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Obgleich Heinrich Morener bemüht war, nach außen hin und in seinem Gedächtnis alles auszulöschen, was ihn an seine Vergangenheit erinnerte, hatte er doch den neunzehnjährigen Sohn seines Geschäftsfreundes Schnitter in die Bank übernommen. Der junge Schnitter war bei seinem Vater, der sich mit allen Arten von Geldgeschäften befaßte, in die Lehre gegangen. Wenn Heinrich Morener Geschäfte hatte, die selbst ihm zu unsauber erschienen, dann ging er zu seinem Freunde Schnitter, der das Geschäft in seinem Namen tätigte und für die Übernahme des oft nicht nur moralischen, sondern auch kriminellen Risikos eine hohe Gewinnbeteiligung erhielt. Schon ehe Heinrich Morener das Bankhaus Reichenbach übernahm, hatte er mehrmals versucht, sich von Schnitter zurückzuziehen. Manches aussichtsreiche Geschäft hatte er diesem Wunsche geopfert. Aber Schnitter, der die Absicht merkte, hielt zäh an Morener fest. Nicht so sehr aus Gewinnsucht, als aus dem Wunsch heraus, seinen Sohn in eine saubere Atmosphäre zu retten. Denn er kannte Heinrich Moreners Ehrgeiz, und dessen Absicht, nur so lange mit ihm zu arbeiten, bis er reich genug war, um es sich leisten zu können, nur noch anständige Geschäfte zu machen. Als Heinrich Morener dann eines Tages so weit war und Schnitter sich auf friedlichem Wege nicht abschütteln ließ, provozierte Morener einen Streit und sagte:
»Ich schwöre dir, dies war das letzte Geschäft, das ich mit dir gemacht habe.«
»Damit du nicht falsch schwörst,« hatte Schnitter erwidert, »übernimm meinen Sohn, wenn das Geschäft mit Reichenbach perfekt wird.«
»Was weißt du von Reichenbach?« rief Morener. »Ich wage nicht einmal deinen Namen neben seinem zu nennen.«
»Damit du das nicht nötig hast, übernimm meinen Sohn.«
»Du drohst?«
»Ich bitte.«
»Und wenn ich es nicht tue?«
»Dann wirst du genötigt sein, die geschäftlichen Verbindungen mit mir weiterhin aufrechtzuerhalten – auch dann noch, wenn du Schloßherr von Reichenbach sein wirst.«
»Ich habe dich nie zu einem Geschäft gezwungen, das strafbar war.«
»Stimmt! Strafbar oder nicht strafbar war der bisherige Maßstab für deine Geschäfte. Du hast es verstanden, sie so zu frisieren, daß kein Staatsanwalt dir an den Kragen konnte. In der Welt aber, in der du dich von nun an bewegen wirst, heißt es nicht, strafbar oder nicht strafbar, sondern fair oder unfair. Und als unfair wird man es bereits bezeichnen, wenn du mit dem berüchtigten Emil Schnitter in Verbindung stehst.«
»Aber deinen Sohn kann ich übernehmen – und daran, meinst du, wird man sich nicht stoßen?«
»Gebrüder Reichenbach haben Hunderte von Angestellten. Leute, die Schnitter heißen, gibt es in jeder Stadt. Kein Mensch wird auf den Gedanken kommen, daß Erich Schnitter ein Sohn von Ludwig E. Schnitter ist.«
Heinrich Morener fühlte damals, daß seine Situation noch nicht stark genug war, um nein zu sagen. Und so kam Erich Schnitter ein paar Wochen, nachdem Heinrich Morener das Bankhaus übernommen hatte, zu Gebrüder Reichenbach & Co.
