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Die Leute haben sich die wegwerfende Meinung von Potsdam angewöhnt, es sei nur das Komma, das sich an das Wort Berlin angehängt habe. Ich bin immer ganz anderer Meinung gewesen und habe nie begriffen, warum nicht Potsdam zur Hauptstadt Preußens wurde. Es liegt an einem See und an der bedeutenden, direkt in die Elbe mündenden Havel und hat eine viel hübschere Umgebung als Berlin. Außerdem liegt es vier kleine Postmeilen näher am alten Deutschen Reiche. Man vergleicht es gewöhnlich mit Versailles, wozu der französische Stil der Schlösser und Anlagen berechtigt, aber als Position hat Potsdam eine viel größere Bedeutung als Versailles. Versailles ist bloß ein Audienzsaal, Potsdam könnte eine Handelsstadt sein. Die Kaufleute hier sagen: »Wenn die Eisenbahn fertig wird, so wird Potsdam der Hafen von Berlin.« Ich verschweige indessen nicht, daß erfahrene Leute die anspruchslose Spree der Havel vorziehen. Sie hat ein stets zuverlässiges und befahrbares Wasser, während die Havel mehr von den Malern verehrt wird. Malerei und Schifffahrt harmonieren aber doch selten in ihren Ansprüchen.
Ich war immer nur mit der Post durchgefahren und kannte nur einen Ausschnitt des Tales. Jetzt wollte ich in Potsdam einen ganzen Tag verbringen. Es ging rasch über die Berliner Gebirge – westlich von Berlin steigt aus gutem Streusande der Kreuzberg auf, der die Eisenpyramide der Befreiungsschlachten trägt. Seine Verlängerungen beunruhigen das Dorf Schöneberg mit kleinen Hügeln. Jeder Postillon klagt darüber. Schöneberg mit seinem Wappen im Namen ist eine Sehenswürdigkeit weit und breit. Nur ganz unaufmerksame Reisende übersehen die Berge hier völlig.
Die Gegend bis an den Wald von Potsdam ist ziemlich ausdruckslos. Erst hier beginnt ein wirklich hügeliges Land mit Wäldern und dunklen Seen, öffnet sich die Höhe hinunter nach Potsdam, so fährt man überrascht in eine andere Welt. Man sieht einen See und über ihm eine prächtige Brücke. Ringsumher Berghänge mit Lustschlössern, Türmen und Palästen lieblich verstreut – die Welt Friedrichs des Großen. Friedrich war bekanntlich in Berlin immer nur zu Besuche, er wohnte in Potsdam. Diese Stadt ist eine Schöpfung Friedrich Wilhelms I. und seines Sohnes. Friedrich hat ganze Straßen erbauen lassen und die Häuser dann verteilt. Nichts ist in Potsdam so teuer als der Mensch. Denn eigentlich voll ist es immer noch nicht. Anfänglich mußte man hier das überflutende Binnenwasser überwinden, das die Gegend in Sumpf und Bruch verdünnte. Jetzt wuchert hier eine um so reichere Baum- und Grasvegetation.
Wir fuhren nach dem Neuen Schlosse hinaus, das jenseits von Sanssouci hinter einem weiten grünen Parke liegt. Friedrich der Große erbaute es nach dem Siebenjährigen Kriege, um der Welt zu zeigen, daß er noch stark bei Kasse sei. Es sieht wirklich brillant aus. Drei Damen, die rücksichtslos aller Welt das hintere Profil zeigen, tragen auf dem Gipfel des Schlosses die Krone. Hier auf dem Gipfel des neuen Palais soll er zu Trägern seiner Krone Maria Theresia, Katharina und die Pompadour erwählt haben. Die artigere Deutung von heute sagt natürlich, es seien die drei Grazien.
Mein Interesse richtete sich nur auf die Zimmer des alten Friedrich. Sie liegen in einer Ecke des Schlosses auf ebener Erde. Eine gläserne Tür trennte den König von jedem, der hier spazierenging. Ein paar Schritte nur von den Fenstern des Königs entfernt schwanken die grünen Sträucher und Äste des Parkes.
Ich muß gestehen, daß ich bei diesem unangemeldeten Besuche den Alten Fritz ganz anders gefunden habe, als ich ihn mir vorstellte. Man trägt vielerlei kindische Antipathien durchs Leben, deren äußere Narbe wohl durch die Einsicht geschlossen wird, deren eigentliche Wunde Belehrungen aber nicht heilen können. So ist es mir immer mit Karl dem Großen und lange Zeit auch mit Friedrich gegangen. Karl der Große behält stets etwas unbesiegbar Philisterhaftes für mich. Er gleicht einem stark gewachsenen Hausvater, der in seiner Familie eine kurze Jacke trägt, den Tag über tüchtig wirtschaftet und am Abend beim Kaminfeuer noch etwas Belehrendes aus der Postille vorlesen läßt. Die Töchter und Dienstboten müssen dabei Rüben rein machen für das nächste Mittagessen. Meister Karl schilt sie immer, wenn sie sich etwas zuflüstern und nicht recht aufpassen. Ehe sie schlafen gehen, examiniert er sie, dann zieht er sich eine Zipfelmütze über die Ohren, richtet die Schwarzwälder Uhr und stellt den Wecker. Unbeweglich schläft er auf dem Rücken ausgestreckt, bis morgens um halb vier der Wecker lärmt.
