Ausweg sieht.«

»Der Gedanke zeigt mir, daß auch Sie, liebe Frau Hedda – am Ende Ihrer Kräfte sind.«

»Nicht das allein ist es. Aber ich schleppe eine Last mit mir herum, von der ich mich endlich befreien muß, um wieder ein freier Mensch zu werden. Das aber kann nur bei ihm geschehen.«

»Dann müssen Sie fahren. Und wie lange werden Sie bleiben?«

»Das hängt nicht von mir ab. Die Ärzte schreiben, daß er jetzt täglich Stunden hat, in denen er völlig klar ist.«

»Und solche Stunden brauchen Sie? – Wie schrecklich ist das!« –

Am Morgen des nächsten Tages fuhr Frau Hedda nach Luzern. Als sie in Schönegg ankam, empfingen sie die Ärzte und sagten:

»Die Berichte, die wir Ihnen über das Befinden Ihres Gatten sandten, waren etwas gefärbt. Ihr Arzt schrieb uns, daß Sie in Berlin vieles durchzumachen hätten, was Sie arg mitnähme – wir sollten in unseren Briefen darauf Rücksicht nehmen. – Das haben wir dann auch getan.«

»Es geht meinem Manne schlecht?« fragte Frau Hedda.

»Es wechselt. Er hat Tage, an denen er völlig vernünftig ist. Stundenlang nur von Ihnen, seiner Bank und seiner Rückkehr spricht – und plötzlich ist die krankhafte Vorstellung wieder da. – Wir müssen es leider bekennen, daß wir wenig Hoffnung haben – gesund, was wir Ärzte gesund nennen, wird er wohl nie mehr werden.«

»Ja, wie erklären Sie das?«

»Die Veranlagung war wohl schon immer in ihm. Bei einem ruhigen Leben hätte die Krankheit nie zum Ausbruch zu kommen brauchen. Bei dem Leben aber, das er führte, und das die Nerven selbst eines völlig gesunden Menschen zermürbt hätte, war der Nährboden für die Krankheit natürlich besonders stark. Die Sucht zur Exaltation selbst bei gleichgültigen Dingen artete im Augenblick, wo er glaubte, das Wesentliche seines Ehrgeizes erkannt zu haben, in eine fixe Idee aus. In dem Wunsch, seine Vergangenheit auszulöschen und den Moreners mit dem äußeren Glanz der Reichenbachs auch den inneren, die Achtung und die Tradition, zu erringen – in diesem unerfüllbaren Wunsch sah er schließlich die Aufgabe seines Lebens. – Daran muß er nun zugrunde gehen.«

»Sie meinen, wenn er niemals mit den Reichenbachs in Berührung gekommen wäre, daß die Krankheit dann nie hätte zum Ausbruch zu kommen brauchen?«

»Nein, das glaube ich bei seiner Veranlagung nicht! Dann wäre der Anlaß ein anderer gewesen. Dafür aber, daß Anlässe vorhanden waren, hätte seine aktive Natur immer gesorgt.«

»Darf ich zu ihm?«

Der leitende Arzt wechselte einen Blick mit seinem Assistenten und sagte dann:

»Da ich mir weder eine Besserung noch Verschlechterung seines Zustandes davon verspreche, so habe ich keine Bedenken, es Ihnen zu gestatten.«

Sie gingen über die Terrasse, auf der Leichtkranke und Ruhebedürftige lagen, und fuhren mit dem Fahrstuhl eine Treppe hinauf. Dann bogen sie in einen Seitenflügel, der durch eine schwere Eichentür von der übrigen Anstalt getrennt war. Der Assistent läutete. Man hörte, wie jemand mit Schlüsseln den Flur entlang kam.

»Sie haben ihn in der geschlossenen Abteilung?« fragte Frau Hedda erstaunt.

