Reise durch das Biedermeier
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Tirol

Es war eine recht kindische Freude, die ich empfand, als der Postwagen nach Tirol hineinfuhr. Ich glaubte noch einmal in das Land meiner Kindheit zu reisen und sang, wie ich es als Bube getan hatte: »Jo, jo, jo, die Tiroler machen's so.« Die Tiroler amüsierten mich nämlich in früher Jugend beispiellos. Sie gingen immer in Sonntagskleidern, waren immer lustig, sagten zu allen Leuten: »Du«, trugen grüne Hüte und schöne Hosenträger, hatten samtene Jacken, und Blumen und Bänder flatterten von ihren Hüten. Mein Vater sagte, sie könnten mit ihrem kurzen Stutz vortrefflich schießen. Ich dachte mir, das Land, wo solche Leute wohnten, müsse scharmant sein, und die Leute hätten dort den ganzen Tag über nichts zu tun. Denn Müßiggang schien mir eine Hauptsache des Wohlbefindens zu sein. Ich dachte, in Tirol sei es immer schön warm, jeder könne gut singen, jedermann lache und sei sehr gescheit, und alle hätten große, klare, frische Augen. Aber entsetzlich weit dachte ich mir das Land, weit drunten hinter Spanien.

Ich habe viele Jugendirrtümer berichtigen müssen im Lande Tirol, aber meine Freude ist mir nicht genommen worden. Dies merkwürdige Ländchen hat mir gefallen. Es hat ein klares, zweifelloses Gesicht, nicht soviel Klugheit, als ich erwartet hatte, aber ganz und gar Charakter.

Tirol besteht aus langen, schmalen Tälern, die sich kaum auf einige Stunden Breite erweitern, sehr oft aber zur Enge eines Gebirgsbaches verschmälern. Ganz Tirol besteht aus drei Haupttälern und ist nicht viel größer als die Hälfte der Schweiz. Das Haupttal läuft von Norden nach Süden in die Lombardei hinein. Die anderen beiden wenden sich von Westen nach Osten, das Etschtal und das Inntal. Außer ihnen gibt es freilich noch mehrere kleinere, das Zillertal, das Pustertal und andere, sie münden aber alle als Nebenflüsse in diese Hauptströme. Das ganze übrige Land ist steinernes Urgebirge, ein hoher Alpenrücken, nur für Gemsen, Adler und Jäger zugänglich.

Wir fuhren ins Inntal hinein, das sich von Osten nach Westen über Innsbruck bis nach Graubünden hinaufschlängelt. In stolzen Felsen trat uns auf beiden Seiten des Weges die Natur entschlossen entgegen. Und da sah ich sie wieder, die bunten Tiroler meiner Jugend, in ihrer melancholischen Heiterkeit. Kühn sind ihre Felsen, aber arm ist ihr Land. Golden und weich wärmt der Sonnenschein, aber das Land ist hoch und großer Kälte ausgesetzt. Der Boden ist hart und bringt wenig Frucht. Es ist ein armes Land, dies Nordtirol, kärglich sprießt ein wenig Getreide, aus dem Süden muß eine unedle Frucht, der Mais, geholt werden, damit sich das Land sättigen kann. Nicht einmal die Schweizer Triften und Matten sind hier zu finden. Die Berge sind steinig und hart, auch das Vieh findet kaum Nahrung. Die Tiroler sind ein gesundes Volk, aber sie lachen aus ihrer Armut heraus. Es ist unbegreiflich, woher sie ihre hübschen Hüte, ihre glatten Jacken und ihre zierlichen Hosenträger haben. Sie sind sauber und ordentlich, aber doch keine Philister, munter und doch nicht leichtsinnig, listig und doch nicht falsch, stolz und doch nicht übermütig, ernst und doch nicht traurig, vorsichtig, doch voll Mut. Unverfälschte Kinder ihrer klaren, scharf abgegrenzten Berge.

Man darf sich unter diesen Natur- und Lebensverhältnissen nicht wundern, daß die sanftere Form und Schönheit des Weibes nicht recht gedeiht – dafür sind die Berge zu rauh. Die Tirolerinnen wissen auch, daß sie keine zarten Schönheiten sind. Vielleicht hat sie das eingeschüchtert, denn auch ihr Geschmack ist mißraten. Sie kleiden sich sehr unschön, verstopfen den Leib hinter dichte Ladungen wollener Röcke und tragen Männerhüte. Wenn man bloß die Köpfe sieht, so kann man oft die Geschlechter kaum unterscheiden. Das rauhe, unsanfte Bergleben hat auch die weiblichen Züge hart gemacht.

Doch alle Unbilden der Natur kommen dem Aussehen der Männer zugute. Ihre Gesichter sind gestählt und gesättigt in ihren Farben von der frischen, scharfen Bergluft. In den Augen glänzen die wetterharten Berge. Von Wange und Lippe strotzt die gesunde, unverfälschte Atmosphäre, der ganze Körper ist geschmeidig durch die Gefahr der schwindelnden Klippen, durch die Arbeit, die der unebene Boden fortwährend verlangt. Der Tiroler gehört zu den schönsten Männern Europas.

