Detlev von Liliencron
Poggfred
Detlev von Liliencron

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Fünfter Kantus: Die kleine Fite.

Motto:

Er hat noch nie die Furchtsamen beglückt,
der alte Gott.
Er gab dir deinen Hunger, deine Hände:
greif zu und iß – dann dulde!

Richard Dehmel.

              In dieses Lebens ewigen Kümmernissen
Weiß ich ein Schloß, Chateau d'amour genannt.
Von Rosen rings umsponnen und Narzissen,
Träumt dort ein einsam stilles Wunderland.
Tagüber läßt es tausend Fahnen hissen,
Scharlachen brennend wie der Herzensbrand.
    Nachts, wenn im blauen Schein die Berge hängen,
    Horcht Eros kichernd auf den Marmorgängen.

Und schöne Paare wandeln auf den Steigen,
Von Liebesgöttchen selig überflogen.
Versteckte Lauben üben sich im Schweigen,
Von kleinen Silberwolken überzogen.
Ein Schumannlied von hundert sanften Geigen
Klingt aus den Sälen durch die Säulenbogen.
    Und schwarzverhüllte, schwergeschiente Ritter
    Behüten streng des Gartens goldne Gitter.

Und sie hieß Fite . . . Wie die Flocken toben
Und durch die Fenster hart um Einlaß bitten!
Ein neues Scheitholz, in die Glut geschoben,
Gibt ihnen Antwort: das wird nicht gelitten.
Und auch dem Sturme, der mit seiner groben
Gewalt klopft, hat den Eingang abgeschnitten
    Behaglichkeit, die meinen Poggfredräumen
    Die weichen Polster rückt zu Trost und Träumen.

Und sie hieß Fite . . . Kleines liebes Tier,
Wo kommst du jetzt nach dreißig Jahren her,
Und grade du aus aller Frauenzier,
Und grade du aus jenem Blütenmeer,
Das ich durchschwamm als loser Kavalier
Mit leichtem Sinn und glühendem Begehr.
    Was willst du? Noch einmal dein Köpfchen lehnen
    An meine Brust? Ich soll mich nach dir sehnen?

Und sie hieß Fite . . . Einfacher hat nie
Sich je so ein Affärchen eingeleitet.
Ich ritt durch meiner Felder Poesie,
Da steht sie mit der Sichel und bereitet
Der Garben segenschöne Symmetrie,
Und meine Augen haben sie begleitet.
    Kennt sie mich schon? Ich hab sie kaum beachtet,
    Doch blitzschnell hat mein Herz nach ihr geschmachtet.

Was ist die Liebe? Ists ein heller Stern,
Der plötzlich leuchtet, den wir nie geschaut?
Ists ein Erinnern, das unnennbar fern
Uns dünkt und nun in unsre Seele taut,
Jäh aus der Schale springt und einen Kern
Uns zeigt, so voller Süße, daß uns graut?
    Ich bin dir gut. Du bist mir gut. Nichts weiter.
    Dann klimmen wir hinauf die Himmelsleiter.

Was ist die Liebe? Nur ein schnelles Zittern,
Nur Hast und Drang zu flammendem Erguß.
Aus kurzem Wetterleuchten zu Gewittern
Führt uns den schwülen Weg ein heißer Kuß.
Es kracht im Forst, und unter tausend Splittern
Sprießt auf ein neues Reis, das ist der Schluß.
    Was darauf folgt, ist, mäkelt oder lacht,
    Philisterpunsch und der Gewohnheit Macht.

Was ist die Liebe? Komm, mein Weib, komm her,
Lehn dich an mich, ich lehne mich an dich
Und küsse dir die Hände, die ein Heer
Von Lebensgreueln wandten fürsorglich,
Mein bester Freund, mein Trost, wenn kummerschwer
Verzweiflung schrie, Verzagtheit mich beschlich.
    Im Sterben noch, bin ich zum Tode krank,
    Lall ich mein letztes Wort für dich: hab Dank.

Was ist die Liebe? Nur ein einziger Tag,
Gelebt, gejauchzt, gerast im Paradiese.
Dann folgen Bitternisse Schlag auf Schlag,
Wir seufzen: Hätt ich doch . . . o, die Bêtise!
Und was mir einer auch entgegnen mag,
Sie wird mir schal, die immer gleiche Lise.
    Abwechslung muß ich haben. Und die Treue?
    Kenn ich denn kein Gewissen, keine Reue?

Und sie hieß Fite . . . Kleine Reizende,
Wie zart du warst, wie blaß und schmal die Backen.
Am selben Abend schlugst du, ranke Fee,
Die dünnen Ärmchen schon um meinen Nacken.
Wir standen mondbeglänzt im Wiesenklee:
Komm an mein Herz, du sollst dich nicht mehr placken.
    Als hättest du dich lang nach mir gesehnt,
    Hast du dein Haupt an meine Brust gelehnt.