»Nur aus Vorsicht. Er ist ganz ungefährlich. Aber er versucht es immer wieder, hinauszukommen. Weniger des Personals wegen, auf das im allgemeinen Verlaß ist, als im Hinblick auf die viele fremde Bedienung, die unsere Patienten mit sich führen, und die Geschenken und Versprechungen leichter zugänglich ist als unser Personal, haben wir diese Vorsicht für angebracht gehalten.«

»Wo Sie doch selber sagten, er sei ungefährlich.«

»Und wenn ich Ihnen eines Tages hätte drahten müssen: Ihr Gatte verschwunden. Aufenthalt unbekannt – wie hätten Sie das aufgenommen?«

»Sie haben recht. – Kommen Sie!«

Ein Wärter hatte die schwere Eichentür längst geöffnet. Sie gingen den Flur hinunter und standen jetzt vor einer Tür, die die Nummern 11 und 12 trug.

»Hier ist es,« sagte der Assistent. »Aber ich will doch lieber erst mal hineingehen und sehen, in welcher Verfassung er ist.«

Frau Hedda ließ keinen Blick von der Tür, durch die der Assistent gegangen war. Sie hörte kaum, was der leitende Arzt sie fragte, um ihr über die peinlichen Augenblicke hinwegzuhelfen. Er fragte sie, ob sie eine gute Reise gehabt habe, sprach von dem großen Fremdenverkehr am Vierwaldstättersee, von dem Strand in Weggis und dem Panorama vom Stanserhorn, das weit schöner als vom Pilatus oder Rigi aus sei.

Der Assistent erschien wieder und sagte:

»Ihr Gatte spielt mit der Schwester gerade Halma. Er war böse, daß ich ihn störte.«

»Was sagte er?« fragte Frau Hedda.

»Er meinte: ›Ewig diese Ärzte! da kann man ja nicht gesund werden.‹«

Für einen Gesunden wäre das eine ganz gescheite Antwort, dachte Hedda. Da sie höflich war, unterdrückte sie es und sagte:

»Meinen Sie, man läßt ihn die Partie erst zu Ende spielen?«

»Unmöglich! Es gibt Tage, an denen er zwölf Partien hintereinander spielt. Am nächsten Tage weiß er nichts mehr davon und erklärt, wenn die Schwester ihn fragt, ob er spielen will, er sei kein Idiot. Nur Idioten könnten mit einem so dummen Spiel die Zeit verbringen.«

»Das sind Launen,« sagte Frau Hedda. »Die hatte er früher auch.«

Die Arzte tauschten verständnisvolle Blicke.

»Gehen Sie ruhig hinein!« sagte der leitende Arzt. »Mein Assistent und ich werden draußen bleiben. Wenn Sie uns brauchen sollten, so läuten Sie bitte.«

Frau Hedda ging hinein. Es war eine Art kleinen Flurs, der zwischen den beiden Türen lag. – Sie klopfte und fühlte, wie ihr Herz schlug. Da keine Antwort kam, so klopfte sie ein zweites Mal. Gleich darauf hörte sie die Stimme ihres Mannes:

»Herein! wenn es kein Arzt ist!«

Frau Hedda öffnete die Tür, blieb stehen und sagte:

»Heinrich! Ich bin's!«

»Ach du!« erwiderte er, als wenn er sie vor einer Stunde zum letzten Male gesehen hätte. »Gut, daß du kommst, ich muß dir etwas erzählen. Aber erst laß uns die Partie zu Ende spielen.«

Frau Hedda überlief es eiskalt. – Heinrich Morener sah gesund und gepflegt aus. Das Gesicht war von der Sonne gebräunt. Er trug einen bastseidenen Anzug und ein seidenes Hemd, das dazu paßte. Er machte einen weit ruhigeren Eindruck als früher.

»Setz dich!« sagte er, ohne von dem Spiel aufzuschauen. »Wir sind gleich fertig. – Wer glaubst du, daß gewinnt – aber du darfst dir nicht die Steine ansehen.«

»Du,« erwiderte Frau Hedda – nur um etwas zu sagen.