Anders freilich, interessanter, aber sehr unbehaglich, dachte ich mir die Existenz des Alten Fritz. Der Spaniol, mit dem er aus der Tasche schnupfte, das strenge Gesicht, die kurze, schneidende Abfertigung, das immerwährende Beschäftigtsein, an allen Ecken dürre Windhunde, das einsame Junggesellenleben, seine französischen Bücher und der Krückstock, alles zusammen machte mir den Eindruck einer gewissen Unbehaglichkeit. Die Kindereindrücke meiner schlesischen Heimat, wo er die meisten Verehrer hat, wie der Überwältiger von dem Mädchen am stärksten geliebt wird, mochten wohl das Ihre dazu beitragen. Wo man hinsah, hing ein Bild des alten Herrn. Ein Prediger meiner Vaterstadt, Buquoi, hatte vier magere Bände über den Siebenjährigen Krieg geschrieben, die mußte ich immer wieder lesen, weshalb ich diesen Krieg, so gut ich konnte, verwünschte. Als mir der Großvater erzählte, daß ihn der Alte Fritz bei Glogau einmal fast umgeritten, und ich Prügel bekam, weil ich nicht verstehen wollte, welch liebe Erinnerung das für meinen Großvater bedeutete, nistete sich das Vorurteil erst recht fest ein. Später, beim genaueren Kennenlernen dieses Geistes, bekam ich wohl Respekt, aber mehr nicht. Nach weiterer Zeit bewunderte ich die schöpferische Kraft dieses Mannes. Aber die größte Überraschung bedeutete es jetzt für mich, die beiden Wohnzimmer des Königs behaglich eingerichtet zu finden. Das hatte ich durchaus nicht erwartet. Alle Überlieferung sprach von seinen zynischen Gewohnheiten. Ich glaubte höchstens, den geputzten französischen Repräsentativstil zu finden, wo man sich nicht anlehnen darf und die Gemächer wichtiger erscheinen als die Bewohner.
Nichts davon! Das Wohnzimmer des Königs im Neuen Schlosse ist ein kleines, lauschiges Kabinett. Handlich vom Sitze aus erreichbar, eine kleine Handbibliothek. Ein großer zerwühlter Sessel für die Windspiele steht neben dem Kamine. Eine Büste Ciceros winkt über der Tür. Der Schatten des Gebüsches spielt im Zimmer umher. Es sieht sehr behaglich deutsch aus.
In einem kleinen Nebenzimmer steht der Schrank, der sonst die unscheinbare Garderobe des großen Königs enthielt. Kein bescheidener Referendar unserer Tage, der einige Familienbekanntschaften hat, brächte seine Equipage darin unter. In einem kleinen Bezirke drängen sich die Appartements: ein Schlaf-, Musik-, Audienz- und Wohnzimmer. Von dem großen Schlosse benützte der Herr für sich nur einen kleinen Winkel.
Ein kleines Theater im Schlosse mutete mich eigentümlich an. Oft sah nämlich der Alte Fritz allein hier einer Komödie zu, höchstens einige Offiziere wurden zugelassen.
Napoleon ist zweimal in diesem Schlosse gewesen. Das zweitemal durchschritt er es ganz allein. Als Vandamme manches an Kostbarkeiten und Raritäten zur Bereicherung von Paris hier wegnahm, befahl der Kaiser, alle Gegenstände sofort zurückzusenden. Auch die französischen Offiziere bewiesen ein großes Interesse für den alten König. Der kleine Arbeitstisch des Königs ist mit einem graugelben Samtstoff überzogen. Darauf ein großer Tintenfleck, und von diesem Zeugnis einer Unachtsamkeit haben sich Franzosen Stücke ausgeschnitten und sie als Beute mitgenommen.
Einen kleinen Kanonenschuß abwärts, nach der Stadt zu, liegt auf dem Parkhügel Sanssouci.
Ich sage nichts von der bekannten Windmühle bei Sanssouci. Sie existiert wirklich und bewegt sich noch, wenn der Wind geht.