Und weißt du noch, wenn wir inkognito
In fremdem Städtchen, fremdem Dorf uns schwangen
Im Liebeswalzer, lebenstoll und froh,
Und wie wir dann uns durch die Wälder sangen,
Uns, ganz nur uns, in dulci jubilo!
In Poggfred hielt ich heimlich dich gefangen,
    Und mich, den Schließer, legtest du in Ketten;
    Mein Arrestant schlief aus in Seidenbetten.

Seltsam Geschöpfen, stehst du neben mir
Mit deinem kalten Blick, mit deinem Leuchten
Plötzlich aus dunklem Schleier, bist du hier?
Dein Eigensinn, dein Trotz, die oft mich scheuchten,
Und deine leidenschaftliche Begier,
Dein unheimliches Stummsein, die mich deuchten,
    Als hätte dich ein kranker Stern verbannt,
    In Wut auf unsre Erde dich gesandt.

Entsinn ich mich, es war ein feuchter Tag,
Ein Frühlingstag, die Nachtigallen schlugen.
Du spielst mit meinem Damaskdolche zag;
Wer weiß, wohin dich die Gedanken trugen.
Du hebst dich blitzend: in den Silberschlag
Stößt du zurück ihn, deine Augen lugen
    Schräg, halbgeschlossen wieder, zu mir hin,
    Die Wahnsinnsaugen einer Mörderin.

Dann kam ein schnelles, kindliches Gelächter,
Daß ich entsetzt dir beide Hände hielt,
Als klebte Blut daran: Bist du ein Schlächter?
Was wolltest du, sprich! Wer so furchtbar zielt,
Ist alles Lebens, aller Welt Verächter;
Hast du nach meinem Herzen hingeschielt?
    »Das Messer? Da! Weg!« riefst du lachend aus,
    Und klirrend flogs in einen Rosenstrauß.

In einen Krug, darin viel Rosen prangen,
Fiel es hinein; die gelben und die roten
Verbargen gütig, liebreich, und verschlangen
Den gierigen, fürchterlichen Todesboten,
Und hielten ihn wie einen Schatz gefangen,
Und ihre Feuerfarbenprächte lohten.
    Du hingst an meinem Hals; wie eine Quelle
    Hört ich dich schluchzen, eine leise Welle.

Und sie hieß Fite . . . Warum kann ich nur
Die blassen grauen Augen nicht vergessen?
Ihr lichtbraun Haar, und wie sie stumm und stur
Die Finger pflegte um den Hals zu pressen.
Ihr liebster Schmuck war eine Blütenschnur
Von rotgefleckten Kapuzinerkressen.
    Dann war sie schön wie Lionardos Bilder.
    Doch einmal sah ich sie noch schöner: wilder.

Zum Rennen war nach Hamburg ich gefahren
Und hatte, wie sich das von selbst versteht,
Ein Spiel nachher gemacht mit Turfhusaren.
Ich war, es bleibt mir einmal ein Magnet,
Nicht grade hingegangen, um zu sparen.
Und daß ichs immer sage, ganz diskret:
    Nur fünfzig Pfennig nannt ich spät mein Eigen,
    Doch mein Bankier weiß morgen schon zu schweigen.

So ging ich denn, der Sekt war mir bekommen,
Erleichtert und begeistert durch die Gassen,
Und hatte kreuz und quer den Weg genommen,
Und sah (es schlug drei Uhr) im ersten blassen
Frühschein die Stadt der lieben, guten, frommen
Beefsteakvertilger und gefüllten Kassen.
    So gegen vier, in jeder Metropole,
    Gibts wirklich Straßen ohne Saum und Sohle.

Es ragten über Brücken, Fluß und Fleete,
Gespenstisch, in geheimnisvollem Dämmer,
Neubauten, fern, wie Zinnen, Minarete;
Dumpf klang von weitem her Fabrikgehämmer,
Es heult der Schiffssirenen Dampftrompete,
Im Osten lagern rote Wolkenlämmer.
    Ein kurzer, scharfer Wind kam mit der Sonne;
    Nun ist ein guter Kognak eine Wonne.

Wo find ich diese Wonne? Dann ein Bad,
Und dann zu Bett, und bis zur Mittagszeit
Geschlafen. Bin ich müde, ach! So hat
Das Jeu mich nie erregt. Wie liegt so weit
Poggfred, und liegt so nah. Hätt ich die Stadt
Erst hinter mir, daß Fite mir verzeiht!
    Glück in der Liebe, und ich bin verliebt,
    Unglück im Spiel. Was? Träum ich schon? Wer gibt?

Und ich trat in ein Nachtkaffee hinein.
Was alles sitzt in solchem Nachtkaffee!
Louis, Verkommne, müde und gemein,
Lockspitzel, ein verkappter Attaché
Der Tingeltangelsänger Stutzenstein,
Herr Leutnant, in Zivil, von Igelsee,
    Und Gott weiß wer, wie nenn ich Stand und Namen,
    Natürlich bunter Reihe mit den Damen.

An einem Marmortischchen neben mir
Saß ein »pompöses« Weib mit einem Herrn,
Siebziger sicher, der als Busenzier
Von Fabelwert trug einen Nadelstern.
Und dieses öde alte Ekeltier
Trank mit ihr eine Flasche Haut-Sauternes.
    Er hatte sich das Weib gekauft, nun ja,
    Die Welt ist einmal so: Pecunia.