»Aha!« rief er triumphierend der Schwester zu. »Meine Frau kennt mich – versteht mich – da!« Er hob einen Stein und ließ ihn über das ganze Brett hüpfen. Dabei zählte er: »Eins – zwei – drei – vier Steine nehme ich Ihnen fort!«

»Aber Herr Morener!« widersprach die Schwester.

»Mund gehalten!« befahl er und nahm vier rote Steine auf, die ihr gehörten. »Sie haben doch gehört, was meine Frau sagt: ich gewinne! – Sie haben ja noch immer den braunen Fleck auf der Hand!«

»Es ist ein Leberfleck – der läßt sich nicht wegbringen.«

Heinrich Morener wandte sich zu seiner Frau und sagte:

»Gut, daß du das einmal hörst! Leber sagt sie und zeigt mir die Hand. Verstehst du? So betrügt man mich. Sieh dir den Fleck einmal an!« – Frau Hedda trat zögernd heran. – »Es ist eine Sommersprosse – aber im Leben kein Leberfleck. Was meinst du?«

»Ich glaube, daß du recht hast.«

»Aha, Schwester! Haben Sie gehört, was meine Frau sagt?« rief er freudig. Aber plötzlich wurde sein Gesichtsausdruck ganz ernst. Irgend etwas schien ihm in den Sinn zu kommen. Er wandte den Kopf zu Frau Hedda, sah sie starr an und fragte wie abwesend: »Wie . . . seit wann . . . bist du hier?«

»Seit heute, Heinrich. Ich bin heut früh gekommen.«

Er sah sie noch immer ganz betroffen an.

»Wo . . . warst du denn . . . so lange?«

»Zu Haus – Heinrich.«

Morener nickte und sagte:

»Ja – gewiß!« – Er hob den Arm. »Ich wäre auch schon längst gekommen. Du hast gewiß auf mich gewartet.«

»Wir hoffen ja, daß du nun bald zurückkommst.«

»Ja . . . manchmal, weißt du, da glaube ich es auch. – Da seh ich dann so alles vor mir und frage mich, was tust du eigentlich hier? Mau braucht dich ja zu Haus – du bist so lange fort. – Aber dann ist mir wieder, wie eben, als du kamst, als wenn das alles gar nicht mehr in diesem Leben wäre – so weit fort ist alles« – er machte eine Bewegung mit der Hand – »als ob man es erzählt bekäme . . . von einem andern . . . und man erinnert sich.« – Er stand auf, trat schlürfend an Frau Hedda heran und befühlte sie. »So ist es gut – faß auch du mich an, damit wir genau wissen, daß es so ist.« Frau Hedda legte die Arme um ihren Mann. – Er trat zurück und sagte: »So nicht. Du mußt deine Hände in meine Hände legen.« – Sie tat es. Sie hielten sich an den Händen fest. »Siehst du, jetzt weiß ich es – laß mich nicht los – solange du mich so hältst, weiß ich es – es geht schon, wenn man will. So stark muß man schon sein. – Komm! wir wollen uns setzen – und Sie, Schwester, gehen hinaus – es ist meine Frau, die kommt, mich zu besuchen – Frau Hedda Morener – und dies, Hedda, ist die Schwester Angelica – sie hat eine Engelsgeduld mit mir – geh Schwester – wir wollen allein sein – wir.« Die Schwester wußte nicht recht, was sie tun sollte – schließlich ging sie hinaus, als sie die beiden Hand in Hand auf der Chaiselongue sitzen sah. – Er führte sein Gesicht dicht an ihres und sah sie an. Dann beugte er sich zu ihr und küßte sie auf die Stirn. »Solche Augenblicke,« sagte er und lächelte – wie er früher nie gelächelt hatte. Auch Frau Hedda zwang sich ein Lächeln ab, und er sagte:

»Wie du froh bist, Hedda! wenn wir uns nicht soviel zu sagen hätten – ich würde am liebsten so sitzen – aber es geht nicht – weißt du, mit dem Willen, das ist so eine Sache – anfangs, da habe ich versucht, durch Zahlen das Gedächtnis zu zwingen – ich habe Willenskraft – wie eben jetzt, als du kamst, das sagte ich mir: es muß! – Na und nun geht es ja auch. Sag, wie findest du mich?«

»Besser, Heinrich.«

»Besser? – warst du denn schon einmal hier?« – Er senkte den Kopf und zwang sich, zu denken.

