Artur Landsberger
Bankhaus Reichenbach
Artur Landsberger

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28.

Der alte Schnitter saß mit seiner Tochter Margarete beim Abendessen. In einem Hause des Kaiserdamms bewohnten sie die erste Etage, deren eine Hälfte als Bureau eingerichtet war. Schnitter befaßte sich seit über dreißig Jahren mit Finanzierungen fraglichen Charakters und hatte, genau wie sein früherer Geschäftsfreund Heinrich Morener, die Sehnsucht, aus seinem Kleinleutemilieu herauszukommen und in eine höhere Gesellschaftsklasse aufzurücken. Je mehr er verdiente, um so größer wurde diese Sehnsucht. Aber ihm fehlte außer dem Anpassungsvermögen, das Morener innerhalb gewisser Grenzen besaß, vor allem jenes Persönlichkeitsmerkmal, das im letzten Jahrzehnt aus Sattlern, Drehern und Buchdruckern Präsidenten, Minister und Industrielle hat entstehen lassen. Sie alle trugen statt der gewohnten Arbeitsjacke jetzt nicht nur den Smoking als etwas Selbstverständliches, sondern waren auch in ihren Reden und in ihrem Benehmen kaum noch von jenen zu unterscheiden, die von Kindheit an die Suppe mit silbernen Löffeln gegessen und vom ersten Schritt an, den sie ins Leben taten, nur Schuhe nach Maß getragen hatten.

Schnitter hingegen, obgleich der Vollbart, den er innerhalb seines Milieus zwei Jahrzehnte lang mit Stolz getragen und gepflegt hatte, gefallen war, obgleich er einen teuren Maßschneider hatte und seidene Hemden trug, verlor den Typ des kleinen Mannes nicht, dem man in einer Badehose am Strande noch ansah, daß er gewöhnt war, zu Haus unter einem Öldruck auf dem Plüschsofa zu sitzen, gerollte Manschetten und genähte Kravatten zu tragen.

Als Frau Hedda an der Flurtür läutete, schlug Schnitter mit dem Messer auf den Tisch und sagte:

»Ich dulde keine Besuche während des Essens.«

Als das Mädchen aber die Karten brachte, auf denen stand: Frau Hedda Morener geborne Baronesse von Nedlitz und Frau Leonard Reichenbach – da sprang er auf, riß die Serviette, die hinter dem Kragen steckte, herunter und stürzte in das Entree. Auch Margarete, die sonst nicht neugierig war, stand auf, ging zu einer anderen Tür hinaus und versteckte sich hinter einer Portiere im Salon.

Mit vollem Munde begrüßte Schnitter die Damen und bat sie, in den Salon zu treten. Auf seine Aufforderung hin setzten sie sich um einen runden Tisch herum, und er fragte, noch immer die Serviette in der Hand, wie er es gewohnt war:

»Womit kann ich den Damen dienen?« – Dabei machte er wie stets eine Handbewegung, als wenn er die Brieftasche herausnehmen wollte.

»Sie sind ein Freund meines Mannes,« begann Frau Hedda.

»Ich war es – aber er ist so groß geworden – er kennt mich nicht mehr.«

»Sie irren. Sie wissen, er ist krank. Ich komme in seinem Auftrag.«

Schnitter schob den Bauch, den er sonst einzuziehen bemüht war, da man ihm gesagt hatte, feine Leute haben keine Bäuche, mit einem mächtigen Ruck nach vorn und rief:

»Das ist nicht wahr! Sie wollen mich bluffen.«

»Sie wären also nicht geneigt, während seiner Abwesenheit die Leitung der Bank zu übernehmen?«

Schnitter sah sie mißtrauisch an und fragte:

»Zu welchen Bedingungen?«

»Es ist nur eine.«

»Nämlich?«

»Sie müßten zuvor den Mann ermitteln, der den Bankdiebstahl begangen hat.«

»Wie? – ich dachte, der wäre bereits . . .«

»Sie meinen?«

»Nicht Herrn Reichenbach.«

»Sondern?«

»Sprechen wir mal erst von Ihrem Angebot. Sie sagten, daß Sie im Auftrag Heinrich Moreners kommen.«

