Reise durch das Biedermeier
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Weimar

Man sieht Weimar erst ganz von nahem. Auf den Höhen vor der Stadt lagert laubgrünes Gehölz, das sogenannte Webicht. Der frische junge Wald ist von Alleen durchschnitten. Wege für Reiter und Fußgänger laufen durch ihn hin. Nur die Spaziergänger, die einem entgegenkommen, deuten auf die Nähe der Stadt. Das duftige grüne Waldleben liegt wie ein Schleier vor Weimar. Plötzlich öffnet sich der Blick nach dem Walde, und dicht vor uns breitet sich die Stadt aus. Der blau gedeckte Thüringische Turm, das Durcheinander der Häuserdecken, das anspruchslose Schloß, von Wasser und hängenden Baumzweigen begrenzt, zeigen sich den entzückten Augen.

Noch reizender ist der Anblick, wenn man vom Ettersberge herunterkommt. Wenn man von dort Weimar im hellen Sonnenlichte liegen sieht, blau und freundlich, gehoben durch die heitere Berglehne, so findet man wohl, daß sich die Ersten unserer Literatur hier in der Mitte von Thüringen recht artig angesiedelt haben.

Will man sich den guten Eindruck erhalten, so fahre man gleich wieder auf der anderen Seite aus der Stadt, die Allee nach Belvedere entlang. Da liegen die Landhäuser der Dichter.

Weimar wird bald eine kleine Stadt werden, in der man in das Kasino und auf die Jagd gehen muß, um Abwechslung zu haben. Die Literatur ist Weimars größter Feind, weil sie Ansprüche weckt, für die Weimar selbst nichts kann. Denn Weimar ist eine Stadt an sich, ein offener Ort mit achttausend und einigen Einwohnern, unter denen jetzt kein Dichter mehr lebt. Mit einem Gymnasium, mit einem Waisenhause, einem Theater, einem Spitale, mit krummen Straßen und sonstigem Zubehör. Daß der große Weimaraner Karl August die berühmtesten Deutschen hierhergerufen, daß diese lange hier gewohnt, dafür kann man billigerweise Weimar selbst nicht verantwortlich machen. Der Ort ist keine Fabrik berühmter Leute.

Doch mag es auch töricht und unbillig sein, Weimars Vergangenheit seiner Gegenwart zum Vorwurfe zu machen. Mögen sich auch historische Zustände nicht gewaltsam wiederholen lassen, so ist es doch eine gerechte historische Forderung, ein verhältnismäßiges Streben zu verlangen, sobald die Anregung so groß und herrlich war. Das Erbe des Genius läßt sich nicht ohne weiteres übernehmen. Aber man kann doch den Sinn in angemessenem Schwunge und Stile erhalten. Es ist die höchste historische Pietät, aus der oft die schönsten Früchte entstehen, und die jedenfalls den würdigen Dunstkreis einer begünstigten Kultur rein und frisch bewahrt.

Weimar müßte den Beruf in sich fühlen, eine literarische Akademie Deutschlands zu gründen und Kongresse von Schriftstellern bei sich zu versammeln.

Literarische Größen an einem Orte zu versammeln, würde allerdings jetzt sehr schwierig sein. Neutralität wäre nur unter den gerechtesten Bedingungen zu erreichen. Daß Ähnliches nicht einmal versucht wurde, ist aber befremdlich, wenn man den häufigen Vorwurf bedenkt, die Schriftsteller seien im ganzen republikanisch gesinnt. Die Berührung mit einem Hofe, ja nur ein ferneres Verhältnis zu ihm, wäre ja das beste Mittel gewesen, die Literaten zu gewinnen. Der Hof mit seinen festen Formen, seinen leichten und schönen Fesseln ist ja in Spanien und Frankreich ursprünglich dafür erfunden worden, das in irgendeiner Weise Widerstrebende dadurch zu bannen, daß man es in die neutralen Interessen eines glänzenden Mittelpunkts zusammendrängte. Die Granden Spaniens, die Seigneurs Frankreichs, die vorher die hartnäckigsten Gegner des Königs waren, sind durch die Höfe von Madrid und Paris beruhigt und im Zaume gehalten worden.