»Besser als ich dachte,« sagte Frau Hedda.

»Du mußt mir nun alles erzählen. Das wird helfen. – Weißt du, dann klammere ich mich an das, was du sagst – und dann kehrt – alles wieder zurück.«

»Als du noch zu Haus warst, Heinrich, und des Nachts immer erzähltest.«

»Was habe ich erzählt?«

»Daß du dir aus dem Schloß nichts machst und der Bank und aus diesem vielen Gelde – und daß du nur eine Sehnsucht hast und nur einen Ehrgeiz . . .«

»Ich weiß . . . ich weiß.«

»Morener und Reichenbach, die müßten so miteinander verwachsen sein, daß niemand mehr weiß, ist es Reichenbach oder Morener – so sagtest du doch immer.«

»Du versuchtest, es mir auszureden und sagtest, es ginge nicht, darüber müsse man verrückt werden.«

»Es wurde dann immer schlimmer. Eines Nachts sagtest du: ich opfre nicht nur mein Geld, ich opfre auch meine Gesundheit. Ich will lieber krank sein und glauben, ich bin Reichenbach – statt gesund als Morener weiter zu leben.«

»Ich weiß – warum erinnerst du mich daran?«

»Damals wußte ich, daß du krank warst. Ich wollte dich retten. Es gab nichts, was ich nicht durchdachte. Auf was für Ideen bin ich nicht gekommen! Ich quälte mich fast so wie du. Eines Nachts kam mir ein Gedanke: Ich ging, selbst schon halb von Sinnen, auf deine krankhafte Vorstellung ein und fragte dich: ›Kommt es denn nicht auf das selbe heraus, wenn man von einem Reichenbach glaubt, er sei ein Morener?‹ – ›Von wem?‹ fragtest du – und ich erwiderte: ›Nimm an, es gäbe jemanden, den man für deinen Sohn hält und er hieße auch nach dir Morener – in Wirklichkeit aber ist es ein Reichenbach.‹ – Weißt du noch, wie du da laut aufschriest und lachtest und riefst: ›Wenn du das fertig bringst, bin ich zufrieden und lache sie alle aus.‹«

»Das wäre was gewesen!« rief Morener – »Dann säße ich nicht hier! Aber so etwas gibt es nicht.«

»Du würdest gesund?«

»Auf der Stelle.«

»Es ist so!« schrie Frau Hedda heraus – und da er sie anstarrte, daß sie erschrak, so rief sie: »So sei gesund!«

»Wo ist er?« fragte er, »den man für meinen Sohn hält, der Morener heißt, in Wirklichkeit aber ein Reichenbach ist.«

»Zu Haus! bei uns! – in unserm Schloß.«

»Und du? – wer bist du?«

»Die Mutter! – Heinrich, ich habe es für dich getan!«

»Für mich? – mit wem? – wie denn? – mit Reichenbach? – weil ich – nun ja! das konntest du ja denken – das durftest du – und dann – aha! ich sehe, ich verstehe – ja aber, wenn ich nun gar nicht – aha – soso – ja, das durftest du, da ich – nicht wahr, du dachtest, ich sei – das dachte ich ja auch!!«

»Heinrich! besinn dich! fall nicht zurück!« bestürmte Frau Hedda ihren Mann.