»Das sagte ich.«

»Ist er verfügungsberechtigt?«

»Was heißt das? – Er ist der alleinige Inhaber.«

»Also nicht wegen Geisteskrankheit entmündigt?«

»Wie kommen Sie darauf? Er befindet sich auf dem Wege der Genesung.«

»Und da will er mich – wo er, wie Sie sagen, in absehbarer Zeit zurückkommt.«

»Sie scheinen nicht zu wissen, daß jetzt auch mein Neffe in die Affäre hineingezogen werden soll.«

»Ich habe das Abendblatt gelesen.«

»Was sagen Sie dazu?«

»Es hat mich nicht überrascht.«

»Sie glauben also, daß er . . .«

»Halt!« rief der alte Schnitter. »Legen Sie mich nicht fest!«

Die beiden Frauen sahen sich erstaunt an und fragten:

»Was heißt das?«

»Sie sind doch gekommen, ein Geschäft mit mir zu machen. – Ich kann Ihnen auch sagen, wie das Geschäft aussieht. Ich versteh mich aufs Gedankenraten. Bei einem Geschäft da ist es wichtiger, man weiß, was der andere will, als was man selbst will.«

»Ich verstehe Sie gar nicht,« sagte Frau Hedda.

»Ist auch nicht nötig,« erwiderte er. »Ich verstehe Sie. Also wie gesagt, das Geschäft ist zu machen. Lieber wär mir, Sie hätten sich vormittags zu mir bemüht. Ich wär auch zu Ihnen gekommen. Sie hätten mir nur zu telephonieren brauchen.«

»Was meinen Sie denn?«

»Ich bin es von meinem Freunde, der Ihr Mann ist, gewöhnt, faule Geschäfte auf seine Rechnung zu machen, die er nicht anrührt – nicht aus Moral, nur weil er Angst hat, sich die Hände zu verbrennen – wenn ich 'ne Frau hätte wie Sie, und 'n Geschäft wie die Firma Reichenbach, möchte ich mich auch hüten, faule Sachen anzurühren – ich habe aber weder das eine noch das andere, also kann ich es mir leisten.«

»Was denn? was denn?« fragte Frau Hedda ungeduldig. »Sie wissen ja gar nicht, was wir wollen.«

»Sie haben es ja gesagt. Ich soll die Leitung der Bank übernehmen – vorübergehend – Gut! Morener weiß, daß das mein Traum ist. Wenn er also meinen Traum erfüllt – ich weiß, er ist nicht billig – was fordert er? Ich will's Ihnen sagen: ich soll mein Zeugnis abändern. Was nützt es Heinrich Morener, daß er gesund wird. Wenn Karl im Zuchthaus sitzt, ist der Ruf der Bank erledigt. Morener ist eben Morener – ob der nun Karl oder Heinrich heißt. Also, was wollen Sie, daß ich sage? Werde ich sagen, ich habe Karl das Geld gegeben, so wird man fragen, wo ist es? Man könnte auch sagen, ich habe die Schuld übernommen – dem Heinrich zuliebe, in der Hoffnung, daß er mir zurückgibt alles plus Zinsen. Wer kann mir ins Herz sehen, ob ich das nicht gewollt habe? Also kann ich's beschwören. Aber wie dumm, daß Sie so spät kommen – das Geschäft ist glatt und einfach – aber ich rate Ihnen, schicken Sie Ihren Direktor auf ein paar Monate auf Urlaub – der erschwert den Fall –, nicht, daß ich nicht mit ihm arbeiten will – ich nehme keinem sein Brot – aber ich hab ihm erzählt von Karl – man erzählt viel, wenn man einen andern ärgern will.«

»Es ist also gar nicht wahr, daß Karl Morener von einem Verbrechen gesprochen hat, das er begehen muß, wenn Sie ihm das Geld nicht geben?« fragte Frau Hedda. Der alte Schnitter lächelte verschmitzt und sagte:

»Sie fangen das Geschäft von hinten an. – Wenn ich Ihnen jetzt sage, daß Ihr Neffe nie etwas Ähnliches gesagt hat, werden Sie 'ne Zeugin haben, die Sie schon mitgebracht haben – und was für eine! – Frau Kommerzienrat Reichenbach! Was die sagt, ist mehr wert, als was ich schwöre – also, werden Sie Ihre Offerte zurückziehen.«

»Es kommt doch nicht darauf an, was Sie sagen, sondern was Sie wissen.«

Schnitter sah sie erstaunt an und sagte:

»Sie meinen, was 'n anderer weiß. Denn über das, was 'n anderer nicht weiß, kann ich doch sagen, was ich will.«

»Wir wollen Sie zu keinem falschen Zeugnis verleiten.«

»Pscht, wie kann man so unvorsichtige Worte sagen?«

»Wir wollen wissen, wer den Bankdiebstahl begangen hat.«

»Bin ich ein Prophet?«

»Sie wissen es!«

»Möglich – Aber wer kann mich zwingen, es zu sagen?«

»Wir werden Sie zwingen!«

»Was wissen Sie denn von mir?« fragte der Alte unsicher.

»Daß Sie meinen Mann beneiden und hassen.«

»Das würden Sie auch tun an meiner Stelle.«

»Und daß Sie sich rächen wollen, weil er Sie nichts mehr hat verdienen und links hat liegenlassen, als er groß geworden war.«

»Na und?«

»Da haben Sie es denn eben getan.«

»Ich?«

»Da Sie wußten, in welcher Lage sich Karl Morener befand, so rechneten Sie damit, daß der Verdacht auf ihn fallen mußte. Sie kannten genau die Summe, die er schuldig war. Daß Sie mit Karl Morener auch meinen Mann treffen würden, haben Sie ja eben selbst gesagt.«

»Und wie bin ich dann an das Geld gekommen?« fragte Schnitter gespannt, aber in aller Ruhe.

»Durch Ihren Sohn! den Sekretär Heinz Reichenbachs, der die Schlüssel hatte.«

»Reichenbach hatte die Schlüssel?«

»Ja! – Und für einen Sekretär, der bei ihm ein- und ausgehen konnte, ohne daß es auffiel, war es am Ende nicht schwer, sich die Schlüssel für kurze Zeit anzueignen, eine Zeichnung oder einen Abdruck – ich verstehe mich nicht darauf – davon zu machen.«

Schnitter wurde unruhig und blaß. Erst schwieg er, dann trat er nahe an Frau Hedda heran und sagte:

»Das ist gemein, was Sie sich da zurechtgelegt haben.«

»Sie geben es zu?«

»Ich war es nicht. Aber darauf kommt es leider nicht an. Mir wäre lieber, ich wär's gewesen und Sie hätten nicht die kluge Idee, die Sie da ausgepackt haben und die so gut ist, daß es mir gar nichts nützt, daß ich es nicht war. Ich geb also zu, Sie machen mich ängstlich. Was bin ich schon oft mit Dingen reingefallen, wo ich das beste Gewissen hatte – und dann wieder, wo ich dachte, mir wird was passieren, da hat kein Hahn nach mir gekräht.«

»Sie geben jedenfalls zu, daß der Verdacht begründet ist?«

»Wenn mein Sohn die Möglichkeit hatte – was ich nicht weiß – an die Schlüssel ranzukommen – mit Devisen haben wir zu der Zeit auch gerad gehandelt – dann wär mir lieber, der Herr Staatsanwalt beschäftigte sich nicht mit mir.«

»Wenn Sie der Ansicht sind, daß es weniger darauf ankommt, ob jemand der Täter ist, als auf die Gründe, die man dafür oder dagegen anführen kann, wie können Sie dann behaupten, daß Karl Morener der Täter ist?«