Jedes Genie ist von Haus aus revolutionär, weil es erfinderisch und schöpferisch ist. Die Aufgabe der Mitwelt ist es, Große in gemessene, harmonische Verbindung mit dem Bestehenden zu bringen. Dies geschieht dadurch, daß man sie der Vorteile und Freiheiten der Herrschenden teilhaftig werden läßt, damit sie mit ungestörtem Herzen und folglich auch selbst nicht störend das Neue schaffen und erfinden. Wessen Geist sich nie hinausgewagt hat, um das bestehende Gesetz, die herrschende Sitte vom isolierten Hügel der ungebundenen Eigentümlichkeit anzusehen und zu prüfen, die Rechte des Verbotenen mit in die Waagschale zu werfen, in sich den Versuch einer eigenen Gesetzgebung zu unterzeichnen, der hat nie Genie besessen.

Geniale Menschen nie feindselig gesinnt zu machen, das ist eine Aufgabe des Herrschenden. Man muß einräumen, daß sie an den Mittelpunkten unserer letzten Literaturepoche vortrefflich gelöst wurde. Man braucht nur zu überlegen, daß damals jeder Revolutionär in Frankreich ein weites Betätigungsfeld gefunden hätte.

Aber die literarische Bildung war neu, überraschend und trat nur in wenigen gebieterisch vor die Öffentlichkeit. Es war leicht, sie auszuzeichnen und zu ehren. Einzelne Herrscher verliehen an Dichter und Schriftsteller Orden und Adelsdiplome. Ausgezeichnete Fürsten verkehrten mit ihnen als den Erlauchten der Nation. Jetzt ist das alles anders. Man sieht keine literarischen Granden bei Hofe mehr, dafür haben auch die kleineren Geister Speise und Trank. Der Buchhändler zahlt mehr, und der Schriftsteller ist Mitglied des vierten Standes geworden, während er früher Herr oder Lump war.

Man muß ein Mädchen nicht zu lange ignorieren, wenn man ihr Vorwürfe machen will. Sie sucht sich sonst einen anderen Liebhaber, und man bringt die Verzweiflung dann nur sehr schwer an.

Aus alldem ist zu erkennen, daß die Idee Fürst Metternichs, eine deutsche Akademie zu gründen, sehr klug und eines solchen Staatsmannes würdig ist.

Vom Kreise Goethes leben jetzt noch in Weimar der Kanzler von Müller, Riemer und Eckermann. Ich weiß nicht, ob Stefan Schütz, der ebenfalls hier lebt, auch zum Kreise Goethes gerechnet werden will. Die einfache Manier, in der er vor kurzem sein anspruchsloses Leben beschrieben, streift allerdings auch an diese Geschmacksrichtung. Er allein aber wagt es, zuweilen in den Journalen vorzubringen, Goethe sei auch nur ein Mensch gewesen, wenn von Überschwenglichkeiten des Dichters erzählt wird. Ich habe im Theater seine kleine Figur mit dunklem, scharf markiertem Kopfe gesehen.

Auch lebt der bekannte Rationalist Röhr als Oberhofprediger in Weimar, und obwohl der Rationalismus sehr ins Hintertreffen geraten ist, bringt man seinen Predigten viel Interesse entgegen. Ferner sieht man den Oberkonsistorialrat Peucer hier, der sich am literarischen Leben sehr interessiert zeigt, und auch Biedenfeld, der von Bidassoa bis an die Beresina schon überall war, von Napoleon bis zum Kommissionsrat Cerf alle Notabilitäten gesprochen, unzählige Stücke und Bücher geschrieben, die Literatur aller Nationen gelesen hat. Er ist ein unverwüstlicher Freund und ein Mann des Lebens und versteht es, sich seinen Bekannten freundlich und gefällig zu erweisen. Sobald er es mir erlaubt, will ich gerne seine Biographie schreiben.

