Artur Landsberger
Bankhaus Reichenbach
Artur Landsberger

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11.

»Das ist ja eine nette Geschichte,« sagte Karl Morener zu Reichenbach, als die anderen gegangen waren. »Wie lange warst du denn bei Frau Hedda?«

»Es ist sehr spät geworden. Wenn man sich so lange nicht gesehen hat – was lag nicht alles zwischen unserem letzten Zusammensein und unserem Wiedersehen gestern – hat man sich viel zu erzählen.«

»Du kannst doch nicht über Nacht geblieben sein.«

»Es fing bereits an, hell zu werden.«

»Das hieße nach drei.«

»Gegen vier sogar.«

»Und wo wart ihr so lange?«

»Du fragst so sonderbar! – Wo sollen wir denn gewesen sein? Im Salon neben dem Tanzsaal.«

»Bis vier Uhr?«

»Nun hör' aber auf! – Oder soll ich mich etwa auch dir gegenüber wegen dieses Einbruchs da« – er wies auf den Geldschrank – »rechtfertigen?«

»Die Angelegenheit interessiert mich im Augenblick weniger als die Tatsache, daß du meine Tante kompromittierst.«

»Du, das verbitte ich mir!«

»Ist wenigstens das Personal aufgeblieben?«

»Frau Hedda hat es so um eins herum zu Bett geschickt.«

»Und dann bist du noch drei Stunden mit ihr allein geblieben?«

»Ja, warum denn nicht? – Muß man denn immer gleich etwas Schlimmes denken?«

»Ob man es muß oder nicht, die Welt tut es eben. Wenn es sich herumspricht, daß du, während das Personal schlief, bis gegen morgen im Schloß warst, ist Frau Hedda kompromittiert.«

»Ich schwöre dir . . .«

»Ich bin überzeugt davon. Du würdest auch schwören, wenn etwas vorgefallen wäre. Es wäre sogar deine Pflicht, es zu tun. Darauf aber kommt es gar nicht an.«

»Worauf denn?«

»Auf das Urteil der Welt – wenigstens für Frau Hedda. Natürlich kann in einer halben Teestunde unter Umständen mehr passieren, als während einer ganzen Nacht. Aber es ist nicht sehr wahrscheinlich. Und ich muß sagen, daß, wenn es sich nicht gerade um euch beide handelte, ich in jedem anderen Falle genau so denken würde.«

»Also darf es niemand erfahren.«

»Das ist leicht gesagt.«

»Das ist doch so selbstverständlich, daß kein Wort darüber zu verlieren ist.«

»In deiner Lage.«

»Die hat nichts damit zu tun.«

»Das sagst du – die Polizei wird anderer Meinung sein.«

»Es gibt doch keinen Menschen auf der Welt, der mir zutraut, daß ich in einen Geldschrank einbreche – noch dazu in einen, an den ich jeden Augenblick ohne Gewalt gelangen kann.«

»Von denen, die dich kennen, glaubt es niemand. Leider kennen dich die Leute aber nicht, die darüber zu befinden haben.«

»Dann muß man eben alles in Bewegung setzen, um den Raub so schnell wie möglich aufzuklären.«

»Und bis dahin?«

»Muß man dafür sorgen, daß die Polizei ihre großartige Vermutung für sich behält.«

»Es wird Mühe kosten, sie von einer einmal gefaßten Meinung abzubringen.«

»Dann läßt man es sich die Mühe eben kosten – und wenn es nötig ist, auch das Geld.«

»Die Polizei ist unbestechlich.«

»Ich denke dabei nicht an die Polizei, sondern an Detektive und Privatpersonen, die man damit befaßt. Ich schlage vor, wir setzen auf die Aufklärung des Einbruchs eine ungewöhnlich hohe Belohnung – etwa in Höhe der gestohlenen Summe.«

»Du bist sehr großzügig. Eine halbe Million sind selbst für meinen Onkel eine hohe Summe. Zumal, da mit der Aufklärung die gestohlenen fünfmalhunderttausend Mark noch nicht zurück sind. Es könnte auf die Weise also eine Million werden.«

