Reise durch das Biedermeier
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Frankfurt

An dem einen Ende Thüringens, hinter Eisenach, wendet der Postillon den Wagen direkt nach Süden. Zwischen den Hügelzweigen des Rhön- und Vogelgebirges steigt und fällt die Straße nach Fulda hinab. An den wohlgenährten Resten des alten Bistums, das sonnenfreundlich in der Tiefe liegt, erkennt man, daß es dem Herzen des Deutschen Reiches entgegengeht. Hier ist Heinrich König, der bescheidene Romanschreiber, der Verfasser der » Hohen Braut« und der »Waldensee«, geboren. Dieser letzte Roman, anspruchslos und laubgrün wie das Hessenland, spielt auch hier in »Fuld'«, wie es der bequemer werdende, verschluckende Akzent ausspricht. Auf einer kleinen, weichen Höhe vor der Stadt liegt das Kloster, von wo Mergardis entführt wurde.

Das Land fällt talwärts ab nach Hanau und Frankfurt hin über das Gebiet des Mains, der breit und bequem in die Fläche herabzieht. Bis man ihn erreicht, wo Saalmünster und ähnliche Flecken liegen, schlottert das Land wie eine Eckensteherjacke. Man reist nachts allda am genußreichsten.

Vor Hanau irrt ein dünner, niedriger Wald umher, in dem Wrede dem napoleonischen Rückzuge von Leipzig entgegentreten wollte. Hanau selbst ist ein kleines Kassel oder Berlin mit geraden, hübschen Straßen, still und reinlich wie ein Schachbrett. Es kann alles Mögliche darin wohnen an Geist und Vortrefflichkeit. Ich habe bloß in die friedliche, zierliche Wohnung Heinrich Königs gesehen, der sich hier niedergelassen hat und den ich in der beschaulichsten Sonntagsstille überraschte. Ein sanfter, bescheidener, lieber Mann, betrachtete er die schweigenden Straßen vom Fenster aus und sann über einen neuen Roman nach. Frappante Störungen sind in Hanau nicht häufig. Auch Hanau wurde von religiösen Flüchtlingen gegründet. Wo sie sich niederlassen, erarbeiten sie sich eine starke Existenz. Hanau versorgt halb Deutschland mit Ringen und Uhrketten. Der Glaubensdrang ist in weltliche Betriebsamkeit ausgeschlagen. Man wird reich, speist gut, und die Dame des Hauses hat Zeit und Lust, von Büchern zu sprechen.

Von hier aus nach rechts und links liegt in grüner gesättigter Wohlhabenheit Frankfurt. Es ist eine Stadt der Landhäuser, die geborene Hauptstadt des südwestlichen Deutschlands. Doch ist es sie nie geworden.

Ich glaube, ein reisiger Frankenkönig hat hier einst am Main eine willkommene Furt für seine Scharen entdeckt. Davon der Name. Später wurde Frankfurt die Krönungsstadt der deutschen Kaiser. Jetzt ist es wunderlich gemischt aus alten, verdrießlichen Gassen und neuweißen Straßen, aus bürgerlicher Freiheit und Fürstenmacht, aus Kaufmannschaft und Diplomatie. Wie eine silberne Fassung garnieren und durchschneiden die »Schöne Aussicht«, die »Millionärsstraße« und die »Zeil« das aufeinandergehäufte Kupfer der übrigen Stadt. Grün und lockend beschatten die Promenade, das Buschwerk der Landhäuser und der fern winkende, blaue Taunuswald die Kaufmannsstadt. Siegreich über alle anderen Geschäfte entstehen Hotels in modernster Form. Frankfurt ist die Universität der Kellner und der table d'hôte. Man »logiert« hier ganz und gar. Alles übrige ist Nebensache.

Wenn man über die Mainbrücke durch Sachsenhausen nach einer von den kleinen Höhen geht, die den Blick über Stadt und Fläche ein wenig erleichtern, wenn auch nirgends ganz ermöglichen, so sieht man an den einschließenden Bergen die alten Türme, die einst Frankfurt bewachten. Das erinnert daran, daß dieser vortrefflich gelegene Raum nie eine politisch ausgezeichnete Stellung gewann. Frankfurt ist ein Bürgerhaus geblieben für und für. Daß die Landstraßen von England und Holland nach Italien und Österreich, von Nord- und Süddeutschland, der Schweiz und Frankreich sich hier kreuzen, daß dies Land überall willkommene Arme nach den reichsten Gebieten unseres Vaterlandes streckt, ist eigentlich nur dazu ausgebeutet worden, ein wenig vorteilhaften Handel zu treiben.

Frankfurt, wo bist du? Auf der Börse bei den Kursen, auf der Mainlust beim Schoppen, im »Schwan« zur Tafel, auf dem »Museum« eine Vorlesung zu hören, oder in den Bibliotheken, um Journale zu lesen! Jetzt ist auch die Bildsäulenepidemie in Frankfurt eingebrochen, und man spricht vom Modell und antikem oder modernem Kostüm. Gott segne den Geschmack! Jahrzehntelang haben die Schriftsteller, um einen Vorwurf zu haben, über den man sich ungestraft erhitzen durfte, gegen die Gleichgültigkeit und Undankbarkeit des Publikums gewettert. Es hieß ein Skandal, wie die großen Autoren und Dichter unbekränzt blieben. Das war bereits ein ewiges Thema, wie man zur Sommerszeit über die Hitze, im Winter über Kälte klagt, kein Mensch dachte an Erfolg. Nun haben wir eines der merkwürdigen Beispiele in der Naturgeschichte: so und so viel Schläge sind nötig gewesen auf einen tauben Fleck Erde, jeder Vorübergehende hat in der Zerstreuung mit zugeschlagen, kein Mensch erwartete einen Erfolg. Plötzlich wurde ein ergiebiger Quell angeschlagen. Jetzt wissen wir kaum, was mit dem unerschöpflichen Denkmalwasser anzufangen sei. Das Konversationslexikon wird steinern auf die Alleen gesetzt. Bald werden die Schriftsteller, denen der Stoff fehlt, dagegen schreiben. Das ist die Welt. Renne dagegen an, wer es vermag.

Jetzt ist die Börse die Weltseele. Ich hoffe, noch die Bildsäulen auch mit der Dividende figurieren zu sehen, da es sich doch hierbei immer nur um ein imaginäres Kapital handelt.

Wenn mein Freund Gutzkow, der Frankfurter wurde, auch darankommt, so bitte ich unvorgreiflich, in einem Basrelief abzubilden, wie wir uns an der Fahrgassenecke mit beiderseitigem Gelächter wiedererkennen. Dieses Basrelief würde ein ganzes Stück Literaturgeschichte enthalten. Man hat zusammen für die Beglückung der Menschen geschwärmt und ungeduldig getrachtet, die Welt verbessern zu dürfen. Man trennt sich, zerdrückt eine Träne und verspricht, für seine Ideale zu kämpfen. Der nächste Weg führt ins Gefängnis. Der eine kommt bald hinein und bleibt lange darin, der andere wird später auch auf kurze Zeit eingesperrt. Die Namen beider Schriftsteller werden verfemt, die Welt geht im Galopp weiter. Keiner weiß recht wohin, man wird fortgerissen und plötzlich – begegnet man sich wieder in Frankfurt in der Fahrgasse. Und seltsam: man lacht – sind wir nicht moderne Menschen? Noch vor zwanzig Jahren hätte man sich bei solchen Gelegenheiten tragisch umarmt und viel Tränen verschwendet.


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