Hinter der Portiere sah man für einen Augenblick das erschrockene Gesicht Margarete Schnitters. Die drei saßen so um den Tisch herum, daß nur der Alte sie sehen konnte. Der aber beugte sich in diesem Augenblick gerade über den Tisch zu den beiden Damen und erwiderte:

»Ich will Ihnen was sagen: Neid und Haß und Rache, die Sie als Beweise gegen mich anführen, das sind Sachen, die sitzen da,« – er machte eine Bewegung – »im Herzen, oder im Kopf oder sonst wo – jedenfalls: man kann sie nicht sehen. Wenn aber jemand Schulden hat – und er gibt ein Papier – ich geb nie ein Papier – das ist was Geschriebenes – und wenn er zu gesund im kritischen Moment mit einem Flugzeug hochgeht – noch dazu übers Wasser, dann sagt er damit, daß er sich in der Luft, was doch schon ein halber Tod ist, immer noch sicherer fühlt, als in der Nähe des Staatsanwalts. Wenn ich Staatsanwalt wäre, würde ich sagen, das ist ein Geständnis.«

»Es würde Sie nicht bedrücken, wenn ein anderer für eine Tat bestraft würde, die Sie begangen haben?«

»Bei meinem Kinde schon.«

»Und bei Karl Morener?«

»Bei dem schon weniger. Aber wieso sind Sie ganz abgekommen von unserem Geschäft? Wie denken Sie sich, daß ich den Karl freibekommen soll? Ich sag es noch einmal: schicken Sie vor allem den Urbach auf Urlaub! Und was wird, wenn ich den Karl wirklich freibekomme? Wer wird zu bestimmen haben? Der Karl oder der Reichenbach, den man auch dem Staatsanwalt erst abringen muß – denn was macht es für einen Eindruck, wenn es von einem Haus, das firmiert Gebrüder Reichenbach, heißt, der Herr Reichenbach ist verreist und man kann ihn nicht mal telephonisch erreichen. – Also wieder ein Stück Arbeit – und dann die beiden Direktoren, seine Leute, die noch im Geist des Herrn Leonard Reichenbach – Geschäfte machen, als hätten wir weder Krieg noch Revolution gehabt – wie soll ich aufkommen mit meiner Moral gegen die ihre? Und wenn schließlich noch Heinrich Morener zurückkommt: wo bin ich da? – Haben Sie eine Vollmacht von ihm?«

»Von damals. Aber sie gilt noch heut.«

»Und wieso glauben Sie, daß gerade ich – den Täter kenne?«

»Das habe ich doch deutlich genug gesagt.«

»Ich will Ihnen was sagen: Wenn Sie mir eine Million bieten und mir sagen: ›sitz dafür drei, vier Monate, ja selbst sechs,‹ so überleg ich's mir. Wenn Sie mir aber sagen: ›laß dich wegen eines Bankdiebstahls einsperren für, ich weiß nicht, wen und übernimm dafür die Leitung der Bank,‹ so sage ich, das ist ein Schwindel. Wie soll ich die Bank leiten, wenn ich hinter spanischen Gardinen sitze.«

»Es ließe sich später darüber reden. Ich würde jedenfalls dafür sorgen, daß Sie nach Ihrer Entlassung keine Not leiden.«

Der alte Schnitter lachte laut auf, und Frau Hedda fuhr fort: »Vorausgesetzt natürlich, daß Sie der Täter sind.«

»Wenn ich Ihnen aber sage, ich bin es nicht.« – Und er wiederholte mit lauter Stimme: »Ich bin es nicht!«

»Vielleicht, daß Ihr Sohn . . .«

Schnitter warf die Arme hoch und rief:

»Halt! Ich bin ein Schuft – gut! Obschon ich mit dem Diebstahl nichts zu tun habe – wenigstens nicht direkt. Aber was meinen Sohn betrifft, der ist ein Ehrenmann, an den laß ich Sie nicht ran, keinen laß ich ran an ihn. Und wenn Sie ihm Millionen bieten, so werde ich sagen: ›Nein! für so'n Geschäft nicht!‹ – Aber ich kann Ihnen vielleicht jemand verschaffen.«