Da es nahe lag, daß der junge Schnitter sich über das Verbot Heinrich Moreners hinwegsetzen und seine persönlichen Beziehungen zum Chef seinen Vorgesetzten und Kollegen gegenüber ausspielen würde, so hatte Heinrich Morener ihn in der Abteilung Heinz Reichenbachs untergebracht. Er sagte sich, daß der am ehesten ein Interesse daran haben müsse, daß der Name des Bankhauses in keine Verbindung mit Ludwig E. Schnitter gebracht werde. Er würde also dafür Sorge tragen, daß derartige Redereien nicht geglaubt, zum mindesten aber nicht weitergetragen würden. Diese Vorsicht erwies sich als überflüssig. Denn Erich Schnitter war viel zu sehr der Sohn seines Vaters, um sich nicht zu sagen, daß er seiner Stellung damit viel eher schaden als nützen würde. Er hatte sich die Devise seines Vaters: »an sauberen Geschäften kann man auch Geld verdienen, an unsauberen aber kann man reich werden«, zu eigen gemacht und hoffte, in vorgerückter Stellung würde man ihn mit dem Vertrauen beglücken, Geschäfte zu tätigen, die Gebrüder Reichenbach & Co. aus Prestigegründen nicht mit der Firma decken konnten. Der Glaube, daß eine Firma, die auf sich hielt, Geschäfte, auch wenn sie hohen Gewinn versprachen, ihres unsauberen Charakters wegen ausließ – der Gedanke kam ihm nicht.
Karl Morener wußte natürlich von alledem. Und wenn er, der anfangs sogar seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu Heinrich Morener unter seinen Sportfreunden ableugnete, von dieser Bekanntschaft auch keinen Gebrauch machte, so erinnerte er sich jetzt, wo er sich verspekuliert hatte und das Messer ihm bereits an der Kehle saß, doch lebhaft der engen Geschäftsverbindung, die zwischen dem alten Schnitter und seinem Onkel Heinrich über ein Jahrzehnt lang bestanden hatten. Er suchte also Ludwig E. Schnitter auf, in der Hoffnung, von ihm, wenn auch gegen hohe Zinsen, zunächst einmal so viel zu erhalten, um sein Termingeschäft abdecken zu können.
»Es muß schon böse um Sie stehen,« sagte der Alte, »wenn Sie sich soweit überwinden und mich aufsuchen.«
»Daß ich nicht gern komme, gebe ich zu,« erwiderte Karl Morener. »Aber daran sind weniger Sie schuld als der Grund, der mich zwingt, Sie aufzusuchen.«
»Doch keine Beschwerde über meinen Sohn?«
»Im Gegenteil. Alle sind zufrieden mit Erich.«
»Sie nennen ihn beim Vornamen? Welche Ehre! – Aber in Zahlen ausgedrückt: wie hoch ist die Summe, für die Sie sich soviel vergeben?«
»Sie sind ein Fuchs! Ihnen macht man nichts vor.«
»Ziehen Sie daraus den allein richtigen Schluß und sagen Sie mir die volle Wahrheit.«
Karl Morener, der sich einem Überlegenen gegenüber sah, erzählte, daß er sich verspekuliert habe und zahlen müsse. Da er sich an Heinrich Morener, der, wie Schnitter wisse, krank sei, nicht wenden könne, so käme er zu ihm, dem Freunde seines Onkels.
»Mit der Freundschaft ist es nicht weit her,« erwiderte Schnitter. »Hoffentlich steht es mit den Sicherheiten, die Sie mir bieten können, um so besser.«
»Ich hafte mit meiner Person.«
»Sie sind ein sehr dekorativer Herr – und ich glaube auch, daß manches neureiche Mädchen an Ihrer Sportfigur und der Art Ihres Auftretens Gefallen finden wird. Gut wären Sie mir für die Summe . . .«
»Also reden wir über den Preis, den Sie fordern. Ich biete Ihnen zwölf Prozent.«
»Aber nein! Wie werde ich mich denn an dem Neffen meines Freundes Heinrich Morener bereichern? Nicht einen Pfennig mehr als sechs Prozent.«
»Sie sind ein Gentleman!«
»Geben Sie mir das schriftlich! Wenn ich das mit Ihrer Unterschrift Ihrem Onkel in die Anstalt sende, wird er vor Schreck gesund.«
»Er beurteilt Sie falsch.«
»Möglich.«
»Ich werde ihn, sobald er gesund ist, davon überzeugen, wie unrecht er Ihnen tut.«
»Das ist sehr freundlich von ihnen. – Aber schweifen wir nicht ab! Kehren wir zu unserem Geschäft zurück. Können Sie die geforderten Sicherheiten leisten?«
»Was für eine – Sicherheit?«
»Den Schwiegervater.«
»Schwieger . . . vater?«
»Es genügt, daß Sie mir Ihre Verlobung glaubhaft machen. Ich prüfe das Gewicht Ihres Fräulein Braut – in Goldwährung natürlich – und Sie erhalten das Geld, ohne daß jemand etwas davon erfährt.«
»Das ist unmöglich. Ich habe keine Braut – auch keine in Aussicht.«
»Die läßt sich bei Ihrem Äußeren und der sozialen Stellung Ihres Onkels innerhalb weniger Stunden beschaffen.«
»Ich verkaufe mich nicht.«
»Sie sind gezwungen, es zu tun.«
»Geben Sie sich keine Mühe! Ehe ich das tue, lieber . . .« Er stockte plötzlich.
