Reise durch das Biedermeier
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Sperl in Floribus

Es war an einem jener wichtigen Tage, da »Sperl in floribus« an allen Straßenecken erglänzt. Der ganze Garten Sperls in der Leopoldstadt brennt dann mit tausend Lampen, alle Säle sind geöffnet, Strauß dirigiert die Tanzmusik, Leuchtkugeln fliegen, alle Sträucher werden lebendig. Jeder richtige Wiener steuert am Abend hinaus über die Ferdinandsbrücke, beim »Lampl« vorüber, links um die Ecke.

Es versammelt sich dort allerdings keine haute volée, es ist eine sehr gemischte Gesellschaft. Aber die Ingredienzien sind nicht zu verachten, und das Gebräu ist klassisch-wienerisch. Ein Abend und eine halbe Nacht beim Sperl ist, wenn er in aller Üppigkeit blüht, der Schlüssel zum Wiener sinnlichen Leben. Unter erleuchteten Bäumen und offenen Arkaden, die an den Seiten herumlaufen, sitzt Männlein bei Weiblein an zahllosen Tischen, ißt und trinkt, schwätzt, lacht und horcht zu. In der Mitte des Gartens ist das Orchester, von dem verführerische Sirenentöne kommen, die neuen Walzer, der Ärger unserer gelehrten Musiker, die neuen Walzer, die gleich dem Stich einer Tarantel das junge Blut in Aufruhr bringen. In der Mitte des Gartens, bei jenem Orchester, steht der moderne Held Österreichs, Napoléon autrichien, der Musikdirektor Johann Strauß. Was den Franzosen die Napoleonischen Siege waren, das sind den Wienern die Straußschen Walzer. Wenn sie genügend Kanonen hätten, sie errichteten ihm beim Sperl eine Vendômesäule. Der Vater zeigt ihn seinem Kinde, die geliebte Wienerin ihrem fremden Freunde, der Gastfreund dem Reisenden: »Das ist Er!« – »Wer?« – »Er!« – Wie die Franzosen sagen: »Voici l'homme!«

Es lebt ein heiteres Volk in Österreich. Napoleon kostete den Franzosen viele Söhne und Brüder und Väter, ehe sie sagen konnten: »Voici l'homme!« Die Österreicher zahlen nur mit einigen Gulden und einigen Nächten. Dafür haben sie einen exotischen Vogel mit bunten Lockfedern für die Damen. Wenn auch nicht mit fanatischer Begeisterung, denn damit geben sie sich nicht ab, so doch mit Entzücken sagen sie: »Das ist der Strauß!«

Er schlug gerade die Kaiserschlacht von Austerlitz, als wir ankamen. Mit dem Fiedelbogen wies er hinauf zum Himmel und die Geigen schrien: »Die Sonne geht auf!« Er dirigierte just seinen neuesten Deutschen! Alle Gesichter waren auf ihn gerichtet, es gab Augenblicke der Andacht. Man wird dich fragen, sagte ich mir, besonders die Tänzer und Mädchen zukünftiger Generationen werden dich fragen: »Wie sieht er aus, der Strauß?« Ich betrachtete ihn genau. Man dichtet immer, wenn man vor einer historischen Person steht. War das Aussehen Napoleons römisch-klassisch, ruhig und antik, und das des anderen großen südlichen Zauberers Paganini romantisch, hofmanneresque und klosterbrüderlich, so ist das des maestro Strauß afrikanisch-heißblütig, lebens- und sonnenscheintoll, zappelnd unruhig, modern verwegen, unschön leidenschaftlich. Nun, das sind Adjektiva zum Auswählen. Strauß sieht sehr dunkel aus. Sein Haar ist kraus, der Mund melodiös und unternehmend, die Nase abgestumpft. Man hat nur zu bedauern, daß er ein weißes Gesicht hat, sonst sieht er dem Mohrenkönig aus Morgenland, Balthasarius genannt, der zu Neujahr in katholischen Ländern umhergeht, sehr ähnlich. Unter dem höchst unseligen Herodes brachte dieser selige Balthasar dampfenden, sinnebefangenden Weihrauch nach Bethlehem. So ist es auch mit Strauß. Er verzaubert uns ebenfalls und treibt die bösen Teufel aus unseren Leibern, er befängt unsere Sinne mit dem süßen Taumel des modernen Exorzismus seiner Walzer.

Ekstatisch leitete er auch seine Tänze: die eigenen Gliedmaßen gehören ihm nicht mehr, wenn sein Walzerdonnerwetter losgeht. Der Fiedelbogen tanzt mit dem Arme und ist der leitende Kavalier seiner Dame, der Takt springt mit seinem Fuße herum und die Melodie schwenkt Champagnergläser in seinem Gesicht. Der ganze Vogel Strauß nimmt einen stürmischen Anlauf zum Fliegen, der Teufel ist los.