Von den Instituten ist besonders das Museum hervorzuheben. Es ist sicher eines der schönsten in Deutschland. Trotzdem die Literaten fehlen, hat man ein Haus für Literatur errichtet: die Geliebte ist tot, begnügt euch mit der Liebe. Dieses Leseinstitut verdankt der Großherzogin, von der überhaupt eine tätige und segensreiche Wirkung ausgeht, seinen großen Stil und die kostspielige Unterhaltung. Fast wie zu London im großen Lesekabinett, wo man für einen Schilling Entréegeld eine Zigarre und fast alle Journale der Welt bekommt, findet man hier ohne Schillinge und Zigarre Lektüre aller Länder und Berufszweige. Daneben sind alle neuen Bücher ausgelegt. Merkwürdig genug aber: in ganz Weimar gibt es nur eine Buchhandlung, die gerade nur die Bücher zum Verkauf anbietet, die sich der Vorliebe des Eigentümers erfreuen dürfen. So wie man auf unseren Gymnasien früher nur eine Stunde oder gar nicht deutsche Sprache lehrte.

Wenn man in Weimar neue Bücher kaufen will, so schreibt man meistens nach Jena. So wie man von Merseburg nach Halle fährt, um gutes Merseburger Bier zu trinken. Es wird erst gut, wenn es verfahren ist. Und die Bücher sind interessanter, wenn sie von auswärts kommen.

 

Unweit des Theaters von Weimar steht ein kleines Häuschen, zusammengeknickt und versperrt mit grünen, verblichenen Jalousien, das war Schillers Haus. Fast überall, wo ich Schillers häuslichem Leben nachspürte, sind mir kleine, niedrige Räume begegnet. Man sollte doch denken, die hohen Gestalten seiner Poesie hätten sich an der niedrigen Decke die Köpfe einstoßen müssen. Es war in seinen Gewohnheiten etwas Bürgerliches und Zynisches, das keine besonderen Ansprüche machte. Oder richtiger, sein Idealismus nahm keine weitere Rücksicht auf solche Nebendinge. Schiller erkaufte sich mühsam sein kleines Haus mit Gedichten und Tragödien. Goethe, der Glückliche, erhielt es zum Geschenk.

Stattlicher ist allerdings das Haus Goethes. Aber man muß sich keine Palastvorstellung machen, wie sie durch manche Beschreibung veranlaßt werden könnte. Ein paar Figuren im artigen Flur abgerechnet, die mit kühler Stille empfangen, ist es eben nur ein hübsches Wohnhaus, wie es jeder Berliner Bankier schöner hat. Nach außen ist es ohne besonderes Aussehen.

Goethes eigentliche literarische Tätigkeit spielte sich nicht einmal in diesem artigen Hause ab. Sie lebte in einem kleinen Hinterstübchen, das gar nicht in die volle Figur des neuen Hauses zu gehören scheint. Das Arbeitszimmer ist klein, einfach und schmucklos. Diese größte Einfachheit, der Mangel alles modernen Komforts an Gardinen und an Sofas erinnert an antike Schmucklosigkeit. Man begegnet hier vielen Ausländern, die ihre Namen in das Gedenkbuch schreiben, so wie man es auf alten Schlössern zu tun pflegt. Die Aussicht des Zimmerchens geht auf das Gärtchen, in dem Goethe so oft umherschritt. Alle Möbel und Geräte liegen noch auf der Stelle, wie er sie an seinem Todestage verlassen hat. Ein großer einfacher Tisch steht in der Mitte. Das kleine Kissen liegt noch darauf, wo er seine Arme auflegte, wenn er diktierte. Im Winkel liegen noch die zerpflückten Läppchen, die er seinem kleinen unruhigen Enkelkinde zur Beschäftigung gab, wenn es darauf drang, bei ihm zu bleiben und ihn doch nicht stören durfte. Briefe stecken noch reichlich in kleinen Fächern am Fensterwinkel. Man darf ruhig einsehen, was die Leute an ihn geschrieben haben. Wo immer man auch hineinblickt, überall wird er wie der gesegnete Padischah angeredet.

Eine kleine Kammer mit einem Fenster stößt an das Zimmerchen. Da steht noch das einfache Bett mit leichter Decke, wie er es aus Süddeutschland gewohnt war und immer beibehalten hat. Der alte Lehnstuhl, in dem er zum letzten Schlummer einschlief, ist auch noch im Zimmer.