Ein Sirup- oder Saffianmakler, denk ich,
Mag er gewesen sein; was gings mich an.
Doch meine volle Aufmerksamkeit schenk ich
Der Nachbarin; auch sie wirft dann und wann
Mir einen Blitz, und immer stärker senk ich
Die Augen in der ihren Zauberbann.
    Es wurden uns, was soll ihr noch der Greis,
    Die Herzen und die Seelen siedeheiß.

Ein Lächeln, ganz verstohlen, hin und her;
Verständnisvoller werden unsre Blicke.
Sie liebäugelt mit mir, sie will noch mehr,
Sie bindet fester um mich ihre Stricke
Und sendet Fragen mir ein ganzes Heer,
Daß lebhaft Antwort ich hinüberschicke.
    Und zappelnd steck ich in der Liebesmasche,
    Und hatte fünfzig Pfennig in der Tasche.

Ein letzter Wink. Sie haben sich erhoben.
Ich hinterher. Wie? Ist ein Streit entstanden?
Etwas vergessen? Er kehrt um nach oben.
Und eh Sekunden zu Minuten schwanden,
Wars schon getan. Nun laß den Alten toben.
Wo werden wir in unsrer Droschke landen?
    Ein wenig kleinlaut mußt ich ihr gestehn,
    Daß ich zufällig nicht mit Geld versehn.

Sie lacht mich aus. Und wie zwei wilde Flüsse,
Die endlich, endlich ineinanderfließen,
Sind unsre Freuden, unsre Glutergüsse
Ein tosend wirbelndes Zusammengießen.
Halt ein, ich sticke! Küssen folgen Küsse,
Himmel und Hölle balgen ums Genießen.
    Indessen rumpelt unser Cab gemächlich,
    Worauf ich reime: Das ist nebensächlich.

Ah, ihre Wohnung! Alle Wetter auch!
Mit Pantherfellen, Bronzen und Likör.
Von heißer Platte zieht ein feiner Rauch
Aus Räucherwerk und Kiss-me-quick-Odeur.
Und was zum Leben, was zum Luxus Brauch,
Besitzt im Überfluß mein joli coeur.
    Und hier im Hause meiner Favorite
    Vergaß ich Poggfred und – die kleine Fite.

Vergaß sie eine ganze Woche lang
Und wachte auf im Venusberg und wollte,
Die Stirn mir reibend, weg aus diesem Zwang;
Doch Aphrodite litt es nicht und grollte,
Daß kläglich jeder Fluchtversuch mißlang,
Und wenn ich flehte, weinte sie und schmollte.
    Ich raffte mich zusammen: Morgen früh,
    Zum Geier, hört es auf, dies Impromptü.

Am letzten Abend, als ichs ihr gestand,
Daß ich durchaus nach meiner Heimat müßte,
Sah sie mich fragend, forschend an und schwand
Und kam zurück von einer fernen Küste,
Aus Gräcia, und trug ein reich Gewand,
Weingrün; es schloß ihr herrlich Hals und Büste.
    Mit Perlen war ihr schwarzes Haar durchflochten.
    Mein Herz, mein Hirn und meine Adern kochten.

Sie ließ sich nieder auf ein Taburett;
Ich sinke zu ihr, ihre Knie umschlungen.
Sie streichelt mir den Scheitel, sagt Valet,
Ganz leise, und ich habe schwer gerungen.
Da seh ich, in Gedanken? ein Stilett,
Und bin vom Boden jählings aufgesprungen.
    Denn in der Tür, was starrst du, Aphrodite,
    Steht fahl, steht totenbleich die kleine Fite.

Sie trug ihr einfach bäuerlich Gewand,
Wie damals ich sie fand im Ernteflor.
Den Dolch, von meinem Schreibtisch, in der Hand
Gesenkt, wie spielend, tritt sie langsam vor
Und sieht mich an, ich steh wie festgebannt,
Schaut lächelnd, wie zu Sternen, irr empor.
    Ein Tigersatz, die Griechin schwimmt im Blute;
    Das alles blitzt im Zehntel der Minute.

Und sie hieß Fite . . . Wie die Flocken toben
Und durch die Fenster hart um Einlaß bitten!
Ein neues Scheitholz, in die Glut geschoben,
Gibt ihnen Antwort: das wird nicht gelitten.
Und auch dem Sturme, der mit seiner groben
Gewalt klopft, hat den Zutritt abgeschnitten
    Behaglichkeit, die meinen Poggfredräumen
    Die weichen Polster rückt zu Trost und Träumen.

Und sie hieß Fite . . . Kleines liebes Tier,
Wo kommst du jetzt nach dreißig Jahren her,
Und grade du aus aller Frauenzier,
Und grade du aus jenem Blütenmeer,
Das ich durchschwamm als loser Kavalier
Mit leichtem Sinn und glühendem Begehr.
    Was willst du? Noch einmal dein Köpfchen lehnen
    An meine Brust? Ich soll mich nach dir sehnen?


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