»Wenn die Welt erfährt, daß ein Reichenbach auch nur vierundzwanzig Stunden lang verdächtigt worden ist, so geht für das Prestige des Bankhauses, also für das deines Onkels, damit mehr verloren.«

»An sämtlichen Börsen der Welt weiß man, daß das Bankhaus nicht mehr Reichenbach, sondern Morener gehört.«

»Dann werde ich den Betrag von mir aus geben.«

»Fünfmalhunderttausend Mark? – ja, kannst du denn das?«

»Aus eigener Kraft nicht. Aber ich kann mir, was fehlt, beschaffen.«

»Du, der du in deinem Leben noch nie einen Pfennig Schulden gemacht hast, willst das auf dich nehmen?«

»Es handelt sich um den Ruf Frau Heddas, um meinen Ruf und den der Bank – dafür lohnt es sich schon, ein halbes Leben lang zu arbeiten.«

»Das täte ich nicht.«

»Sondern? – Was tätest du in meiner Lage?«

»Ich würde mich niemals für eine Frau opfern – am allerwenigsten für eine, von der ich nichts gehabt habe!«

Reichenbach stutzte. Er empfand die Worte wie eine Frage, verbarg mühsam seine Erregung, wich aus und erwiderte:

»Das würde für mich zu allerletzt von Belang sein. Ich empfinde es nach dem, was du mir gesagt hast, als eine selbstverständliche Pflicht, zu schweigen.«

»Wenn du es nicht tätest, so würde man sie womöglich noch mitverdächtigen.«

»Du bist toll!«

»Man würde annehmen, ihr liebt euch und habt eine gemeinsame Flucht geplant – deren notwendige Finanzierung dich dann zu diesem verzweifelten Schritt trieb.«

»Du legst dir da eine Erklärung zurecht!«

»Die ich natürlich nicht einen Augenblick lang auch nur in Erwägung ziehe, die aber jeder als naheliegend sich zu eigen machen wird – zumal du ja tatsächlich deine Reise nach Rio vorbereitest.«

»Ich habe sie aufgegeben.«

»So?« fragte Karl und tat erstaunt, und fügte hinzu:

»Seit wann?«

»Seit heute nacht.«

»Du, höre mal, das klingt aber nun wirklich verdächtig.«

»Bitte, scherze nicht! – Frau Hedda bat mich darum, im Interesse ihres Mannes – du weißt, wie fest in mir der Entschluß zu dieser Reise war – es ist mir daher nicht leicht gefallen, ihr den Wunsch zu erfüllen.«

»Warum hast du es denn getan?«

»Ich weiß nicht – ich brachte es einfach nicht über mich, es ihr abzuschlagen – als ich sah, wie viel ihr daran lag.«

»Du liebst sie!«

»Also ja! – Aber das hat damit nichts zu tun – ich begehre sie nicht.«

»Eine Frau, die man liebt, begehrt man auch.«

»Das ist eine Phrase. – Ich jedenfalls begehre sie nicht – es wäre auch ganz aussichtslos, da sie mir völlig gleichgültig gegenübersteht.«

Karl Morener trat dicht an Heinz Reichenbach heran, legte den Arm auf seine Schulter und sagte:

»Höre, Heinz! Ich habe dir als Freund geraten, nicht zu schweigen, sondern dich von dem Verdacht zu reinigen, indem du einfach dein Alibi nachweist – selbst auf die Gefahr hin, Frau Hedda zu kompromittieren. Denn meine Freundschaft zu dir liegt mir näher als der gute Ruf meiner Tante – über die im übrigen kein Mensch etwas Nachteiliges sagen kann. Ich habe dabei weder an deine Reise gedacht, noch gar gewußt, daß du sie liebst. Diese beiden Momente ändern die Situation natürlich vollständig.«

»Ich habe dir bereits gesagt: ich schweige! Das steht für mich ganz außer Frage. – Aber selbst wenn ich's spräche – daß ich sie liebe, brauchte ich keinem Richter der Welt zu gestehen.«