Goethes Nachkommen spielten in dem Saale Klavier, waren lustig und guter Dinge. Der alte Herr war schon über vier Jahre tot. Wie lange wird es dauern, so wundern sich die Leute, daß wir noch neben ihm gelebt haben?

Die Franzosen sind mit ihrer bekannten Manier rasch bei der Hand, wenn sie dieses schmucklose Zimmer sehen. Sie schreiben darüber: »Goethe wollte der bemerkenswerteste Gegenstand seiner Wohnung sein.« Wenn es noch so gut bei ihnen gemeint ist, aus ihrer Eitelkeitssphäre kommen sie nicht heraus. Diese Art ist Goethes Sache niemals gewesen.

Auf dem Vorsaale vor diesem kleinen Zimmer steht eine alte Wanduhr. Sie ist ein fürstliches Geschenk, das Goethe eines Morgens zu seinem Geburtstage im Jahre 1825 weckte. Das kleine Zimmer war übrigens nur den vertrautesten Freunden geöffnet. Fremde wurden vorne in den großen Gemächern empfangen, wonach er sie meistens zu Tische lud. Wenn ihn nicht schönes Wetter zum Spazierenfahren lockte, so war er bis zur späten Tischzeit fast nur in diesem Arbeitskämmerchen. Seine größeren Werke schrieb er gewöhnlich selbst. Er stand dabei an einem kleinen, unscheinbaren Pulte. Er arbeitete gerne partienweise, je nachdem wie er gestimmt war. Bald schrieb er den Mittelteil, dann wieder am ersten Akt. Das darf um so weniger bei ihm verwundern, als der Plan des Ganzen gewöhnlich in seinem Kopfe schon fertig war und nur sorgfältig zu Papier gebracht werden mußte. Diktierte er, so ging er meist umher oder saß mit aufgelegten Armen am Tische. Es ging sehr rasch und dauerte oft viele Stunden lang, so daß der Sekretär ein anstrengendes Geschäft hatte und seiner Versicherung nach oft die Finger nicht mehr fühlte.

Bis zum Mittagessen genoß der alte Herr sehr wenig. Bei diesem aber war er rüstig und tätig, wie es der gesunde Leib eines starken Mannes nur fordern mochte. Dazu trank er seine volle Flasche Würzburger und wohl noch eine halbe Flasche Champagner oder anderen Wein. Er unterhielt sich gerne heiter dabei.

Wenn sich Goethe am Abend wieder zurückzog, sah er ganz gerne einige vertraute Freunde bei sich. Sein Geist wie sein Körper waren von großer Ausdauer. Er vermochte lange Zeit geistig produktiv und aufnahmsfähig zu bleiben. Gerne ließ er die andern reden, hörte zu und schenkte den Freunden die Gläser voll, wenn sie darin lässig waren. Er selbst trank fast nur bei Tische und genoß bis zum Schlafengehen nichts mehr.

Diese Tagesordnung wurde nur geändert, wenn er sehr lebhaft über einem Werk arbeitete. Dann ließ er sich nur etwas Essen in sein Zimmer servieren. Er blieb den ganzen Tag im Kämmerchen und kam nur am Abend zu seiner Familie hinüber. Gewöhnlich ging er um elf Uhr schlafen und stand etwa um sechs Uhr wieder auf. In der schönen Jahreszeit besuchte er oft sein Gartenhaus im Parke, begleitet vom Sekretär und seinem Kammerherrn. Früher hatte Goethe hier manche heitere Stunde genossen und das Weib umarmt, das er später zur Frau Geheimrat erhob.