»Ich habe es nicht gewußt – und du hast es nicht gewußt – wir haben es beide nicht wissen können – nicht wahr, Hedda, so ist es doch?«

»Ja, Heinrich, wir dachten – ich wollte . . .«

»Du hast ja gar nicht – Ich habe! – Ich bin Reichenbach! und du – siehst du, das mußt du verstehen, damit du hier endlich heraus kannst aus dieser Anstalt, damit sie dich nicht noch länger hier festhalten, Hedda – also hör zu – darum habe ich die Reise bis hierher zu dir gemacht – du bist krank! du lebst in einem Wahn! du glaubst, daß du mich mit ihm betrogen hast. Aber das war ich, Reichenbach. – So wie ich hier stehe, so bin ich es gewesen, Leonard Reichenbach, dein dir angetrauter Mann.«

»Heinrich, höre doch!« flehte Frau Hedda.

Der Assistenzarzt, der die ganze Zeit über an der Tür gestanden und gehorcht hatte, erschien. Heinrich Morener stürzte auf ihn zu:

»Sie ist krank! helfen Sie ihr, Doktor! sie hält mich für Heinrich Morener. Sie hat mich mit mir selbst betrogen. Sie quält sich. Ihr Kind, sagt sie, heißt Morener – und ist doch von mir, von Reichenbach.«

»Doktor!« klagte Frau Hedda laut. »Was habe ich angerichtet.«

Der Arzt legte den Arm um sie und flüsterte ihr zu:

»Das erleben wir alle Tage mit ihm. Das ist nicht Ihre Schuld.«

»Ich hatte ihn ja schon so weit – er hatte zu sich zurückgefunden.«

»Stellen Sie den Ventilator ab!« rief Morener laut. »Wo ist mein Neffe? – Ehe ich das Bankhaus diesem Morener gebe – eher – warte du Schuft! Du meinst, ich reiche nicht heran an dich? Ich breche dir das Genick. – Nicht so laut, Hedda! – Leise!« – er schlich auf den Zehen zu ihr heran und flüsterte ihr ins Ohr: »Ein Geniestreich! Gib acht, wie ich ihm den Glorienschein herunterhole. – Da ein Tausender und da ein Tausender! – Und nun schön leise über den Rasen in das Haus.« – Er machte ein paar Schritte zum Fenster zu.

»Halten Sie ihn fest!« flüsterte Frau Hedda dem Arzt zu. Aber der erwiderte:

»Seien Sie unbesorgt! die Fenster sind vergittert.«

»Vollmond – da kann ich die Lampe wieder in die Tasche stecken. – So und nun weg vom Fenster.«

»Ich werde doch versuchen, ihn zu beruhigen,« sagte der Arzt. Aber Frau Hedda flehte:

»Ich bitte um alles in der Welt, stören Sie ihn jetzt nicht!«

»Dieser Wahnsinn hat schon Methode,« erwiderte der Arzt. »Genau dasselbe Theater macht er, seitdem er hier ist, alle paar Tage. Ich kann Ihnen genau sagen, wie es weiter geht.«

»Lassen Sie ihn! ich bitte Sie!«

Heinrich Morener stand in der Mitte des Zimmers, sah zur Decke und sagte:

»Guten Abend, Herr Reichenbach. Aha, Sie sind schon fort! Nun, um so besser. Geben Sie nur gut acht auf Ihren Schlüssel. Es hat ihn sonst keiner.« – Er kroch in sich zusammen, holte einen Riesenschlüsselbund aus der Tasche und sagte: »Außer mir.«

Der Arzt wies auf den Schlüsselbund und sagte:

»Sein Lieblingsspielzeug. Er kam damit zu uns – und wir haben es ihm gelassen.«

Jetzt trat Frau Hedda dicht an ihren Mann heran, sah ihn fest an und fragte:

»Was hast du mit dem Schlüssel getan?«

Da richtete sich der Alte groß auf und sagte mit leuchtenden Augen.

»Den Glorienschein der Reichenbachs zerstört!« – dann warf er die Arme hoch und schlug lang hin.

Frau Hedda und der Arzt beugten sich über ihn. – Der Arzt behorchte das Herz, gab Frau Hedda die Hand und sagte:

»Sie haben ihn erlöst.«


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