Und diese leidenschaftliche Prozedur nehmen die Wiener mit beispiellosem Enthusiasmus auf. Sie haben ein aufmerksames Gedächtnis für ihren Helden und seine Taten. In einem Potpourri, das er aufführte, waren einzelne seiner Walzergedanken zerstreut. Ein großes, gemischtes Publikum kannte das kleinste Straußsche Wort heraus und begrüßte jeden neuen Walzer mit donnerndem Jubel.

Es ist eine bedenkliche Macht in dieses Mannes Hand gegeben. Er mag es sein besonderes Glück nennen, daß man sich unter Musik alles Mögliche denken kann, daß die Zensur sich mit den Walzern nicht zu schaffen macht und daß die Musik auf unmittelbarem Wege die Empfindungen anregt. Ich weiß nicht, was er außer Noten versteht, aber ich weiß, daß der Mann sehr viel Unheil anrichten könnte, wenn er Rousseausche Ideen geigte. Die Wiener machten in einem Abende den ganzen contrat social mit ihm durch.

Gewissermaßen tun sie dies freilich beim Sperl. Denn eine Rehabilitation der Sinne geigt er wirklich. Er ist der Repräsentant des jungen Österreich, das gerade so gerne tanzt und küßt, wie es das alte getan. Wenn man das nicht glaubt, so steige man hinauf in die Sperlschen Säle, wo die bacchantische Lust ihren Ausdruck, ihre babylonische Völkersprache findet.

Ich war an eine Säule gelehnt und sah voll Staunen dem Treiben zu. Die Sperlschen Säle verwandelten sich mir in ein indisches Bajaderenhaus. Die nach Freuden schreienden Becken wurden zusammengeschlagen, die Zimbeln lockten sehnsuchtsvoll, die großen Hörner klangen frohlockend. Die Mädchen drehten sich und lachten kußfreudig. Wie heiße Sonnenstrahlen hüpften sie mit ihrem blühenden Leben umher.

Es ist bemerkenswert, daß die österreichische Sinnlichkeit nie gemein aussieht. Sie ist naiv und keine Sünderin. Die dortige Lust ist die Sünde vor dem Sündenfalle. Der Baum der Erkenntnis hat noch keine Definition, kein Raffinement nötig gemacht.

Bunt wogt die Menge durcheinander, die Mädchen drängen sich warm und lachend zwischen den munteren Burschen hindurch, ihr heißer Atem spielte mir, dem fremden Säulenheiligen, wie der Duft südlicher Blumen um die Nase, ihre Arme drängten mich mitten ins Getümmel. Um Verzeihung bittet niemand. Beim Sperl will man keinen Pardon und gibt keinen.

Nun werden die Anstalten zum wirklichen Tanze gemacht. Um die zügellose Menge in Schranken zu weisen, wird ein großes Seil gespannt, durch das alles, was in der Mitte des Saales bleibt, von den eigentlichen Geschäftsleuten, den Tänzern, getrennt wird. Die Grenze ist aber schwankend und nachgiebig. Nur an den gleichmäßig wirbelnden Mädchenköpfen unterscheidet man den Tanzstrom. Bacchantisch wälzen sich die Paare durch alle zufälligen oder absichtlichen Hindernisse hindurch, die wilde Lust ist losgelassen, kein Gott hemmt sie, nicht einmal die Wärme, die still und eindringlich hin- und herwogt wie ein von Strauß angefachtes Feuer.

Charakteristisch ist der Anfang jedes Tanzes. Die Musik beginnt mit zitternden, nach vollem Ausströmen lechzenden Präludien. Sie klingen tragisch wie Glückseligkeit, die vom tiefsten Schmerz umklammert wird. Der Wiener legt sich sein Mädchen tief in den Arm, und sie wiegen sich auf das wunderlichste im Takt. Man hört noch eine ganze Weile diese langanhaltenden Brusttöne der Nachtigall, mit denen sie ihr Lied anhebt und die Zuhörer bezaubert, bis plötzlich ein schmetternder Triller hervorbricht, der eigentliche Tanz beginnt und die Paare sich in den Strudel der Fröhlichen stürzen.

All das könnte den Leser leicht zu dem Glauben verführen, er befinde sich in einer Kneipe. Dem ist aber keineswegs so. Bei glänzender Beleuchtung, in einem schönen hohen Saale ereignet sich das alles. Daneben laufen offene, freie Speisesäle hin, wo vornehme Bürger ihr Nachtmahl verzehren und harmlos dem Treiben zusehen.

Ich habe nie Exzesse dort erlebt. Das fatale Zauberwort des Nordens, »Branntwein«, fehlt, es fehlen die dumpf Trunkenen, die Sinnlosen. Der leichte österreichische Wein macht nur die Sinne bewußt – und die Wiener haben große Mägen, aber kleine Kehlen.

Die Feste dauern bis gegen Morgen. Da nimmt Österreichs musikalischer Held seine Geige und geht heim, um einige Stunden zu schlafen und von neuen Schlachtplänen und Walzermotiven für den nächsten Nachmittag in Hietzing zu träumen. Die heißen Paare stürzen sich in die warme Wiener Nachtluft hinaus, und das Kosen und Kichern verschwindet langsam nach allen Richtungen. Das ist Sperl in floribus.


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