Artur Landsberger
Bankhaus Reichenbach
Artur Landsberger

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18.

Der Fall Reichenbach und Genossen, wie er in den Akten der Staatsanwaltschaft hieß, wurde auf Veranlassung des Oberstaatsanwalts, der wiederum vom Justizministerium Anweisung erhielt, mit größter Beschleunigung behandelt. Denn, wie zu erwarten war, hatte die hinten herum informierte Presse sich bereits am übernächsten Tage des Falles bemächtigt. Was eigentlich geschehen war, wußte so recht niemand. Die unbestritten gebliebene Tatsache eines Einbruchs in das Bankhaus Reichenbach & Co. und der angebliche Nervenschock des Prokuristen Heinz Reichenbach, den ein Heer von Reportern vergebens in allen Sanatorien Berlins und Umgebung suchte, gab Anlaß zu den wildesten Kombinationen, die ihren Ursprung meist in der Burgstraße hatten. Unsaubere Manöver ließen nicht nur die Kurse der betroffenen Bank, sondern auch eine Reihe anderer Firmen, von denen man wußte, daß sie mit Gebrüder Reichenbach & Co. in Geschäftsverbindung standen, bis zu dreißig Prozent heruntergehen. Die Folge war, daß man nicht nur von gestohlenen Millionen sprach, sondern auch von Unterschlagungen, die Angestellte in hohen Stellungen begangen haben sollten. Ja, man trieb es so weit, den Aufenthalt Heinrich Moreners in einem Schweizer Sanatorium in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Millioneneinbruch zu bringen. –

»Die Flucht des Generaldirektors Morener ins Ausland.« – »Das mysteriöse Verschwinden des Prokuristen Reichenbach.« – »Ein Konsortium von Bankdirektoren und Einbrechern.« – »Die Versicherungen lehnen jede Haftung ab.« – So etwa lauteten die fetten Überschriften in den Skandalblättern. Um das Publikum zu beruhigen und der Fortführung unsauberer Spekulationen die Spitze zu nehmen, wurde von Karl Morener eine offiziös aufgemachte Notiz folgenden Inhalts in die Presse lanciert:

Zur Steuer der Wahrheit
betreffend den Diebstahl bei Gebrüder Reichenbach & Co.

  1. Die Höhe der gestohlenen Devisen in Reichsmark umgerechnet beträgt nach heutigem Kurse Reichsmark 498 655.
  2. Die Summe ist voll durch Versicherungen und Rückversichernden gedeckt.
  3. Auch wenn die Versicherungsgesellschaften den Versuch machen sollten, sich ihren vertraglichen Verpflichtungen zu entziehen – wozu keinerlei rechtliche Handhabe vorliegt –, wird der durch Reserven zehnfach gedeckte Verlust in der Fortführung der Geschäfte nicht die geringste Störung verursachen.
  4. Der seiner Genesung entgegensehende Geschäftsinhaber Heinrich Morener befindet sich seit dem 14. 5. 26 – also bereits seit über zehn Monaten – in einem Sanatorium, ohne während dieser Zeit einen Angestellten des Bankhauses oder auch nur eins seiner Familienmitglieder gesehen zu haben.
  5. Die Prokura des Herrn Heinz Reichenbach, dem Fahrlässigkeit zur Last gelegt wird, ruht auf seinen ausdrücklichen Wunsch bis zur völligen Aufklärung und gerichtlichen Erledigung des Falles.

Unterzeichnet war diese, in Form großer Inserate in den führenden Tageszeitungen veröffentlichte Erklärung, auf die sämtliche Blätter in ihrem redaktionellen Börsenteil ausführlich hinwiesen, von dem Direktorium des Bankhauses Gebrüder Reichenbach & Co., den Herren Urbach und Meßter. Auf Grund dieser Erklärung trat vorübergehend eine Beruhigung an der Börse und damit auch in der Öffentlichkeit ein. Die Kurse des Bankhauses und der mit ihm in Verbindung stehenden Firmen zogen an – die Drahtzieher, die im Trüben fischten, hatten ihren Schnitt gemacht. Für sie war der Fall Reichenbach damit erledigt – und was folgte, interessierte sie kaum noch.

Staatsanwalt und Untersuchungsrichter arbeiteten Hand in Hand. Sie machten sich die Auslegung des Rechtsanwalts Dr. Eltzbach zu eigen. Einmal, weil es keine andere gab – dann aber auch, weil sie jeder Prüfung standhielt. In ihrem Ausgangspunkt zwar etwas gewagt, führte sie logisch schrittweise bis ans Ende – belastete Heinz Reichenbach – so daß man seine Verhaftung nicht als Mißgriff deuten konnte – und entlastete ihn zugleich, womit wiederum dem Urteil des gesunden Menschenverstandes Genüge geschah.