In der Nähe des Loferpasses, wo die Talwände wie stolze Feinde gegeneinanderdrängen, trat ein Tiroler Schütze plötzlich um die Ecke und blieb stehen, die Hand auf seinen Stutz gelegt, um uns vorüberzulassen. Ich meinte, es sei eine Erscheinung der Fabel, so grün, frisch, poetisch sah der Bursche aus. Wie ein junger Alpenkönig, der eben aus den fliegenden Wolkenschichten tritt. Reif hing ihm in dem buschigen Knebelbart und in den langen Augenwimpern. Die Augen blitzten wie Gemslichter. An der Seite steckte ihm ein Messer, das jeder Tiroler trägt, wenn er auch nur Brot damit schneidet. Fahlgrün, vom Wetter gebleicht, war sein Hut und sein Wams. Unbefangen und kühl sah er in unseren Wagen.

Am Loferpaß hat es ein fürchterliches Franzosenmetzeln gegeben. Von der früheren Befestigung blieben nur verwitterte Steintrümmer übrig.

Der Schütze stand an einem klassischen Punkte. Man sah ihm an; daß seine Kugeln selten fehlten. Er schaute aus wie ein moderner Ritter, unverbildet, aber sicher im Gebrauch seiner Waffe.

In diesen Tiroler Tälern mag die Redensart entstanden sein: »Die Welt ist wie mit Brettern vernagelt.« Es gibt immer nur einen Weg, auf dem man vorwärts- oder rückwärtsschreiten kann. Das Volk in diesem Lande muß auch notwendig todesmutig oder feige werden. Es ist kein anderer Ausweg. Unzugänglich wie die Herzen von Kaufleuten stehen rechts und links kahle Felsen und verschließen die übrige Welt.

In einer Entfernung von mehreren Stunden schlingt sich ein schmales Tal nach Süden zu. Es wurde dunkel, als wir hier nach aufwärts fuhren. Hie und da kam ein Tiroler und warnte uns gutmütig vor den Wassern, die die Wege »sakkerisch« zerrissen hätten.

Bald wurde es undurchdringlich finster. Wir mußten aussteigen und einen Nebenweg suchen, die Straße war zerstört. Nur ein schmaler, für den schweren Wagen gefährlicher Aushilfsweg führte in dem engen Tale an den Felsenlehnen hin. Leute mit Kienfackeln kamen herbei, und wir tappten unsicher bei dem flackernden Scheine durch die Nacht.

Als wir durch die Wassermassen hindurch waren, kehrten wir in einem Wirtshause ein, um zur Nacht zu essen. Die Leute waren still geschäftig und freundlich. Auf der Landstraße in der Fremde findet man die Tiroler am meisten gesprächslustig und heiter. Witz und Humor dürften sie ziemlich selten zeigen, dafür sind sie zu ursprünglich. Sie sind zufrieden, und diese Zufriedenheit gewährt ihnen eine ruhige Laune.

Die Tische waren sauber gedeckt, ein langes, sanftes Mädchen, das immer rot wurde, wenn sie jemand von uns jungem Volk anredete, servierte uns ein ärmliches Essen.

Vor der Türe fanden sich Musiker ein und begrüßten uns mit sanften Tänzen. Diese Sitte hat etwas Gastfreundliches und wohlwollend Berührendes. Sie kamen auch nicht mit dem Notenblatte, sie spielten ihre Weisen aus dem Kopfe. Als wir ihnen etwas schenkten, waren sie dankbar und vergnügt wie die Kinder. Tirol ist überhaupt das Land der großen Kinder.

Da ich am anderen Morgen im Wagen erwachte, war das Tal breiter geworden, und die Sonne lag wie ein jungfräulicher Kuß darauf. Links öffnete sich das Zillertal. Bei der Umspannung sagte mir ein Tiroler, da drinnen sitze in einem einsam gelegenen Häuschen ein recht armes Mädchen, dessen Schatz vor mehreren Jahren ausgezogen sei, um sich mit seiner schönen Jodelstimme Geld zu verdienen. Das Mädchen warte mit Schmerzen auf seine Wiederkunft. Jeden Morgen denke sie, heute sei der rechte Tag, und schaue nach ihm aus. Aber der rechte Tag sei immer noch nicht gekommen. Als ich vermutete, der Schatz werde wohl ein anderes Mädchen und ein anderes Unterkommen gefunden haben, schüttelte er lächelnd den Kopf und sagte: »Das tut kein Tiroler, jeder Tiroler ist treu.«

Und wirklich sind sie in dieser Beziehung wieder wie die Kinder und ein ursprüngliches Volk, dem die Treue Religion ist. Erst vor kurzem war ein Tiroler wiedergekommen, der draußen ein steinreicher Mann geworden war. Er hätte die schönsten Mädchen heiraten können. Er war aber zurückgekehrt, um seiner »Gretli« Wort zu halten. Als er sie abgemagert und elend wiedergefunden hat, hat sie ihm gar nicht mehr gefallen. Er ist aber doch seinem Versprechen treu geblieben, hat sie geheiratet und lebt jetzt recht freudlos mit ihr.

Immer breiter wurde das Tal, immer grüner und sonniger. Der Wagen rollte durch Hall, das von den Salzsiedereien über und über in Dampf gehüllt wird. Auf breiter, glatter Heerstraße, an der strotzende Obstbäume prahlten, tanzten die Pferde im lustigen Sonnenschein. Ein malerischer Tiroler nach dem anderen kam vorüber, die Berge traten hoch und schön immer weiter zurück, immer herrlicher wurde das breite Talbecken. »O Tirol!« jauchzten wir alle, es war gar zu schön. – Innsbruck lag vor unseren Augen.


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