»Ich will nicht jemanden – ich will den Täter!«

»Man soll nicht zu viel verlangen. Das Leben ist ein Kompromiß – man muß sich heutzutage mit einem halben Erfolg begnügen.«

»Ich werde nie meine Hand zu einem solchen Betrug geben.«

»Und wenn Sie dem Betreffenden damit eine Freude machen? – Ich kenne Leute, die danach greifen, wie nach dem großen Los.«

»Auch dann nicht!«

»Was wollen Sie dann von mir? Dann wird eben Karl Morener seine zwei Jahre Zuchthaus bekommen.«

In diesem Augenblick stürzte Margarete Schnitter hinter der Portiere hervor und rief:

»Nein, Vater! das wird er nicht!«

Die beiden Damen sprangen auf.

»Was, du verteidigst den Lumpen?«

»Weil er eine andere liebt als mich, ist er noch lange kein Lump.«

»Sie wissen, daß er unschuldig ist?« fragte Frau Hedda mit gedämpfter Stimme.

»Ja! – das weiß ich!« erwiderte sie bestimmt.

»Du bringst es fertig und verdächtigst deinen Vater.«

»Man hat Karl Morener verhaftet,« sagte Frau Hedda, die dicht an Margarete Schnitter herangetreten war. »Und er ist verloren, wenn Sie uns nicht sagen, wer die Devisen hat.«

Der alte Schnitter, der sich mit den Fingern an den Rand des Tisches klammerte, rief drohend:

»Margarete!«

Vater und Tochter standen sich gegenüber.

»Retten Sie Karl!« bettelte Hedda – und indem sie den Arm um Margarete Schnitter legte, wiederholte sie: »wo sind die Devisen?«

»Ich . . .!« rief der Alte mit heiserer Stimme und suchte den Blick seiner Tochter festzuhalten. – Aber die wandte den Kopf und sah mit starrem Blick auf einen Geldschrank, der zwischen der Portiere und einer alten Vitrine stand. So blieb sie stehen – die Augen immer auf den Schrank gerichtet.

Der alte Schnitter wandte den Kopf zu Frau Hedda und duckte sich, wie ein Raubtier vor dem Sprung. Mit einem schnellen Satz stand Frau Hedda vor dem Schrank und hielt den Alten, der ihr blitzschnell folgte, mit einem Revolver, den sie für alle Fälle mitgenommen hatte, zurück.

»Ich schieße Sie über den Haufen!« drohte sie – »wenn Sie sich von der Stelle rühren.«

»Verlassen Sie mein Haus!« brüllte der Alte – während seine Tochter sich abwandte und weinte.

»Da ist das Telephon!« rief Frau Hedda der Frau Reichenbach zu. »Verlangen Sie das Überfallkommando!«

»Unterstehen Sie sich!« rief der Alte und wollte sich auf Frau Reichenbach stürzen. Aber Frau Hedda zwang ihn mit dem Revolver, stehenzubleiben.

Frau Reichenbach nahm den Hörer ab. – Margarete Schnitter trat vom Fenster weg und machte ein paar Schritte auf den Apparat zu, scheinbar um Frau Reichenbach in den Arm zu fallen. Sie besann sich im letzten Augenblick, blieb stehen und ließ sie telefonieren. Sie verlangte Überfall und nannte Namen, Straße und Hausnummer.

»Hausfriedensbruch!« schrie der Alte. »Bedrohung!«

»Schweigen Sie!« rief Frau Hedda.

»Sie sind ja verrückt! – Mir kann nichts geschehen! – Aber Ihnen!«

»Papa verliert den Verstand!« jammerte Margarete.