»Das hättest du auch gar nicht nötig, denn das würde jeder Mensch aus der Art, in der du sie verteidigst, von selbst herausmerken. – Du würdest auf jeden Fall den Verdacht der Mitwisserschaft, wenn nicht gar der Beihilfe, auf sie lenken. Dein Alibi wäre also statt einer Entlastung für dich, nur eine Mitbelastung Frau Heddas – und zugleich eine Erklärung der Motive, deren Unbegreiflichkeit gerade dein wertvollstes Verteidigungsmittel ist. Du würdest also, statt dir zu helfen, ihr schaden und deine eigene Lage noch verschlechtern.«

»Also bist du nun überzeugt, daß ich schweigen muß.«

»Leider bin ich das. – Aber, was soll nun werden?«

»Was ich zu Anfang sagte: wir müssen unabhängig von der Polizei den Fall aufklären – und da für Geld heute selbst eine Mutter ihr Kind verrät, so ist das wichtigste die Aussetzung einer Belohnung – und zwar sofort.«

Karl stimmte bei. Man zog die beiden Direktoren hinzu und einigte sich auf eine Belohnung für die Aufklärung des Verbrechens, unabhängig von der Wiederbeschaffung der gestohlenen Werte. Und zwar in Höhe von dreimalhunderttausend Mark, von denen die Bank zweimalhunderttausend, hunderttausend Mark Reichenbach aus eigenem gab. Und zwar war er derjenige, der die Höhe der Summe und deren Verteilung anregte.

Inzwischen waren zwei Stunden vergangen. Als der Kommissar wieder erschien, ging Heinz ihm entgegen, um sich zur Verfügung zu stellen. Aber der Kommissar kam ihm zuvor.

»Bevor Sie mir Ihre Entschließung mitteilen, Herr Reichenbach, möchte ich Ihnen die Versicherung geben, daß wir uns Ihr Schweigen mit der Rücksicht auf eine Dame erklären, die Sie zu kompromittieren fürchten.«

»Sie irren!« erwiderte Heinz. Aber Karl fragte:

»Und wenn es so wäre – was dann?«

»Dann habe ich Ihnen im Auftrage meiner vorgesetzten Behörde die Versicherung zu geben, daß wir den Fall in diskretester Form und ohne, daß jemand davon erfährt, nachprüfen werden.«

»Die Dame müßten Sie ja wohl fragen.«

»Auch das ließe sich vermeiden, wenn Sie sich nicht darauf beschränken würden, uns den Namen der Dame zu nennen, sondern den Nachweis führen, daß Sie wenigstens in letzter Zeit mehrfach die Nächte bei dieser Dame verbracht haben.«

»Unmöglich!«

»Es wäre demnach die erste Nacht gewesen.«

»Stellen Sie mir keine Fallen! Ich habe mit dem Einbruch nichts zu tun. Wenn Sie gegenteiliger Ansicht sind, weisen Sie es mir nach!«

»Es gibt auch Indizienbeweise, Herr Reichenbach!«

»Ich verliere kein Wort mehr!« erwiderte Heinz.

Der Kommissar griff in die Tasche.

»Halt!« rief Karl Morener. »Sie sprachen von der Diskretion Ihrer vorgesetzten Behörde. Darf ich wissen, wer damit gemeint ist?«

»Der Chef der Kriminalpolizei.«

»Und wie steht es mit der Diskretion der Gerichte?«

»Für die können wir natürlich nicht garantieren.«

»Dann freilich!« erwiderte Karl und senkte den Kopf.

Der Kommissar zog den Haftbefehl aus der Tasche und forderte Heinz Reichenbach auf, ihm zu folgen.

Als Karl und die beiden Direktoren an ihn herantraten und ihm die Hände drücken wollten, wehrte Heinz ab und sagte:

»Keine Beileidsbezeugungen, bitte! – Aber um so mehr Eifer verwenden Sie darauf, den Fall aufzuklären.«


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