Fräulein Vulpius hatte in schönster Blüte gestanden, als Goethe aus Italien heimkehrte. Goethe hatte in Italien seine Elegien nicht aus der Luft gedichtet, sondern ganz reell und standhaft erlebt. Er hatte vor seiner Abreise von Rom an die Freunde in Weimar geschrieben, es sei ihm nicht wünschenswert, nach solcher Zeit der Flut gänzlich auf Sand zu geraten. Künstlerisch hatte er die Qualitäten geschildert, die die allgemeinen Umrisse und Definitionen der weiblichen Schönheit für seinen persönlichen Geschmack modifizierten, und hatte mit der Frage geschlossen, ob denn im Lande Weimar solch ein Spiegelbild der Faustschen Helena in keiner Weise zu finden sei. Die Theorie des Schönen war damals sehr unbefangen und nachdrucksvoll schöpferisch, und die Freunde antworteten zynisch und gerecht: Weimar sei zwar nicht Rom, aber deshalb doch auch nicht von der Schönheit verlassen. Er werde sich wundern, was ihm auf der letzten Station begegnen könne. Und Fräulein Vulpius gefiel ihm sehr.

Daß die Frau Geheimrätin, die Goethe immer den »Herrn Geheimderat« zu nennen pflegte, keinen besonders schriftstellerischen Geist besessen, hat den Leuten viel zu schaffen gemacht. Man vergißt, daß eine Dame liebenswürdig und reizend sein kann ohne das Zeug der landläufigen Bildung.

Wie frei und harmlos übrigens im allgemeinen damals die Umgangsverhältnisse unter Männern und Frauen waren, klingt heute ganz überraschend. Wir wissen gar nicht, wie sorgfältig die geschlossene Form und geregelte Erscheinung darin wieder Terrain gewonnen hat. Damals war die Ehe unter den gebildeten Ständen nur noch ein Name, dessen man sich nach Umständen bediente oder nicht. Viele Äußerungen dieser Zeit sind nur zu verstehen, wenn man das weiß. Als die Freunde Goethe mit der sogenannten Vulpia neckten und von seinem Sieg über sie bezweifelten, daß es der erste gewesen sei, den man über sie errungen habe, gab er die merkwürdige Antwort: »Ich bezweifle nicht, daß sie auch anderen würde gefallen haben.« Wie richtig, großartig und fein ist diese Antwort, diese Wendung des Interesses auf einen Standpunkt ganz anderer Art.

Es soll aber erwähnt werden, daß mitten in dieser Zeit, mitten unter Verhältnissen, wo sich die gegenseitige Begegnung so heidnisch frei abspielen konnte, als ob das atheniensische Leben aufgeweckt worden sei, ein Mädchen lebte, das freundlich und lockend gegen alle, von allen geschmeichelt und gefeiert, doch keusch und streng wie eine Muse war. Vielleicht trug sie unter ihrer stillen Schönheit alles Weh einer Gesellschaft, die keinen größeren Platz für sie hatte als den einer Schauspielerin.

Es gibt nicht leicht einen interessanteren und ergiebigeren Stoff für eine Novelle, als die merkwürdige Situation der Corona Schröter, die gleich Iphigenie die interessanteste Welt von bedeutenden Männern um sich sah, die ihr kein würdiges nahes Verhältnis bieten konnten. Vielleicht trug sie das Bild des einen tief verschlossen im Busen, ohne jemals darüber zu sprechen.

Sie war aus Leipzig und stand in den ersten Regierungsjahren Karl Augusts in der prächtigsten Blüte ihrer hohen Schönheit. Merkwürdig genug war dieser Regent, der sich später so sehr durch geniale Kraft auszeichnete, als junger Mann schüchtern, ohne Drang, das Weib als Ergänzung des Mannes zu suchen. Der damals siebenundzwanzigjährige Goethe unternahm das kühne, so tiefer Verantwortung ausgesetzte Wagnis, dem jungen Fürsten in ein bewußtes Leben zu verhelfen. Er unternahm mit ihm eine Fußreise durch die Schweiz.

Stark und erwacht kam der Fürst mit ihm nach Weimar zurück. Die schöne Corona erschien ihm erst jetzt schön. Aber sie war ein Feuer aus Eis, wie auch später wiederholt versichert wurde.

Kein Mann hat sich einer hingebenden Gunst dieser keuschen Muse gerühmt. Sie steht wie eine schimmernde Marmorstatue in dieser bunten, warmen, genießenden Zeit.


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