»Durch dich! – Ein gutes Kind bist du – ein braves Kind! – Für so einen wie den Karl, der dich verschmäht . . .«

»Ich liebe ihn!«

»Er lacht dich aus.«

»Du hast schuld.«

»Ich?«

»Du hast mir gepredigt – noch als ich Kind war – das ist ein Mann für dich! Du hast mir in den Ohren gelegen mit ihm . . .«

»Wollen wir uns jetzt um den herumstreiten?« sagte der Alte und wandte sich wieder zu Frau Hedda: »Ich fordere Sie zum letzten Male auf, gehen Sie! – Ich rate Ihnen gut! – Es wird Ihnen nichts nützen. – Wir werden uns anders einigen. – Sie komplizieren! Sie verwirren! Sie erschweren es sich!«

»Geben Sie sich keine Mühe!«

»Lassen Sie sich doch sagen: so geht es nicht!«

»Das wird sich zeigen.«

»Sie wollen doch keinen Unschuldigen leiden lassen.«

»Man braucht Sie nur anzusehen – und man weiß, woran man ist.«

»Sie haben eine unglückliche Hand!«

»Unglücklich für Sie – das mag stimmen.«

»Wenn Sie mich doch einen Augenblick anhören wollten.«

»Sie hatten Zeit genug. – Hätten Sie uns die Wahrheit gesagt, vielleicht daß wir dann irgendeinen Ausweg gesucht hätten.«

»Ich will die volle Wahrheit sagen!«

»Zu spät!«

Unten fuhr das Polizeiauto vor.

»Sagen Sie, es war ein Irrtum!« bettelte der Alte. »Ich verspreche Ihnen, was Sie wollen.«

Ein Offizier mit ein paar Mann betraten die Wohnung.

»Dieser Herr da«, erklärte Frau Hedda und wies auf den alten Schnitter, »ist der Mann, der den Bankdiebstahl bei Gebrüder Reichenbach begangen hat!«

»Sie lügt!« schrie der Alte.

»Lassen Sie den Geldschrank öffnen – und Sie haben den Beweis in Händen.«

»Wer ist denn hier Wohnungsinhaber?«

»Ich!« rief Schnitter.

»Und wer hat Sie überfallen?«

»Die Damen da!«

»Wa . . . as?«

»Sie hat den Revolver noch in der Hand.«

»Wir haben Sie herbeigerufen, nicht er!« erklärte Frau Hedda und fügte hinzu: »Dies ist Frau Kommerzienrat Reichenbach – und ich bin Frau Generaldirektor Morener.« – Haltung und Äußeres ließen es ihr ratsam erscheinen, gegen ihre Gewohnheit hinzuzufügen: »Geborene Baronesse Nedlitz.«

»Und wer hat die Damen überfallen?«

»Niemand!« rief Schnitter.

»Wozu hat man dann das Überfallkommando alarmiert?«

»Ich sagte es ja schon! Weil sich in diesem Geldschrank die Beweise für den Bankdiebstahl befinden.«

»Das ist Sache der Kriminalpolizei.«

»Bravo!« rief Schnitter.

»Ich bin hier im Amt und verbitte mir jede Beifallsbezeugung.« – Da er Miene machte mit seinem Kommando wieder abzurücken, so bestürmte ihn Frau Hedda.

»Wegen dieses Diebstahls sitzen Unschuldige im Zuchthaus.«

»Bedaure! Wir sind das Überfallkommando.«

»Wenn Sie abrücken, wird er die Beweise beiseite schaffen.«

»Ihre Schuld! Sie hätten sich an die Kriminalpolizei wenden müssen.«

»Das kann ich ja noch tun. Aber bis die kommt, bleiben Sie doch bitte hier.«

»Das verstößt gegen das Reglement.«

»Dann lassen Sie wenigstens einen Mann hier, damit er nicht an den Geldschrank herangeht.«

»Die Dame weiß nicht, was sie spricht,« beteuerte Schnitter.

Frau Hedda wollte den Hörer vom Apparat nehmen.

»Muß ich erlauben, daß sie mir mit meinem Apparat fortgesetzt die Polizei auf den Hals hetzt?« fragte er.

»Nein! das haben Sie nicht nötig!« erwiderte der Offizier, trat an Frau Hedda heran, bat um den Hörer und sagte: »wenn Baroneß gestatten.« – Dann wandte er sich, den Hörer in der Hand, an Schnitter und fuhr fort: »Mir müssen Sie es nämlich erlauben.« – Er ließ sich mit dem Polizeirevier verbinden und befahl dem Kriminalwachtmeister, sofort zu kommen.