Auch Sanssouci hatte ich mir anders vorgestellt: versteckt, bescheiden und unscheinbar. Es ist aber nur bescheiden inmitten des größten Reichtums. Der schönste Punkt Nordostdeutschlands mit Ausnahme Dresdens, den ich bis jetzt gesehen. Terrassen heben sich vom Parke zu einem hohen Hügel hinauf, auf dem ein Sommerhaus, ein großer, einstöckiger Pavillon mit Glastüren, ruhte. Hier konnte die Wache jederzeit hineinblicken um zu sehen, wie man ein Weltreich regierte. Und doch, es hat niemand recht aufgepaßt, niemand hat es dem alten König abgesehen und nachgemacht. Von den Fenstern der obersten Terrasse hinab über Wald, Wiese und Wasser bis an die im Mittag abschließenden Brauhausberge genießt man das geschlossene Bild einer vollen Landschaft. Vorne unter den Terrassen, wo hinter dem Treibhausfenster die Weine Siziliens reifen, lachen grüne Plätze und weiße Statuen des Parks, links treten neugierig die Türme Potsdams hervor, und frischer Wald und dunkler Wasserspiegel locken das Auge weiter und weiter.
Und wie wohnlich hat sich der alte Herr hier eingerichtet. Er hatte ein großes Zimmer mit einfachen, aber bequemen Möbeln. Über dem Polstersofa hing das einzige Bild, ein lebensgroßer Gustav Adolf. Zwischen zwei Säulen hindurch, die ein Vorhang verbindet, sieht man in einen breiten Alkoven. Dort stand sein Bett, in dem er nur fünf Stunden ruhte. Am Kamin stand der Lehnsessel, in dem er krank saß und zum letzten Male auf das Tal hinunterblickte. Eine zierliche Uhr steht noch heute in seinem Zimmer, die bei seinem letzten Hauche stehenblieb und nicht mehr aufgezogen wurde.
Starke Menschen sterben nicht gerne im Bette. Friedrich verschied auch halb aufrecht, noch als zusammengeschrumpfte Leiche ein herrschender und gebieterischer Anblick. Er soll seinem Kammerdiener befohlen haben, die entkleidete Leiche niemand sehen zu lassen. Nur ein einziger Mensch, dem der Kammerdiener nicht wehren durfte, habe das Leichentuch auf einen Augenblick gelüftet.
Wenn man mit dem Rücken nach der Aussicht von Sanssouci steht, so ist des Königs Wohnung auf dem rechten Flügel des Hauses. Das Eckzimmer des linken Flügels gehörte Voltaire. In der Täfelung dieses Raumes hat der König allen seinen Schalkslaunen die Zügel gelassen: grüne Papageien öffnen ihre geschwätzigen Schnäbel, Eichhörnchen knabbern naschhaft umher. Der magere Affe selbst hüpft lüstern und beweglich bald hier und bald da.
Zum Erstaunen ist es übrigens, wie nah aneinander die berühmten Männer hier in Sanssouci wohnten. Das luftige Sommerschloß ist etwa zwölf Fenster und einige Glastüren breit. Wenn einer aus seinem Zimmer heraustrat auf die Terrasse, so sah er den anderen und wurde sicherlich auch gesehen. Es gehörte zu einem solchen Miteinanderleben die ganze Ausrüstung der französischen Kultur, die das kleine Esprit-Uhrwerk den ganzen Tag über aufgezogen hält, jeden Augenblick die Tasche voll kleiner Gedankenmünze hat und die deutsche und englische zurückgezogene und ruhende Sinnigkeit nicht braucht. Solche Existenz gehört auch durchwegs in diese à jour gefaßten Schlösser, die jedenfalls nur für einen König oder einen großen Herrn taugen, der Wachen aufstellen und sich vor Zudringlichkeit schützen kann.
Aber auch unter diesem Schütze fehlt es an poetischer Verborgenheit. Die Wachen sind ja doch auch lebende Wesen, und die besten und tiefsten Einfälle und Stunden kommen den Menschen nur, wenn sonst niemand kommen kann. Nicht einmal ein Blick, auch nicht die Möglichkeit eines Blickes. Das Innerlichste ist schamhaft und tritt nur im Dunkeln aus dem Dunkel. So das Herz und so auch das Herz des Geistes. Denn der Geist, der in Deutschland Geist genannt werden will, muß auch ein Herz haben.
Ungedeihlicher Norden. Wenn man aus dem Tale hinaus wieder den Weg nach Berlin fährt, erstaunt man von neuem über den preußischen Gedanken. Dieser Staat ist ein unverfälschter Triumph des energischen Willens, mitten aus der Öde heraus ein starkes Reich zu schaffen. Es ist wohl erklärlich, daß der Südländer, den eine üppige, schaffende Natur umgibt, der diese Natur das zeugen und darbieten sieht, was er selbst zu erwerben unterläßt, daß der Südländer Friedrichs Armee die Wachtparade von Potsdam nennen konnte, daß ihm der Glaube fehlte, aus dieser Unergiebigkeit werde eine starke Macht hervorwachsen. Aber die Not hat noch immer erfinderischer und unternehmender gemacht als der Reichtum. Kühne Eroberungen sind stets von dürftigen Ländern ausgegangen.