Man verhaftete schon am nächsten Tage die Diebe des Autos, der Brieftasche, der Perlennadel – die sämtlich in einem nahe der Wohnung des Arztes gelegenen Verbrecherlokale verkehrten – man verhaftete auch ein paar Dirnen unter dem Verdacht der Beihilfe und sicherte sich die Zeugenschaft des Wirtes und des Arztes, dessen Telephonnummer das Ganze ins Rollen gebracht hatte. Und es rollte so vorschriftsmäßig, daß Karl Morener sich vergnügt die Hände rieb und zu Dr. Eltzbach sagte:

»Da soll noch jemand behaupten, daß man als Anwalt keine Phantasie benötigt!«

»Wieso Phantasie? Logik! – die Kunst zu kombinieren!«

»Zu erfinden, meinen Sie.«

»Was? Sie glauben, das alles habe ich mir aus den Fingern gesogen?«

»I, Gott bewahre! Sie haben es dem Arzt insinuiert – ohne Hypnose – aber geschickt! – fabelhaft geschickt!«

»Erlauben Sie mal! Ich verbitte mir – das heißt, insofern haben Sie recht, als ich seinem Gedächtnis nachgeholfen und aus den Steinen, die er mir zugetragen hat, durch ein geschicktes Zusammensetzen ein Gebäude errichtet habe, das alles aufklärt.«

»Sie glauben das also wirklich?«

»Würde ich sonst meine Verteidigung darauf aufbauen?«

»Ich kann nicht auf den Grund Ihrer Seele schauen – will es auch nicht.«

»Ich verstehe Sie gar nicht. Halten Sie Heinz Reichenbach etwa für den Täter?«

»Nein!«

»Nun also! Und ich werde Ihnen nachweisen, weshalb . . .«

»Bitte, tun Sie es nicht. Sie könnten mich vielleicht vom Gegenteil überzeugen – und das würde meine Stellung wesentlich erschweren.«

»Das ist eine Beleidigung.«

»O nein! Lediglich eine Vorsicht. – Die Hauptsache ist ja doch, daß Sie Heinz Reichenbach überzeugen.«

»Mir scheint, Sie wissen mehr, als Sie sagen.«

»Unerheblich! Die Hauptsache, Sie halten an Ihrer fabelhaften Lösung fest. – Also, was sagt Heinz Reichenbach dazu?«

»Er war bis heute früh mir gegenüber genau so verschlossen, wie gegenüber dem Untersuchungsrichter. Er erklärt immer wieder: ›ich sage nichts und ich werde auch in der Verhandlung nichts sagen. – Denn ich halte es unter meiner Würde, mich gegen eine so groteske Anklage auch nur mit einem Worte zu verteidigen.‹«

»Und dabei bleibt er?«

»Glücklicherweise nicht. Seit dem Besuch Frau Moreners, den ich geschäftlicher Interessen wegen beim Untersuchungsrichter erwirkte, ist er wie umgewandelt.«

»Sonderbar!«

»Dabei hat die Unterredung nur vier Minuten gedauert.«

»Da sehen Sie, wie wenig Zeit man braucht, um sich über die wichtigsten Dinge zu verständigen. – Sie waren dabei?«

»Ja! – Ich und der Untersuchungsrichter.«

»O je!« entschlüpfte es Karl Morener. – »Und trotzdem hat der Besuch in Ihrem Sinne gewirkt? Wie hat sie das denn angestellt?«

»Sie hat ihm die Hand gedrückt, ihn angeschaut und gesagt – warten Sie, ich habe es mir aufgeschrieben.« Er nahm ein Aktenstück auf, blätterte und las: »›Lieber Heinz Reichenbach. Glauben Sie mir, daß nicht ich Sie verraten und Ihren Anwalt von Ihrem Verkehr in diesen Verbrecherkreisen erzählt habe. Es muß also noch ein Dritter von Ihren nächtlichen Studienfahrten gewußt haben. Nun, wo man es weiß, tun Sie mir die Liebe‹ – diese Worte betonte sie, und mir schien, daß sie seine Hand, die sie noch immer hielt, fester drückte – ›und geben Sie es zu.‹«

»Und was – hat er erwidert?«

»Er sah sie groß an und sagte: ›Da Sie es wünschen, will ich es tun.‹ – Frau Morener zitterten die Knie. Ich mußte sie stützen. – ›Sie Ärmster,‹ sagte sie noch – und wankte hinaus. – Der Untersuchungsrichter blieb bei ihm zurück. Ich brachte sie an ihr Auto. ›Wenn Sie ihn nicht frei bekommen!‹ sagte sie leichenblaß noch aus dem Wagen heraus. – ›Verlassen Sie sich auf mich!‹ erwiderte ich und eilte in das Untersuchungsgefängnis zurück. Auf dem Flur kam mir der Untersuchungsrichter entgegen. Schon von weitem rief er mir zu: ›Er bekennt sich in allem zu dem Sachverhalt, wie Sie ihn schildern!› – ›Und wie stellen Sie sich dazu?‹ fragte ich. – Er erwiderte: ›Abwartend, sofern es die Rolle Ihres Klienten betrifft. Im übrigen schließe ich mich Ihren Ausführungen an.‹«

»Das ist doch bedenklich,« meinte Karl.

»Einfach ist es jedenfalls nicht.«

»Kann Sie das unter Umständen veranlassen, die – wie sagt man? – Plattform Ihrer Verteidigung zu ändern?«

»Ich sagte Ihnen bereits, Herr Morener: ich glaube daran.«

»Dann bin ich beruhigt,« entschlüpfte es Karl, und er ging.

Der Anwalt sah ihm nach und schüttelte den Kopf. – Er wiederholte halblaut die Worte: »Dann bin ich beruhigt« – und schrieb sie unbewußt auf das Aktenstück, das vor ihm lag.


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