Mirok Li
Iyagi
Mirok Li

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3. Die trauernde Katze

Ein guter Hausherr lag erkrankt. Der Arzt verordnete tausend Mauselebern. Wo sollte man plötzlich tausend Mauselebern herbekommen?

Während die ganze Familie in Sorgen lebte, schlich die Hauskatze aus dem Zimmer, band ein weißes Tuch um ihren Kopf, setzte sich in der Scheune vor einem Mauseloch nieder und wartete.

Eine alte Maus, die ahnungslos aus dem Loch herausschlüpfte, erbebte vor der Katze. »Sei nicht so feige!« schalt sie die Katze, »und sieh mich genau an!« Die zitternde Maus wurde auf das weiße Tuch aufmerksam. »Oh, ihr trauert«, sagte sie mitleidsvoll. »Ja, das tue ich«, sagte die Katze. »Gestern ist meine Großmutter gestorben, und ich bin sehr traurig.«

»Es tut mir leid«, sagte die Maus, »in meiner großen Angst hatte ich das 34 Trauerzeichen gar nicht bemerkt, verzeiht mir's.«

»Das ist schön, daß du mir dein Beileid aussprichst. Geh ruhig deinen Weg weiter und sag deinen Verwandten, daß ich beleidigt bin, weil sie nicht einmal zu mir gekommen sind, um mir ihren Trauerbesuch zu machen.«

»Ich werde es allen sagen«, sagte die Maus und schlich dankbar von dannen.

Einige Stunden danach kam wirklich eine junge Maus hergeschlichen, setzte sich zitternd vor die Katze und sagte ihr Beileid: »Für ihre Trauer finde ich kein Trostwort!«

»Gut, das genügt!« sagte die Katze, »sag aber allen deinen Verwandten, daß ich beleidigt bin, weil sie mir nicht einmal ihren Trauerbesuch gemacht haben.«

»Ich werde es allen sagen«, sagte die junge Maus und ging weg.

Nun kamen immer mehr Mäuse und sprachen der trauernden Katze ihr Beileid aus. »Es ist aber sehr mühsam«, 35 sagte die Katze zu den Mäusen, »so die ganze Zeit hier zu sitzen und auf eueren Besuch zu warten. Könnt ihr denn nicht dafür sorgen, daß ihr Verwandte alle auf einmal zu mir kommt und einen gemeinsamen Trauerbesuch macht?« Die Mäuse versprachen ihr, das zu tun, und einige Tage danach strömten tatsächlich alle zu der Scheune her. Die Katze sah, daß nun mehr als tausend Mäuse da waren, und sagte zu ihnen: »So, seid ihr nun endlich alle da? Jetzt hört mir aber zu! Ich trauere ja gar nicht, ich wollte euch nur heranlocken, weil der Herr dieses Hauses krank ist und tausend Mauselebern braucht, um gesund zu werden.« Mit einem Sprung versperrte sie das Loch, durch das die Mäuse gekommen waren, tötete dann tausend von ihnen und brachte ihre Lebern zu dem Kranken, der sie aß und gesund wurde. 36

 


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