»Was tun Sie da lieber?« fragte Ludwig E. Schnitter.
Karl Morener stutzte, sah auf und sagte:
»Wieso interessiert Sie das?«
»Begehen Sie keine Dummheit, junger Mann! Die Kunst, die Gesetze nur zu streifen, haben Sie nicht gelernt.«
»Das geht Sie einen Dreck an!«
»Was sind das für Ausdrücke für einen Herrn Morener!«
»Geben Sie mir das Geld oder nicht?«
»Ich habe Ihnen meine Bedingung genannt. Ich bin sogar bereit, Ihnen die Braut zu schaffen – eine, bei der ich sicher bin, daß Sie die Verlobung nicht wieder lösen, sobald Sie das Geld in der Tasche haben.« – Er wies zur Wand. – »Ich brauchte nur an die Klingel zu gehen und – meine Tochter rufen zu lassen.«
»Ich soll . . .?« Karl nahm Hut und Stock. »Dann kann ich meine Unterredung wohl als beendet betrachten.«
»Sie haben sich noch immer nicht abgewöhnt, in Phrasen zu reden. Glauben Sie, Sie machen damit auf mich Eindruck? – Meine Tochter ist ein hübsches Mädchen! Wenn Sie der Name stört – in drei Wochen kann sie Ihre Frau sein – und heißt Morener.«
»Ich will nichts gegen Ihre Tochter sagen.«
»Das können Sie auch gar nicht. Sie ist ganz aus der Art geschlagen – ein feines, anständiges Mädchen. Eine Reichenbach kann nicht feiner sein in ihrer Denkungsart.«
»Ich weiß es – und sie gefällt mir auch.«
»Na also – was braucht sie mehr, als Ihnen zu gefallen?«
»Ich kann nicht. – Ich habe . . . ich bin . . .«
»Verlobt?«
»Das nicht. Vielleicht verliebt – obgleich ich mir auch darüber nicht im klaren bin.«
»Was heißt das? Meine Tochter, sagen Sie, gefällt Ihnen – Sie sind weder verlobt, noch verliebt – was kann da noch im Wege sein?«
»Ich bin verpflichtet.«
»Wie hoch?«
»Nicht in der Art – anders.«
»Wie kann man anders verpflichtet sein als mit Geld?«
»Mit der Ehre und mit meinem Gewissen.«
»So ein Gewissen läßt leichter mit sich reden als ein Gläubiger.«
»Das liegt in diesem Falle nicht so, mit Geld ist da nichts zu machen – und ich will auch nicht!«
»Wenn Sie nicht wollen – das ist etwas anderes. Das wäre ein so glattes Geschäft – wo Ihnen das Mädel gefällt.«
»Es geht nicht!«
»Sie geben mir das Geld also nicht?«
»Nein.«
»Dann weiß ich nicht,« sagte Karl Morener verzweifelt, »was ich beginnen soll. Sie waren meine letzte Hoffnung.«
»Tut mir leid.«
»Ich muß das Geld haben! – Wissen Sie jemand, der mir gegen fünfzig Prozent die Summe leiht?«
»Wenn ich einen wüßte, so würde ich ihn nicht nennen.«
»Sie wollen also, daß ich ein Verbrechen begehe?«
»Ich will, daß Sie meine Tochter heiraten.«
»Zum letzten Male: nein!«
»Auch meinerseits, Herr Morener,« sagte der Alte und fügte, indem er sich verbeugte, hinzu: »Ich habe die Ehre.«
Ohne einen Gruß verließ Karl das Haus.