»Und ich verlange, daß Sie die beiden Damen wegen Hausfriedensbruch, Freiheitsberaubung und Nötigung festnehmen!«

»Was soll denn das heißen?«

»Das müssen Sie als Polizeioffizier doch wissen. Ich habe die Damen hinausgewiesen, sie sind nicht gegangen. Bei jedem Schritt, den ich machen wollte, hat man mir den Revolver vor das Gesicht gehalten und mich genötigt, auf einem bestimmten Fleck stehenzubleiben.«

»Trifft das zu?« fragte der Offizier die Damen.

»Ich hatte doch gar keine andere Möglichkeit!«

»O doch! Sie hätten zur Polizei gehen und um die Begleitung eines Beamten bitten sollen. Sie haben sich strafbar gemacht – und zwar erheblich.«

»Ich bin ein versöhnlicher Mensch,« sagte der alte Schnitter, »mir liegt nichts daran, daß die Damen im Gefängnis sitzen. – Ich will nichts gehört und nichts gesehen haben. – Sagen Sie dem Kriminalwachtmeister, wenn er kommt, es ist alles in Butter – es war ein Irrtum.«

»Ausgeschlossen!« rief Frau Hedda. »Und wenn man mich für Monate einsperrt . . .«

»So arg wird es nicht werden, Baroneß,« sagte der Offizier.

». . . der Bankdiebstahl muß endlich aufgeklärt werden.«

»Wenn Sie glauben, daß Sie ihn hier aufklären werden, irren Sie sich.«

Der Kriminalwachtmeister erschien.

»Ich biete noch einmal die Hand zum Frieden!« sagte der Alte – und zu dem Kriminalbeamten gewandt, fuhr er fort: »Hier ist nichts geschehen – wir haben uns versöhnt.«

Frau Hedda klärte den Zusammenhang auf. Der Beamte wandte sich an Schnitter und forderte unter Hinweis auf den Schrank:

»Die Schlüssel!«

Der Alte griff ängstlich in die Tasche – zog die Hand wieder heraus – lächelte und sagte:

»Schade! – Mein Sohn hat sie.«

»Wo ist Ihr Sohn?«

»Wo soll er sein. Im Bureau!«

»Ich werde ihn sofort festnehmen lassen.«

Da griff der Alte hastig noch einmal in die Tasche, zog die Schlüssel heraus und reichte sie dem Beamten.

Der ging an den Schrank und schloß auf. Kassabücher lagen darin, Wertpapiere und hinten rechts ein großes Paket. Darauf stand: Devisen – daneben die Summe und darunter ein Datum, das mit dem Tage des Einbruchs übereinstimmte.

»Sehr jung!« meinte der Beamte zu Schnitter gewandt.

»Ich hab es bekommen! – Ich weiß von nichts.«

»Aber es ist Ihre Handschrift!« – Er hielt ihm ein Kassabuch unter die Nase.

»Ich wußte nicht, daß es aus einem Einbruch stammt.«

»Sie wollen behaupten, die Devisen gekauft zu haben?«

»Man hat sie mir geschenkt.«

»Ach nee!« sagte der Beamte belustigt. »Müssen Sie gute Freunde haben.«

»Ich schwöre es Ihnen – beim Leben meiner Tochter – die ich liebe, obschon sie ihren alten Vater nicht geschont hat.«

Margarete Schnitter warf sich dem Alten an den Hals und sagte schluchzend:

»Vater! verzeih mir!«

Der Alte fuhr ihr durchs Haar und sagte:

»Wenn du nur die Verliebtheit dadurch los wirst, dann will ich schon zufrieden sein.«

Der Beamte legte den Arm auf ihn und erklärte ihn für verhaftet:

»Ein Unschuldiger mehr!« erklärte Schnitter und ließ sich abführen.

Die beiden Damen bemühten sich um seine Tochter.


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